Der Weltuntergang kann unterhaltsam sein. Deshalb gibt es ein ganzes Genre in der Popkultur, das sich ausmalt, wie die Welt untergehen könnte. Zombies, ein Meteoriteneinschlag, die Klimakatastrophe oder eine Alien-Invasion – man findet unzählige Varianten. Zwar gibt es noch keine Filme und Bücher darüber, aber passend zum Weltuntergang verbreitet sich gerade eine weitere Angst, nämlich die vor dem Niedergang der Demokratie.
Es gibt wirklich eine Reihe schlechter Nachrichten. Erst wurde Donald Trump in den USA wiedergewählt, dann zerbrach in Deutschland am gleichen Tag die Regierungskoalition. Populistische Parteien wie die AfD gewinnen mit jedem Jahr mehr Wähler:innen, weltweit gewinnen Autokrat:innen an Macht.
In einem Interview mit dem SWR sieht ein Politologe die Demokratie in Deutschland „in einer existentiellen Krise“, bei Zeit Online fordert ein Autor, dass wir angesichts des Abstiegs liberaler Demokratien „in den Abgrund blicken“ sollten, und auch bei Krautreporter ist ein Interview erschienen, in dem ein Politikwissenschaftler die Demokratie auf dem absteigenden Ast sieht.
Für viele ist klar: Die Welt, wie wir sie kennen, gibt es nicht mehr. Demokratie ist in der Dauerkrise, von jetzt an gehts bergab.
Ich glaube, dass die große Angst vor dem Ende der Demokratie übertrieben ist. Und dass es den Falschen hilft, wenn man sich in Demokratie-Untergangs-Szenarien suhlt. Ein Perspektivwechsel zeigt, warum.
Wer glaubt, dass alles bergab geht, irrt sich in Bezug auf zwei Punkte
Mir fällt in Gesprächen immer wieder auf, dass sich viele auf ein „früher“ beziehen, wo die Welt noch hoffnungsvoller gewesen sein soll. Nach dem Zweiten Weltkrieg garantierte das Wohlstandsversprechen, dass es wirtschaftlich allen immer besser gehen würde. Der Mauerfall war gleichbedeutend mit der Vorstellung, dass die Welt demokratischer werden würde.
Und selbst als diese Versprechen zu bröckeln begannen, konnte man immerhin noch mit einem ganz normalen Gehalt ein Haus abbezahlen und stundenlang Youtube schauen, ohne eine einzige Werbeunterbrechung. Doch inzwischen greifen Populist:innen nach der Macht, die Krisen folgen in immer kürzeren Abständen aufeinander und jedes Youtube-Tutorial wird gefühlt alle drei Minuten von einem fünfminütigen Werbeblock unterbrochen. Die Welt ist schlechter geworden. Oder?
Wer das glaubt, irrt sich in Bezug auf zwei Punkte:
- Erstens, dass früher alles besser war.
- Zweitens, dass alles automatisch immer besser wird.
An einem bestimmten Abend wurde mir bewusst, wie unangebracht die heutige Weltuntergangsstimmung ist. Ich schaute einen Film, von dem ich ohne Übertreibung sagen kann, dass es der gruseligste ist, den ich jemals gesehen habe. Er heißt „Tag Null“ und zeigt, wie die englische Kleinstadt Sheffield von einem Atomkrieg zerstört wird.
„Tag Null“ ist so realistisch und schonungslos, dass ich noch tagelang verstört war. Der Film stammt aus dem Jahr 1984. Ein Atomkrieg zwischen den USA und der Sowjetunion droht schon lange nicht mehr. Ich kann mir also nur in Ansätzen vorstellen, was es für die Menschen in den 1980ern bedeutet haben muss, einen solchen Film zu schauen und sich vor einem real drohenden Atomkrieg zu fürchten.
Es gibt noch weitere Beispiele, warum es nicht stimmt, dass noch vor wenigen Jahrzehnten alles besser war. Auf den Mauerfall folgten mehrere Sezessionskriege in der ehemaligen Sowjetunion, etwa in Bergkarabach. Die Jugoslawienkriege dauerten die ganzen 1990er Jahre hindurch und forderten Hunderttausende Tote, an den Bosniak:innen wurde ein Genozid begangen.
Auch wirtschaftlich gab es schon schlechte Zeiten. Die Weltfinanzkrise 2007/2008 belastete die Menschen in Deutschland, die mit ihrem Steuergeld dafür aufkamen, dass die Bundesregierung die Banken rettete. Die Arbeitslosenquote lag bei rund zehn Prozent. Heute steckt Deutschland wieder in einer Wirtschaftskrise. Passend zum Thema schrieb Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im Oktober: „Die größte konjunkturelle Bremse für die deutsche Wirtschaft bleibt der große Pessimismus und die fehlende Zuversicht, sowohl der Unternehmen als auch der Bürgerinnen und Bürger.“
Was ich damit sagen will: Es sah schon mal schlimm aus auf der Welt. Jetzt ist nicht die Zeit, in Pessimismus zu verfallen.
Es wird nicht automatisch alles besser, aber das ist nicht unbedingt etwas Schlechtes
Unsere Gesellschaft hat eine Obsession mit Weltuntergängen. In Büchern, Filmen oder Predigten von Sektenführer:innen geht es oft um das drohende Ende der Welt. Das Christentum basiert auf der Vorstellung, dass der Tag des Jüngsten Gerichts das Weltgeschehen beendet.
Das ist nichts inhärent Menschliches, sondern könnte vielmehr mit unserem linearen Verständnis von Zeit zusammenhängen. Dabei gab und gibt es Kulturen, die ein eher zirkuläres Verständnis von Zeit haben, also davon ausgehen, dass die Welt konstant verschiedene Zyklen durchläuft. Ein Beispiel ist der berühmte Maya-Kalender, aus dem die Menschen im Westen schlossen, dass am 21. Dezember 2012 die Welt untergehen würde. Dabei wussten Forscher:innen, dass die Maya nach diesem Datum mit der Zeitrechnung einer neuen Einheit beginnen würden. Kein Ende, sondern eine Zäsur, nach der etwas Neues beginnen sollte.
Bezogen auf die jetzigen Entwicklungen lässt sich daraus schließen, dass unsere Gesellschaft zu Pessimismus neigt. Jeder Rückschritt wird als Prophezeiung für einen wie auch immer gearteten Untergang gewertet. Dabei kann man es auch anders sehen: Auf jeden Fortschritt folgt ein Backlash. Und dann wieder ein Fortschritt.
Die Wirtschaft in Deutschland boomte jahrelang, es war immer die Frage, wann das aufhört. Das Internet, soziale Medien und künstliche Intelligenz verändern rasant, wie wir denken, was wir fühlen und welche Parteien wir wählen. Demokratien wandeln sich oft nicht schnell genug mit, aber immerhin gibt es die Chance, dass sie sich dem anpassen.
Es gibt übrigens schon seit Jahrzehnten wiederkehrende Kritik und Zweifel an der Demokratie als Herrschaftsform. Der Politikwissenschaftler Hans Vorländer warnte schon 2017 davor, zu hohe Ansprüche an demokratische Systeme zu erheben. „Hier werden Entwicklungen der letzten Jahrzehnte auf der Folie eines vermeintlich ‚goldenen Zeitalters‘ der Demokratie beurteilt und in den Veränderungen das nahende Ende der Demokratie diagnostiziert.“
Vor solchen alarmistischen Warnungen schütze „ein Schuss empirisch gesättigter Realismus und eine nüchterne Bilanz der Geschichte der Demokratie.“ Vorländer bewertet die Demokratie als die immer noch beste aller Herrschaftsformen und begründet das unter anderem mit ihrer Lernfähigkeit. Also der Fähigkeit, „auch große Herausforderungen zu bestehen, Probleme zu bewältigen und dabei ihre Nachteile so zu verarbeiten, dass sie gestärkt aus Krisen hervorgeht.“
Auch der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel sieht die Demokratie in Deutschland – bei allen Problemen – in der Lage, gut durch schwierige Zeiten zu kommen. „Gefragt sind Fairness und Regierungskunst. Diese zu wagen, wird nicht zur Erosion der Demokratie führen, sondern ihre Resilienz stärken.“
Fatalismus hilft den Falschen
Ich will natürlich nicht verharmlosen, wenn sich etwas verschlechtert. Es ist ein Problem, wenn weltweit demokratische Systeme erodieren, es ist ein Problem, wenn nicht die demokratischen Politiker:innen, sondern Populist:innen die Menschen mobilisieren.
Aber daraus gleich zu schließen, dass die liberalen Demokratien am Ende sind, halte ich für gefährlich. Es gibt vielleicht keine lineare Entwicklung, bei der automatisch immer mehr Länder auf der Welt zu Demokratien werden. Das heißt aber auch: Nur weil gerade Autokratien auf dem Vormarsch sind, ist das keine unveränderliche Entwicklung. Die Zeit der Demokratien kann wieder kommen. Das wird aber nicht passieren, wenn alle, die die jetzige Entwicklung mit Sorgen verfolgen, resigniert aufgeben.
Was ist das auch für eine Einstellung gegenüber allen, die noch den Großteil ihres Lebens vor sich haben? Was ist das für eine Einstellung gegenüber allen, die Kinder oder Enkel haben?
Ich habe keine Lust, mich unter einem Stein zu verstecken, weil Trump US-Präsident wird und Deutschland eine Regierungskrise durchmacht. Sich Untergangsszenarien auszumalen, sollte Teil von Büchern und Filmen bleiben. Im echten Leben ist das der falsche Weg.
Redaktion: Rico Grimm, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert