Sagt mal: Was war die größte Überraschung der Wahl?
Fangen wir mit einer guten Nachricht an: Mit 82,5 Prozent hatten wir die höchste Wahlbeteiligung seit der Wiedervereinigung. Fünf Millionen Menschen haben ihre Stimme abgegeben, die bei der letzten Wahl gedacht haben, dass ihre Stimme keinen Unterschied macht. Politikverdrossenheit ist tot, die Demokratie aber nicht.
Warum sind so viele Menschen wählen gegangen?
Bei zurückliegenden Landtags- und Bundestagswahlen gelang es der AfD immer wieder, überproportional viele Nichtwähler:innen zu mobilisieren und damit die Wahlbeteiligung zu stützen oder sogar anzuheben. Ob die hohe Wahlbeteiligung auch dieses Mal auf die AfD zurückgeführt werden kann, müssen spätere Untersuchungen zeigen.
Klar ist allerdings, dass auch die links-progressiven Nichtwähler:innen sehr gute Gründe hatten, zur Wahl zu gehen: um die AfD zu verhindern. Wie gut dieses Milieu mobilisieren kann, haben die zahlreichen Demos gegen Rechts vor der Wahl gezeigt. Der Schluss liegt also nahe, dass dieses Mal die Polarisierung, das Wechselspiel beider Lager, die Wahlbeteiligung nach oben trieb.
Meine größte Sorge war das Erstarken der AfD. Wie ist es ausgegangen?
Schau mal hier, das sind die Ergebnisse der Wahl im Vergleich zu 2021:
Krautreporter
Die AfD wurde mit 20,8 Prozent der Stimmen gewählt. Damit hat die Partei ihre Werte im Vergleich zu 2021 verdoppelt. Jede:r fünfte Wähler:in hat also für die AfD gestimmt.
Okay, fuck, mich schockieren diese 20 Prozent. Wer wird denn jetzt Kanzler? Robert Habeck?
Guter Witz. Die Grünen liegen bei 11,6 Prozent. Mit so wenig Stimmanteilen hat noch nie eine Partei eine:n Kanzler:in gestellt. Als die SPD 2021 mit 25 Prozent den Kanzler stellte, war das der niedrigste Wert in der Geschichte der Bundesrepublik. Habeck erklärte am Montag nach der Wahl, er wolle keine wichtige Funktion mehr bei den Grünen einnehmen.
Verstehe, dann wird jetzt Friedrich Merz Kanzler, oder?
In einer Umfrage vor der Wahl haben uns einige Leser:innen gesagt, dass sie genau das verhindern wollten. Aber die Union ist mit 28,6 Prozent stärkste Partei geworden. Merz wird regieren, unklar ist noch, mit wem. Am wahrscheinlichsten mit der SPD, die bereits am Wahlabend gesagt hat, sie stehe für Koalitionsgespräche bereit.
Haben wir jetzt eine konservativ-rechte Mehrheit im Bundestag?
Ja. Von den Prozentzahlen her bleiben die Parteien CDU/CSU und AfD zwar knapp unter 50 Prozent. Aber dadurch, dass die FDP und das BSW nicht reinkommen, bekommen alle Parteien, die im Bundestag vertreten sind, anteilsmäßig mehr Sitze. Und dadurch bilden Union und AfD eine konservativ-rechte Mehrheit. Eine Partei rechts der Union war seit Gründung der Bundesrepublik noch nie so stark. Und auch wenn die Union und die AfD grundverschiedene Parteien sind, so haben sie mitunter doch ähnliche Interessen. Und Merz hatte im Januar bereits gezeigt, dass er gewillt ist, auch mit Stimmen der AfD Politik zu machen. Da hatte er bei einem Antrag und einem Gesetz zur Migration bewusst die Stimmen der AfD in Kauf genommen.
Wer sind denn jetzt die Gewinner der Wahl?
Eine Gewinnerin ist klar die AfD, die ihr Ergebnis im Vergleich zur vergangenen Bundestagswahl verdoppelt hat. Keine andere Partei hatte bei diesen Wahlen einen so starken Zuwachs. Parteichefin Alice Weidel bewertete das als „historisches Ergebnis“.
