Eigentlich wollte ich mit Arne Semsrott über die AfD reden. Denn in seinem Buch „Machtübernahme“ schildert er, wie die AfD in der Regierung schleichend die Demokratie zersetzen könnte und was jede:r dagegen tun kann.
Dann wurde zwei Tage vor unserem Interview eine Kleine Anfrage der CDU im Bundestag öffentlich. In der stellt sie mit 551 Fragen die Gemeinnützigkeit vieler Initiativen infrage, weil die vor der Wahl zu Demos gegen die CDU aufgerufen hatten. Auch FragDenStaat, die Organisation, die Semsrott leitet, ist gemeinnützig. Sie taucht allerdings in der Anfrage nicht auf. Viele in der Zivilgesellschaft kritisieren das Vorgehen der CDU heftig, so auch Semsrott.
Ich habe mit ihm darüber gesprochen, inwiefern die CDU weiter nach rechts rückt, wie man Vorräte an Liebe sammelt und, ja, für wie wahrscheinlich er eine AfD-Regierung inzwischen hält. Wir duzen uns im Interview, wie in der Medienbranche üblich.
Empfindest du die Kleine Anfrage als Angriff?
Ja. Die Union hat mit ihrem Vorgehen den Rahmen einer angemessenen demokratischen Diskussion verlassen. Ihr geht es hier offenbar nicht darum, faktenbasiert zu argumentieren. Die Union nimmt in ihrer Anfrage ganz am Anfang Bezug auf einen Welt-Artikel, der den rechtsextremen Verschwörungsmythos von einem Deep State verbreitet. Laut dem gibt es eine Schattenstruktur, einen Staat im Staate, bei dem Nichtregierungsorganisationen auf verdeckte Weise Parteipolitik für Linke machen würden.
Wie gefährlich dieser Verschwörungsmythos ist, zeigen Länder wie die USA. Dort bildet er die Grundlage dafür, repressiv gegen die Zivilgesellschaft und demokratische Institutionen vorzugehen. Und wenn die Union diese Vorlage, die sie jetzt selbst geliefert hat, konsequent weiter nutzt, dann werden das wirklich sehr harte Jahre für die Zivilgesellschaft.
Hat die Kleine Anfrage dein Bild von der Union verändert?
Ich habe vor acht Monaten ein Buch veröffentlicht, „Machtübernahme“, in dem es um eine AfD-Regierungsbeteiligung und ein Szenario geht, wie die AfD vorgehen würde. Was wir jetzt von der Union sehen, habe ich darin genau so prognostiziert, aber für die AfD, nicht für die CDU.
Man sieht deutlich, dass die Union in diesem Bereich das Playbook von der extremen Rechten übernimmt. Das überrascht mich und andere in der Zivilgesellschaft zwar grundsätzlich nicht. Wie schnell das passiert, allerdings schon. Das ist eine Entwicklung, die ich erst für einige Jahre später vorhergesehen hätte. Es ist ein großes Warnsignal, dass das jetzt schon passiert.
Du warnst in deinem Buch vor dem Szenario, dass sich die CDU inhaltlich so an die AfD annähert, dass es quasi keinen Unterschied mehr macht, ob man CDU oder AfD wählt. Genauso ist das in Ungarn mit der Fidesz-Partei unter Victor Orbán geschehen. Wie weit fortgeschritten siehst du die CDU denn auf diesem Weg?
Die Ansätze dafür sind da. Gleichzeitig ist dieser Weg kein Automatismus.
Es gibt verschiedene Flügel innerhalb der Union und viele Parteimitglieder, die keine Orbánisierung wollen. Jetzt kommt es darauf an, diese Personen zu unterstützen und klarzumachen, dass die Union kein demokratischer Ansprechpartner mehr ist, wenn sie tatsächlich zu einer Alternative für die AfD wird. Etwa, indem man die Union dann nicht mehr zu Veranstaltungen einlädt.
Aber könnte das bei der CDU nicht genau solche Gegenreaktionen hervorrufen, wie die Kleine Anfrage jetzt nach den Demos gegen sie?
Dass die Union aktuell keine Einsicht zeigt, ist eine Entscheidung. Friedrich Merz und die Männer um ihn herum entscheiden sich gerade dafür, sich gegen die demokratische Mitte zu stellen. Das muss so nicht sein. Es gäbe auch den Weg zu sagen, wir schließen die AfD konsequent aus und suchen wieder den Anschluss an die Mitte.
Die Union zweifelt in dieser parlamentarischen Anfrage an, dass die Gemeinnützigkeit der Organisationen in ihrem Fragenkatalog rechtmäßig ist. Warum ist die Gemeinnützigkeit so wichtig?
Ein Status als gemeinnützige Organisation hat einige Vorteile, zum Beispiel, dass man Spendenbescheinigungen ausstellen kann, die für die Spender Steuererleichterungen bedeuten.
Außerdem machen viele Stiftungen ihre Zuwendungen davon abhängig, dass man gemeinnützig ist. Das gilt auch für staatliche Förderprogramme wie „Demokratie Leben“. Deswegen ist es für viele Organisationen sinnvoll, diesen Status zu haben. Aber die Gemeinnützigkeit ist keine Voraussetzung für politisches Engagement.
Jetzt mal theoretisch: Was würde es für FragDenStaat bedeuten, wenn Ihr die Gemeinnützigkeit aberkannt bekommen würdet?
Dann würden wir rechtlich dagegen vorgehen und damit hätten sowohl wir als auch das Finanzamt mehr Arbeit. Je nachdem, was das Finanzamt entscheidet, müssten wir viel Geld zurückzahlen.
Möglicherweise würden Leute in Zukunft entscheiden, nicht mehr zu spenden, weil man dann keine Bescheinigung dafür bekommt. Das muss aber nicht sein. Campact zum Beispiel hat deutlich mehr Zuwendungen bekommen als zuvor, als sie noch gemeinnützig waren.
Wenn ich dir so zuhöre, klingt das nicht so, als ob es ein Weltuntergang wäre, wenn einer Organisation die Gemeinnützigkeit aberkannt werden würde.
Für viele Organisationen wäre es das aber, etwa Beratungsstellen für Opfer rassistischer und antisemitischer Gewalt oder Frauenhäuser. Die sind bei ihrer Arbeit abhängig von Geldern, die an die Gemeinnützigkeit geknüpft sind. Da kommt ein Angriff auf ihre Gemeinnützigkeit letztlich einem Angriff auf ihre Existenz gleich.
Du schreibst, dass es eine Lüge ist, dass sich die Zivilgesellschaft politisch neutral verhalten muss. Aber um als gemeinnützig anerkannt zu sein, müssen Organisationen parteipolitisch neutral sein.
Sie müssen überparteilich sein. Neutralität als Begriff ist missverständlich. Denn natürlich können sich gemeinnützige Organisationen auch zu parteipolitisch umstrittenen Themen äußern, etwa einem möglichen AfD-Verbot. Gemeinnützigkeit bedeutet, wertebasiert zu arbeiten und damit auch, die Grundwerte der Demokratie zu verteidigen. Deshalb können sich gemeinnützige Organisationen im Bereich der Parteipolitik äußern, solange sie das faktenbasiert tun und nicht anfangen, Wahlkampf für eine bestimmte Partei zu machen.
Aber rechtlich ist diese Deutung umstritten.
Das Problem in dem Bereich der Gemeinnützigkeit ist, dass es so wahnsinnig wenig Fälle gibt, die tatsächlich vor Gericht gehen. Weil Finanzämter einen sehr großen Ermessensspielraum haben und sehr viele Fälle im Hinterzimmer mit den Organisationen direkt klären.
Viele kennen den Fall von Attac, denen die Gemeinnützigkeit aberkannt wurde. Der ist vom Finanzministerium unter dem damaligen CDU-Minister Wolfgang Schäuble vorangetrieben worden, um ein Exempel zu statuieren. Die damalige Rechtsprechung vom Bundesfinanzhof ist stark umstritten und hat einen sehr großen Klärungsbedarf hervorgerufen, den die Ampel liefern wollte. Das hat sie aber nicht getan. Jetzt befinden wir uns in einer rechtlichen Grauzone, die eigentlich geklärt gehört und die die Union wahrscheinlich ausnutzen wird.
Lass uns über die AfD reden, die bei der Bundestagswahl ihr Ergebnis verdoppeln konnte. Was für konkrete Auswirkungen wird das auf die parlamentarische Demokratie haben?
Die AfD wird noch mehr versuchen, demokratische Prozesse zu untergraben. Das Klima wird rauer, die AfD wird noch extremer. Sie wird versuchen, sämtliche Diskurse weiter auf ihr eines Thema, die Migration, zu verengen und da noch krassere, noch menschenfeindlichere Maßnahmen vorzuschlagen. Das wird auch andere Parteien beeinflussen.
Umso wichtiger ist es, dass die anderen Parteien weiterhin klarmachen, dass die AfD nicht Teil des demokratischen Spektrums ist. Teil davon ist weiterhin ein AfD-Verbotsverfahren.
Aber der Versuch, ein AfD-Verbotsverfahren in die Wege zu leiten, ist gerade gescheitert. Es sieht nicht danach aus, als ob das demnächst kommen würde.
Es stimmt, dass viele der Maßnahmen zum Schutz der Demokratie mit der Zeit schwerer umzusetzen sind. Aber deshalb müssen wir sie mit noch mehr Vehemenz fordern.
Glaubst du, dass eine AfD-Regierung in den letzten Monaten wahrscheinlicher geworden ist?
Auf jeden Fall. Die AfD und ihre Forderungen sind normalisiert worden. In meinem Szenario im Buch hatte ich beschrieben, dass erst unter einem AfD-Innenministerium wieder nach Afghanistan abgeschoben werden würde. In der Realität hat die Ampelkoalition das so schon beschlossen.
Uns steht wahrscheinlich bald die erste AfD-Regierung auf Landesebene bevor. Wir haben in einem Jahr Wahlen in Sachsen-Anhalt. Die AfD lag dort bei der Bundestagswahl bei 37 Prozent. In Umfragen bekommen Union und AfD zusammen mehr als zwei Drittel der Stimmen. Die CDU dort ist in Teilen sowieso der AfD und einer möglichen Koalition zugeneigt. Dazu kommt, dass es rechnerisch schwierig wird, noch andere Koalitionen zu bilden. Und wenn der Meilenstein dann genommen ist, dann droht das natürlich auch überall sonst.
Für dich ist die Zivilgesellschaft ein Grundpfeiler, um eine AfD-Regierung zu verhindern oder auch Widerstand gegen eine solche zu leisten. Warum?
Weil die Demokratie und die demokratischen Institutionen gehalten werden durch die Zivilgesellschaft. Es gibt in Deutschland quasi an jedem Ort demokratische Kerne, das ist ein Begriff von David Begrich.
Er beschreibt damit Orte, an denen die Demokratie von unten gemacht wird, wo Menschen sein können, wie sie wollen, wo Vielfalt sein kann. Das können Nachbarschaftscafés oder Geflüchteteninitiativen oder Bibliotheken sein.
Dort wird Zusammenhalt organisiert und in denen passiert ein Austausch. Wir haben das große Glück in Deutschland, dass es eine enorme Vielfalt gibt an diesen demokratischen Kernen. Deswegen sind die eine riesige Ressource und müssen beschützt werden. Weil sie wiederum die Demokratie beschützen.
In deinem Buch forderst du ein Sondervermögen von 200 Milliarden Euro für die Demokratie. Das ist viel Geld. Warum so eine große Summe?
Wer Millionen bekommt, ist anerkannt. Wer Milliarden bekommt, ist wirklich wichtig. Wir sehen, dass ja auch in anderen Bereichen Milliarden ausgegeben werden, beispielsweise in der Wirtschaftsförderung.
Sondervermögen können nur eingeführt werden, wenn es eine Krise gibt und die Demokratie ist in einer Krise. Wir brauchen ein großes Signal, dass uns die demokratischen Institutionen wichtig sind. Genauso wie wir Infrastruktur im Verkehrsbereich oder im Klimabereich brauchen, brauchen wir es auch in der Demokratie. Und da müssen wir Geld in die Hand nehmen, um die demokratische Infrastruktur zu sanieren und aufzubauen.
