Was ist passiert?
- Ende Juli fanden in Venezuela Präsidentschaftswahlen statt
- Offiziell gewann Amtsinhaber Nicolás Maduro, doch vieles deutet auf Wahlfälschung hin
- Seitdem protestieren in mehreren Städten Zehntausende gegen Maduro
Seit mehr als einer Woche gehen in ganz Venezuela Zehntausende auf die Straße. Auslöser sind die mutmaßlich gefälschten Präsidentschaftswahlen vom 28. Juli. Dabei kam es zu großen Unregelmäßigkeiten, beispielsweise wurden Wahlhelfer:innen der Opposition verhaftet. Maduro erklärte sich zum Sieger und behauptete, mehr als 52 Prozent der Stimmen bekommen zu haben. Die Opposition hat laut Associated Press mittlerweile über 80 Prozent der Stimmzettel gesammelt. Und die zeigen einen überwältigenden Sieg des Oppositionskandidaten Edmundo Gonzalez: Er erzielte 6,2 Millionen Stimmen gegenüber Maduros 2,7 Millionen.
Wenige Tage nach der Wahl stürmten Demonstrierende den Flughafen der Hauptstadt Caracas und forderten die Regierung auf, die wahren Wahlergebnisse zu veröffentlichen. Die venezolanische Regierung schlug die Proteste teils gewaltsam nieder. Dabei ging sie mit Waffengewalt, Verhaftungen und Einschüchterungen gegen die Demonstrant:innen vor. 24 Menschen wurden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen bei den Protesten getötet.
Verschiedene Länder wie Argentinien und die USA erkennen die Wiederwahl Maduros nicht an und bezeichnen den Oppositionspolitiker Gonzalez als Wahlsieger. Andere Länder wie Brasilien, Mexiko und einige EU-Staaten fordern mehr Transparenz und eine Veröffentlichung der Wahlergebnisse, aber erklären die Opposition noch nicht zum Sieger.
Länder wie Russland und China unterstützen Maduro. Der gab in einer Ansprache bekannt, dass er eine neue Revolution ausrufen würde, wenn der „Nordamerikanische Imperialismus“ ihn dazu zwinge. Zumindest von russischer Seite scheint es auch direkte Unterstützung zu geben: T-Online zufolge sind auf Videos der Proteste Wagner-Sölder zu sehen, Kämpfer der russischen paramilitärischen Gruppe.
Seit der Machtübernahme durch Hugo Chávez im Jahr 1999 regiert die Partido Socialista Unido de Venezuela (PSUV), zu Deutsch „Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas“, das lateinamerikanische Land. Nach Chávez Tod im Jahr 2013 übernahm der jetzige Machthaber Nicolás Maduro. Seit 2014 durchlief Venezuela mehrere schwere Krisen und erlebte eine Hyperinflation. Seit Maduro die Regierung übernommen hat, verließen mehr als sieben Millionen Menschen das Land; wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage und wegen politischer Verfolgung.
Das sagen die Linken:
- Die meisten linken Medien und Politiker:innen zweifeln die offiziellen Wahlergebnisse an
- Ein paar Linke stellen sich jedoch auf Maduros Seite
Die Taz bezeichnet das Vorgehen Maduros als barbarisch:
„Gerne zitierte Hugo Chávez ‚Sozialismus oder Barbarei‘, das Motto Rosa Luxemburgs. Doch anders als vom charismatischen, 2013 verstorbenenen Volkstribun beabsichtigt, entwickelte sich in Venezuela nicht der ‚Sozialismus des 21. Jahrhunderts‘, der die Lehren aus dem Scheitern der Sowjetunion und ihrer Bruderregime zog, sondern eine weitere Diktatur, die sich nur noch mit plumpem Wahlbetrug an der Macht zu halten weiß. Und das Vorgehen von regierungsnahen Paramilitärs und Spezialeinheiten der Polizei, die jetzt wieder gegen Andersdenkende vorgehen, ist in der Tat barbarisch: Allein in den Tagen nach der Wahl vom 28. Juli töteten sie 20 Menschen, mindestens 11 sind spurlos verschwunden, über 2.000 wurden willkürlich festgenommen.“
Die Junge Welt sieht die Verantwortung nicht bei Maduro:
„USA und Rechte schüren Konflikt“, steht in der Ausgabe von Anfang August. Es fehlen jegliche Hinweise auf die Gewalt durch die Staatsmacht: „Bei Ausschreitungen waren in den vergangenen Tagen mehrere Menschen getötet und zahlreiche verletzt worden. Laut Generalstaatsanwaltschaft wurden mehr als 1.000 Tatbeteiligte festgenommen.“
Die spanische Vizepräsidentin forderte zunächst das Ergebnis anzuerkennen:
Auf einer Pressekonferenz sagte die Politikerin der linken Partei „Movimiento Sumar“: „Erstens müssen die Wahlergebnisse anerkannt werden, wie es Demokraten überall auf der Welt tun, und zweitens, ganz einfach: Im Zweifelsfall Transparenz, Transparenz und Transparenz“
Trotzdem reiht sich Spanien nun zusammen mit Deutschland in eine Reihe von EU-Ländern ein, die mehr Transparenz und die Veröffentlichung der Wahlergebnisse fordern.
Der chilenische Präsident Gabriel Boric Font von der Partei „Frente Amplio“ kritisierte Maduro auf X scharf:
„Das Maduro-Regime muss verstehen, dass die Ergebnisse, die es veröffentlicht, kaum zu glauben sind. Die internationale Gemeinschaft und vor allem das venezolanische Volk, einschließlich der Millionen von Venezolanern im Exil, verlangen völlige Transparenz der Ergebnisse und des Prozesses und dass internationale Beobachter, die nicht der Regierung verpflichtet sind, über die Richtigkeit der Ergebnisse Rechenschaft ablegen. Chile wird kein Ergebnis anerkennen, das nicht überprüfbar ist.“
Damit ist er das einzige linke Staatsoberhaupt aus Lateinamerika, das die Wahlergebnisse klar anzweifelt.
Das sagen die Konservativen und Rechten:
- Auf der konservativen und rechten Seite des politischen Spektrums unterstützt niemand Maduro
- Deutsche rechte Medien versuchen Parallelen zu den hiesigen linken Bewegungen und Parteien zu ziehen
Die FAZ spricht von einem „offensichtlich erfundenen Wahlresultat“ und nennt dafür Belege:
„Seit der Wahl Ende Juli hält der regierungstreue Wahlrat an einem offensichtlich erfundenen Wahlresultat fest, ohne den Beweis für dessen Richtigkeit zu erbringen. Die Opposition ist der Wahlbehörde zuvorgekommen. Auf den Betrug vorbereitet, hat sie über 90 Prozent aller Wahlprotokolle der einzelnen Wahllokale zusammengetragen und digitalisiert. Sie zeigen den Oppositionskandidaten Edmundo González als klaren Sieger.“
Die Welt wirft der Bundesregierung die indirekte Unterstützung Maduros vor:
„Hinter der Brandmauer gegen Rechts kann sich der Linksextremismus ungehindert ausbreiten“, lautet die Überschrift des Kommentars von Lateinamerika-Korrespondent Tobias Käufer. Direkt am Anfang heißt es: „Trotz des offensichtlichen Wahlbetrugs in Venezuela erhält der Diktator Nicolás Maduro weiter Rückendeckung führender Linkspolitiker. Viele werden auch von der deutschen Bundesregierung unterstützt.“
Das rechte Onlinemedium Tichys Einblick sieht einen Zusammenhang mit Migration nach Deutschland:
In dem Artikel mit der Überschrift „Baerbock kuscht vor dem sozialistischen Diktator“, heißt es: „Auch in der EU hat sich die Zahl der ‚Schutzanträge‘ erhöht. Das zeigt, dass auch für Deutschland und die EU einiges auf dem Spiel steht, wenn am anderen Ufer des Atlantiks die falschen Entscheidungen getroffen werden.“
Der libertäre Präsident Argentiniens Javier Milei postete auf X eine Tirade gegen Maduro:
„Diktator Maduro raus!!! Die Venezolaner entschieden sich für ein Ende der kommunistischen Diktatur von Nicolás Maduro. Die Daten kündigen einen vernichtenden Sieg der Opposition an und die Welt wartet darauf, dass sie nach Jahren des Sozialismus, des Elends, der Dekadenz und des Todes ihre Niederlage anerkennt. Argentinien wird keinen weiteren Betrug anerkennen und hofft, dass die Streitkräfte dieses Mal die Demokratie und den Willen des Volkes verteidigen werden. Die Freiheit schreitet voran in Lateinamerika!“
Das sagen venezolanische Journalist:innen:
- Die Situation der Pressefreiheit ist sehr schlecht, unabhängige Medien werden bedroht und müssen teilweise schließen
- Die Situation wird schwieriger für die Opposition und Demonstrierenden
Journalist:innen können in Venezuela nur eingeschränkt berichten
In Venezuela gibt es kaum Pressefreiheit. Auf der Rangliste von „Reporter ohne Grenzen“ befindet sich das Land auf Platz 156 von 180. Die Geschäftsführerin von „Reporter ohne Grenzen“ sprach schon vor der Wahl von einem „Klima der Zensur“. Die Zeitung „Última Hora“ kündigte wenige Tage nach der Wahl an, ihre Berichterstattung einzustellen, „um die Gesundheit unserer Journalist:innen und anderer Mitarbeiter:innen zu schützen“. Zuvor drohte der Gouverneur der Provinz Portuguesa der Zeitung.
In der spanischen Zeitung El País schreibt die venezolanische Journalistin Florantonia Singer über die Verfolgung von Demonstrant:innen und Oppositionellen:
„Die Regierung hat eine offene, im Fernsehen übertragene Verfolgung beispielloser Gewalt […] eingeleitet.“ Und: „Die Leute haben aufgehört zu reden.“ Darüber hinaus schreibt sie, dass der Opposition nicht viele Möglichkeiten blieben, um sich zu verteidigen und die Handlungsmöglichkeiten auf der Seite der internationalen Community lägen.
Was ich denke:
Einige Linke und Rechte behandeln die Situation in Venezuela nicht wie etwas, das tatsächlich Menschen betrifft. Sie nutzen sie lediglich als Projektionsfläche für die eigene Utopie oder als Bestätigung bereits vorgefasster Schlüsse. Medien wie die Junge Welt betreiben olympiareife mentale Gymnastik, um Maduros Verhalten zu rechtfertigen. Exilvenezolaner und Demonstrierende diffamieren sie pauschal als „Rechts“. Medien wie „Die Welt“ und jene rechts von ihr, suchen dagegen lieber nach Möglichkeiten, das Ganze auf die Grünen umzumünzen, als sich ernsthaft mit Lateinamerika und den dortigen politischen Dynamiken auseinanderzusetzen.
Zum Glück nutzen nicht alle die Proteste in Venezuela für ihre eigene Agenda. Auch traditionell linken Medien wie der Taz ist offensichtlich klar, dass das Regime in Venezuela keinen „demokratischen Sozialismus“ betreibt. Obwohl Maduros Vorgänger Hugo Chavez von ihnen noch als „Volkstribun“ verklärt wird.
Auffällig ist, wie wenig in Deutschland allgemein über das Schicksal verhafteter Demonstrierender berichtet wird. Was ihnen blüht, zeigt dieses Video, in dem Maduro im Fernsehen Gefangene vorführt, die umgeben von Wächtern stramm stehen und anschließend mit erhobener Faust „Chávez Vive“ – „Chávez lebt“ – rufen müssen.
Dass es in Venezuela zu Wahlbetrug gekommen ist, steht meiner Ansicht nach außer Frage. Wer das leugnet, ist ideologisch verblendet. Es ist allerdings unklar, wie sich die Situation im Land entwickelt. Schon 2019 kam es in Venezuela zu Protesten nach einer offensichtlich gefälschten Wahl, damals konnte das Regime unter Maduro die Proteste niederschlagen. Ob ihm das ein zweites Mal gelingt, ist unsicher. Die Militärführung hat sich zwar fest auf seine Seite gestellt, doch ob das auch für deren Soldaten gilt, ist zumindest fraglich.
Sollte Maduro an der Macht bleiben, werden die Leidtragenden mit Sicherheit erneut die ärmsten Teile der Bevölkerung sein.
Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Rebecca Kelber, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert