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Es gibt keinen Rechtsruck. Das zeigen nicht nur die Ergebnisse der Frankreich-Wahlen, sondern ein Blick auf Wahlergebnisse weltweit.
Provokante These, ich weiß. Aber mir ist es wichtig, das einmal festzuhalten: Es macht passiv und hilflos, immerzu von einem Rechtsruck zu sprechen. Als sei das eine Naturgewalt, die sich nicht aufhalten lässt. Dabei zeigen die Wahlergebnisse der letzten Monate etwas anderes.
- Frankreich: Am Sonntag gewann das Linksbündnis die Parlamentswahlen, der rechtsextreme Rassemblement National von Marine Le Pen landete auf dem dritten Platz.
- Großbritannien: Vergangene Woche verloren die konservativen Tories krachend, die sozialdemokratische Labour-Partei gewann.
- Europa: Auch wenn es viele Schlagzeilen mit „Rechtsruck“ gab, das Bild bei den Europawahlen war diverser. In Schweden, Finnland und Dänemark gewannen linke und grüne Parteien. Im Europaparlament ist nach wie vor die konservative EVP stärkste Kraft.
- Indien: Wer global schaut, sieht noch mehr. In Indien verlor Anfang Juni der hindu-nationalistische Premierminister Narendra Modi die absolute Mehrheit (auch wenn er weiterhin an der Macht ist).
- Mexiko: Ebenfalls Anfang Juni gewann Claudia Sheinbaum die Präsidentschaftswahlen, sie ist von der regierenden linken Morena-Partei.
Diese Beispiele zeigen: Rechte Parteien werden nicht automatisch weltweit stärker. Im Gegenteil, sogar dezidiert linke Parteien und Kandidat:innen können Wahlen gewinnen.
Wer „Rechtsruck“ sagt, übersieht mehrere Dinge
Ich will damit natürlich nicht Rechtspopulismus und -extremismus verharmlosen. Das ist in vielen Ländern ein Problem, auch in Deutschland. Doch es ist irreführend, immerzu von einem „Rechtsruck“ zu sprechen. Es erweckt nämlich den Eindruck, es gebe einen politischen Normalzustand, der irgendwo in der goldenen Mitte liegt. Und dann kommt aus dem Nichts ein „Ruck“ nach Rechts, wie eine Naturgewalt, eine plötzliche Radikalisierung der Gesellschaft. Das stimmt so einfach nicht.
Schon lange vor der AfD gab es Rechtsextremismus in Deutschland. Es ist natürlich eine krasse Entwicklung, wenn Rechtsextremisten in Parlamenten sitzen oder im Bundestag arbeiten. Die AfD beschäftigt im Bundestag mehr als 100 Rechtsextreme. Doch Menschen mit rechtsextremen Gedankengut gibt es schon immer, sie materialisieren sich nicht aus dem Nichts. Auch deshalb mag ich den Ausdruck „Rechtsruck“ nicht. Er verschleiert, wie stark rechtsextreme Denkweisen in den Köpfen verwurzelt sind, unabhängig davon, welche Parteien diese Menschen wählen.
Der Begriff verschleiert auch, dass es immer noch sehr viele andere Menschen gibt, die aktiv sind und wählen gehen, in Deutschland und in anderen Ländern. Wer immer nur von einem Rechtsruck spricht, übersieht, dass es auch Entwicklungen in die andere Richtung gibt. Und dass die Bevölkerung rechte Parteien wieder abwählen kann.
Die Frankreich-Wahlen haben gezeigt: Es braucht eben das Gegenteil von Passivität, um gegen rechtspopulistische und -extreme Parteien vorzugehen.
Redaktion: Rico Grimm, Schlussredaktion: Lars Lindauer, Bildredaktion: Isolde Ruhdorfer