Trotzdem: Das Ergebnis hätte noch besser ausfallen können. Es war ein Wahlkampf, der wie für die AfD gemacht war: Migration war eines der wichtigsten Themen und es gab Anschläge, die die AfD für ihre rassistische Politik ausnutzen konnte. X-Chef Elon Musk und US-Vizepräsident J.D. Vance machten Wahlwerbung für die AfD. „Die Parteifunktionäre waren so siegessicher, so euphorisch im Vorfeld, dass sie mit bis zu 25 Prozent gerechnet hatten“, schreibt die AfD-Kennerin Ann-Katrin Müller im Spiegel. Es gebe deshalb innerhalb der AfD Kritik an Weidel, die Enttäuschung sei groß.
Auch wenn sie mit rund 8,8 Prozent weit dahinter liegt: Die Linkspartei feiert ebenfalls. Bei der Bundestagswahl 2021 bekam die Linke noch 4,9 Prozent und schaffte es nur über die Grundmandatsklausel in den Bundestag. Diese besagt, dass eine Partei weniger als fünf Prozent der Stimmen bekommen und trotzdem in das Parlament einziehen kann, wenn sie mindestens drei Direktmandate gewinnt. Dieses Mal hat es die Linke mithilfe der Zweitstimmen über die Fünfprozenthürde geschafft, obwohl sie noch im Januar in Umfragen bei nur drei Prozent lag. Und nicht nur das: Die Partei hat sechs Direktmandate gewonnen, was weit über dem liegt, was die Linke sich erhofft hatte. Vier davon in Berlin, eins in Leipzig und eins, vom ehemaligen Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, in Erfurt und Weimar.
Und wer sind die Verlierer?
Die SPD hat im Vergleich zur vergangenen Wahl mehr als neun Prozentpunkte verloren. Sie war stärkste Kraft und stellte den Bundeskanzler. Jetzt ist sie die drittstärkste Kraft geworden und wird höchstens zur Juniorpartnerin in einer Koalition. Es ist das schlechteste Ergebnis, das die SPD jemals eingefahren hat.
Eine weitere große Verliererin ist die FDP. Sie regierte bisher mit und besetzte wichtige Posten wie den des Finanzministers mit Christian Lindner. Dann warf Scholz Lindner raus, die Ampelkoalition platzte. Die FDP landete nun bei 4,3 Prozent – ein Verlust von mehr als sieben Prozentpunkten im Vergleich zur vorangegangenen Wahl. Die FDP fliegt aus dem Bundestag.
Das BSW unter Sahra Wagenknecht hat ebenfalls verloren. Im November, als die Ampelkoalition platzte und der Bundestagswahlkampf begann, lag das BSW in Umfragen noch bei knapp acht Prozent. Es galt als sicher, dass es das BSW in den Bundestag schafft. Jetzt scheiterte die Partei mit 4,97 Prozent an der Fünfprozenthürde. Das ist extrem knapp. Schätzungsweise 13.400 Stimmen machten den Unterschied. So knapp ist noch nie eine Partei am Einzug in den Bundestag gescheitert.
Auf einer persönlichen Ebene haben Christian Lindner und Sahra Wagenknecht diese Wahl verloren. Die Niederlagen ihrer Parteien hängen mit ihnen als Personen zusammen.
Und was ist mit der CDU/CSU? Die sind doch die stärksten Parteien?
Stimmt, sie haben gut vier Prozentpunkte dazugewonnen. Bei der vergangenen Bundestagswahl lagen CDU/CSU noch mit knapp 24 Prozent auf dem zweiten Platz. Dieses Jahr ist die Union mit 28,5 Prozent klare Wahlsiegerin. Friedrich Merz sprach von einem „Regierungsauftrag“, er wird wahrscheinlich der nächste Bundeskanzler werden.
Doch man kann es auch anders sehen: Obwohl die Ampelregierung unbeliebt war und die Union aus der Opposition heraus Wahlkampf machen konnte, gewann sie trotzdem „nur“ vier Prozentpunkte dazu. Es ist das zweitschlechteste Ergebnis der Union bei einer Bundestagswahl.
Du hast jetzt alle Parteien erwähnt, die zuletzt im Bundestag waren oder es dieses Mal schaffen wollten. Wie haben die Grünen die Regierungszeit überstanden?
