Die AfD-Politiker Björn Höcke und Alice Weidel sehen auf dem Bild wütend aus. Daneben ist ein Foto von der Moderatorin Sandra Maischberger.

Arnd Wiegmann, Freier Fotograf, Tristar Media / Getty Images | Pawel Czerwinski/Unsplash

Politik und Macht

So haben Politik und Medien die AfD groß gemacht

Es liegt auch an etablierten Medien und demokratischen Parteien, dass so viele inzwischen die AfD wählen. Doch es gibt einen Weg, aus der Dynamik auszubrechen.

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Reporter für Macht und Demokratie

Alice Weidel konnte sich das Grinsen kaum verkneifen.

Im Dezember 2016 saß sie in der Talk-Show von Sandra Maischberger und behauptete, die Bundesregierung sei dafür verantwortlich, dass ein afghanischer Asylbewerber eine 19-jährige Medizinstudentin aus Freiburg vergewaltigt und ermordet hatte.

„Durch die ungesteuerte Zuwanderung haben wir ein strukturelles Problem mit Migrantenkriminalität“, sagte sie.

Der Abend war ein voller Erfolg für die AfD – und Ausdruck eines größeren Problems: Parteien und Medien in Deutschland gaben der Partei von Anfang an zu viel Raum.

Obwohl die AfD damals noch nicht einmal im Deutschen Bundestag vertreten war, durfte sie zur besten Sendezeit das Thema einer der wichtigsten Politik-Sendungen des Landes bestimmen. Über eine Stunde lang diskutierten die Anwesenden eine These der AfD: wie kriminell Flüchtende wären. Hunderttausende Menschen schauten zu.

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Heute, acht Jahre später, hat sich die Partei längst etabliert. 78 AfD-Politiker:innen sitzen im Bundestag. Bei den Europawahlen 2024 ist sie zweitstärkste Kraft in Deutschland geworden. Und die anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg könnte sie sogar gewinnen.

Gründe, warum Menschen die AfD wählen, gibt es viele. Aber dass es überhaupt so weit kommen konnte, haben andere Parteien und die Medien zu verantworten, sagt die Politikwissenschaftlerin Teresa Völker. Ich habe mit ihr über ihre Forschung gesprochen.

Rechtsextreme Ideen und Themen bekommen immer mehr Aufmerksamkeit

Teresa Völker ist Politikwissenschaftlerin am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Gemeinsam mit ihrem Kollegen Daniel Saldivia Gonzatti hat sie über 520.000 Zeitungsartikel ausgewertet, die zwischen 1994 und 2021 in der Süddeutschen Zeitung, der Taz, der Welt, der Jungen Freiheit, der Stuttgarter Zeitung und der Sächsischen Zeitung erschienen sind.

Die beiden wollten verstehen, wie die extreme Rechte Themen setzt, wer darauf reagiert und unter welchen Umständen sie besonders viel Aufmerksamkeit bekommt. In anderen Worten: Wie Dinge sagbar wurden, die früher als extremistisch galten.

„Die zentrale Erkenntnis unserer Forschung ist, dass die Themen und Ideen der extremen Rechten in Deutschland in den letzten 20 Jahren enorm an Sichtbarkeit und Legitimität gewonnen haben“, sagt Völker. Vor allem kritische Ereignisse und Krisen seien dabei wichtig gewesen: Terroranschläge, Gewalttaten wie die in Freiburg oder die sogenannte Flüchtlingskrise.

Andere Parteien und Medien übernehmen die Themen der AfD – und machen sie so immer größer

Am 19. Dezember 2016, weniger als zwei Wochen nach der TV-Debatte bei Sandra Maischberger, besprach der Bundesvorstand der AfD ein Strategiepapier für das Wahljahr 2017. In dem Papier hieß es, die Partei wolle mit „sorgfältig geplanten Provokationen“ die anderen Parteien nervös machen und die Debatte bestimmen.

Wenige Stunden später steuerte der islamistische Terrorist Anis Amri einen LKW in eine Menschenmenge auf dem Berliner Breitscheidplatz und ermordete zwölf Menschen.

„Es sind Merkels Tote“, behauptete Marcus Pretzell, damaliger Chef der NRW-AfD danach und verwies damit auf die Flüchtlingspolitik der CDU-Kanzlerin. Frauke Petry meldete sich via Facebook zu Wort: „Merkel und Co. tragen eine erhebliche Mitschuld!“, schrieb sie. Die AfD feuerte ihre Botschaft in die deutsche Öffentlichkeit. Die „Masseneinwanderung“ habe ein „Problem“ in Deutschland geschaffen.

Diese Botschaft griffen Medien auf. Politiker:innen kritisierten den Tonfall der Partei und stimmten ihr gleichzeitig zu: Deutschland habe ein Problem mit Geflüchteten. „Wir sind es den Opfern, den Betroffenen und der gesamten Bevölkerung schuldig, dass wir unsere gesamte Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik überdenken und neu justieren“, forderte zum Beispiel CSU-Chef Horst Seehofer.

Teresa Völker sieht diesen Moment als sinnbildlich für eine größere Dynamik, die sie in ihrer Forschung beobachtet hat: In Krisen-Momenten laufen Medien und andere Parteien der Themensetzung der AfD hinterher – und normalisieren so die Positionen der extremen Rechten. Ihre Untersuchung zeigt, dass Medien in Momenten wie nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz AfD-Politiker:innen nach ihrer Einschätzung der Lage befragen und ihre Positionen so in die breite Öffentlichkeit tragen.

Gleichzeitig verhalten sich auch die anderen Parteien zu den Ideen. „Sie übernehmen die Themen der extremen Rechten oder reagieren darauf“, sagt Völker. Ihre Daten zeigen, dass die anderen Parteien den Erzählungen und Deutungen der AfD nacheifern oder ihnen zumindest besonders viel Aufmerksamkeit schenken. „Dahinter steckt oft die Annahme, dass, wenn man AfD-Themen aufgreift, deren Wähler zurückgewinnen könnte“, sagt Völker. Doch diese Strategie gehe nicht auf, im Gegenteil: „Diese Resonanz und Sichtbarkeit hilft der AfD“.

Warum hilft es der AfD, wenn man über ihre Themen spricht?

Wenn die Öffentlichkeit andauernd über ein AfD-Thema spricht, ihre Position zu Flüchtenden immer wieder zu hören ist, oder zur besten Sendezeit im TV debattiert und von anderen Parteien aufgegriffen wird, dann hilft das immer der AfD.

Das liegt an zwei Dynamiken: Agenda-Setting und Issue Ownership.

„Agenda-Setting“ bezeichnet den Versuch, ein Thema in der Öffentlichkeit zu platzieren. Rechtsextreme wissen: Um ihr eigenes Thema zu platzieren, sind Massenmedien nützlich, weil sie eine breite Öffentlichkeit erreichen und weil sich Rechtsextreme dort als harmlos präsentieren können. Im Anzug, scherzend, staatsmännisch und beschwichtigend. Wenn sie dort ihre Forderungen debattieren dürfen, verschafft ihnen das unter Zuschauer:innen Anerkennung.

Nach dem Motto: Wenn sogar in der ARD debattiert wird, ob Ausländer krimineller als Deutsche sind, muss die Frage ja berechtigt sein.

Nun könnte man einwenden: Solange sich Journalist:innen und andere Gäste kritisch mit den Inhalten und Positionen auseinandersetzen, ist das kein Problem. Aber Völker sagt: Selbst das hilft der AfD. Denn Parteien „gehören“ gewisse Themen. In der Politikwissenschaft spricht man von Issue Ownership: Bestimmte politische Themen oder Probleme werden in der Öffentlichkeit mit einer Partei assoziiert, die als besonders kompetent in der Lösung dieser Probleme gilt. Normalerweise, weil sie das Thema besonders früh für sich vereinnahmt hat. Bei den Grünen ist es der Klimaschutz, bei der AfD Migration, Sicherheit und die Gegnerschaft zur Klimaschutzpolitik.

