„Verpisst euch, sonst hack ich euch den Kopf ab!“ Das rief ein älterer Mann fünf Jugendlichen im sächsischen Dohna zu, die Wahlkampf für die Linke machten. Kurz darauf kam er mit einer Machete zurück und verfolgte die Wahlkämpfer:innen, die gerade noch entkommen konnten, so der MDR. Es ist nur ein Beispiel von vielen, das unterstreicht: Die Stimmung in vielen Teilen Ostdeutschlands wird immer bedrohlicher.
Bei den Wahlen haben rund 70 Prozent nicht die AfD gewählt, sondern demokratische Parteien. Und natürlich feiert die AfD auch in Westdeutschland Erfolge. Aber die Gefahr für demokratisch Engagierte wird in Ostdeutschland immer größer, auch wenn man sie in Leipzig oder Potsdam leichter verdrängen kann als in Bautzen oder Limbach-Oberfrohna. Wie lässt es sich in einem solchen Umfeld leben, in dem so viele Menschen AfD wählen? Diese Frage hat uns KR-Mitglied Anna gestellt. Aus Gesprächen weiß ich: Das bewegt gerade viele.
Natürlich gibt es darauf keine einfache Antwort. Die queere und behinderte Person in einem thüringischen Dorf, die Angst um ihre Zukunft hat, steht nicht vor den gleichen Fragen wie ein IT-Consultant aus Berlin, den das vergiftete gesellschaftliche Klima stört. Ich selbst habe zwar fünf Jahre in Leipzig gewohnt, schreibe diesen Text aber mit einer bequemen Distanz aus Berlin.
Um trotzdem eine Antwort auf Annas Frage zu finden, habe ich mit zwei Experten gesprochen und den Aktivisten Robert Weis interviewt. Er hat als Teenager ein Jugendzentrum in seinem Heimatort Limbach-Oberfrohna mit aufgebaut. Er wurde immer wieder von Nazis bedroht und verprügelt, im Jahr 2010 brannten sie das Jugendzentrum nieder. Er blieb trotzdem. Außerdem erzählten mir 200 Mitglieder der KR-Community in einer Umfrage, was ihnen beim Dableiben hilft. Aus diesen Antworten habe ich fünf Strategien abgeleitet, wie man nicht die Zuversicht verliert in einem Umfeld in dem die AfD immer stärker wird.
Der Bedarf ist groß: Erschreckend viele erklärten in meiner Umfrage, sie hätten keine richtige Strategie, um mit der politischen Situation umzugehen. Sie schreiben, sie würden sich verkriechen und versuchen, nicht mehr mit Fremden zu reden, bestimmte Themen zu meiden. Bei einer Person geht es sogar noch weiter: „Ich gehe kaum noch vor die Tür. Ziehe mich unauffällig an. Schaue niemandem in die Augen. Bin unterwürfig, falls jemand Aggressives mich anspricht oder kontrolliert.“ Was also tun?
1. Sich mit Verbündeten umgeben
Immer wieder habe ich gelesen, wie wichtig es für viele Menschen ist, in einer demokratisch gesinnten Blase zu leben und sich mit Gleichgesinnten austauschen zu können. KR-Mitglied Lucie sagt sogar: „Wenn es die nicht gäbe, wären wir sofort weg.“ Das kann ein linkes Wohnprojekt sein oder die Nachbar:innen, die ähnlich denken. Auch Felix Steiner von der Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus in Thüringen (Mobit) sagt: „Es kostet enorm viel Kraft, wenn man den ganzen Tag von Leuten umgeben ist, die die AfD unterstützen. Deshalb hilft es sehr, Netzwerke mit Gleichgesinnten zu finden.“
Lea schreibt, ihre Freunde und sie motivierten sich gegenseitig, um politisch aktiv zu bleiben. KR-Mitglied Mandy erzählt, dass ihre Freund:innen und Kolleg:innen ihre Werte teilten und sie sich gegenseitig unterstützten. „Solidarität ist entscheidend in diesen düsteren Zeiten von Suck-sen.“
Es kann helfen, sich nicht nur als Teil eines Freundeskreises, sondern einer ganzen Subkultur zu fühlen. So ging es Robert aus Limbach, der in seiner Jugend einen Irokesen-Haarschnitt trug und bis heute in einer Punkband spielt. „Bei uns in der Schule gab es nur die linken Zecken und die, die eher rechts oder Nazis waren.“ Ihm habe es geholfen, als Punk durch Sachsen zu reisen und in Autonomen Jugendzentren auf Konzerte zu gehen. Dadurch fühlte er sich als Teil einer größeren Gruppe, auch wenn es in seinem Heimatdorf nur wenige Punks gab und er und seine Freund:innen regelmäßig von Nazis verprügelt wurden.
Gleichzeitig kann ein kleines, enges Netzwerk von Freund:innen Kraft geben. Bei Robert verließen viele Freund:innen Limbach-Oberfrohna, als sie mit der Schule fertig waren. Nur Robert und zwei andere aus dem Freundeskreis blieben. Gemeinsam veranstalteten sie einmal die Woche eine Küche für alle (KüfA), zu der fast niemand kam. Jede Woche kochten sie zu viel.
Ein entscheidender Grund, warum Robert damals nicht wegzog, waren die anderen beiden. Sie alle wussten: Würde einer von ihnen gehen, würden die Strukturen zusammenbrechen, die sie gemeinsam aufgebaut hatten. Deshalb blieben sie – bis nach etwa zwei Jahren neue Jugendliche zur KüfA kamen, die dann wieder Freund:innen mitbrachten. Innerhalb weniger Wochen waren sie zwanzig Leute, die in den Jahren danach zusammen das niedergebrannte Jugendzentrum wieder aufbauten.
2. Immer wieder erleben: Die Anti-Demokraten sind nicht die Mehrheit
Vor einem halben Jahr gingen in ganz Deutschland Hunderttausende gegen die AfD auf die Straße, auch in Ostdeutschland – selbst in Kleinstädten, in denen man sich damit einer realen Gefahr aussetzen kann. Das braucht Mut und hat viele bestärkt, die an meiner Umfrage teilgenommen haben. Es zeigte ihnen, dass sie nicht allein sind mit ihren Ängsten. Dieses Gefühl der Selbstwirksamkeit erleichtert es, vor Ort zu bleiben.
Für die Recherche habe ich auch mit David Begrich geredet. Er arbeitet bei der Arbeitsstelle Rechtsextremismus im Miteinander e.V. in Sachsen-Anhalt und gilt als einer der renomiertesten Beobachter des ostdeutschen Rechtsextremismus. Er sagt: „Demonstrationen sind wichtig, weil sie vielen ein Gefühl von Gemeinschaft und Selbstwirksamkeit geben.“
Trotzdem betont Begrich: Demonstrationen sind kein Allheilmittel. Wenn man sie organisiere, koste die Vor- und Nachbereitung viel Kraft und Ressourcen. Dazu kommt: Anders als in westdeutschen Metropolen setzten sich Demonstrierende der Gefahr aus, beschimpft, bedroht oder sogar angegriffen zu werden. Und nachhaltig würden sie auch nicht helfen.
3. Sich zivilgesellschaftlich engagieren
Lokale Projekte wie Frauenhäuser oder soziokulturelle Zentren zu unterstützen, sei gerade besonders sinnvoll. Denn es brauche jetzt Engagementformen, die die Zivilgesellschaft vor Ort langfristig stärken, sagt Begrich. Auch der Aktivist Robert Weis aus Limbach-Oberfrohna, der 2008 einen Demokratie-Verein mitgegründet hat, erzählt: „Ich freue mich mehr über zwei neue Mitglieder in unserem Verein als über eine Anti-AfD-Demonstration mit 15.000 Teilnehmern in Chemnitz.“
Robert wünscht sich, dass Menschen mit wenig Erfahrung im zivilgesellschaftlichen Engagement, nicht einfach auf eigene Faust anfangen, Projekte aus dem Boden zu stampfen. Viel sinnvoller sei es, sich mit Leuten zu vernetzen, die sich schon engagieren und auf deren Erfahrung man bauen könne. „In Kleinstädten wie bei uns ist ein Demokratie-Verein ein Sammelbecken für alle Leute, die keinen Bock haben auf Nazis. Wenn man etwas anderes machen will, findet man da auf jeden Fall auch Leute, mit denen man eine Untergruppe bilden kann.“ KR-Mitglied Bettina hat einen Kulturverein mitgegründet. „Es ist nicht immer leicht, wir sind uns nicht immer einig, aber der Ton bleibt respektvoll und wertschätzend. So entsteht Kraft, dazubleiben.“
Wenn es mehr zivilgesellschaftliche Projekte gibt, verändert das die Stimmung vor Ort. In Ostdeutschland gibt es davon weniger als im Rest des Landes. Viel weniger Ostdeutsche sind Parteimitglieder als Westdeutsche. Es gibt sogar weniger Mitglieder in Sportvereinen. Begrich sagt: „Es ist sehr wichtig, dass sich mehr Menschen in Parteien engagieren und sich etwa am Wahlkampf beteiligen.“ Alleine schon, damit auf dem ostdeutschen Land vor Wahlen nicht nur AfD-Plakate zu sehen seien. Auch in meiner Umfrage erzählen einige, dass sie überlegen, jetzt doch in eine Partei einzutreten.
Wer in einer Stadt wohnt, kann außerdem zivilgesellschaftliche Organisationen auf dem Land unterstützen. Der Rechtsextremismus-Experte Begrich betont: „Es ist wichtig, die Perspektive von Betroffenen ernstzunehmen.“ Deshalb schlägt er vor, solchen Vereinen nicht einfach Geld zu spenden, sondern sie zu kontaktieren und zu fragen, welche Unterstützung sie brauchen. „Für die Gruppen vor Ort ist es hilfreich, zu sehen, dass sich jemand Fernstehendes für sie interessiert.“ Er empfiehlt den Verein Polylux, um sich über Angebote auf dem Land zu informieren. Polylux unterstützt zivilgesellschaftliche Gruppen in Ostdeutschland niedrigschwellig.
4. Sich einmischen
Nicht jede:r ist auf die gleiche Weise durch die AfD bedroht. Menschen mit Behinderungen, mit Migrationshintergrund oder queere Personen fürchten sich besonders. Das haben mir in meiner Umfrage viele Betroffene erzählt.
KR-Mitglied Meike sagt von sich, sie sei neurodivergent. Bis vor Kurzem lebte sie in Thüringen. Sie schreibt: „Höckes Sommerinterview letztes Jahr hat mich wirklich fertiggemacht. Ich war plötzlich selbst betroffen.“ Dort nannte er Inklusion ein „Ideologieprojekt“. Meike schreibt: „Inzwischen bin ich umgezogen, vorwiegend aus anderen Gründen. Aber ich habe richtig gemerkt, wie angespannt ich war. Ich habe mir aktiv sagen müssen: ‚Hier gibt es nicht so viele Nazis, du brauchst nicht mehr so viel Angst zu haben.‘“
Auch Jessica macht sich Sorgen. Sie lebt gemeinsam mit ihrem Freund und Kind in einem Thüringer Dorf und erzählt: „Mein Freund ist aus Kolumbien, mit libanesischen Wurzeln und wurde hier in meiner Heimat schon öfter rassistisch diskriminiert.“ Sie befürchtet, dass auch ihr Kind diese Erfahrungen machen muss.
Die Thüringer Opferberatung Ezra ruft dazu auf, sich einzumischen, wenn man mitbekommt, dass irgendjemand wegen Hautfarbe, Religion oder politischer Einstellung angegangen wird. Das kann Betroffenen zeigen, dass sie nicht alleine sind und ihnen Kraft zum Bleiben geben. Und manchmal kann es schon helfen, auf diese Beratungsstellen aufmerksam zu machen. Der Aktivist Robert Weis erzählt, wie hilfreich für ihn und seine Freund:innen die Unterstützung durch die Opferberatung der Regionalen Arbeitsstellen und Angebote für Bildung, Beratung und Demokratie, kurz: RAA war. „Die haben uns immer Mut gemacht.“ Außerdem habe die Opferberatung sie auch unterstützt, medial auf das Limbacher Naziproblem aufmerksam zu machen. „Wir waren 15-, 16-jährige Kids und hatten dementsprechend gar keine Ahnung, wie man jetzt Öffentlichkeit generiert. Dabei hat der RAA uns sehr geholfen.“
5. Auch mal nicht dran denken
Niemand kann es aushalten, sich den ganzen Tag mit dem Trübsal der Welt zu beschäftigen. Um langfristig durchzuhalten, muss man auch mal abzuschalten und die politische Gegenwart vergessen. Dabei helfen Hobbys. Sei das nun Musik und Kunst, wie für KR-Mitglied Luise oder Meditationen wie für KR-Mitglied Sven. Eine andere Person in der Umfrage erzählt, sie habe mit Selbstverteidigung angefangen.
Und wenn man es gar nicht mehr aushält? Dann ist es kein moralisches Versagen wegzuziehen.
Eines ist einem Dagebliebenen wie Robert aber wichtig: Wer wegzieht, sollte die Leute nicht vergessen, die sich vor Ort weiter gegen die AfD einsetzen. Auch aus der Ferne kann man unterstützen. Etwa, indem man mit seinen neuen Freund:innen die Bündnisse in der alten Heimat unterstützt. Und sei das, indem man zusammen für ein Konzert einer Band von früher anreist.
Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger