Herbert Kickl in Nahaufnahme

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Politik und Macht

Was Deutsche jetzt über Österreichs Politik wissen sollten

Ich bin Österreicher und jetzt, wo Kickl Kanzler werden soll, stellen mir meine unwissenden deutschen Redaktionskolleg:innen sehr viele Fragen. Zeit für Nachhilfe.

Profilbild von Livio Koppe

Herbert Kickl wird wohl nächster Bundeskanzler Österreichs. Dass Deutschlands Lieblingsnachbar rechte Politiker:innen am Laufband produziert, ist nichts Neues. Aber auch einen rechtsextremen Bundeskanzler? Der Österreicher in der Krautreporter-Redaktion erklärt, wie rechts Kickl wirklich ist und wie es so weit kommen konnte.

Wir haben doch selbst in wenigen Wochen Bundestagswahl, warum sollte mich jetzt auch noch dafür interessieren, was gerade in Österreich passiert?

In Sachen Rechtsextremismus ist Österreich Deutschland traditionell stets einen Schritt voraus. Die FPÖ war schon vor 20 Jahren bei Wahlen so erfolgreich wie die AfD heute. Ein FPÖ-Kanzler wäre aber auch für österreichische Verhältnisse neu und würde zeigen: Alles ist möglich, nichts ist tabu. Das gäbe der AfD Aufwind. „Das letzte Stündlein der Brandmauer wird auch bei uns bald schlagen“, sagt die AfD-Parteivorsitzende Alice Weidel.

Aber die Freiheitliche Partei Österreichs hat doch schon öfter regiert, warum ist das dieses Mal besonders schlimm?

Die FPÖ hat noch nie den Bundeskanzler gestellt, sondern war immer nur Juniorpartnerin. In dieser Rolle konnte sie viele ihrer Ziele nicht umsetzen. Das ist dieses Mal anders, als Kanzlerpartei könnte sie mit ihrem Chef Herbert Kickl den Ton angeben.

Außerdem werden sie mit einer Österreichischen Volkspartei ÖVP koalieren, die schon so stark nach rechts gewandert ist, dass einige Forderungen der Parteien fast deckungsgleich sind. Einen Aufnahmestopp für Geflüchtete, massenhaft Abschiebungen und ein Zusammenstutzen von Sozialstaat und öffentlich-rechtlichem Rundfunk – all das kann und muss man von einer FPÖ-ÖVP-Regierung erwarten.

Der wahrscheinlich nächste Kanzler Herbert Kickl gilt als besonders rechts, auch für FPÖ-Verhältnisse, oder?

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Ja. Viele vergleichen Kickl mit dem rechtsextremen AfD-Politiker Björn Höcke. Kickl war von 2017 bis 2019 unter Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Innenminister und damals schon extrem umstritten. Er forderte als Minister etwa eine nächtliche Ausgangssperre für Geflüchtete. Der damalige ÖVP-Kanzler Kurz entließ Kickl 2019 aus dem Amt, Hintergrund war die Regierungskrise nach der Ibiza-Affäre.

Zu Kickls Vorbildern gehören Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán und der designierte US-Präsident Donald Trump, er teilt auch ihr Demokratieverständnis. Während der Corona-Pandemie trat er auf Demos gemeinsam mit Rechtsextremen der Identitären auf und empfahl das Entwurmungsmittel Ivermectin als Alternative zur Covid-Impfung.

Seither hat Kickl sich weiter radikalisiert. Das spiegelt sich auch in seiner Sprache wider. Er spricht nicht von kritischem Journalismus und politisch Andersdenkenden, sondern von „Systemmedien“ und „Volksverrätern“. Und er möchte gerne „Volkskanzler“ werden. So nannte sich einst auch Adolf Hitler.

Außenpolitisch wird ein Kanzler Kickl wohl einen russlandfreundlichen Kurs fahren. Die FPÖ hat 2016 einen Freundschaftsvertrag mit der Partei von Russlands Präsident Wladimir Putin geschlossen. Die EU-Sanktionen gegen Russland nennt Kickl „unmoralisch“.

Von der EU hält die FPÖ insgesamt wenig. Zur Europa-Wahl warb sie damit, den „EU-Wahnsinn“ zu stoppen. Auf einem dazugehörigen Wahlplakat sah man EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in einem innigen Kuss vereint, über ihren Köpfen standen die Schlagworte Kriegstreiberei, Asylkrise und Öko-Kommunismus.

Wie kommt es überhaupt, dass Kickl jetzt als Kanzler in Betracht kommt?

Im Herbst 2024 wurde in Österreich der Nationalrat (der österreichische Bundestag) gewählt. Die meisten Stimmen holte die rechtspopulistische FPÖ, aber alle anderen Parteien weigerten sich, mit ihr und vor allem mit Kickl zusammenzuarbeiten.

Daher vergab Bundespräsident Alexander Van der Bellen Ende Oktober den Regierungsauftrag an Karl Nehammer, zu dem Zeitpunkt amtierender Kanzler und Parteichef der konservativen ÖVP. Seine Partei verhandelte mehr als zwei Monate mit der sozialdemokratischen SPÖ und den liberalen Neos. Kurz vor Weihnachten hieß es noch aus informierten Kreisen, eine Einigung der drei Parteien sei zum Greifen nah.

Vergangenen Freitag verließen die Neos die Koalitionsverhandlungen. ÖVP und SPÖ wären für die nötigen Reformen nicht bereit gewesen, hieß es. Am Tag darauf scheiterte auch der Versuch von ÖVP und SPÖ, sich als Große Koalition zusammenzuraufen.

Vor allem Wirtschaftsfragen sorgten für Konflikte. Vereinfacht gesagt wollte die SPÖ mehr Steuern für Unternehmen und Reiche, die ÖVP weniger. Vor allem der Wirtschaftsflügel der ÖVP übte massiven Druck auf ihren Chef Nehammer aus, bei Steuern keinen Kompromiss mit der SPÖ einzugehen. Aus der SPÖ hört man, dem Kanzler wurden „Betonpatscherln“ angelegt (gemeint sind Betonschuhe, so wie man sie aus Mafia-Filmen kennt).

Also wird jetzt ein Rechtsextremist Bundeskanzler, weil sich die anderen Parteien bei der Wirtschaftspolitik nicht einigen konnten?

Das kann man so sagen. Karl Nehammer zog aus den gescheiterten Verhandlungen die einzig logische Konsequenz und trat sowohl als Bundeskanzler als auch als ÖVP-Parteichef zurück. Er hatte im Wahlkampf versprochen, keine Regierung mit der FPÖ zu bilden, solange Herbert Kickl Parteichef ist. Das sehen viele seiner Parteimitglieder inzwischen anders, sie betonen die Schnittmengen mit der FPÖ, vor allem bei den Themen Migration und Wirtschaft. Beide Parteien wollen massenhaft abschieben und Steuern für Arbeitgeber senken.

Ohne Nehammer ist der Weg frei für Verhandlungen mit der FPÖ. Auch Nehammers Nachfolger als ÖVP-Chef Christian Stocker hat sich in der Vergangenheit immer wieder gegen eine Zusammenarbeit mit Kickl ausgesprochen. Diese Versprechen sind aber anscheinend nicht viel wert, wenn es um Machterhalt geht.

Wie sehr ähnelt die FPÖ der AfD?

Die AfD ist eine Schwesterpartei der FPÖ, die beiden Parteien arbeiten gerne und häufig zusammen.

Unterschiede gibt es vor allem darin, wie etabliert die beiden Parteien in ihren Ländern sind. Während es in Deutschland zumindest noch Fragmente einer „Brandmauer gegen rechts“ gibt, ist diese in Österreich längst eingerissen.

Die FPÖ war bereits fünf Mal als Juniorpartnerin in einer Bundesregierung vertreten. Und sie ist lokal längst verankert: Derzeit regiert sie in fünf der neun Bundesländer mit. Die FPÖ stellt sich zwar gerne als Gegner der „Systemparteien“ dar, aber sie gehört in Österreich längst zum politischen Establishment.

Wie rechtsextrem ist die FPÖ überhaupt?

Rechtsextremes Gedankengut ist in der FPÖ seit ihrer Gründung verankert. 1955 ging die FPÖ aus zwei Organisationen hervor, die nach dem Zweiten Weltkrieg ein Sammelbecken für Alt-Nazis waren. Der erste Parteichef war ein verurteilter Nationalsozialist. Der zweite Parteichef, Friedrich Peter, war unter Hitler Obersturmführer der Waffen-SS und Teil der 1. SS-Infanteriebrigade, die 1941 mindestens 17.000 Jüd:innen und 25.000 sowjetische Kriegsgefangene ermordete. Friedrich Peter bestritt sein Leben lang, von den Morden gewusst zu haben. Er blieb bis 1978 Parteichef der FPÖ.

In den 1980ern schlug die FPÖ einen liberaleren Kurs ein und versuchte, sich vom Rechtsextremismus zu distanzieren, lange hielt dieser Versuch aber nicht an. In den 1990er Jahren rückte sie wieder ganz nach rechts. Heute sind immer wieder FPÖ-Mitglieder in rechtsextreme oder neonazistische Vorfälle verwickelt, zuletzt zum Beispiel Ende September, wo beim Begräbnis eines ehemaligen FPÖ-Politikers das SS-Treuelied gesungen wurde. Die Partei tut sowas stets als „Einzelfälle“ ab.

Österreich hat doch mit Alexander Van der Bellen einen progressiven Bundespräsidenten, kann der nicht verhindern, dass die FPÖ Kanzlerpartei wird?

Das hat Van der Bellen eigentlich schon versucht. Er hatte sich nämlich nach der Nationalratswahl dazu entschieden, den Regierungsauftrag nicht an die FPÖ zu vergeben – und das, obwohl sie die meisten Stimmen geholt hatte. Dieses Vorgehen ist zwar unüblich, aber legitim.

Van der Bellen und Kickl verbindet keine große Liebe, Kickl nennt den Bundespräsidenten senil und einen „Staatsgefährder“. Van der Bellen betonte bereits mehrmals, er würde Kickl nicht als einfaches Regierungsmitglied vereidigen.

Jetzt bleiben Van der Bellen aber kaum noch andere Optionen, als ihn zum Kanzler zu machen. Wenn er Kickl als Kanzler ablehnt, steht Österreich erneut ohne Regierung da, dann wären Neuwahlen die Folge. Dabei würde die FPÖ erneut einen klaren Sieg holen und wohl noch Stimmen dazugewinnen.

Und was bedeutet es für Deutschland und Europa, wenn Österreich wohl bald einen rechtsextremen Kanzler bekommt?

Wenn Kickl seinen außenpolitischen Kurs als Kanzler durchsetzen kann, wird das die Arbeit der EU erschweren. Besonders Sanktionen gegen Russland und Ukraine-Hilfen aus der EU lassen sich dann schwerer durchsetzen. Denn Kickl wäre aktuell der dritte EU-kritische und russlandfreundliche Staatschef eines EU-Landes – neben Ungarns Ministerpräsident Victor Orbán und dem Ministerpräsidenten der Slowakei Robert Fico.

In einem weiteren Punkt ist eindeutig Österreich der Verlierer. Die Beziehung zwischen dem deutschen Bundesnachrichtendienst und dem österreichischen Nachrichtendienst wird wohl eisiger. Schon am Dienstag äußerten deutsche Sicherheitspolitiker:innen Sorgen über die Geheimdienstkooperationen zwischen den beiden Ländern. Der Grund: die guten Beziehungen der FPÖ zur russischen Führung. In der Vergangenheit war Österreich bei der Terrorismusbekämpfung häufig auf Hilfe und Tipps aus dem Ausland und auch aus Deutschland angewiesen. In diesem Sinne werden die Stimmen aus der ÖVP recht behalten, die Kickl bis vor Kurzem noch als „Sicherheitsrisiko“ bezeichneten. Warum man einem Sicherheitsrisiko den Aufstieg zum Kanzler ermöglicht, wird man sich bei den Konservativen zu Recht fragen müssen.

Tranparenzhinweis: Wir haben das Wort „Pferde-Entwurmungsmittel“ zu „Entwurmungsmittel“ geändert. Das Mittel wird zwar vorrangig in der Tiermedizin und bei Pferden verwendet, es ist aber in seltenen Fällen (z.B. Krätzmilben) auch für den Menschen zugelassen.


Redaktion: Rebecca Kelber, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert und Iris Hochberger

Was Deutsche jetzt über Österreichs Politik wissen sollten

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