Donald Trump ist ein zweites Mal zum US-Präsidenten gewählt worden. Deutschland und Europa müssen sich darauf einstellen. Aber wie genau? In unseren Thesen geht es darum, wie Klimaschutz unter Trump aussehen könnte, inwiefern sich die USA so entwickeln wie viele lateinamerikanische Länder und warum die Ukraine auf besonders freundliche Töne gegenüber Trump bedacht ist.
👉 1. Die autokratische Internationale auf dem Vormarsch: Giorgia Meloni wird Europas wichtigste Politikerin
👉 2. Beim Klimaschutz müssen wir jetzt auf die Technologie vertrauen
👉 3. Das große Problem der Gegenwart: Niemand hat eine Vision, außer Rechtspopulist:innen
👉 4. Die Lateinamerikanisierung der USA beginnt
👉 5. Trumps großer Test steht noch aus: Kommt er auch mit einem möglichen Wirtschaftsabschwung zurecht?
👉 6. Selenskyj wollte in den vergangenen Monaten kein schlechtes Wort über Trump verlieren – aus gutem Grund
1. Die autokratische Internationale auf dem Vormarsch: Giorgia Meloni wird Europas wichtigste Politikerin
von Benjamin Hindrichs
Trumps Wahlsieg beflügelt Autokrat:innen in aller Welt. Vor allem eine Politikerin dürfte davon aber besonders profitieren: Giorgia Meloni. Denn sie steht Trump und seinem Team ideologisch und persönlich nahe und wird gleichzeitig von Europas Konservativen respektiert.
In der EU gilt Meloni als verlässliche Partnerin für die Ukraine. Deshalb drücken die EU-Kommission und vor allem Europas Konservative bei ihren rechtsradikalen Positionen ein Auge zu: Ihre Hetze gegen Migration ist längst mehrheitsfähig geworden. Und dass Meloni in Italien die Verfassung ändern will, damit ihr die Macht bei Wahlen nur schwer zu nehmen ist, wird in der EU-Kommission ignoriert. Gleichzeitig hat Meloni schon als Oppositionspolitikerin ihre Bewunderung für Trump ausgedrückt, mit dem sie vor allem ihre Weltsicht teilt. Beide träumen von einem Land, das einem alten, rechtsradikalen Motto folgt: Gott, Vaterland und Familie. Meloni hat in der Vergangenheit auch Leute aus Trumps Umfeld nach Italien eingeladen, zum Beispiel den rechtsradikalen Strategen Steve Bannon.
Deshalb dürfte die US-Wahl Meloni in Europa noch einflussreicher machen. Als Trumps zentrale Verbündete würde sie zwischen EU-Interessen und den USA vermitteln. Erste Vorzeichen für ihre neue Rolle waren kürzlich schon zu sehen: Im September bekam Meloni den „Global Citizen Award“ vom Atlantic Council, einer einflussreichen, überparteilichen Denkfabrik aus Washington. Der Preis würdigt Menschen, die die transatlantischen Beziehungen zwischen Europa und den USA außergewöhnlich stärken. Die Laudatio für Meloni hielt ausgerechnet Elon Musk, der Teil von Trumps neuer Regierung werden dürfte.
2. Beim Klimaschutz müssen wir jetzt auf die Technologie vertrauen
von Rico Grimm
Donald Trump hat geschworen, die Klimaschutz- und Umweltschutzgesetze von Joe Biden zurückzudrehen.
Ähnliches hatte er auch in seiner ersten Amtszeit bereits getan. Zwei Jahre nach Amtsantritt stieg Donald Trump aus dem Paris-Abkommen aus. Außerdem nahm er gezielt weitere Vorschriften der Obama-Regierung zurück. Etwa Standards, die Emissionen von Kraftwerken regeln, Gesetze über den Methanausstoß der Ölindustrie und Vorschriften zum Energieausstoß.
Als nächster Präsident, das hat Trump angekündigt, will er die Ölförderung in den USA ausweiten, den Ausbau der Windkraft auf See stoppen – und erneut aus dem Paris-Abkommen austreten. Außerdem möchte er den Inflation Reduction Act auslaufen lassen, mit dem grüne und saubere Technologien gezielt gefördert werden.
In Summe, so hat das Fachportal Carbon Brief ausgerechnet, könnte die nächste Trump-Präsidentschaft für vier Milliarden Tonnen CO₂ zusätzlich im Vergleich zu einer Biden/Harris-Regierung sorgen. Das sind die kompletten Emissionen der USA eines Jahres.
Eine neue Präsidentschaft von Donald Trump wäre eine Katastrophe für den Klimaschutz im wichtigsten Industrieland der Erde. Sie könnte aber nicht ganz so folgenreich sein wie die Untätigkeit der USA in den Jahren von Trumps letzter Präsidentschaft.
Zwei Gründe, die mit der Dynamik zu tun haben, die Klimatech inzwischen zeigt:
Erstens: Der Inflation Reduction Act (IRA) hat Gesetzesstatus. Die Vorschriften zu den Kraftwerksemissionen konnte Trump in seiner ersten Amtszeit einfach streichen, weil sie direkt von der US-Umweltschutzbehörde erlassen wurden. Dem IRA allerdings stimmten beide Kammern des US-Parlaments zu. Trump bräuchte deshalb auch beide Kammern, um ihn zurückzunehmen. Unabhängig davon, ob die Republikaner auch beide Kammern kontrollieren, kann das schwerer werden, als es auf den ersten Blick wirkt. Denn von den Förderungen des IRA profitieren vor allem rote, republikanische Staaten. Deren Abgeordnete und Senatoren haben ein Interesse daran, dass das Geld aus Washington weiter fließt. Trump hatte schon einmal versprochen, ein großes Gesetz zurückzunehmen, nämlich „Obamacare“, die große Gesundheitsreform von Barack Obama. Damals scheiterte Trump am Widerstand seiner eigenen Leute. „Obamacare“ gilt im Grundsatz bis heute. Ähnlich könnte es mit dem IRA laufen.
Zweitens: Die tatsächliche Umsetzung von Klimaschutz steht nicht mehr auf so wackligen Füßen, wie noch 2016. Denn damals war Klimaschutz eine Politik, ein Wunsch und Ziel von Linken und Grünen. Heute wird er zunehmend zu einer Geschäftspraxis, die nicht von moralischen Abwägungen bestimmt wird, sondern von finanziellen. Speziell in den sonnen- und windreichen Flächenstaaten der USA gehörten Solar- und Windkraft zu den billigsten Energieformen. Dafür sorgen industrie-ökonomische Trends, die viel größer als ein einzelner US-Präsident sind, immer billigere Speicher und Solarkraft. Trump wird nicht verhindern können, dass sich eine Fabrik entschließt, mit Solarkraft und Speichern komplett autonom vom Netz zu produzieren – weil es sich lohnt.
Trotzdem ist der Unterschied zwischen Trump und Harris in Klimafragen eklatant. Es ist der Unterschied zwischen einem, der aufhält und einer, die antreibt.
3. Das große Problem der Gegenwart: Niemand hat eine Vision, außer Rechtspopulist:innen
von Benjamin Hindrichs
Inflation, Krieg, Klimakrise: Die Stimmung ist schlecht, in den USA und in Europa. Seit Jahren reiht sich eine Krise an die nächste. Die Menschen sind veränderungserschöpft. Das fanden die Soziologen Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser in ihrer Studie „Triggerpunkte“ für Deutschland heraus. Man könnte auch sagen, die Bevölkerung ist gegenwartsmüde.
Das ist verständlich. Das Problem ist aber, dass Rechtspopulist:innen aktuell die einzige politische Kraft sind, die der Bevölkerung glaubhaft eine fundamental andere Politik versprechen. Kamala Harris hat ihren gesamten Wahlkampf darauf ausgerichtet, vor Trump zu warnen. Zu Recht, mag man sagen, Trump ist gefährlich. Aber er hat den Wähler:innen währenddessen geradezu prophetische Verheißungen gemacht. Sein Rezept für die Zukunft: Sie ist ganz einfach fundamental anders als die nervtötende Gegenwart, „ohne Inflation und die Invasion von Kriminellen.“ Er versprach den Wähler:innen, mehr Geld in der Tasche zu haben und Migrant:innen zu stoppen. Diese Versprechen wird er zwar nicht unbedingt einlösen, aber sie signalisieren zumindest: Ein Wandel ist möglich. Zurück in die gute alte Zeit, lautet sein Plan. Das wirkt, denn so fühlen sich für einen großen Teil der Bevölkerung selbst die Jahre von 2016 bis 2020 an: Sie hatten mehr Geld auf dem Konto, mussten die Ukraine nur begrenzt unterstützen und durften stolz auf ihr Land sein.
