Eine Katze kotzt.

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Politik und Macht

Ihhh! So beeinflusst Ekel Politik

Wer konservativ ist, ekelt sich mehr. Rechte Gruppierungen nutzen diesen Ekel gezielt aus. Wer das versteht, ist weniger anfällig für Manipulation – und kann dem Ekel sogar etwas abgewinnen.

Profilbild von Lisa Bullerdiek
Reporterin

Wer Politik analysiert, muss dafür oft zur Küchenpsychologin werden. Angst oder Wut, vor allem diese beiden Gefühle dominieren in den Erklärungen, warum Rechtspopulisten auf der ganzen Welt mächtiger werden. Dabei gibt es ein anderes Gefühl, das konservative Einstellungen erklären kann und das Rechte gezielt instrumentalisieren: Ekel.

Ekel ist ein starkes Gefühl. Wenn wir unsere Nase rümpfen oder würgen müssen, während wir Essensreste aus dem Abfluss fischen, soll uns das vor Krankheiten schützen. Aber wovor wir uns ekeln, ist nicht selbstverständlich. Ekel ist kulturell und sozial geprägt und andere Menschen können ihn schüren. Außerdem ekeln sich Menschen mit konservativen Einstellungen eher als solche, die progressiver eingestellt sind. Das haben psychologische Untersuchungen gezeigt. Wer das versteht, ist weniger anfällig für Manipulation. Und kann dem Ekel sogar etwas Positives abgewinnen.

Rechte Gruppen wollen Ekel schüren und benutzen

Rechtsextreme und Anhänger:innen von Verschwörungsideologien verlassen sich auf Ekel, um andere politisch zu manipulieren. Homofeindlichkeit gedeiht unter anderem mithilfe von Ekel. Das zeigt zum Beispiel „Libs of TikTok“, ein rechtsextremer Twitter-Account mit über drei Millionen Follower:innen, der Chaya Raichik gehört, einer ehemaligen Maklerin. Dort veröffentlicht sie vor allem Videos von Events der queeren Szene. Die geposteten Videos zeigen Pride-Paraden, bei denen Menschen in BDSM-Leder-Outfits herumlaufen oder Kerzen in Penis-Form verkaufen. „Krank“ und „ekelhaft“, steht in den Kommentaren. Viele kommentieren auch mit Kotz-Emojis.

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Auch im religiösen Fundamentalismus wachsen Homofeindlichkeit und Ekel gemeinsam. Der Influencer Leonard Jäger postet unter dem Namen „Ketzer der Neuzeit“ auf Instagram fundamental-christlichen Content. Er hat dort 166.000 Follower:innen. Auch er postet gerne Videos von Pride-Veranstaltungen. In einem Video hält er seine Kamera zum Beispiel auf den nur von einem Regenbogen-Jutebeutel bedeckten Hintern eines Mannes. Auch seine Kommentare sind voll von Kotz-Emojis und zusätzlich religiöser Abstrafung: „Gott, steh uns bei“, „schlimm, wie krank die Leute sind“, „abartig“.

Abtreibungsgegner:innen benutzen ebenfalls häufig eklige Bilder. Klaus Günter Annen ist einer von ihnen. Vor ein paar Jahren machte er sich einen Namen damit, dass er Ärzt:innen anzeigte, die auf ihren Webseiten angaben, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Auf seiner Webseite findet man wiederum nach einem Klick angebliche Bilder gevierteilter „Babys“. Die Bilder sind ziemlich ekelhaft, wenn du sie trotzdem sehen willst, klicke auf das Plus am Ende des Absatzes.

Konservative Menschen sind schneller angewidert

Das sind extreme Beispiele. Aber es ist hilfreich zu benennen, dass solche Menschen in uns Ekel auslösen wollen. Besonders, weil sich Menschen mit konservativen Einstellungen eher ekeln. Deshalb können sie durch widerliche Bilder und drastische Beschreibungen eher radikalisiert werden.

In einer Studie der Virginia Tech University aus dem Jahr 2014 wurden 83 Proband:innen verschiedene Bilder gezeigt. Dabei lagen sie in einem funktionellen MRT, sodass die Neurolog:innen die Ströme in ihrem Gehirn überwachen konnten. In einem funktionellen MRT leuchten aktivierte Gehirnareale auf. Außerdem füllten die Versuchspersonen einen Fragebogen bezüglich ihrer politischen Einstellung aus. Die Wissenschaftler:innen zeigten brutale Bilder, zum Beispiel einen Mann, der eine Waffe in die Kamera hält, angenehme Bilder von lachenden Babys oder Kaninchen – und eklige Bilder von Maden, Leichen oder Essensresten im Abfluss. Als er die Ergebnisse sah, habe er seinen Augen nicht trauen können, erklärte Forschungsleiter Read Montague später gegenüber der Zeitschrift „The Atlantic“.

Wer laut dem Fragebogen eine konservative Einstellung hatte, war viel anfälliger für Ekelreize als liberale Proband:innen. Die Gehirnteile, die für Ekel verantwortlich sind, flimmerten auf. Dieser Zusammenhang war so stark, dass Montague nur aufgrund der MRT-Bilder in 95 Prozent der Fälle vorhersagen konnte, ob dort nun eine Person lag, die eher die konservative oder die demokratische Partei der USA wählen würde. Bei den brutalen und angenehmen Bildern gab es keinen Unterschied.

Für die Psychologie klingt das zu gut, um wahr zu sein: Ein Gefühl soll reichen, um etwas Kompliziertes wie die politische Einstellung einer Person vorherzusagen. Natürlich ist es komplizierter. Ekel lässt sich durch Bilder viel leichter hervorrufen als beispielsweise Wut, denn Ekelauslöser sind in der Regel universeller als das, was uns wütend oder traurig macht. Trotzdem hat sich um die Studie der Virginia Tech ein ganzes Forschungsfeld gebildet: „Disgustology“. Eine 2014 veröffentlichte Metaanalyse von 24 Studien aus diesem Bereich kam zu dem Schluss, dass sich ein Anteil von vier bis 13 Prozent an der politischen Einstellung durch die Anfälligkeit für Ekel erklären lassen. Das klingt nicht viel, ist aber einer der direktesten Zusammenhänge zwischen Emotion und Ideologie, der bisher nachgewiesen wurde.

Manche dieser Studien sind ziemlich kurios. Bei einem Experiment der Universität Arkansas wurden die teilnehmenden Proband:innen in zwei verschiedene Räume verteilt. Im ersten roch es nach Kotze, im zweiten neutral. Beide Gruppen füllten in den Räumen einen Fragebogen aus. Die „Kotz-Gruppe“ war eher gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, Sex vor der Ehe und Pornographie als die Gruppe, der dieser Geruch erspart blieb.

Ekel ist ein wichtiges, aber manipulierbares Gefühl

Ekel ist eines unserer fundamentalsten Gefühle, weil es unsere körperliche Unversehrtheit schützen soll. Deshalb sind klassische Ekelauslöser auch vergorenes Essen, Körperausscheidungen, Parasiten, Insekten, Verletzungen, Infektionen und tote Körper.

Der amerikanische Psychologie Paul Ekman hat in den 1970ern sieben Basisemotionen ausgemacht. Er nannte sie Basisemotionen, weil die Gesichtsausdrücke, mit denen wir sie signalisieren, universell sind. Auf der ganzen Welt erkennt man an ähnlicher Mimik, wenn jemand wütend, glücklich oder eben angeekelt ist. Für Ekel steht die gerümpfte Nase. Für Psycholog:innen ist Ekel auch das Gefühl, das die stärksten und unmittelbarsten körperlichen Reaktionen auslöst. Wer ihnen nicht glaubt, kann zur Probe mal am nächsten Mülleimer schnüffeln.

Genau deshalb funktioniert es gut, mit widerlichen Bilder zu manipulieren. Ekel ist evolutionär in uns angelegt und löst starke, auch körperliche Reaktionen aus. Wenn es auf den Twitter-Accounts von Transfeind:innen um geschlechtsangleichende Operationen geht, sprechen sie von Verstümmelung. Auf dem Blog „Transgender Watch“ findet man eine Karikatur mit dem Titel „Der transgender Eunuch“. Sie zeigt ein Einhorn zwischen dessen Beinen Blut auf den Boden tropft.

Die Zeichnung eines Einhorns, zwischen dessen Beinen Blut tropft. Dazu steht "The Gender Eunuchorn".

Es soll wohl lustig sein: Das Wortspiel aus „Unicorn“ (Einhorn) und „Eunuchorn“, in Anspielung auf das Wort „Eunuch“ / Screenshot: transgender.watch

Die Verschwörungserzählung QAnon funktioniert über Erzählungen von Babyblut. Die verkommene Elite sauge unschuldige kleine Kinder aus, um ihre eigenen, verfallenden Körper zu retten – ziemlich eklige Vorstellung. Und auch Rassisten bedienen sich an ekligen Metaphern, um ihren Menschenhass zu verbreiten: Geflüchtete Menschen seien „Parasiten des Sozialsystems“, schreibt ein Twitter-Nutzer.

Das Bild zeigt einen Zeitungsartikel mit dem Titel "Schock-Studie" über Muslim-Jugend", dazu schreibt ein Twitter-Nutzer etwas von "Parasiten"

Auf X, früher Twitter, posten Nutzer:innen häufig rassistische Inhalte / Screenshot

Ekel ist ein starkes, altes und auch moralisches Gefühl, weil damit immer etwas angeblich Reines im Gegensatz zu etwas Verkommenem gesetzt wird. Auch das zeigen psychologische Studien. Die britischen Psychologen Nick Hopkins und Stephen Reicher haben untersucht, wie es sich mit dem Ekel vor Menschengruppen verhält. Normalerweise empfinden wir es nämlich als eklig, dicht gedrängt zwischen fremden Personen zu stehen, zum Beispiel in der U-Bahn in fremden Atemwolken. Hopkins und Reicher haben religiöse Zusammentreffen analysiert, bei denen oft Tausende Menschen zusammenkamen. Bei diesen Veranstaltungen waren die untersuchten Personen nicht angeekelt, obwohl sich auch hier Krankheiten verbreiten können. Ihre Studie fand zu den Hochzeiten der Corona-Pandemie statt. Das religiöse Zusammengehörigkeitsgefühl schaltete den Ekel aus, denn Ekel braucht die Konstruktion einer Outgroup, vor der man sich ekeln kann.

Wer seinen Ekel hinterfragt, hinterfragt die eigenen Vorurteile

Wer sich ekelt, sollte sich also fragen: Ist es gerade sinnvoll, sich zu ekeln? Wer seinen Ekel hinterfragt, hinterfragt die eigenen Vorurteile.

Aber wie soll das gehen? Schließlich kann ich nicht wirklich etwas dagegen unternehmen, wenn ich beim Anblick von Maden würgen muss. Der erste Schritt ist, sich klar zu machen, dass Ekel vor bestimmten Sachen keinen evolutionären Nutzen hat. In Bremen, wo ich aufgewachsen bin, war es völlig normal, dass es auf der dortigen Kirmes neben Zuckerwatte und gebrannten Mandeln auch Pferdewurst zu essen gab. Etwas, das meine Freund:innen aus Berlin ziemlich eklig finden. Französischer Schimmelkäse gilt manchen als Delikatesse, ebenso wie vergammelte Sojabohnen in Japan. Vielen Deutschen dagegen wird allein beim Geruch davon übel. Unser Ekel vor bestimmten Sachen schützt nicht unser Überleben, sondern zeigt unsere kulturelle Prägung. Aus bloßem Angewidertsein lässt sich also kein moralisches Urteil ableiten. Eklig bedeutet nicht automatisch schlecht.

Wenn rechte Trolle auf Twitter etwas als eklig diffamieren wollen, ist das kein gutes Argument. Wenn sie auf angewidert tun, weil zwei Männer Sex haben, dann könnte man genau so gut entgegen halten, dass Sex und der Austausch von Körperflüssigkeiten generell eine eklige Angelegenheit sein können. Die konstruierte Widerlichkeit von Abtreibungen lässt sich damit entkräften, dass Geburten reinster Body-Horror sein können. Und wenn transfeindliche Twitter-User:innen sich wegen geschlechtsangleichender Operationen pikieren, möchte man ihnen gerne mal ein Video einer durchschnittlichen Knie- oder Nasen-OP zeigen. Wer einmal darauf achtet, was es bedeutet, sich in einem Körper durch die Welt zu bewegen, wird feststellen: Das Leben ist im Großen und Ganzen ein bisschen eklig.

In der eigenen Beziehung zum Ekel gibt es noch eine höhere Stufe: Wir können auch Sachen schön finden, vor denen wir uns ekeln. Der amerikanische Fotograf und Künstler Andres Serrano geriet in den 1990er Jahren in das Kreuzfeuer von konservativen Politiker:innen. Er hatte ein Werk namens „Piss Christ“ veröffentlicht. Die Fotografie zeigt ein Kruzifix, das im Urin des Künstlers schwimmt. Der konservative Politiker Jesse Helms empörte sich öffentlich über das Bild: eklig und blasphemisch sei es. Serrano bekam Drohbriefe, das Budget für Künstler:innen wurde in ganz Amerika gekürzt.

Ein Kreuz mit Jesus, das in rotes Licht getaucht ist. Außerdem sind Spritzer einer Flüssigkeit zu sehen.

Ein schönes Bild, selbst wenn man weiß, woraus die Spritzer auf dem Bild bestehen / Piss Christ von Andres Serrano

Dabei bezeichnete sich Andres Serrano immer selbst als sehr gläubig. Er habe mit dem Bild nur die Realität der Kreuzigung zeigen wollen. Er beschrieb es 2016 gegenüber dem „Guardian“ so: „Was es symbolisiert, ist die Art, wie Jesus gestorben ist: Es ist Blut geflossen, aber auch Pisse und Scheiße. Wenn ‚Piss Christ‘ dich stört, solltest du vielleicht darüber nachdenken, wie die Kreuzigung wirklich war.“

Serrano sprach die ekligen Aspekte der Kreuzigung mit seinem Bild heilig. Als hätte er sagen wollen: Jesus hatte einen Körper und es war eklig, dass er seinen Körper für uns geopfert hat. Auch wer nicht religiös ist, kann im Ekligen so vielleicht etwas Schönes finden. Dass wir Körper haben, die krank werden, sich verletzen und aber auch wieder heilen können, an denen sich auch Freiheit und Opfer ausdrücken können, ist eigentlich ein ziemlich schöner Gedanke – aus „ihhh“ wird „aww“.


Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

Hinweis 24.07.2024: In einer vorherigen Version des Artikels war von „Transphobie“ und „Homophobie“ die Rede, obwohl es sich hierbei nicht um tatsächliche Phobien handelt, sondern um Feindlichkeit.Wir haben die Stellen angepasst.

Ihhh! So beeinflusst Ekel Politik

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