Die Grünen bleiben stabil mit leichten Verlusten. Sie kommen auf 11,6 Prozent und haben damit etwas mehr als drei Prozentpunkte verloren. Es ist schwer, das eindeutig als gut oder schlecht zu bewerten. Einerseits überstanden die Grünen ihre Regierungszeit wesentlich besser als die SPD und die FDP. Andererseits hatten sie hohe Erwartungen. Noch im November begannen die Grünen ihren Wahlkampf, indem Robert Habeck seine „Kanzler Era“ ankündigte.
Welche Koalitionen sind jetzt möglich?
Krautreporter
Rein rechnerisch sind mehrere Koalitionen möglich, also Bündnisse verschiedener Parteien, die zusammen eine Mehrheit im Bundestag bilden.
Schwarz-Rot: Deutschland wurde schon oft von einem Bündnis aus Union und SPD regiert, auch jetzt stellen sie gemeinsam mehr als die Hälfte des Bundestags. Allerdings wäre „Große Koalition“ der falsche Ausdruck dafür, da die SPD nur noch drittstärkste Kraft ist.
Die Kenia-Koalition: Eine noch größere Mehrheit hätten CDU/CSU, wenn sie gemeinsam mit SPD und Grünen regieren würden. Allerdings ist eine Koalition aus diesen Parteien unwahrscheinlich. Die CDU/CSU hat durch ihr umstrittenes Migrationsabkommen, bei dem auch die AfD mitstimmte, den Zorn der anderen Politiker:innen im Bundestag auf sich gezogen. Politiker:innen von CDU und CSU wiederum machten Wahlkampf mit Grünen-Bashing. Da wird es schwierig, in Koalitionsgesprächen zusammenzufinden.
Ähnliches gilt für andere Koalitionen, die rechnerisch möglich, aber nicht unbedingt realistisch sind. Die Union, Linke und SPD hätten eine Mehrheit im Bundestag, genauso wie Union, Linke und Grüne. Allerdings fasste die Union 2018 einen „Unvereinbarkeitsbeschluss“, der eine Koalition mit der Linken ausschließt.
Welche dieser Koalitionen ist am wahrscheinlichsten?
Schwarz-Rot. Für zwei Parteien ist es einfacher, Kompromisse zu finden als für drei Parteien.
Könnte es sein, dass die AfD mitregiert?
Die AfD und die CDU/CSU hätten zusammen mehr als 50 Prozent der Sitze im Bundestag. Die beiden Parteien könnten eine Koalition bilden und zusammen regieren. Inhaltliche Übereinstimmungen, etwa beim Thema Migration, gibt es auch.
Wird es also passieren?
Unwahrscheinlich. CDU-Chef Friedrich Merz hat eine Zusammenarbeit mit der AfD mehrmals klar ausgeschlossen. Zwar werfen ihm viele vor, dass er trotzdem schon mit der AfD zusammengearbeitet hat, indem er in Kauf nahm, dass die AfD einem Fünf-Punkte-Plan und Gesetzentwurf der Union zum Thema Migration zustimmte.
Merz sieht das aber nicht als Zusammenarbeit. Er versucht deutlich, sich von der AfD abzugrenzen, wie etwa beim „Quadrell“, einer TV-Runde zwischen Merz, Scholz, Habeck und Weidel. Als es zum Beispiel um die Unterstützung der Ukraine und das Verhältnis zu Russland ging, sagte Merz zu Weidel: „Diese Worte, die Sie hier gerade gesprochen haben, sind eine Bestätigung für mich, dass ich alles tun werde, um zu verhindern, dass Sie jemals politische Verantwortung in diesem Land in die Hände bekommen.“
Wann hat Deutschland eine neue Regierung?
Die Parteien gehen jetzt in sogenannte Sondierungsgespräche, um herauszufinden, mit wem sie Kompromisse finden und eine Koalition bilden können. Danach kommen Koalitionsverhandlungen, an deren Ende die Regierung steht. Bis es soweit ist, können Wochen oder Monate vergehen. Nach der Wahl 2021 vergingen knapp zweieinhalb Monate, bis die neue Regierung stand. 2017 dauerte es besonders lange, fast ein halbes Jahr. Damals hatten erst CDU/CSU, Grüne und FDP verhandelt. Nachdem die FDP die Gespräche für gescheitert erklärte, musste die Union mit der SPD nochmal von vorne anfangen. Die SPD legte damals den Koalitionsvertrag ihren Mitgliedern zur Abstimmung vor. Das fordert die SPD-Basis auch für dieses Jahr.