Aber braucht es nicht gerade auch ganz dringend Geld woanders, um die Demokratie zu stabilisieren? Also zum Beispiel für soziale Absicherung, für die sonstige Infrastruktur und wahrscheinlich auch militärische Absicherung. Und Geld fehlt nunmal gerade.
Ich möchte das nicht gegeneinander ausspielen, sondern das alles machen. Möglichkeiten dafür gibt es natürlich, insbesondere indem man ans Steuersystem rangeht. Ich lebe in Berlin und hier hat vor einigen Jahren der Chef der Springer-Presse Mathias Döpfner ein Milliardengeschenk bekommen von Friede Springer, wofür er laut Medienberichten gar keine Steuern gezahlt hat. Wir anderen zahlen eine Schenkungssteuer von 50 Prozent und ein Milliardär muss das nicht machen. Wenn wir einfach anfangen würden, klar zu besteuern und bei den reichsten Leuten anfangen, dann werden wir sehen, dass auf einmal auch sehr viel Geld da ist und das könnten wir dann wiederum investieren in Projekte, die wirklich wichtig sind.
Du hast in deinem Buch ja auch den Begriff Prepping for Future geprägt. Was ist das?
Prepping kennen ja viele, aber eher als Krisenvorbereitung aus rechten Kreisen, indem man für sich selbst ganz viel Klopapier im Keller zusammenklaubt und möglicherweise noch plant, wie man im Kampf gegen alle anderen überleben kann.
Prepping for Future will ein kollektives Modell von Prepping schaffen. Da geht es darum, sich gemeinsam auf kommende Krisen vorzubereiten, indem man Vorräte anlegt, nicht alleine. Diese Vorräte können Lebensmittel und medizinische Kenntnisse oder Kochequipment sein. Aber kollektives Prepping, Prepping for Future, bedeutet auch Vorräte an Solidarität, Vorräte an Verbindung in der Nachbarschaft, Vorräte an Liebe.
Was sind Vorräte an Liebe? Wie sammelt man die?
Vorräte an Liebe fangen schon damit an, bei Menschen im eigenen Umfeld, die von der AfD-Politik besonders betroffen sind, nachzufragen: Wie geht es dir? Wie kann ich dir helfen? Man fängt an, Vorräte an Liebe zu sammeln, wenn man den Nachbar:innen Hallo sagt.
Es geht darum, eine Umgebung zu schaffen, in der klar ist, wir können uns in den kommenden Jahren wahrscheinlich nicht auf den Staat verlassen. Wir müssen unser Zusammenleben selbst organisieren. Das heißt nicht, Forderungen an den Staat zu unterlassen, sondern Probleme selbst anzugehen, statt zu erwarten, dass jemand anderes sie löst. Im Kleinen zu schauen, dass wir das Leben leben, für das wir kämpfen. Und dann darüber Kraft zu gewinnen und weiter zu fordern, dass das auch im Großen passiert.
Aber reicht es denn wirklich, wenn ich jetzt anfange, meine Nachbar:innen zu grüßen? Damit alleine bekämpft man ja nicht die AfD.
Es ist aber eine wichtige Grundlage. Wenn man das nicht macht, dann fällt der Austausch viel schwerer. Es gibt nicht die eine Maßnahme, um die Demokratie zu retten und die AfD zu besiegen. Es sind tausend kleine Schritte. Wir brauchen nicht den Masterplan gegen die AfD. Wir alle können mit kleinen Sachen anfangen. Und das stimmt mich hoffnungsvoll.
Als ein Vorbild für Prepping for Future nennst du die Initiative 19. Februar Hanau. Was machen die denn richtig?
Die Hinterbliebenen der Ermordeten vom Attentat von Hanau 2020 wurden rassistisch beleidigt, wurden belogen, wurden nicht ernst genommen. Statt aufzugeben, haben sie ihre Trauer genutzt und sich selbst einen Raum geschaffen, in dem sie einander unterstützt haben. Sie haben mit einer enormen Beharrlichkeit diesen Raum genutzt, um sich dann nach draußen zu wenden und etwa das offizielle Narrativ der Polizei anzugreifen. Das imponiert mir total.
Redaktion: Rico Grimm, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert und Iris Hochberger
„Es braucht tausend kleine Schritte, um die AfD zu besiegen“