Als Mitglied hast du Zugriff auf diesen Artikel.
Ein Krautreporter-Mitglied schenkt dir diesen Artikel.
ist Krautreporter-Mitglied und schenkt dir diesen Artikel.
Die Menschheit hat den Verstand verloren.
Das ist der Titel der Tagebücher, die die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren während der NS-Zeit geschrieben hat. Und das denke ich regelmäßig, wenn ich Nachrichten lese.
Meinen ersten Text als Journalist habe ich im Frühjahr 2020 über die AfD geschrieben. Seither hat die Partei ihre Umfrageergebnisse verdoppelt, Donald Trump ist erneut US-Präsident geworden und das Silicon Valley hat sein wahres Gesicht gezeigt. Es sieht nicht so aus, als würden die kommenden Jahre entspannter werden.
Trotzdem drehe ich nicht durch.
Meistens zumindest nicht. Das liegt einerseits daran, dass Schreiben mir das Gefühl gibt, Kontrolle über die Situation zu behalten. Andererseits habe ich mit der Zeit gelernt, wie ich nicht den Verstand verliere, wenn die Kickls, Trumps und Weidels dieser Welt Schlagzeilen am Fließband produzieren, die mir den Tag vermiesen.
Diese drei Regeln helfen mir, nicht den Verstand zu verlieren
Erstens: Jeden Morgen mindestens 30 Minuten ein Buch lesen, bevor ich Nachrichten konsumiere. Egal, ob Roman oder Sachbuch. Das hilft, mit einem aufgeräumten Kopf und Ruhe in den Tag zu starten. Das mache ich selbst in Ausnahmesituationen: Am Tag, als in Deutschland Trumps erneuter Wahlsieg klar wurde, bin ich um 5.30 Uhr aufgestanden und habe eine halbe Stunde in aller Ruhe gelesen, bevor ich mich in die Wahlberichterstattung stürzte.
Zweitens: Wenn die Nachrichtenlage frustrierend und ermüdend ist, limitiere ich meinen Nachrichtenkonsum und suche mir stattdessen Bücher, die ich zum Thema lesen kann. Das können Sachbücher oder Romane sein. Oder Dokumentarfilme, die ich noch nicht kenne. Anstatt den ganzen Tag über Live-Meldungen zu folgen und ausgelaugt meinen Bildschirm anzustarren, gewinne ich so ein tieferes Verständnis der Situation und bleibe den sozialen Medien fern.
Drittens: Sport. Direkt nachdem ich am 6. November meinen Artikel über die Trump-Wahl an meine Kollegin Lea abgegeben hatte, habe ich den Laptop zugeklappt und bin boxen gegangen. Das hilft mir. Früher konnte ich besonders bei belastenden Recherchen und chaotischen Nachrichtenlagen nur schwer abschalten. Ich wollte ständig auf dem neuesten Stand sein und habe permanent über meine Recherchen nachgedacht. Heute sammle ich mir Hobbies mit festen Terminen an, die mich dazu zwingen, die Nachrichtenlage vorübergehend aus meinem Kopf zu verbannen: Boxen, Schauspiel, Kino, Salsa, Sprachen lernen.
So verliere ich nicht den Glauben an die Menschheit, von der ich manchmal denke, dass sie den Verstand verloren hat. Denn bei all diesen Aktivitäten erfahre ich, wie wundervoll Menschen auch sein können.
Das Problem mit Nachrichtenmüdigkeit ist größer
Nachrichtenmüdigkeit ist ein globaler Trend, der in Deutschland besonders stark ist. Eine Umfrage in der KR-Community hat uns gesagt, dass auch viele unserer Leser:innen darunter leiden. Die gute Nachricht ist: Krisen sind anstrengend, doch wir können damit umgehen.
Meine Kolleginnen Isolde Ruhdorfer und Theresa Bäuerlein beschreiben in diesem Text, warum das eigentliche Problem mit der Nachrichtenmüdigkeit viel tiefer liegt. Und mit einem wenig beachteten Aspekt verbunden sein könnte: mit dem modernen Zeitgefühl.
Redaktion und Bildredaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Lars Lindauer