Wer die Welt beherrschen will, muss mikroskopisch kleine Strukturen erzeugen können. Strukturen, die Tausende Male dünner sind als ein menschliches Haar und Schichten, die nur wenige Atome dick sind. Je kleiner, desto mächtiger. Diese Regel gilt in der Welt der Mikrochips, auch Halbleiter genannt.
Die moderne Welt wird von Milliarden kleiner Computer gesteuert und diese kleinen Computer wiederum brauchen Mikrochips, um zu funktionieren. Das gilt für Waschmaschinen, Autos, Smartphones oder Kampfjets.
Die Firma, deren Halbleiter die Zukunft bestimmen könnten, heißt ASML und sitzt in den Niederlanden. Jahrzehntelange Forschung und Milliarden an Geldern sind in ASML geflossen, damit die Firma näher an die physikalischen Grenzen gehen kann als jedes andere Unternehmen. ASML baut Maschinen, mit denen die besten und mächtigsten Mikrochips der Welt hergestellt werden. Diese Mikrochips beeinflussen, welches Land die stärkere Wirtschaft hat und auch welches Land das bessere Militär.
Bevor ich mit der Recherche für diesen Text begonnen habe, wusste ich zwar, dass Chips wichtig sind. Aber mir war nicht klar, wie phänomenal und einzigartig die Technologie ist, die dahinter steckt und an der ASML auch in Berlin arbeitet und forscht.
Ich wusste auch nicht, wie existenziell dieser Wettkampf für China ist. Denn China und die USA ringen gerade um die Vormachtstellung in der Welt. Eine der wichtigsten Waffen in diesem Kampf sind Mikrochips.
Kapitel 1: Am Anfang waren 1 und 0
Der Anfang jedes Mikrochips besteht aus einem Häufchen Sand. Daraus wird Silizium gewonnen, ein chemisches Element. Auf Englisch heißt es „Silicon“ und hat dem berühmten „Silicon Valley“ in den USA seinen Namen eingebracht. Mikrochips bestehen aus Silizium-Plättchen, auf denen sich Transistoren befinden, kleine Schalter, die elektrische Signale übertragen. An und aus, 1 oder 0, daraus besteht die Computersprache, die mithilfe dieser Transistoren übermittelt wird. Wer mehr 1en und 0en produzieren kann, hat den besseren Computer.
Auf dem ersten Halbleiterchip befanden sich noch vier Transistoren. Heute können es Hunderte Milliarden sein. Je mehr Transistoren auf einen Chip passen, desto leistungsfähiger ist der. Die ersten Computer füllten einen ganzen Raum. Heute sind Smartphones so klein, dass man sie in ebendiesem Raum verlieren und stundenlang suchen kann. Jedes Smartphone hat die millionenfache Rechenleistung des Computers, der 1969 die Nasa auf den Mond brachte.
Die Grundlage für diese Entwicklung ist das „Mooresche Gesetz“. Gordon Moore war ein Ingenieur und Mitgründer des Chipherstellers Intel. „Wir sind heute die wirklichen Revolutionäre in der Welt“, sagte Moore in den 1970ern, „nicht die Kinder mit den langen Haaren und Bärten, die vor ein paar Jahren die Schulen verwüstet haben.“ Er spielte damit auf die Hippie-Bewegung an. In seiner selbstbewussten Behauptung steckt zumindest ein Körnchen Wahrheit. Moore prognostizierte in den 1960ern in einem berühmten Aufsatz, dass sich die Anzahl der Transistoren auf einer bestimmten Fläche alle zwei Jahre verdoppelt. Er sagte also voraus, dass Mikrochips immer kleiner, leistungsfähiger und günstiger werden – und das mit exponentieller Geschwindigkeit.
Das Mooresche Gesetz ist quasi das Grundgesetz der Chipwelt. Es bedeutet, dass die neuesten Mikrochips substantiell besser sind als Chips, die in der Entwicklung nur wenige Jahre zurückliegen. Das Mooresche Gesetz traf über Jahrzehnte zu, als die Chiphersteller immer mehr Transistoren auf immer kleinere Plättchen quetschten, um immer mehr 0en und 1en zu produzieren. Inzwischen stoßen die Hersteller langsam an eine physikalische Grenze, kleiner geht es kaum noch. ASML befindet sich näher an dieser Grenze als jede andere Firma.
Kapitel 2: Heißer als die Sonnenoberfläche – die Super-Maschine von ASML
ASML produziert riesige Maschinen: Eine der neuesten in Serie gefertigten Maschinen ist so groß wie eine kleine Wohnung und wiegt 180 Tonnen. Um sie zu transportieren, braucht es drei Jumbojets, 40 Container und 20 Lastwagen. So gigantisch diese Maschine ist, so klein sind die Strukturen, die sie erschafft.
Eine mehrspurige Straße in Berlin Britz/Neukölln, in der Nähe von Autowerkstätten und Lagerhallen befindet sich die einzige europäische Produktionsstätte von ASML außerhalb der Niederlande. Der Eingang ist unauffällig, von außen ist nicht erkennbar, an welcher einzigartigen Technologie drinnen gearbeitet wird. In einem extra Raum schaue ich mir mit einer 3D-Brille vor einem großen Bildschirm an, wie die Super-Maschine funktioniert.
Die Maschine schießt mit Lasern auf Zinntröpfchen, um Plasma zu erzeugen. Das Plasma ist etwa eine halbe Million Grad heiß, 80-mal heißer als die Oberfläche der Sonne. Dieser Prozess wird etwa 50.000-mal pro Sekunde wiederholt. Nur so entsteht EUV-Licht, die Abkürzung steht für „extrem ultraviolett“. Licht, das natürlicherweise nur im Weltall vorkommt. ASML ist die einzige Firma der Welt, deren Maschinen EUV-Licht erzeugen können.
Dieses EUV-Licht wird dann über ein kompliziertes Spiegelsystem so umgeleitet, dass es in einer ganz bestimmten Intensität auf der Oberfläche des Chips auftrifft, der in der Maschine liegt. Die Spiegel, die übrigens Zeiss aus Baden-Württemberg herstellt, müssen unvorstellbar genau arbeiten. Zeiss behauptete einmal, die Spiegel seien so präzise, dass sie mit den Lasern einen Golfball treffen könnten, der sich auf dem Mond befindet.
Diese Maschine ist die teuerste in Serie gefertigte Maschine der Geschichte. Sie kostet rund 160 Millionen Euro.
Von außen ein großer weißer Kasten, aber von innen wird deutlich, wie komplex diese Maschine ist. Die lila Einfärbung zeigt den Weg des umgeleiteten EUV-Lichts an. © ASML
ASML in Berlin stellt mehrere Bauteile her und liefert sie zum Hauptsitz in den Niederlanden, wo die Maschine zusammengesetzt und an die Chip-Hersteller geliefert wird. Die Ingenieur:innen und Handwerker:innen in Berlin schleifen, polieren und reinigen in Handarbeit wichtige Bauteile, zum Beispiel Halterungen. Sie müssen auf den Nanometer genau arbeiten. Ein Nanometer ist ein Millionstel Millimeter, oder auch: etwa zehn Atome nebeneinander.
Die Chips, die diese Maschinen herstellen, werden zum Beispiel für autonomes Fahren oder die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz benötigt. Mithilfe dieser Chips wird modernste Technologie vorangetrieben. Und deshalb wollen Großmächte die Kontrolle darüber haben.
Kapitel 3: China und die USA kämpfen um Macht
China ringt seit Jahren mit den USA um Macht und Einfluss. Wie existenziell dieser Machtkampf für China ist, zeigt die Geschichte eines milliardenschweren Betrugs.
In der chinesischen Stadt Wuhan gründeten 2017 zwei Männer und eine Frau HSMC, eine Firma, die Chips produzieren sollte, obwohl sich keiner der drei gut mit Mikrochips auskannte. Die Frau aus dem Trio hatte vorher unter anderem Reisschnaps verkauft.
Doch das Trio wusste, wie man chinesische Beamt:innen überzeugt. Sie behaupteten unter anderem, mit hohen Beamt:innen der Kommunistischen Partei verwandt zu sein. Tatsächlich zahlte ihnen die lokale Regierung Subventionen im Wert von mehreren Milliarden US-Dollar. Und es gelang dem Trio, eine Chipmaschine von ASML zu erwerben. Das war eine beeindruckende Leistung, da die USA zu diesem Zeitpunkt bereits Druck auf ASML ausübten, nichts an China zu verkaufen. So konnten sie sich den Anschein von Seriosität geben. Die Pseudo-Firma war aber nie für den wirklichen Markt ausgelegt. 2021, noch bevor sie den ersten Chip herstellen konnten, ging HSMC pleite.
Der Fall HSMC zeigt, wie dringend China eine eigene Halbleiterindustrie aufbauen will und wie viel die Regierung bereit ist zu investieren.
China hat nämlich ein großes Problem: Das Land ist abhängig von ausländischen Chipfirmen. China gibt jedes Jahr mehr Geld für den Import von Chips aus als für Öl. Viele Chips werden in den USA designt, die meisten in einem Land hergestellt, das mit den USA verbündet ist, etwa Südkorea, den Philippinen oder Taiwan.
China will unabhängig von den USA werden und eine eigene Halbleiterindustrie aufbauen. Die USA wollen das verhindern.
Der Machtkampf zwischen China und den USA wird unter anderem von Computerpower bestimmt. Wer mehr 0en und 1en produzieren kann, wer also die besseren Mikrochips hat, wird diesen Machtkampf eher gewinnen. Das hat zwei Gründe: Das Land mit mehr Computerpower hat eine höhere wirtschaftliche Produktivität und einen militärischen Vorteil.
Welchen Einfluss Halbleiter auf die Wirtschaft haben, zeigte sich mit Beginn der Corona-Pandemie 2020. Damals mangelte es weltweit an Chips, laut dem Beratungsunternehmen Goldman Sachs litten 169 Branchen darunter. Vor allem Autohersteller mussten ihre Produktion zurückfahren. Das US-Handelsministerium schätzt, dass sich wegen des Chipmangels das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA im Jahr 2021 um 240 Milliarden Dollar verringert hat.
Umgekehrt versprechen bessere Chips und mit ihnen Künstliche Intelligenz einen wirtschaftlichen Aufschwung. Analyst:innen der Unternehmensberatungen Accenture und Frontier Economics prognostizierten 2020, dass sich die Arbeitsproduktivität in einigen Ländern durch den Einfluss von KI bis 2035 um bis zu 40 Prozent steigern kann. Deutschland beispielsweise könnte durch KI 30 Prozent produktiver werden.
KI wird auch in militärischen Auseinandersetzungen immer wichtiger. „Die USA glauben, dass der nächste Krieg mithilfe von maschinellem Lernen geplant und simuliert wird“, sagt Jan-Peter Kleinhans, Halbleiter-Experte bei der Denkfabrik Interface. „Wer mehr Rechenkraft hat, bekommt automatisch einen strategischen Vorteil im nächsten Krieg.“
Momentan liegen die USA vorne. Und diesen Vorsprung versuchen sie sich zu sichern, indem sie Sanktionen und Handelsbeschränkungen beschließen, die auch ASML betreffen. Vergangenes Jahr verschärfte die US-Regierung unter Joe Biden die Handelsbeschränkungen. Die New York Times bezeichnete diese „Silizium-Blockade“ als „Kriegserklärung“.
Kapitel 4: ASML steht zwischen den Fronten
China versucht viel, um im Wettrennen um die leistungsstärksten Halbleiter mithalten zu können. Im Mai 2019 wollten amerikanische Sicherheitskräfte den Ingenieur Zongchang Yu verhaften – ohne Erfolg. Er befand sich zu dem Zeitpunkt längst in China, wo er heute als CEO der Firma „XTAL“ arbeitet. Yu sollte verhaftet werden, weil er ASML Geschäftsgeheimnisse gestohlen hatte, möglicherweise im Auftrag der chinesischen Regierung. Zwei Millionen Zeilen Quellcode für kritische ASML-Software stahl einer von Yus Komplizen.
Dieser Diebstahl zeigt, wie wichtig ASML ist und wie begehrt die Maschinen, die ASML herstellt. ASML gehört zu den wertvollsten Unternehmen der Welt, es ist mehr wert als Siemens, Pfizer oder Nestlé. Die Ratingagentur Fitch Ratings schätzt den Marktanteil von ASML auf 90 Prozent bei Lithografiegeräten. Lithografie ist ein spezielles Druckverfahren, das auch bei der Produktion von Chips zum Einsatz kommt. ASML ist in diesem Bereich quasi ein Monopolist.
Die neueste Maschine, die mit EUV-Licht aus dem Weltall arbeitet, durfte ASML sowieso noch nie nach China liefern, die US-Handelsbeschränkungen verhindern das. Inzwischen greifen die Exportverbote auch bei Maschinen, die mit einer älteren, aber immer noch fortschrittlichen Technologie funktionieren.
Die USA können Druck auf ASML ausüben, weil wichtige Forschungs- und Produktionsstätten der Firma in den USA sitzen. Darf ASML in bestimmte Länder nicht mehr liefern, könnte das für die Firma weniger Einnahmen bedeuten. ASML reagiert betont gelassen auf US-Handelsbeschränkungen. Im Prinzip sagt das Unternehmen in den Statements dazu immer zwei Dinge: Man halte sich an alle geltenden Vorschriften und Gesetze. Und die Beschränkungen hätten keinen Einfluss auf die finanziellen Aussichten des Unternehmens. Eine Pressesprecherin von ASML Berlin kündigte schon vor unserem Gespräch an, sich nicht über Geopolitik zu äußern.
„Für China ist es existenzbedrohend, dass die USA Chinas Fähigkeiten im Bereich Künstliche Intelligenz abschneiden wollen“, sagt Kleinhans von der Denkfabrik Interface. ASML befindet sich mitten in diesem Konflikt, den manche sogar einen Krieg nennen: den „Chipkrieg“.
Doch so viel China auch investiert, so viele Zeilen Computercode chinesische Spion:innen auch stehlen, das Mooresche Gesetz arbeitet gegen das Land. Denn nur wenige Jahre Rückstand in der Forschung bedeuten einen gewaltigen Unterschied in der Leistungsfähigkeit der Chips.
Zwar ist China in manchen Bereichen der Chipindustrie gut aufgestellt, insgesamt hängt das Land jedoch weit zurück. „Zwischen China und den USA gibt es an keinem einzigen Punkt der Halbleiter-Wertschöpfungskette ein Kopf-an-Kopf-Rennen“, sagt Kleinhans. Gerade bei den modernsten Chips, also bei denen, die man mit der neuesten Maschine von ASML produzieren kann, kann China nicht mithalten.
ASML symbolisiert also, wie China den „Chipkrieg“ gerade verliert. In jedem Fall verdeutlicht ASML, worum die Supermächte dieser Welt kämpfen: wirtschaftliche Power und militärische Macht. Geopolitik findet sich längst nicht mehr nur in Kriegen, Verträgen oder Drohgebärden. Geopolitik wird über Mikrochips ausgetragen. Wer Einfluss auf das Weltgeschehen haben will, muss Strukturen kontrollieren, die so klein sind wie wenige Atome.
Redaktion: Rebecca Kelber, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger