Weidel und Chrupalla reden miteinander, daneben das Foto einer Anti-AfD-Demo.

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Politik und Macht

Die AfD wird regieren – wie Ostdeutsche sie bezwingen können

Die AfD wird sich nicht ewig von der Macht fernhalten lassen. Die Thüringer und Sachsen, die die AfD ablehnen, müssen jetzt den Kampf um ihre Heimat beginnen.

Profilbild von Rico Grimm
Politik- und Klimareporter

Es nützt nichts. Das Pflaster muss ab, schnell – und zwar jetzt.

Die Alternative für Deutschland, eine in Teilen gesichert rechtsextreme Partei, wird eine Landesregierung anführen. Ob in Sachsen oder Thüringen ist unklar. Aber es deutet mehr auf Thüringen hin, das Land, in dem sich die SPD gründete, die NSDAP erste Wahlerfolge erzielte und nun, nach den Landtagswahlen, die nicht rechtsextremen Parteien Probleme haben, eine Regierung zu bilden.

Was auch immer bei diesen Verhandlungen herauskommt: Schon rechnerisch kann es nicht besser werden als eine Allianz der blanken Not. Nichts, was eine stabile und geachtete Regierung braucht, könnte eine Koalition aus CDU, SPD und BSW bieten; vor allem nicht, wenn sie zusätzlich noch von der Linkspartei geduldet werden muss. Diese Regierung wird keine Vision haben, kein Ziel und keinen Schwung. Sie wird sich wegen ihrer inhaltlichen Unterschiede nicht bewegen können und ständig vom Zusammenbruch gefährdet sein. Sie wird starr und brüchig sein – eine typische Brandmauer eben.

Warum die AfD regieren wird

Die AfD, die größte Oppositionspartei im Land, wird nichts tun müssen, um von Tag zu Tag seriöser zu wirken. Um ihr in diesem Falle gut verzinstes politisches Kapital in echte politische Macht umzumünzen, muss sie noch Björn Höcke loswerden. Denn zwar haben knapp 33 Prozent der Thüringer AfD gewählt, aber nur 16 Prozent wollen einen Ministerpräsidenten Höcke.

Mit ihm führt friedlich kein Weg an die Macht. Deswegen wird die AfD tun, was alle Machtapparate tun, wenn sie nach Jahrzehnten der Oppositionsarbeit vor der Wahl „Macht/Mäßigung“ oder „Ideologie/Opposition“ stehen. Sie wird Höcke beiseiteschieben – und bei der nächsten Wahl in Thüringen 35 Prozent oder mehr bekommen.

Dann wird die AfD regieren, mit dem BSW oder der CDU, und es wird in der Logik unseres politischen Systems komplett folgerichtig sein.

Zu wenige stellen sich heute dieser kalten Logik. Zu viele glauben noch immer, dass sich diese Partei dauerhaft von der Macht fernhalten ließe. Aber sie hat in Thüringen und Sachsen mehr als 30 Prozent der Stimmen bekommen. Wie soll das gehen? Es ist gefährlich, darauf zu vertrauen, dass die AfD niemals regieren wird. Wer das tut, bereitet sich nicht vor und überlässt der AfD kampflos das Feld.

Die AfD wird sich in der Regierung nicht „entzaubern“

Die Opposition gegen die zukünftige AfD-Regierung muss jetzt ihre Arbeit aufnehmen. Der wichtigste Schritt dafür: akzeptieren, dass es diese Regierung geben wird.

Das ist keine normative Aussage, sondern eine pragmatische. Die AfD soll nicht regieren, sie wird es aber. Nun muss der Schaden, den diese Regierung anrichten wird, so klein wie möglich gehalten werden und gleichzeitig das Fundament für eine neue Mitte in Thüringen und Sachsen gegossen werden.

Regiert die AfD einmal, braucht niemand darauf zu vertrauen, dass sich das Problem von selbst erledigt. „Entzaubert“ wird in einer AfD-Regierung nur der naive Glaube, dass diese AfD über ihre eigene Unfähigkeit ins Fallen geraten wird. Denn das setzt voraus, dass sich ihre Wähler von der AfD gute Sacharbeit, seriöse Regierungsarbeit und pragmatische Realpolitik erwarten würden. Es setzt voraus, dass ihre Wähler enttäuscht wären, wenn sie all das schließlich nicht erkennen könnten. Es setzt voraus, dass Menschen die AfD in der Hoffnung wählen, dass sich die Dinge zum Guten wenden lassen.

Aber fast niemand wählt die AfD aus Vernunftgründen, weil es im engeren ökonomischen Sinne die eigene Lage verbessern könnte. Das ist gerade den Arbeitern und dem Kleinbürgertum egal. Wer die AfD wählt, greift zu einem Werkzeug der Rache und der Strafe. Die Partei biedert sich all jenen an, die es „denen da oben“ heimzahlen wollen. Das Ressentiment regiert und das Ressentiment ist ein Gefühl. Mit Vernunft braucht hier niemand zu kommen.

Deswegen wird jede Strategie scheitern, die auf „Entzauberung“ setzt. Die AfD umgibt kein Zauber, sondern dumpfe Wut. Gefühle treiben ihr die Wähler zu und Gefühle werden der Schlüssel sein, um sie abzuwählen, sobald sie die Regierung stellt.

Die kommende Opposition gegen eine AfD-Regierung muss größer sein, mehr Schwung und Schlagkraft haben als die Minderheit der AfD-Wähler. Denn das sind die AfD-Wähler: eine Minderheit, wenn auch eine große. Die Mehrheit in Ostdeutschland will von der AfD nichts wissen. Diese Mehrheit wird die Wahrnehmung der Lage drehen, ausgehend von den Städten, und so eine neue demokratische Epoche für den Osten einläuten. Um nichts weniger geht es hier: Der andere Osten muss die Wiedervereinigung für sich und in sich vollenden. Aus den tausend zivilgesellschaftlichen Pflänzchen sollen blühende Landschaften werden.

Materiell kommt der Osten irgendwann in der Republik an, kulturell muss er es nicht, so wie es auch ein Pfälzer, Schwabe oder Friese nicht muss. Zivilgesellschaftlich aber, auf der Ebene der alltäglichen demokratischen Arbeit müssen 34 Jahre nach der Wiedervereinigung die letzten Reste Mauerschutt beiseite geräumt werden.

Es wird also unter einer kommenden AfD-Regierung nicht um einen oberflächlichen Stimmungswechsel gehen, sondern um eine Vertiefung der demokratischen Strukturen. Nur sie sind eine verlässliche Brandmauer. Das ist die neue Mauer, die der Osten braucht. Keine Mauer, um die Menschen einzusperren, sondern um die autoritäre Versuchung auszusperren.

Was fehlt, um die Wiedervereinigung zu vollenden

Die eigentlich relevanten Unterschiede zwischen Ost und West liegen nicht in der Farbe der Berliner Straßenlaternen oder der Größe landwirtschaftlicher Betriebe. Das sind nur Artefakte einer gesellschaftlichen Transformation, wie sie die Geschichte immer wieder hervorbringt. Wichtig ist: Basisdemokratie, gelebt als Vereinsfest, existiert im Osten nur am Rande. Orte, wo die Demokratie eingeübt werden kann, gibt es zu wenige. Der Osten hat weniger Betriebsräte, Stiftungen, Vereinsmitglieder als der bundesdeutsche Schnitt.

Das ist die für Deutschland entscheidende Kluft zwischen Ost und West. Wer der kommenden AfD-Regierung Paroli bieten will, muss diese Kluft schließen. Dass es sie überhaupt gibt, ist die Folge eines großen politischen Glücks: der raschen Wiedervereinigung Deutschlands binnen weniger Monate zwischen November 1989 und Oktober 1990. Im Wenderausch wollte damals die große Mehrheit der DDR-Bürger die D-Mark und den Beitritt zur BRD. Zu wenige allerdings fragten sich, was das eigentlich für den Staat und die Gesellschaft bedeuten muss.

Kann es für eine Demokratie reichen, Gerichte aufzubauen und Institutionen, deren Westchefs zwar die Gesetze gewissenhaft befolgten, aber einer echten ostdeutschen Demokratieerfahrung im Wege standen?

Denn wer, wenn nicht die westdeutschen Männer, hätten all die Posten damals besetzt? Es wären die jungen Ostdeutschen gewesen, genau jene, die heute an der Spitze aller zentralen gesellschaftlichen Institutionen stehen könnten – mit mehr als drei Jahrzehnten Demokratieerfahrung im Gepäck. Die damals als „neue Bundesländer“ titulierten Gebiete blieben so nur auf dem Papier demokratisch. Sie waren es nicht im Inneren.

Hätten sich die Ostdeutschen ihren Platz erkämpfen können, sogar müssen? Vielleicht. Aber die 1990er Jahre erlebten viele von ihnen als eine Serie persönlicher Enttäuschungen und Demütigungen. Wir kennen die Stichworte: Massenarbeitslosigkeit, Orientierungslosigkeit, Baseballschlägerjahre.

Das war kein Umfeld, um eine neue Partei zu gründen oder das Präsidium einer Universität für sich zu reklamieren. Es war kaum ein Umfeld, um einen Jugendclub zu gründen.

Westdeutsche kamen in den Osten, trafen alle Entscheidungen und verschwanden wieder. Zurück blieb eine entkernte Elitenstruktur, ein hohles Institutionengefäß, eine Demokratie ohne genügend Demokraten.

Die demokratische Bewusstseinsbildung des Ostens endete mit den Wahlen zur Volkskammer im März 1990. Die CDU-geführte „Allianz für Deutschland“ ließ bei diesen Wahlen mit ihrem Versprechen vom schnellen Beitritt zur BRD und schnellstmöglicher Einführung der D-Mark den Zauderern in der SPD und der Bürgerrechtsbewegung keine Chance.

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Nach diesen Wahlen kamen der Rechtsstaat und das Geld von allein in den Osten. Die Ostdeutschen mussten nichts mehr dafür tun, ganz anders als ihre Mitbürger in Mittel- und Osteuropa, wie etwa Litauen oder Polen. Diese mussten sich jeden Zentimeter Freiheit selbst erkämpfen und anschließend gegen die reaktionären Kräfte im eigenen Land verteidigen.

Im Schlepptau der Wiedervereinigung schlawinerte aber noch eine weitere Sache heran. Die Ostdeutschen hatten sie zwar immer wieder reklamiert, aber als sie da war, fordernd, nervend, war es dann auch schwierig: die Freiheit.

Freiheit bedeutet, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. Das war eine Aufgabe, der sich die Westdeutschen, getrieben von der Schutzmacht USA und versüßt vom Wirtschaftswunder, unter einfacheren Voraussetzungen widmen konnten als die Ostdeutschen. Diese erlebten, wie es der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk in seinem neuen Buch nennt, einen „Freiheitsschock“. Bis heute wirkt er nach.

Der Plan, um der AfD Paroli zu bieten

Wer Schuld hat an allem, was vor 34 Jahren passiert ist, ist heute irrelevant. Für Wiedergutmachung ist es zu spät und jetzt gilt es, sich der neuen Gefahr und Realität zu stellen. Wir haben genug diskutiert, eine AfD-Regierung wartet und es braucht einen Plan.

Dieser Plan muss unter ostdeutschen Bürgern für ostdeutsche Bürger ausbaldowert werden. Der Staat, der Verfassungsschutz, die Gerichte, das Parteienverbot – all das wird nicht helfen, eine echte Brandmauer hochzuziehen, die es brauchen wird, um der kommenden AfD-Regierung Paroli zu bieten und der Mitte in Ostdeutschland zu Glanz zu verhelfen.

Was zu tun ist, haben andere schon besser beschrieben, ich will nur nochmal auf das Ziel verweisen, damit wirklich alle es klar vor Augen sehen: ein schwingendes Netz aus Initiativen, Vereinen, Stiftungen und Medien, das unter Druck erst geschmeidig nachgeben kann, ohne zu zerreißen, ehe es die Spannkraft nutzt, um mit Wucht zurückzuschnellen.

Das bedeutet: Vereinen beitreten und Parteien, Initiativen unterstützen, Tiktok-Accounts aufsetzen, twittern, flyern, zu Demos gehen, den Jugendclub vor Ort unterstützen, Paroli bieten, wenn die Faschisten demonstrieren wollten, nachts Sticker kleben, Whatsapp-Gruppen gründen, um sich auszutauschen und, wichtig, zu unterstützen, wenn es brenzlig wird. Wer nicht vor Ort ist: spenden, spenden, spenden. Geld wie Aufmerksamkeit, alles für den anderen Osten. Und ja: vielleicht muss auch die überfällige Aufarbeitung der DDR-Diktatur beginnen, nicht vom Staat organisiert, sondern von der ostdeutschen Gesellschaft.

Circa 16 Prozent gebürtiger Ostdeutscher leben nicht mehr in der Region. Das sind zwei Millionen Menschen. Die ostdeutsche Diaspora ist also groß. Ihr kann eine Schlüsselrolle zukommen, weil sie Ressourcen hat, die bisher kaum genutzt werden: Geld, Netzwerke, Erfahrung. Und wer reich ist: Nie war der Impact größer, den heute eine Stiftung in Ostdeutschland haben kann.

Wer glaubt, dass das alles zu banal und trivial sei, dass ein popeliger Jugendclub in Anhalt nichts ausrichten könne, verkennt, was die Demokratie wirklich am Laufen hält. Es sind nicht Wahlen und Parteien; nicht Rechtsstaat und Grundgesetz. Ihre kleinste unzerteilbare Einheit ist das Vertrauen ihrer Bürger zueinander und in die Freiheit voneinander. Vertrauen muss erarbeitet werden, stetig und immer wieder. Es dauert lange, bis es sich wirklich etabliert hat, und es braucht Orte, an denen es wachsen und eine Übereinkunft über die Freiheit getroffen werden kann. Brutkästen der Demokratie braucht es. Sie haben in einer liberalen Gesellschaft so oder so Wert, aber in einer bedrohten liberalen Gesellschaft sind sie unersetzbar.

Schaut nach Polen, Tschechien, Lettland!

Die Aufgabe ist es nachzuholen, was die Polen, die Tschechen, Rumänen, die Litauer, Letten und Esten den Ostdeutschen voraus haben. Sie haben sich ihre Freiheit im Klein-Klein gegen die Autoritären erkämpft. Die liberalen Ostdeutschen werden sich ihre Freiheit im Klein-Klein gegen die AfD neu erkämpfen müssen. Das werden sie allein tun müssen, sonst wäre es wieder eine blutleere Demokratisierung.

Das freiheitliche Ostdeutschland und das autoritäre, das städtische und das ländliche werden miteinander ringen müssen. Drei Jahrzehnte lang haben hölzerne Ost-West-Debatten den eigentlichen Konflikt verdeckt: den unter Ostdeutschen.

Ihr Ringen wird hervorbringen, was die AfD letztlich von der Macht entfernt; eine rebellische, widerstandsfähige Bürgergesellschaft, die sich autoritäre Rattenfängerei von einer Truppe geldgeiler Egoisten nicht länger bieten lässt. Für blöd verkauft wurde der Osten viel zu lange. Schluss damit.

In Ostdeutschland werden die Rechtsextremen zum ersten Mal regieren. Die Ostdeutschen werden aber auch die ersten sein, die sie wieder abwählen.


Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger

Die AfD wird regieren – wie Ostdeutsche sie bezwingen können

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