Eine Person, die in ein rotes Tuch gehüllt ist, blickt auf ein brennendes Haus.

Symbolbild. Teklehaymanot Weldemichel, Benjamin Hindrichs

Politik und Macht

„Deutschland finanziert einen Naturschutz, der uns vertreibt“

Für Naturschutzgebiete werden weltweit Menschen gewaltsam vertrieben, auch in Tansania. Darin verwickelt ist eine große deutsche Organisation.

Profilbild von Benjamin Hindrichs
Reporter für Macht und Demokratie

An einem Morgen im Oktober rollen Landrover voller Safari-Touristen in den weltberühmten Serengeti Nationalpark in Tansania. Großwildjäger posten Selfies mit erlegten Löwen auf Instagram und in Luxus-Lodges werden üppige Frühstücksbuffets eingedeckt.

Wenige Kilometer weiter sitzt eine 29-jährige Frau unter einer Akazie, zupft Gräser aus dem Boden und nickt in Richtung Nationalpark. „Tiere sind hier mehr wert als Menschen“, sagt Naserian Kilenkayo und schluckt. Sie heißt eigentlich anders, will aber anonym bleiben.

Kilenkayo ist eine Massai, eine indigene Volksgruppe, die für ihre farbenfrohe Kleidung und die halbnomadische Lebensweise bekannt ist. Viele Massai leben in Tansania. Das Land liegt in Ostafrika und entspricht dem, woran viele Europäer:innen denken, wenn sie „Afrika“ hören. Hier leben Elefanten, Leoparden und Giraffen, die Landschaft ist geprägt von Savannen und tropischen Regenwäldern.

Mehr als zwei Jahre ist es her, dass Kilenkayo ihren Vater das letzte Mal gesehen hat. Angeschossen, von Sicherheitsleuten in einen Geländewagen gezerrt. Sein Haus niedergebrannt, die Rinder konfisziert. Kilenkayo erinnert sich an die Schreie, die Rauchfahnen, die Flucht in den Wald.

Damals, am 10. Juni 2022, vertrieben militarisierte Nationalpark-Ranger und Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden tausende Massai, um an den Grenzen des Serengeti-Nationalparks ein neues Naturschutz- und Jagdgebiet zu errichten. Seither sind Menschen dort unerwünscht. Zumindest die Massai, die seit dem 17. Jahrhundert als Wanderviehalter auf dem Gebiet leben, ihre Rinder und Ziegen grasen lassen und ihre traditionellen Zeremonien abhalten.

Die tansanische Regierung hat die Vertreibung befehligt. Aber viele Massai sehen eine Mitschuld bei internationalen Naturschutzorganisationen, unter anderem der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF). Das ist eine deutsche Naturschutzorganisation, die sich weltweit für den Schutz von Wildtieren und deren Lebensräumen einsetzt. Was ist an den Anschuldigungen dran?

Dieser Frage bin ich in den vergangenen Monaten nachgegangen. Ich bin nach Tansania gereist, habe Dokumente eingesehen, Gerichtsentscheidungen gelesen und mit zahlreichen Betroffenen, Ökologen, Geografen, Aktivistinnen und Anwälten gesprochen. Viele wollten ihre Namen nicht veröffentlicht sehen.

Die Gespräche zeichnen ein Bild: Geld aus Deutschland fließt in militarisierte Naturschutzbehörden, die sich an mutmaßlichen Menschenrechtsverstößen beteiligen und den Massai ihre Lebensgrundlage nehmen. Die Zoologische Gesellschaft Frankfurt arbeitet eng mit diesen Institutionen zusammen und ist personell mit ihnen verbunden. Sie finanziert ihnen auch Ausrüstung, Trainings und Infrastruktur.

Der Konflikt ist Teil eines größeren Problems: Im Namen des Naturschutzes werden weltweit Menschen vertrieben und ermordet. Dies findet vor allem im Globalen Süden statt, finanziert vom Globalen Norden.

Die Zoologische Gesellschaft Frankfurt unterstützt militarisierte Naturschützer, die an Massai-Vertreibungen beteiligt sind

Naserian Kilenkayo denkt oft an den Tag, bevor ihr Vater verschwand. Morgens molk sie die Kühe, am Nachmittag rief ihr Vater an. Sie besuchte ihn in seinem Boma, so heißen die runden Massai-Häuser aus Lehm, Kuhdung und Zweigen. Dort gab es heißen Tee. Er schenkte ihr eine braune Shuka, ein traditionelles Massai-Tuch. Dann verabschiedete er sich.

Kilenkayos Vater wuchs dort auf, wo heute der Serengeti-Nationalpark liegt. Hier leben die Massai seit Jahrhunderten zwischen Vulkanen, Schirmakazien und Seen. Als Wanderviehalter ziehen sie mit ihren Herden auf der Suche nach Weideland über die Ebenen. In Maa, der Sprache der Massai, nennen sie den Ort Siringet: „Der Ort, an dem das Land ewig weiterläuft“. Dieser Ort wird ihnen seit Jahrzehnten Stück für Stück genommen.

Eine Karte des afrikanischen Kontinents, auf der Tansania hervorgehoben ist.

© Krautreporter

Das Land ist für die tansanische Regierung eine Goldgrube: Sie bekommt Fördergeld aus aller Welt, um Gebiete unter Naturschutz zu stellen. Und sie verdient Milliarden durch Jagdlizenzen, CO₂-Zertifikate und Tourismus-Einnahmen.

Deutschland spielt in diesem Konflikt schon immer eine wichtige Rolle. Bernhard Grzimek, der Gründer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt, reiste in der Nachkriegszeit nach Tansania und drehte einen Film, der ihn und den Serengeti-Nationalpark weltbekannt machte: „Serengeti darf nicht sterben“. Der Film gewann sogar einen Oscar und schuf einen Mythos, der bis heute weiterlebt. Er zeichnete den Serengeti-Park als menschenleeres Paradies, das von blutrünstigen Wilderern und steigenden Massai-Bevölkerungszahlen bedroht war.

Mit der ZGF machte Grzimek sich dann sein Leben lang dafür stark, Naturschutzgebiete zu errichten, in denen keine Menschen leben durften. Auch, wenn sie dort schon seit Jahrhunderten Zuhause waren.

Expert:innen nennen das Naturschutzkonzept, für das sich Grzimek einsetzte, „Festungsnaturschutz“, Nationalparks als bewachte Festung. Dieser „Naturschutz“ hat dem Soziologen Charles Geisler zufolge bis Anfang des 21. Jahrhunderts allein in Afrika zur Vertreibung von bis zu 14 Millionen Menschen geführt.

Kritiker:innen wie die Menschenrechtsorganisation Survival International sagen: Grzimeks Erbe lebt in der Arbeit der ZGF bis heute fort.

Denn laut ihren online einsehbaren Geschäftsberichten stattet die ZGF die militarisierten Ranger der tansanischen Nationalparkbehörde (TANAPA) in der Serengeti mit Fahrzeugen, Flugzeugen und Ausrüstung aus. Sie zahlt Trainings, Diesel, Verpflegung, Unterkünfte und eine Kommandozentrale der Ranger. Außerdem repariert sie ihre Autos. Seit 2015 hat sie TANAPA nach eigenen Angaben mit rund 18,6 Millionen Euro unterstützt.

Mehr zum Thema

Sie hilft also, die Operationen einer Naturschutzbehörde aufrechtzuerhalten, die laut UNESCO eine „paramilitärische Organisation“ ist – und sich an den Massai-Vertreibungen beteiligt. Dafür bekommt sie auch Steuergelder. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt die ZGF nach eigenen Angaben seit 2012 mit insgesamt 9,37 Millionen Euro.

Ein Beispiel: Im August 2017 brannten bewaffnete Ranger und Sicherheitsbehörden östlich des Serengeti-Parks laut der Menschenrechtsorganisation IWGIA knapp 200 Massai-Häuser nieder und vertrieben rund 7.000 Menschen. Die Vertreibung wurde offenbar von Serengeti-Rangern der Tansanischen Nationalparkbehörde TANAPA geplant, finanziert und teilweise durchgeführt. Das geht aus Zeugenaussagen und Dokumenten hervor, die uns vorliegen.

Neun Tage nachdem die Vertreibungswelle begann, überreichte der damalige deutsche Botschafter den tansanischen Behörden die Schlüssel für neue Büro- und Wohngebäude für die Serengeti-Ranger. Mit Unterstützung der ZGF. Diese führte laut ihrem Geschäftsbericht 2017 mehr als „350 Reparaturen und Wartungsarbeiten an etwa 40 Fahrzeugen“ der Serengeti-Ranger durch.

Der Anwalt Joseph Oleshangay blickt auf sein Handy.

Joseph Oleshangay ist eine der bekanntesten Personen, die sich gegen die Vertreibung der Massai einsetzt. © Benjamin Hindrichs

Der Menschenrechtsanwalt Joseph Oleshangay ist eine der bekanntesten Stimmen der Massai gegen die Vertreibungen. Dafür wurde er 2023 mit dem Weimarer Menschenrechtspreis ausgezeichnet. Ein wenig ironisch, findet er. Schließlich fließt deutsches Steuergeld auch in jene Institutionen, die die Massai vertreiben.

„Wenn die Ranger Autos benutzen, um die Massai zu jagen, wer hat dann die Autos bereitgestellt? Wer hat den Treibstoff besorgt? Wer bezahlt sie?“, fragt Oleshangay. Er sagt: „Für die Gewalt sind nicht nur die Ranger selbst verantwortlich, sondern auch diejenigen, die ihnen Mittel zur Gewaltanwendung zur Verfügung stellen.“

Ein Nashornkalb für die deutsche Botschafterin

Im Juni 2022 kam es erneut zu Vertreibungen. Das tansanische Ministerium für natürliche Ressourcen und Tourismus (MNRT) unter Leitung von Pindi Chana verkündete die Schaffung der „Pololeti Game Controlled Area“. Für das Naturschutz-und Jagdgebiet annektierte sie 1.500 Quadratkilometer Land von den Massai, auf denen ihre Dörfer standen.

Ranger und Sicherheitskräfte brannten zahlreiche Massai-Häuser nieder, Tausende Menschen wurden vertrieben. Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International waren auch TANAPA-Ranger an der Aktion beteiligt. Naserian Kilenkayo verlor ihren Vater, ein Polizist starb durch einen Pfeil. Seither dürfen die Massai das Land nicht mehr als Weidegrund und Wasserquelle benutzen. Großwildjäger und Safari-Touristen fahren weiterhin täglich in das Gebiet.

Sechs Monate später übergab die damalige deutsche Botschafterin Regine Heß 51 neue Rangerfahrzeuge an die tansanischen Behörden. Nach Medienberichten waren auch ein Flugzeug und ein Hubschrauber Teil des Pakets. Am selben Tag kündigte die Ministerin Pindi Chana an, ein Nashornkalb nach Botschafterin Heß zu benennen.

Diese enge Zusammenarbeit dauert bis heute an. Die Weltbank und die EU-Kommission strichen 2024 Fördergeld für den Naturschutz in Tansania – wegen der Menschenrechtsverletzungen. Die Bundesregierung erhöhte ihre Förderung für das Serengeti-Ökosystem Anfang 2024 um neun Millionen Euro. Im August 2024 feierte die ZGF laut Medienberichten eine weitere Fahrzeugübergabe mit Rangern der militarisierten Nationalparkbehörde TANAPA.

Die ZGF schreibt mir auf Anfrage: „Die ZGF ist weder direkt noch indirekt an Umsiedlungsmaßnahmen in Loliondo oder dem Ngorongoro-Schutzgebiet beteiligt.“ Die Darstellung gebe ein unvollständiges Bild von der Arbeit der Organisation ab. Als Nichtregierungsorganisation habe sie zudem nicht das Recht zu bestimmen, „wie die tansanische Regierung die eigenen Naturschutz-Institutionen organisiert“.

Rinder-Konfiszierungen zerstören die Lebensgrundlage der Massai: „Wir sind wie Hunde für sie“

Lankenua Sainguran fährt langsam über die Furchen ihrer Hand. Um ihre Knöchel und Handgelenke trägt sie Perl-Armbänder, die für die Massai den sozialen Status einer Person symbolisieren. Sainguran, 70 Jahre alt, lebt im Dorf Ololosokwan. Hier, zwischen grünen Hügeln, sind die Erinnerungen an die Gewalt allgegenwärtig. „Die Vertreibungen haben alles verändert“, sagt sie und schüttelt langsam den Kopf.

Das Foto zeigt die Hände von Lankenua Sainguran.

Die Erinnerungen an die Gewalt sind für Lankenua Sainguran allgegenwärtig. © Benjamin Hindrichs

Während der Vertreibungswelle im August 2017 habe Saingurans Familie 29 ihrer 30 Rinder verloren, sagt sie. Eine Katastrophe, denn die Tiere sind für die Massai das Fundament ihres Lebensstils: Sie dienen nicht nur als Nahrungsmittel, die Massai stellen auch traditionelle Medizin aus Tierprodukten her und bemessen ihren Wohlstand anhand der Größe ihrer Herden.

Saingurans Aussage lässt sich nicht überprüfen. Doch die Konfiszierung von Rindern bezeugen auch andere Massai. Zahlreiche Menschen in Ololosokwan berichten, dass Serengeti-Ranger die Herden der Massai regelmäßig auch außerhalb des Nationalparks konfiszieren. Von dort aus treiben sie laut Betroffenen das Vieh in den Park, um anschließend eine Strafgebühr einzutreiben oder die Herden zu versteigern. Ein jüngstes Gerichtsurteil bestätigt illegale Versteigerungen durch Serengeti-Ranger.

In Ololosokwan sagen Bewohner:innen über die Serengeti-Ranger: „Sie bedrohen uns, manchmal schlagen sie uns einfach so“. Und: „Sie sind immer bewaffnet“. Sie zeigen mir auch Fotos toter Rinder, die mutmaßlich von Serengeti-Rangern erschossen wurden. „Es kommt oft vor, dass Ranger unser Vieh mitnehmen“, sagt ein Betroffener. „Sie bringen es ins Naturschutzgebiet und sagen dann, dass es im Park war.“ Ein anderer sagt: „Sie wollen die Menschen arm machen.“

Jemand hält ein Handy in der Hand, das ein Foto von toten Rindern zeigt.

Ein Bewohner von Ololosokwan zeigt Fotos von toten Rindern auf seinem Handy. © Benjamin Hindrichs

Das ist brisant, denn laut dem Geschäftsbericht von 2017 hat die ZGF die Nationalparkbehörde TANAPA dabei unterstützt , „schlagkräftige Law Enforcement Units“ im Serengeti-Nationalpark aufzubauen, weil der „Bevölkerungsdruck steigt“. Im Geschäftsbericht von 2019 heißt es: „Im vergangenen Jahr konnten wir Mittel für eine zweite sogenannte Livestock Law Enforcement-Einheit einwerben.“ Die Einheit kontrolliere, dass keine Rinder oder Ziegen „illegal im Park weiden“. Unterstützung bekommen sie durch die „regelmäßigen Überwachungsflüge“.

„Die Regierung befindet sich im Krieg mit den Massai“, sagt Anwalt Joseph Oleshangay. Wenn die Regierung das Land der Massai nehmen wolle, müsse sie nur deren Lebensmodell beenden, die Wanderviehaltung. Dafür seien Rinder-Konfiszierungen ein effektives Mittel: „So treibt man Menschen in Armut“, sagt Oleshangay.

Auch Lankenua Sainguran ist durch die Vertreibungen arm geworden. Von einem Hügel aus weist sie mit der Hand auf das Gebiet, das die Regierung den Massai nahm. Darin, nur wenige Kilometer entfernt, liegt eine bekannte Touristen-Lodge. Google-Rezensenten schwärmen von den Massagen und dem Ausblick aus dem verglasten Esszimmer, in dem Drei-Gänge-Menüs serviert werden. Eine Übernachtung kostet mindestens 845 US-Dollar. Ein Gast schreibt: „Life Changing“.

Lebensverändernd waren die vergangenen Jahre auch für viele Massai. Lankenua Sainguran sagt über die Serengeti-Ranger: „Wir sind wie Hunde für sie.“

Die ZGF erklärt auf Anfrage, die von ihr unterstützten Einheiten bestünden normalerweise aus einem ZGF-Fahrer, ein bis zwei bewaffneten Rangern und drei bis vier unbewaffneten lokalen Mitarbeitern. Laut ZGF haben sie kein Mandat, um selbst Strafen zu erheben oder Herden zu versteigern und arbeiten nur innerhalb der Nationalpark-Grenzen. Die Organisation schult die Einheiten auch im Umgang mit Beschwerden, Festnahme- und Inhaftierungsverfahren, Gewaltanwendung und Konfliktdeeskalation.

Die ZGF mache sich zur Komplizin der tansanischen Regierung, sagen die Massai

Für meine Recherche habe ich auch mit einem ehemaligen Mitarbeiter der ZGF gesprochen. Er ist selbst Massai und möchte nur anonym zitiert werden. Er sagt: „Die Zoologische Gesellschaft Frankfurt und die deutsche Bundesregierung finanzieren einen Naturschutz, der uns vertreibt und enteignet“.

2019 schrieben die tansanischen Behörden einen Landnutzungsplan für das Ngorongoro-Schutzgebiet, in dem die Massai seit Jahrzehnten leben. Der Bericht schlägt vor, sie umzusiedeln. Auf Seite 95 steht unter den Organisationen, die eine Reduzierung von Menschen und Tieren auf ein „akzeptables Minimum“ fordern, auch die ZGF. Um die „freiwillige“ Umsiedlung der Anwohner zu erreichen, schlagen sie vor, Schulen in außerhalb befindliche Gebiete zu verlegen und die Sozialversorgung zu kürzen. Diesen Plan setzte die Regierung in den vergangenen Jahren um: Sie strich Geld für Schulen und Krankenhäuser der Region und ein Flugservice für medizinische Notfälle wurde eingestellt, damit die Massai ihre Heimat „freiwillig“ verlassen.

Die ZGF schreibt auf Anfrage: „Wir lehnen die Verweigerung von Sozialversorgung ab und glauben fest an die fortlaufende Bereitstellung von Bildung, Gesundheitsversorgung und anderen lebenswichtigen Dienstleistungen.“ Die Organisation setze sich „nachdrücklich“ für die Wahrung der Menschenrechte ein. Sie könne nicht verifizieren, dass die Aussage die Meinung der Organisation zum damaligen Zeitpunkt korrekt wiedergebe und verweist darauf, dass sie sich in dem Bericht ebenfalls dafür ausspricht, die lokale Bevölkerung in den Entscheidungsprozess mit einzubeziehen.

Eine Frau ist in ein rotes Tuch gehüllt und sitzt auf dem Boden.

Naserian Kilenkayo vermisst seit zwei Jahren ihren Vater. © Benjamin Hindrichs

2023 wiederum finanzierte die ZGF mit Geld des Bundesministeriums für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) einen Landnutzungsplan, der die gewaltvollen Vertreibungen von 2022 legitimiert hätte. Im Vorwort wird der ZGF explizit gedankt. Der Plan wurde abgelehnt, die Zahlungen des BMZ daraufhin eingestellt. Doch die bloße Finanzierung sehen viele Massai als Bestätigung ihres Verdachts, die ZGF mache sich zum Gehilfen der tansanischen Regierung.

Das liegt auch daran, dass die ZGF personell eng mit den Nationalpark-Behörden verbunden ist. Sowohl der aktuelle als auch der ehemalige Tansania-Direktor der ZGF arbeiteten zuvor für die militarisierte Nationalparkbehörde TANAPA, die an den Vertreibungen beteiligt ist.

Der ehemalige ZGF-Chef Gerald Bigurube schrieb im hauseigenen Magazin der ZGF 2014, im „Serengeti seiner Träume“ hätte die Bevölkerung rund um den Nationalpark einen „neuen Lebensstil“ angenommen: „Sie haben sich an bekannten Wohnsitzen niedergelassen, sie leben in modernen Häusern. Ihr Vieh streift nicht mehr umher.“ In anderen Worten: Die Massai geben in seinem Traum ihren traditionellen Lebensstil auf. Bigurube schreibt, die ZGF, die Parks und die Communities „lieben diesen Traum“.

Wer vor Ort recherchiert, bekommt einen anderen Eindruck.

Der globale Norden will die Umwelt schützen, den Preis zahlen oft Indigene

Als sich die Weltgemeinschaft im Dezember 2022 darauf einigte, bis 2030 insgesamt 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen, schlug die Menschenrechtsorganisation Survival International Alarm. Das Abkommen bedrohe Millionen von Indigenen weltweit. Schließlich entstehen die meisten Schutzgebiete nicht in Europa, sondern im globalen Süden – in den Ländern von Menschen, die die Natur oft effektiver schützen als staatliche Schutzgebiete und Nationalparks. Ihnen droht die Vertreibung, Millionen von Naturschutz-Flüchtlingen könnten die Folgen sein.

In Tansania zeigt sich, wie gefährlich das Abkommen sein kann. Offiziell ist Tansania Überflieger im Naturschutz: Knapp 44 Prozent des Landes stehen unter Schutz, die Regierung erhält Millionen an Fördergeld aus aller Welt. Doch den Preis zahlen offenbar die Massai.

In Zukunft könnten Vertreibungen für Naturschutz noch zunehmen. Anfang 2024 gelangte ein Dokument der tansanischen Regierung an die Öffentlichkeit, das die Planung dutzender neuer Schutzgebiete im Land enthielt. Die Vertreibung von Zehntausenden Menschen könnte die Folge sein.

Viele Betroffene in Tansania glauben, dass der – vielleicht gut gemeinte – Versuch der Deutschen, in Tansania die Natur zu schützen, vor allem Schaden anrichtet. Die 70-Jährige Lankenua Sainguran sagt: „Wenn die Deutschen und die Zoologische Gesellschaft Frankfurt kein Geld mehr in diese Art von Naturschutz investieren, dann hat die Regierung auch kein Geld mehr für die Vertreibungen.“

Anwalt Joseph Oleshangay sagt: „Wenn die Deutschen hier wirklich helfen wollen, können sie die Menschenrechtsverletzungen der Regierung kritisieren, mit uns Kampagnen gegen Trophäenjagd machen, oder uns dabei helfen, unser Land zurückzubekommen.“

Naserian Kilenkayo, die ihren Vater in den Vertreibungen verloren hat, will einfach nur Gewissheit über sein Schicksal. Seit seinem Verschwinden hat sie alles versucht, um ihn zu finden. Es hat nichts gebracht. „Wir haben nicht einmal einen Körper, den wir begraben können“, sagt sie.


Ein tansanischer Kollege arbeitete bei dieser Recherche mit. Aus Sicherheitsgründen nennen wir seinen Namen nicht.

Diese Recherche wurde durch ein Stipendium des Earth Journalism Network finanziert.


Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Bent Freiwald, Bildredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger.

„Deutschland finanziert einen Naturschutz, der uns vertreibt“

0:00 0:00

Einfach unterwegs hören mit der KR-Audio-App