„Wenn jetzt jemand fragt: Wer kann sich am besten um Abschiebungen kümmern, dann denken die meisten Menschen an die AfD“, erklärt Teresa Völker. Weil sie diese Forderung seit Jahren stellt. Wenn andere Parteien über das Thema sprechen, signalisiert das der Bevölkerung: Das scheint eine gerechtfertigte Forderung zu sein und die AfD hat es als erstes gefordert.

Je mehr über Migration oder angebliche Verbotspolitik im Namen des Klimaschutzes gesprochen wird, desto besser ist das also für die AfD. Deshalb ist es so kontraproduktiv, wenn die CDU im Thüringer Wahlkampf Plakate aufhängt, auf denen steht: „Grillen muss erlaubt bleiben“. Menschen, die das sehen, denken sich: Die AfD hat also recht, wenn sie behauptet, die da oben wollen uns sogar das Grillen verbieten. Aus demselben Grund profitierte die Partei davon, als der SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz 2023 auf der Spiegel-Titelseite forderte: „Wir müssen endlich in großem Stil abschieben“.

Die Absicht hinter solchen Schlagzeilen ist oft klar. Demokratische Parteien wollen AfD-Wähler:innen zurückgewinnen. Aber weil der AfD das Thema „gehört“, funktioniert das nicht.

Das zeigt auch eine Studie der Politikwissenschaftler Werner Krause, Denis Cohen und Tarik Abou-Chadi aus dem Jahr 2022. Es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass die Übernahme rechtsextremer Diskurse dazu führe, dass man Wähler zurückgewinnen könne, schreiben die Autoren. Vielmehr gelte: „Unsere Ergebnisse deuten eher darauf hin, dass sie dazu führen, dass mehr Wähler zur radikalen Rechten überlaufen.“

Das grundsätzliche Problem ist also: Je größer die Rechtspopulist:innen werden, desto größer ist die Versuchung für andere Parteien, deren Positionen zu übernehmen. Aber dadurch machen sie die Rechtspopulist:innen nur noch größer. Ihr Erfolg wird so zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Doch es geht auch anders.

Ein Pakt in Wallonien zeigt, wie man aus dieser Dynamik ausbrechen kann

Das Magazin Good Impact berichtete im Januar 2024 über die „mediale Brandmauer“ in der belgischen Region Wallonien. Dort haben die Rundfunkanstalten in den 1990er-Jahren einen Pakt geschlossen: Menschen, die rechtsextremen, demokratiefeindlichen Gruppen nahestehen, bieten sie keine Plattform, indem sie sie zu Live-Interviews oder Talkshows einladen.

Das heißt nicht, dass sie nie mit Rechtsextremen reden. Aber sie kontextualisieren Zitate, ordnen antidemokratische Inhalte als solche ein und übertragen Reden von rechtsextremen Politiker:innen nicht live, sondern fassen sie zusammen.

Das ist laut der Politikwissenschaftlerin Léonie de Jonge einer der Gründe dafür, dass Rechtspopulist:innen es bislang nicht ins Parlament Walloniens geschafft haben. Auch sie sagt: Der Erfolg radikal rechter Parteien hängt davon ab, wie offen Medien und Parteien mit ihnen umgehen.

Auch Teresa Völker sagt, wenn Parteien der Strategie der Rechtspopulist:innen entkommen wollen, müssen sie eigene Schwerpunkte setzen. Also nicht der AfD hinterherlaufen, sondern sich überlegen: Worüber wollen wir sprechen? Was sind unsere Themen? Auch Medien nimmt sie in die Verantwortung. Sie müssten sich viel häufiger überlegen, welche Perspektiven und Themen sie hervorheben – und welche sie bewusst liegen lassen.

„Vor den Landtagswahlen im September sprechen alle darüber, wie stark die AfD wird, was sie alles kaputt machen kann und wer ihre Anhänger sind“, sagt Völker. Wichtig sei aber auch, sich anzuschauen, wer gegen die AfD mobilisiert und die Stimme für die Demokratie erhebt.


Redaktion: Lea Schönborn, Schlussredaktion: Rebecca Kelber, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

So haben Politik und Medien die AfD groß gemacht

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