Wenn demokratische Parteien dagegen ankommen wollen, müssen sie nachziehen. Bisher übernehmen viele von ihnen rechte Positionen, bloß mit etwas gemäßigterer Rhetorik. Oder sie eifern den Extremist:innen inhaltlich und rhetorisch nach. Stattdessen müssten sie den Wähler:innen aber eine eigene, fundamental andere Zukunftsvision verkaufen. Ansonsten nimmt die Bevölkerung den einzigen Ausweg aus der Gegenwart, der für sie derzeit sichtbar ist: Rechts wählen und den Karren an die Wand fahren.
4. Die Lateinamerikanisierung der USA beginnt
von Rico Grimm
Die gefährlichste Exportware der USA waren keine Panzer und Gewehre. Es war ihr politisches System.
In den USA wird der Präsident direkt gewählt und hat weitreichende Befugnisse. Dieses System übernahmen viele Länder Lateinamerikas, als sie ihre Demokratien entwarfen. Sie übernahmen es, ohne allerdings auf die gleiche rechtsstaatliche und zivilgesellschaftliche Stärke wie die USA vertrauen zu können. „Checks and Balances“, die Kontrolle des Präsidenten hängt eben nicht nur von Gesetzen ab, sondern auch von weichen Faktoren, wie Normen und ethischen Standards, die sich über Jahrzehnte etablieren müssen, um zu wirken. Zum Beispiel die Norm, dass Präsidenten zurücktreten, wenn sie bei einer Straftat erwischt werden, so wie Nixon nach dem Watergate-Skandal. Diese Zeit hatten die jungen Demokratien Lateinamerikas nicht und rutschten immer wieder in den Autoritarismus ab.
Jahrzehntelang konnte man sich bei den USA allerdings sicher sein, dass diese Normen zusammen mit dem legislativen System am Ende noch jeden Präsidenten einhegen.
Nun allerdings haben wir diese Sicherheit nicht mehr. Es ging im Vorwahlkampfgetöse völlig unter, dass eine junge, von Trump berufene Richterin den Prozess über die verlorenen Akten aus fadenscheinigen Gründen ins Leere laufen ließ. Es sind genau solche Vorfälle, die Zweifel an der grundsätzlichen Verfasstheit eines Rechtsstaats erlauben. Hinzu kommt ein Verfassungsrichter, der sich von einem Milliardär den Urlaub zahlen lässt. Seit heute wissen wir: Ein verurteilter Verbrecher wird US-Präsident. Von irgendwie gearteten ethischen oder moralischen Standards müssen wir nach den Skandalen Trumps und den Toten des Kapitolsturms nicht mehr sprechen.
Die Vereinigten Staaten, so wirkt es, gehen jetzt den Weg vieler amerikanischer Demokratien, etwa von El Salvador unter Bukele oder Ecuador unter Noboa. Irgendwie noch immer frei, aber gleichzeitig auch autoritärer. Auf jeden Fall: mit deutlich schwächeren staatlichen Institutionen und Gerichten.
5. Trumps großer Test steht noch aus: Kommt er auch mit einem möglichen Wirtschaftsabschwung zurecht?
von Rico Grimm
Am Montag schrieb ich, dass die Inflation der Fluch der westlichen Regierungen sei. Alle Amtsinhaber, die während des großen Preisschubs in den Jahren 2021 und 2022 regierten, wurden abgewählt oder stehen in den Umfragen schlecht dar.
Um sicher zu sagen, dass die Inflation auch in den USA ausschlaggebend für Trumps Wiederwahl war, ist es zu früh. Klar ist aber, dass Donald Trump in seiner zweiten Amtszeit einem völlig anderen wirtschaftlichen Umfeld begegnen wird als noch vor acht Jahren.
Damals befanden sich die USA und die Weltwirtschaft mitten in einer stabilen Boomphase nach der Finanzkrise. Die chinesische Wirtschaft expandierte kräftig. Die Zinsen waren historisch niedrig und die US-Konsumenten in Kauflaune.
Heute hängen Teile der Weltwirtschaft wie China und Deutschland in einer zähen Rezession fest. Bisher boomte die US-Wirtschaft. Aber nun steht sie auf zunehmend wackligen Füßen. Der Arbeitsmarkt schwächelt, mit weniger neuen Jobs und mehr Arbeitslosen. Zudem ist die Dynamik aus dem sehr wichtigen Immobilienmarkt raus.
Gleichzeitig wird es immer teurer für die USA, die Zinsen auf ihre Schulden zu bezahlen. 77 Milliarden Euro, 0,31 Prozent der Wirtschaftsleistung, kostet das inzwischen – pro Monat. Zum Vergleich: Als Trump 2017 die Regierung übernahm, zahlten die USA nur 21,5 Milliarden Euro, 0,11 Prozent der damaligen Wirtschaftsleistung.
Ich möchte nicht unken. Das heißt nicht, dass ein Abschwung oder gar eine Wirtschaftskrise kommen müssen. Die vorherzusagen, ist notorisch schwierig. Aber die hohe Zinslast der USA, eine schwache chinesische Wirtschaft, der erlahmende Arbeitsmarkt und das alles gekoppelt mit dem wackliger werdenden Vertrauen in die US-amerikanischen Institutionen stellt Trump vor eine größere Aufgabe als noch 2016.
Die Kreditgeber der USA jedenfalls gaben erstmal ein klares Signal, als klar wurde, dass Trump Präsident wird: Es wurde schlagartig teurer für die USA, sich Geld zu leihen. Sie wollen eine höhere Risikoprämie. Denn sollte Trump die Zölle wirklich wie angekündigt rabiat erhöhen und es gleichzeitig zum sich andeutenden Abschwung kommen, wäre das ein Desaster.
Der US-amerikanische Politikanalyst Noah Smith brachte es pointiert auf den Punkt: „Autoritäre Führer haben einen natürlichen Feind: die Makroökonomie.“
Trump muss erst noch beweisen, dass er auch Abschwung kann.
6. Selenskyj wollte in den vergangenen Monaten kein schlechtes Wort über Trump verlieren – aus gutem Grund
von Isolde Ruhdorfer
Auf den ersten Blick wirken die Reaktionen absurd.
Am Mittwochmorgen europäischer Zeit gratulierte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Trump zu dessen Wahlsieg. Auf X schrieb Selenskyj von einem „tollen Treffen im September“ und „Trumps entschlossener Führung“.
Zur gleichen Zeit teilte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow mit, er wisse nichts von Wladimir Putins Plänen, Trump zum Wahlsieg zu gratulieren. Die USA seien immer noch ein „unfreundliches Land“, das „in den Krieg gegen Russland verwickelt“ sei.
Diese Reaktionen mögen auf den ersten Blick grotesk klingen. Immerhin ist Trumps Wahlsieg für die Ukraine eine Katastrophe, während Putin sich freuen dürfte. Die USA gehörten bis jetzt zu den wichtigsten Unterstützern der Ukraine, lieferten Waffen und halfen finanziell. Unter Kamala Harris hätte sich die Ukraine auf ein „Weiter so“ einstellen können. Unter Trump wird sich diese Unterstützung reduzieren. Es ist zwar noch nicht klar, wie stark. Aber sicher ist, dass die Ukraine mit Trump als US-Präsident ein Problem hat.
Es kann also gut sein, dass sich die Ukraine bald noch schlechter verteidigen kann und gezwungen wird, massive Zugeständnisse an Russland zu machen. Die ukrainische Zeitung Kyiv Independent schrieb von Trumps Wiederwahl als einem „Worst-Case-Szenario“.
Hier wird auch klar, warum die Reaktionen von Selenskyj und Putin nur auf den ersten Blick absurd sind. Die Ukraine kämpft ums Überleben. Genau deshalb versucht Selenskyj, aus einer sehr schlechten Situation das Beste herauszuholen. Der ukrainische Journalist Denis Trubetskoy schrieb kurz vor den Wahlen, dass die ukrainische Staatsführung alles unternommen habe, um sich in Bezug auf den US-Wahlkampf möglichst neutral zu verhalten. „Selbst bei einem Hintergrundgespräch mit ukrainischen Journalisten weigerte sich Selenskyj neulich kategorisch, jegliche Sympathien auszusprechen.“
Deshalb gratuliert Selenskyj Trump, während Putin sich jetzt zurücklehnen kann. Die Ukraine, Europa und die Nato sind jetzt geschwächt. Und die US-Amerikaner:innen haben mit ihrer Wahl nicht nur Trump, sondern auch Putin gestärkt.
Redaktion: Rebecca Kelber, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert