Da ist die Feldschlacht, aber nicht die, von der die FDP geträumt hat. Seit dem Ende der Ampel-Regierung tobt ein Kampf um die Frage, wer die Schuld am Ende der Koalition trägt. Seit die Parteispitze das D-Day-Dokument unter öffentlichen Druck selbst veröffentlicht hat, droht die FDP, diesen Kampf zu verlieren. Denn die Anzeichen haben sich verdichtet, dass die Partei das vorzeitige Ausscheiden aus der Koalition über Monate geplant – und dabei bewusst Koalitionäre und Wähler:innen getäuscht hat.
Seit Monaten dümpelt die Partei bei vier Prozent, auch das Ampel-Aus hat daran bislang wenig geändert. Ich wollte wissen, wie ehemalige und aktuelle FDP-Anhänger:innen zu ihrer Partei stehen und ob sie von ihr enttäuscht sind. Über 120 Menschen haben mir ihre Sicht auf die FDP in einer Umfrage geschildert. Auch wenn die Umfrage nicht repräsentativ ist, offenbart sie einige Muster, die mich überrascht haben, weil ich bis dahin die Partei mit ihren Wähler:innen verwechselt habe. Die Basis sieht Dinge anders als Parteichef Christian Lindner: Sie sind nicht unbedingt Fan von ihm oder sie wünschen sich mehr Klimaschutz.
Meine Ursprungsfrage lautete: „Bereust du es, die FDP gewählt zu haben?“ 60 Prozent antworteten mit Ja, 40 Prozent mit Nein. Mit dieser Frage wollte ich vor allem Menschen erreichen, die von der FDP enttäuscht sind, die Antworten sind also zum Negativen verzerrt. Aus den Antworten ergeben sich fünf verschiedene Typen von FDP-Wähler:innen.
Beginnen wir mit einem eher seltenen Exemplar:
1. Die Hardcore-FDPler
An Lindners Verhalten beim Ampel-Aus können Hardcore-FDPler nichts Falsches finden. So schreibt ein Umfrageteilnehmer: „Ich habe selbst meinen Job gekündigt, weil das Unternehmen komplett anders agiert hat, als ich meine Werte lebe. Von daher kann ich verstehen, dass man etwas beendet, um seinen Prinzipien treu zu sein. Außerdem wurde die Situation nicht alleine von der FDP verursacht. Dazu gehören immer mehrere Parteien.“ Auch Andreas ist überzeugt: „Die FDP hat lediglich versucht, die Werte durchzusetzen, für die sie gewählt wurde. Wenns nicht mehr passt, passts halt nicht mehr. Dann sind Neuwahlen die beste Option.“
Besonders überzeugend finden Hardcore-FDPler die Wirtschaftspolitik der FDP. Andreas etwa schreibt: „Bürokratisches Kleinklein und immer mehr Umverteilung vernichten unseren Wohlstand.“ Die FDP bildet für ihn dazu ein Gegengewicht. Auch Johannes steht hinter den Werten der FDP: „Ich bin von der grundlegenden Idee von weniger staatlicher Einmischung und weniger Bürokratie sehr angetan. Dafür nehme ich auch weniger Absicherung durch den Sozialstaat in Kauf.“ Er hält nichts von der Wirtschaftspolitik von SPD und Grünen, einzelne Unternehmen zu subventionieren. Viele Hardcore-FDPler halten die Schuldenbremse für vernünftig und richtig. Sie sind Christian Lindner dankbar, dass er sich so intensiv für sie einsetzt.
Für viele überzeugte FDPler bildet die Partei ein wichtiges Gegengewicht, ein Korrektiv zu den Grünen und der SPD, die aus ihrer Perspektive zu leichtfertig Schulden aufnehmen. Sie wollen, dass alle mit anpacken für den Wohlstand Deutschlands.
2. Die von Lindner Genervten
Ich war ehrlich erstaunt, wie scharf viele ehemalige FDP-Wähler:innen Christian Lindner kritisieren. Sein Name taucht nur selten in einem positiven Kontext auf. Stattdessen fallen immer wieder Begriffe wie „One Man Show“. Einer schreibt sogar: „Christian Lindner hat ein zu großes Ego, um Staatsmann zu sein.“
Gerade das Verhalten beim Ampel-Aus nehmen viele enttäuschte Wähler:innen der FDP im Allgemeinen und Lindner im Speziellen übel. So schreibt Olaf (nein, nicht der Kanzler, auch wenn er das wahrscheinlich ähnlich sieht): „Man stiehlt sich nicht aus der Verantwortung. Man plant keinen Bruch von Verträgen. Wer nicht ehrlich ist, gehört nicht in die Verantwortung.“ Und Alex findet zwar die politischen Ansätze der FDP richtig, aber „die Engstirnigkeit Lindners ärgert mich, ich halte das für einen extrem schlechten Stil.“
Mehrere Umfrageteilnehmer:innen fordern eine neue FDP-Spitze. So kann Franziska sich zwar theoretisch vorstellen, die FDP wiederzuwählen. Aber das „hängt davon ab, ob aus der Basis neue Leute nach oben kommen, und zwar bald.“
3. Die Sozialliberalen
Klar, die meisten Wähler:innen der liberalen Partei FDP halten viel von liberalen Werten. Aber eine nicht unerhebliche Gruppe kritisiert die Verengung der Partei auf einen neoliberalen Kurs. Sie sehnt sich nach einem weiteren Verständnis von Liberalismus. So geht es zum Beispiel Arthur: „Ich halte Liberalismus in seiner vollen von der FDP nicht (mehr) abgedeckten Breite inklusive Chancengleichheit, Bürgerrechten, geregelter Marktwirtschaft und Verantwortungsübernahme für einen guten politischen Ansatz.“ Aber mit dem „Schmalspurliberalismus“ der aktuellen Politik kann er nicht viel anfangen. Damit steht Arthur stellvertretend für viele Umfrageteilnehmer:innen, die sich nach einer FDP von früher zurücksehnen.
Dabei stören zwei Aspekte die Sozialliberalen besonders: Erstens macht ihnen die FDP zu wenig Politik für die Mittelschicht und orientiere sich zu sehr an den Interessen der ganz Reichen. Immer wieder kommt der Vorwurf, die FDP sei zu einer Klientelpartei geworden. Eine Umfrageteilnehmerin nennt die Partei deshalb einen „Egoistenverein“. Zweitens werfen viele Sozialliberale es der FDP vor, dass sie nicht auf mehr, sondern auf weniger Klimaschutz setzt.
Jan zum Beispiel ist grundsätzlich Liberaler und für eine soziale Marktwirtschaft, war bis vor Kurzem sogar FDP-Mitglied. Jetzt wird er seine ehemalige Partei nicht mehr wählen. Weil „die FDP nach meiner Erfahrung eine rein wirtschaftsliberale Ideologie verfolgt, die sich nicht um Umweltschutz, Soziales oder den globalen Kontext kümmert.“
Die meisten überzeugten Sozialliberalen haben sich von der Partei abgewendet, aber nicht alle. Philipp etwa wird die FDP auch bei dieser Bundestagswahl wählen: „Ich habe Hoffnung, dass sich die FDP auf ihren ‚Retro-Markenkern‘ besinnt: Liberalität.“
4. Die Undogmatischen
Kaum ein Thema ist der FDP-Wählerschaft so wichtig wie die Wirtschaft. Jeder Dritte erwähnt sie in meiner Umfrage. Viele sind Selbstständige, einige haben eine Firma gegründet. So etwa Nathalie, die als Soloselbstständige arbeitet. Sie hat den Eindruck, die FDP sei die einzige Partei, die sich überhaupt für Soloselbstständige in Deutschland interessiere und ein Interesse daran habe, deren wirtschaftliche Existenz durch vernünftige Gesetze zu sichern.
Aber die Wirtschafts- und Finanzpolitik der FDP sehen viele enttäuschte Ex-Wähler:innen inzwischen als zu ideologisch an. Konkret geht es dabei oft um die Schuldenbremse – also das Instrument, mit dem Lindner das Ende der Ampel begründete. Viele Umfrageteilnehmer:innen warfen der FDP vor, zu starr an ihr festzuhalten. So etwa Eric, der nichts von dem Argument der Generationengerechtigkeit hält. „Was nutzt meiner Tochter eine geringe Schuldenquote, wenn Infrastruktur, Bahn und das Klima im Eimer sind.“ Er ist überzeugt: Wenn die Wirtschaft und Investitionen schwächeln, muss der Staat investieren.
5. Die Ernüchterten
Viele haben die FDP gewählt, weil sie wollten, dass Deutschlands Verwaltung endlich digitalisiert und Bürokratie abgebaut wird. Andere erhofften sich ein schlankeres Steuersystem und wollten nebenbei vielleicht auch selbst weniger an den Staat abgeben müssen. In all diesen Bereichen scheint die FDP in der Ampel wenig verändert zu haben. So sagen dann auch nur neun Prozent der Befragten, die FDP habe ihre Erwartungen in der Regierung erfüllt. Adrian fragt: „Wo ist die versprochene Verwaltungsdigitalisierung? Wo sind die sinnvollen Investitionen in Bildung?“
Tatsächlich gab es seit dem Ampel-Start deutliche Fortschritte bei der Digitalisierung in der Verwaltung, das zeigt zumindest der Deutschland-Index der Digitalisierung von 2023. Die meisten Deutschen wünschen sich digitalere Behörden. Aber kleine Verbesserungen bekommt deshalb trotzdem nicht jede:r mit. Oder hast du gemerkt, dass man in mehr Bürgerämtern nun online sein Gewerbe anmelden oder einen Wohngeldantrag stellen kann? Statt schleichenden Fortschritts erhofften sich die ernüchterten FDP-Wähler:innen vielleicht eine Digitalisierungsrevolution. Aber die komplexen Verwaltungsstrukturen hierzulande machen so etwas schwer umsetzbar. So bleiben von der FDP nur wenige konstruktive Initiativen in Erinnerung, wie etwa die Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen. Stattdessen nehmen viele sie als Blockierer der Ampel wahr.
Laut einer aktuellen Umfrage würden es zwei Drittel der Deutschen nicht bedauern, wenn die FDP den Einzug in den Bundestag verpasst. Selbst ein Viertel derjenigen, die die FDP 2021 gewählt haben, wären nicht traurig, wenn sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert. Sollte das passieren, wäre Lindners Karriere in der FDP wohl vorbei. Aber das müsste nicht zwangsläufig das Ende der FDP bedeuten.
Aktuell steht die FDP für Lindner und die Schuldenbremse. Dabei müsste sie, um ihre enttäuschten Wähler:innen zu behalten, weniger dogmatisch sein. Glaubhafte Konzepte für Bürokratieabbau vorlegen – und die dann auch durchziehen. Weniger auf Lindner setzen und mehr auf andere FDP-Politiker:innen. Sich nicht nur für die Superreichen einsetzen, sondern auch für alle, die wollen, dass man mit genug Anstrengung etwas im Leben erreichen kann. Dann könnte sie wieder zu der Partei werden, nach der sich viele enttäuschte FDP-Wähler:innen sehnen.
Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Audioversion: Iris Hochberger, Fotoredaktion: Philipp Sipos