Könnte es eine Minderheitsregierung geben?
Wenn sich keine der Parteien im Bundestag auf eine Koalition einigen können, bekäme Deutschland eine Minderheitsregierung. Das war seit dem Bruch der Ampelkoalition sowieso schon der Fall, SPD und Grüne mussten sich also immer wieder Mehrheiten im Parlament suchen. Das war eine Übergangslösung bis zu den vorgezogenen Bundestagswahlen. Auf Dauer wäre das zwar auch möglich, aber schwierig. Es gäbe viel größere Unsicherheiten, welche Gesetze kommen. Auch international könnte Deutschland dann als unsicherer Partner wahrgenommen werden.
Welche Auswirkungen hatte die Wahlrechtsreform jetzt tatsächlich?
Die Ampelregierung hat 2023 eine Wahlrechtsreform durchgesetzt, um den Bundestag zu verkleinern. Deshalb gibt es seit dieser Bundestagswahl keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr. Das heißt: Gewinnt eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate, als sie per Zweitstimmen Abgeordnete in den Bundestag schicken dürfte, gehen die am schlechtesten platzierten Direktkandidat:innen, die ihren Wahlkreis eigentlich gewonnen haben, leer aus.
In Sachsen und Sachsen-Anhalt gehen zum Beispiel zwei Direktkandidaten der AfD leer aus, weil die AfD mehr Direktmandate gewonnen hat, als ihnen nach Zweitstimmen im jeweiligen Bundesland zustehen. Mit 25 Prozent haben Christian Kriegel im Leipziger Norden und Alexander Raue mit 30,6 Prozent in Halle die jeweils schlechtesten Erststimmen-Ergebnisse unter den Wahlkreissiegern ihrer Partei.
Was sind die Streitpunkte, über die sich die Parteien in den Sondierungsgesprächen nun einig werden müssen? Woran entscheidet sich die neue Regierung?
Alle Parteien wollen jetzt so viele Wahlversprechen wie möglich in den Koalitionsvertrag bekommen. Nicht alle Versprechen sind gleich wichtig, nicht alle Versprechen sind kompatibel mit anderen Parteien. Wichtige Fragen sind deshalb jetzt:
- Wie weit will die SPD der Union beim Thema Migration entgegenkommen?
- Was passiert mit der Schuldenbremse? Die SPD will sie reformieren, die Union beibehalten – auch wenn sich innerhalb der Union nicht alle einig dazu sind.
- Wie genau soll Deutschland die Ukraine unterstützen? Hier gibt es vor allem Unterschiede zwischen SPD und Union.
- Was passiert mit dem Heizgesetz der Grünen? Die Union will es abschaffen.
Das sind inhaltliche Fragen. Gibt es auch personelle Fragen, die jetzt wichtig sind?
Ja. Was passiert mit Olaf Scholz? Er war Bundeskanzler und nun hat die SPD ein historisch schlechtes Ergebnis bekommen. Schon im Wahlkampf haben Merz und Scholz ausgeschlossen, gemeinsam in einem Kabinett zu arbeiten. Am Wahlabend sagte Scholz bei der Elefantenrunde in der ARD: „Für mich ist klar, dass ich mich um das Amt des Bundeskanzlers beworben habe und um kein anderes.“ In anderen Worten: Jetzt, wo Merz wahrscheinlich Kanzler wird, zieht sich Scholz aus der Politik oder zumindest aus der SPD-Parteispitze zurück. Eine neue wichtige Rolle könnte Boris Pistorius spielen, der bisher Verteidigungsminister war und zu den beliebtesten Politiker:innen des Landes gehört.
Es gibt auch noch weitere personelle Konsequenzen in der SPD: Fraktionschef Rolf Mützenich hat seinen Rücktritt angekündigt, für ihn übernimmt jetzt Parteichef Lars Klingbeil.
Was ist mit Sahra Wagenknecht?
Wagenknecht und ihre Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali gaben am Montagmorgen eine Pressekonferenz. Wagenknecht nannte mehrere Gründe, warum das BSW ihrer Meinung nach an der Fünfprozenthürde scheiterte. Die Koalitionen auf Landesebene, an denen das BSW beteiligt ist, habe das BSW Wählerstimmen gekostet. Außerdem hat das BSW nach Ansicht von Wagenknecht an einer medialen Negativkampagne gelitten. Wagenknecht und Mohamed Ali kündigten außerdem an, das Wahlergebnis juristisch prüfen zu lassen, weil es für im Ausland lebende Deutsche Probleme mit der Briefwahl gab. Wie es persönlich für Sahra Wagenknecht weitergeht, beantwortete sie nicht.
Und was macht Christian Lindner jetzt?
Er geht jetzt vielleicht öfter Jagen. Vielleicht macht er auch eine Yoga-Ausbildung oder schreibt ein Buch. Vielleicht kümmert er sich aber auch einfach um sein Kind, das bald auf die Welt kommt. Jedenfalls wird er jetzt erstmal mehr Zeit haben, noch am Wahlabend kündigte er an, sich aus der aktiven Politik zurückzuziehen.
Jetzt mal Tacheles: Ist die Jugend immer noch so rechts?
Ja, auch hier hat die AfD deutlich zugelegt. Aber nicht nur die.
Krautreporter
Im Vergleich zur Wahl 2021 heißen die Gewinner in dieser Altersgruppe heute anders. Die Grünen und die FDP haben deutlich verloren. Viel stärker als noch vor vier Jahren sind diesmal, wenig überraschend, die AfD (20 Prozent) und, eher überraschend, die Linken aus den Wahlen hervorgegangen. Jede:r Vierte der jungen Wähler:innen hat die Linke gewählt.
Wie passt das denn zusammen?
Vielleicht so: Diejenigen, die bei dieser Wahl zum ersten Mal wählen durften, haben die Pandemie als Jugendliche erlebt. Sie haben erlebt, wie sich die Politik wahlweise entweder nicht für sie interessiert hat oder sie direkt zu Schuldigen erklärt hat, deren Partys und Gruppentreffen das Infektionsgeschehen vorantreiben würden.
Junge Menschen waren enttäuscht von der Union und der SPD, die damals regierten, und wählten 2021 zwei Parteien, die ihnen viel versprachen: die Grünen und die FDP. Beide Parteien waren anschließend Teil der Ampel-Regierung, gemeinsam mit der SPD. Von der Ampel waren die jungen Menschen (so wie auch viele ältere) dann aber ebenfalls enttäuscht. Sie mussten also wieder ausweichen auf Parteien, die sie bisher noch nicht enttäuscht hatten.
Zur AfD und zu den Linken.
Genau. Die AfD ist für viele junge Menschen übrigens eine „ganz normale Partei“. Für sie war die AfD schon immer da. Aussagen der Partei, die Erwachsene heute immer noch schockieren, haben Jugendliche ihr komplettes politisches Leben schon auf Tiktok gesehen.
Wer aber nicht nach rechts zur AfD ausweichen wollte, ist nach links ausgewichen, zu den Linken. In einer Umfrage haben uns aber auch viele Erstwählende der Linken gesagt, dass sie die Linke seit dem Abgang von Sahra Wagenknecht wieder wählbar fanden. Und dass die Migrationspolitik für sie entscheidend war. Aus ihrer Sicht ist die Linke die einzige Partei, die sich nicht darauf eingelassen hat, Migrant:innen als Grund allen Übels zu sehen.
Wie sieht es im Vergleich bei den älteren Menschen aus?
Erst einmal: Mehr als 40 Prozent der Wahlberechtigten waren in diesem Jahr über 60. Die Gruppe der unter 30-Jährigen ist nur halb so groß wie die Gruppe der über 70-Jährigen. Das heißt, der Einfluss der Älteren ist viel größer als der der Menschen, die noch länger auf diesem Planeten leben werden.
Und wie wählen die Alten?
Zwei spannende Beobachtungen: Je älter die Wähler:innen sind, desto häufiger wählen sie CDU oder CSU. Bei den 18- bis 24-Jährigen haben die Unionsparteien nur 13 Prozent der Stimmen und bei den Ü70-Jährigen ganze 43 Prozent. In gewisser Weise stimmt also das Vorurteil: je älter, desto konservativer.
Was aber auch zur Erzählung gehört, ist, dass die AfD am wenigsten erfolgreich bei den Ü70-Jährigen ist. Die Partei hat die höchsten Wählerzahlen bei den Mittelalten, den 35-bis 44-Jährigen, und schrumpft Richtung Jung und Alt.
Traditionell sind bei den Älteren Union und SPD besonders beliebt. Dazu passt, dass die SPD ihre vergleichsweise besten Ergebnisse bei den Ü60-Jährigen erzielt hat, dort liegt sie bei über 20 Prozent – und bei den Ü70-Jährigen sogar bei über 25 Prozent, während sie bei den anderen Wählergruppen massiv verloren hat.
Spielt der Bildungsgrad der Wähler:innen eine Rolle?
Diese Grafik der Tagesschau zeigt: Je niedriger der Bildungsgrad ist, desto erfolgreicher ist die AfD. Für die Linke ist es genau andersherum: Je höher der Bildungsgrad, desto beliebter ist die Linke.
Auch unter armen Menschen und Niedrigverdienern ist die AfD besonders erfolgreich. Das macht bei der Linken im Vergleich zum Beispiel kaum einen Unterschied. Die Union wird hingegen von finanziell besser gestellten Menschen fast doppelt so häufig gewählt wie von finanziell schlechter gestellten Menschen.
Und wie viele Menschen haben Kleinparteien gewählt?
2021 haben 8,6 Prozent der Wähler:innen Parteien gewählt, die es noch nie in den Bundestag geschafft haben. In diesem Jahr waren es nur vier Prozent. Das lässt sich ähnlich erklären wie die Wahlbeteiligung: Den Menschen war diese Wahl so wichtig, dass sie keine Partei wählen wollten, die letztendlich keinen Einfluss auf die tatsächliche Politik hätte. Dadurch, dass FDP und BSW nicht reingekommen sind, ist der Anteil der „Sonstigen“ aber sprunghaft angestiegen und liegt jetzt bei fast 14 Prozent.
Wen haben Ostdeutsche gewählt?
Die AfD ist klare Wahlsiegerin in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Bei den Zweitstimmen lag die Partei in diesen Bundesländern mit großem Abstand vorn. Auch bei den Erststimmen konnte die AfD viele Wahlkreise holen – mit ein paar Ausnahmen. Die Linkenpolitiker Bodo Ramelow, Ex-Ministerpräsident von Thüringen, und Sören Pellmann in Leipzig II gewannen ihre Wahlkreise. Auch Olaf Scholz (SPD) gewann seinen Wahlkreis in Potsdam.
Was haben Menschen gesagt, warum sie Parteien gewählt haben? Welche Themen waren den Menschen bei der Wahl am Wichtigsten?
Im Wahlkampf dominierte das Thema Flucht und Migration. Für die Bürger:innen an der Wahlurne lagen Flucht und Asyl aber nur auf Platz vier der wichtigen Themen für die eigene Wahlentscheidung, wie eine Befragung der Forschungsgruppe Wahlen ergab. Die wichtigsten Themen für mehr als die Hälfte der Wähler:innen waren Sicherheit und Frieden, gefolgt von Wirtschaft (40 Prozent) und sozialer Gerechtigkeit (34 Prozent).
Und was ist jetzt mit dem Klima?
Tja. Klima spielte bei diesen Wahlen in etwa eine so große Rolle wie die Frage, ob es in Ordnung ist, kalten Kaffee in der Mikrowelle aufzuwärmen. Laut einer Befragung der Forschungsgruppe Wahlen war Klimaschutz nur das sechstwichtigste Thema für die eigene Wahlentscheidung. Das ist ein riesiger Unterschied zu den „Klimawahlen“ von 2021. Selbst die Grünen redeten nur über Migration, die Wirtschaft und US-Präsident Donald Trump – und kaum über das Klima. Fairerweise muss man sagen, es fragte sie auch niemand. Das ist Teil eines größeren Phänomens: Die Rückabwicklung des Klimaschutzes hat begonnen.
Und, merkste selbst: Bei uns ist das Klima auch die allerletzte Frage.
Hinweis: In einer ersten Version hieß es, dass die AfD in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen alle Direktmandate holte, bis auf eine Ausnahme. Richtig ist: Es gab zwei Ausnahmen. Die Linkenpolitiker Bodo Ramelow und Sören Pellmann gewannen ihre Wahlkreise. Außerdem haben wir an dieser Stelle noch die Wahlergebnisse zu Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg ergänzt.
Redaktion: Rico Grimm, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos und Bent Freiwald, Audioversion: Christian Melchert und Florian Walter