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Jahrelang kam Syrien in den internationalen Nachrichten kaum vor. Bis sich dieses Wochenende dort die Ereignisse überschlagen haben; Rebellengruppen eroberten mehrere Orte, darunter die Großstadt Aleppo. Diktator Baschar al-Assad stand schon lange nicht mehr so unter Druck wie jetzt.
Es ist kein Zufall, dass sich ausgerechnet jetzt, fast 14 Jahre nach Beginn des syrischen Bürgerkrieges, die Fronten erneut verschieben. Dass die Rebellen diese Erfolge erzielen konnten, hängt mit dem Russland-Ukraine-Krieg und mit den Kriegen im Nahen Osten zusammen.
Ich habe die wichtigsten Nachrichten dazu gelesen und fasse dir in dieser Newsletter-Ausgabe zusammen, was du dazu wissen musst.
Was ist passiert?
Vergangenen Mittwoch begann die Hayat Tahrir al-Sham (HTS) mit ihrer Offensive und kontrolliert nun die strategisch wichtige Großstadt Aleppo. Das sagte Rami Abdel Rahman, Chef der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, der Nachrichtenagentur AFP. Informationen aus dem Gebiet lassen sich nur schwer unabhängig überprüfen.
Die HTS ist die mächtigste Rebellengruppe in Syrien. Sie will ein islamistisches Regime errichten und wird unter anderem von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuft. Die HTS ist eine Nachfolgeorganisation der radikalen al-Nusra-Front.
Die HTS gilt manchmal als „moderate“ islamistische Gruppe. So berichtete die Nahost-Korrespondentin des ZDF, Golineh Atai, sie habe bei Besuchen in den entsprechenden Gebieten in Syrien „Mädchen und Frauen gesehen, die Schulen und Universitäten besuchen und Christen, die Gottesdienste abhalten können“. Der Oberkommandant sei zwar autoritär, trete aber auch kommunikativ auf, trage westliche Marken und betone die religiöse und kulturelle Vielfalt Aleppos.
Der Terrorexperte Peter Neumann sagt in einem Podcast, die HTS sei nach wie vor eine Gruppe, die „eine extreme Form der Regierung etablieren will, gegen den Willen des wahrscheinlich größten Teils der Bevölkerung“. Die HTS sei früher oder später wahrscheinlich auch eine Bedrohung für den Westen. Die britische Zeitung The Guardian schreibt, in von der HTS kontrollierten Gebieten seien Personen hingerichtet worden, denen Gotteslästerung und Ehebruch vorgeworfen wurde.
Aus deutscher Sicht ist es schwierig, diese Situation zu bewerten: Auf der einen Seite des Konfliktes steht mit der HTS eine islamistische Gruppierung, auf der anderen Seite das Regime unter Assad, das 2011 einen Krieg gegen seine eigene Bevölkerung startete und seitdem brutal gegen sie vorgeht.
Warum passiert das ausgerechnet jetzt?
Zum einen hat sich die HTS auf diese Offensive vorbereitet und professioneller militärisch ausgestattet. Zum anderen haben auch internationale Ereignisse Einfluss auf Syrien. Denn das Assad-Regime wird vor allem von zwei Ländern unterstützt: Russland und Iran.
In Syrien herrscht seit 2011 ein Bürgerkrieg. Damals begannen pro-demokratische Demonstrationen, die Teil des Arabischen Frühlings waren. Assad schlug diese Demonstrationen nieder, daraufhin entstanden Unruhen und Aufstände, die schließlich in einen Bürgerkrieg mit vielen verschiedenen Rebellengruppen mündeten. Über die Jahre mischten sich auch immer mehr andere Länder ein. Ungefähr eine halbe Million Menschen kam bei dem Bürgerkrieg ums Leben, 14 Millionen mussten fliehen. Deutschland nahm 850.000 Syrer:innen auf und ist damit das größte nicht benachbarte Aufnahmeland.
Baschar al-Assad konnte sich trotz allem an der Macht halten, vor allem mithilfe von Russland. Aber auch Iran und die von Iran unterstützte Hisbollah spielen dabei eine Rolle. Diese drei Länder – Syrien, Russland und Iran – bilden seit einigen Jahren eine für den Westen bedrohliche Allianz.
Russland und Iran können Assad nicht mehr so stark unterstützen wie früher, weil sie an anderen Orten unter Druck stehen. Russland führt seit zweieinhalb Jahren Krieg gegen die Ukraine, mit hohen Verlusten. Israel tötete bei seiner Offensive im Libanon viele hochrangige Hisbollah-Kommandeure und griff auch iranische Kräfte in Syrien an.
Die aktuellen Ereignisse in Syrien zeigen wieder einmal, wie vernetzt das Weltgeschehen ist. Der Russland-Ukraine-Krieg oder die Feindschaft zwischen Iran und Israel sind keine abgeschlossenen Kapseln. Sie beeinflussen, was an anderen Orten, wie etwa in Syrien, geschieht.
Wie geht es jetzt weiter?
Syrische und russische Kampfjets flogen bereits Angriffe gegen die HTS. Vielleicht gelingt es Assad, die Kontrolle wieder zurückzugewinnen – vielleicht aber auch nicht. Das wird sich wahrscheinlich in den kommenden Tagen und Wochen zeigen.
Es könnte auch zu einer Kettenreaktion kommen und andere Rebellengruppen beginnen, gegen das Assad-Regime zu kämpfen. Schließlich haben sie jetzt gesehen: Das syrische Regime ist geschwächt. Das zumindest hält der Terrorexperte Peter Neumann für möglich. Der Bürgerkrieg könnte also erneut in aller Heftigkeit aufflammen.
Redaktion: Rebecca Kelber