Die Linke feiert.

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Politik und Macht

800 Menschen haben mir erzählt, warum sie jetzt die Linke gewählt haben

Es gibt sechs Gründe. Und nein, es liegt nicht nur an Tiktok.

Profilbild von Lea Schönborn
Reporterin

Warum war gerade die Linke der Überraschungserfolg der Bundestagswahl? Das wollen viele wissen, auch wir. Deshalb haben wir die Linken-Wähler:innen einfach mal selbst gefragt. Über 800 haben uns geantwortet.

Die Umfrage ist zwar nicht repräsentativ, trotzdem zeigt sie interessante Muster. Aus ihren Antworten ergeben sich sechs Gründe, warum die Linke innerhalb von zwei Monaten von drei Prozent in den Umfragen auf fast neun Prozent bei der Wahl zugelegt hat. Mitglieder von Krautreporter erhalten Zugang zu allen anonymisierten Antworten aus der Umfrage nach der Paywall.

1. Die Linke macht Spaß (ja, wirklich) – und hat so einen Hype gestartet

Optimismus, Selbstironie und Spaß – das galt vielen lange als das Gegenteil von Links sein. Das hat sich jetzt geändert.

Ja, die Linke ist erfolgreich auf Social Media und schafft es als einzige Partei, der AfD auf TikTok Konkurrenz zu machen. Aber das liegt auch daran, dass sich an der Haltung etwas geändert hat. Es macht Spaß, Videos von Reichinnek oder den Silberlocken, also von Dietmar Bartsch, Bodo Ramelow und Gregor Gysi, anzuschauen. Das schreiben immer wieder Menschen in der Umfrage. Als die Partei es laut einer Umfrage das erste Mal über die Fünfprozenthürde schaffte, feierte sie es mit diesem Post auf Instagram. Bodo Ramelow postete auf Instagram mehrere Kacheln, in denen die Silberlocken kurzerhand zu Bands wurden, zum Beispiel zu „AC Gysi“ oder zu „Linken Park“.

Boris sagt, die Linke zeige, „wie man Politik auch optimistisch und mit Spaß angehen kann.“ Eine Person, die zuvor immer grün gewählt hat, erklärt, sie habe die Linke auch deswegen gewählt, „weil deren Social Media einfach on fire ist“ und „einfach Spaß“ macht.

Eine Person in der Umfrage schreibt, sie habe endlich aus Hoffnung wählen können. Die Linke hat also etwas geschafft, was der Partei lange gefehlt hat: Sie hat eine eigene Zukunft ausgemalt, statt nur vor der AfD zu warnen. (Dazu gleich mehr.)

Aber auch die Wut der Linken-Politiker:innen teilen viele: Als Friedrich Merz AfD-Stimmen bei der Migrations-Abstimmung im Januar in Kauf nahm, zeigte Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek in einer spontanen Rede ihre Empörung. Die soll mittlerweile auf allen Kanälen zwischen 30 und 45 Millionen Mal angeschaut worden sein, wie der Spiegel berichtet.

Dieser digitale Erfolg überträgt sich ins Analoge.

In diesem Jahr sind mehr als 23.000 Menschen der Linken beigetreten. Zwei Tage nach der Wahl meldete die Partei einen neuen Rekord: Sie hat jetzt mehr als 100.000 Mitglieder. So viele hatte sie noch nie. Der Hype geht weiter. Die neuen Mitglieder sind durchschnittlich 28 Jahre alt. Teil eines Hypes zu sein, macht mehr Spaß als sich allein zu trockenen wöchentlichen Partei-Meetings aufzumachen, während die Freund:innen woanders Bierchen trinken. Jetzt trinken die Freund:innen Bier bei der Linken.

Falls du selbst nachlesen willst: Hier findest du alle anonymisierten Antworten aus unserer Umfrage.

2. Die Linke hat über Mieten statt Migration geredet

Erstens: Die Linke hat auf Klassen- statt Identitätspolitik gesetzt. Zweitens: Die Partei hat weiter über ihre Themen gesprochen, statt mit den anderen Parteien zu diskutieren, wie man Migrant:innen und Geflüchtete davon abhalten könne, nach Deutschland zu kommen.

Dabei hat sie bewusst auf lebensnahe Themen gesetzt, wie Mieten oder Inflation. Diese Politik ist tatsächlich bei den Wähler:innen angekommen, zum Beispiel bei Jannik, der sagt, er habe die Linke unter anderem wegen ihrer „konkreten Angebote zur Verbesserung des alltäglichen Lebens“ gewählt.

Nur ein paar Beispiele, die in der Umfrage aufgezählt wurden:

  • Die Linke setzt sich für einen Mietendeckel ein
  • Sie unterstützt Bürger bei der Nebenkostenberatung
  • Sie steht für ein armutssicheres Grundeinkommen
  • Sie fordert eine gerechte und drastische Besteuerung von großen Vermögen

Die Feinde der Linken im Wahlkampf waren Milliardäre, Superreiche, Leute mit Yachten und Privatjets. Das sah man auf Wahlplakaten und hörte man in Interviews. Viele in der Umfrage haben „Umverteilung“ oder „soziale Gerechtigkeit“ als Grund für ihre Wahl angegeben.

Dabei sind nicht alle Linken-Wähler:innen arm. Yvonne etwa schreibt: „Auch wenn ich nicht von den Steuerplänen profitieren würde, sind diese die ‘‘ehrlichsten’’ für die größte Gruppe in Deutschland.“

Aber auch die Einstellung zur Migration war für viele Menschen ein Grund, die Linke zu wählen. Christian schreibt, dass die Linke die einzige Partei sei, die nicht immer „die Ausländer“ beschuldigen würde oder „sonstige erfundene Probleme auf den Tisch bringt, sondern sich um reale Probleme“ kümmere. Raphael hat links gewählt, „weil es die einzige Partei ist, die im Wahlkampf nicht den braunen Gaul des “Migrationsproblems” geritten hat.“

3. Die Linke hat Politiker:innen an der Spitze, die viele überzeugen

Ende November 2024 wurden Bodo Ramelow, Gregor Gysi und Dietmar Bartsch als die drei Retter der Linken präsentiert. Es hat sich aber gezeigt: Die Silberlocken mussten es nicht alleine schaffen. Eine Kombination aus alten Männern und jüngeren Frauen konnte mit Nahbarkeit, Authentizität, Fachwissen und Wut für sich begeistern.

Uta hat die Partei zum Beispiel nicht als Ansammlung von Einzelpersonen wahrgenommen, sondern als Team.
In der Umfrage werden verschiedene Personen hervorgehoben: Ramelow, Gysi, Jan van Aken, besonders häufig aber Heidi Reichinnek. Von Fans wird sie als Slay-Queen, Future Kanzlerin bezeichnet – und von der Bild als die Sozialistin, die Merz gefährlich werden kann. Vor zwei Monaten wäre das noch eine absolut merkwürdige Schlagzeile gewesen.

Heidi Reichinnek ist zur Ikone geworden, ungefähr so:

https://www.instagram.com/heuteshow/p/DGbZLu5Nbzj/

Auch in unserer Umfrage gab es viele Heidi-Ultra-Fans. Die 25-jährige Kaja schreibt: „Kann nicht leugnen, dass u.a. Heidi Reichinnek die Partei für mich nahbarer und greifbarer gemacht hat.“

Kathi ist über 40 Jahre alt und wollte eigentlich die Grünen wählen – wegen Robert Habeck. Als Kathi realisierte, dass der nicht Kanzler werden würde, schwenkte sie auf die Linke um. Sie schreibt: „Je mehr ich Merz kommen sah, desto mehr wollte ich diese female rage im Bundestag und eine starke Opposition.“

Female rage heißt weibliche Wut. Kathi ist queer und ihre Partnerin schwer krank. Sie schreibt: „Ich habe Angst um sie. Aber ich will die Angst nicht gewinnen lassen. Ich will wütend bleiben. Denn Wut ist Energie. Und die sehe ich auch gerade bei der Linken.“

4. Die Linke hat überzeugend erklärt, warum es sie in der Opposition braucht

Als Gegengewicht, als linke Opposition, man kann es nennen, wie man will. Die Linke hat es geschafft, die Menschen davon zu überzeugen, dass es sie im Bundestag braucht. Um rechten Tendenzen einen Gegenpol zu bieten, um kleine Anfragen zu stellen – oder um sogar aus der Opposition Akzente zu setzen. Das hat zum Beispiel Jan van Aken in Interviews immer wieder betont. Der ZEIT sagte er, dass die Linke den Mindestlohn durchgesetzt habe, ohne in der Regierung zu sein. Und im Interview verspricht er: „In der nächsten oder übernächsten Legislaturperiode wird der Mietendeckel bundesweit kommen – ob wir nun mitregieren oder nicht. Da werden wir nicht locker lassen.“

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Diese Nachrichten sind bei den Linken-Wähler:innen angekommen:

Claudi zum Beispiel schreibt in der Umfrage: „Ich hatte ein kurzes Interview von Gysi gesehen. In dem macht er ganz klar, sollte die Linke aus dem Bundestag verschwinden, verschwindet sie von der Bildfläche. Die Linke würde nicht mehr im Fernsehen und anderen Medien auftauchen. Ohne die Präsenz der Linken würden auch linke Themen aus den Köpfen der Menschen weichen.“

Manche wählen die Linke auch strategisch, zum Beispiel Christine, die deshalb in diesem Jahr ausnahmsweise nicht Volt ihre Stimme gegeben hat. So wollte sie die linke Opposition im Bundestag stärken. Dagi schreibt: „Bisher waren die Linken mir zu krass in ihren Forderungen. Aber wenn es rechts so krass wird, muss man auch links krass gegensteuern.“

5. Die Grünen waren die Antwort auf die Klimakrise und die Linke sind die Antwort auf den drohenden Faschismus

Ein Grund, warum die Linke bei dieser Bundestagswahl so überraschend gut abgeschnitten hat, war auch die Politik der anderen Parteien. Sie alle sind nach rechts gerückt, das zeigt eine Auswertung von Wahlprogrammen der Parteien seit 1949 in der ZEIT. Das haben auch viele Umfrage-Teilnehmer:innen so wahrgenommen – und wollten deshalb die Grünen und die SPD nicht mehr wählen.

Eine dieser Personen ist Anke. Sie schreibt, sie wählte diesmal links, weil sie SPD und Grüne für ihre rechtere Haltung „nicht belohnen möchte“. Eine andere Person bezeichnet die Linke als aktuell „einzige wirkliche antifaschistische Partei“.

Wenn die Grünen die Partei der letzten zehn Jahre war, dann ist die Linke die Partei der nächsten zehn Jahre. Die Grünen schienen die Antwort auf die Klimakrise zu sein, so wie für viele die Linke heute die Antwort auf die Nazikrise ist. Die Grünen wurden von denjenigen gewählt, die etwas anders machen wollten, die die Zukunft retten wollten – und aus ähnlichen Gründen wird jetzt auch die Linke gewählt. Nicht, dass die Klimakrise mittlerweile gelöst wäre, aber die Aufmerksamkeit liegt gerade woanders.

Die Aufmerksamkeit ist bei der erstarkenden AfD. Dana etwa schreibt, dass sie Angst um ihr Schwarzes Kind habe. Kathi, dass sie queer sei und deswegen Angst habe. Eine Frau schreibt, dass es Angst bei ihr auslöse, „dass Faschisten unversteckt durch die Straßen laufen, als sei es das normalste der Welt.“

6. Die Linke ist für viele wieder wählbar

Lange galt die Linke für viele unwählbar. Das hat sich inzwischen geändert. Dafür gibt es zwei Gründe – und die sind je nach Alter unterschiedlich.

Viele, vor allem ältere Menschen sehen die Linke in der Tradition der SED, ging sie doch in Teilen aus deren Nachfolgepartei PDS hervor. Dazu kommt: Viele prominente Linken-Politiker:innen waren SED-Mitglieder oder haben von der DDR profitiert. Gerade Sahra Wagenknecht assoziierten viele mit der SED. Das ist bei der aktuellen Parteispitze nicht mehr der Fall. So schreibt Martin, er habe den Eindruck, dass sich die Linke langsam vom SED-Erbe befreit habe. Für Tilmann, der in der DDR sozialisiert wurde, war die Partei lange ein „No Go“, er spürte zu viele alte Widerstände gegen sie. Das hat sich geändert: „Die jetzigen Politikerinnen an der Spitze finde ich sehr gut.“ Er sei sogar der Linken beigetreten.

Das zweite No-Go an der Linken war für viele ihre Außenpolitik. Stefanie schreibt: „Ich habe in den letzten Jahren nicht mehr links gewählt“. Der Grund: Sie wollte keine Partei wählen, die Putin verharmlost, das wäre unsolidarisch gegenüber ihren syrischen Freund:innen. „Nach der Abspaltung des BSW ist meine Hoffnung auf Kurskorrektur diesbezüglich wieder gewachsen.“

Manche haben die Linke trotzdem mit Bauchschmerzen gewählt. Etwa Marc, weil er die „Unterstützung der Ukraine und die Aufrüstung gegen Putin für notwendig“ halte. Hanns-Jörg schreibt, dass er links sei, „aber israel- und ukrainesolidarisch“. Er hat dennoch die Linke gewählt, weil die bei den für ihn wichtigsten Fragen – Klima und Umwelt – gute Arbeit machen und eine Opposition „gegen den neoliberalen und faschistischen Mainstream im Bundestag“ darstellen würde.


Ob Reichinnek und die Linke es schaffen werden, den Hype aufrechtzuerhalten, der gerade erst begonnen hat, werden die nächsten vier Jahre zeigen. Die fast doppelt so große Fraktion und auch die vielen Neumitglieder wird die Partei vor Herausforderungen stellen: Bei Wagenknechts Austritt im November 2023 hatte die Partei noch etwa 50.000 Mitglieder. Jetzt sind es mehr als 100.000. Die gilt es zu integrieren – und sie nicht bei typisch linken Streitthemen zu verlieren.


Redaktion: Rebecca Kelber, Schlussredaktion: Astrid Probst, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger