Collage: Biden und Trump vor einer amerikanischen Flagge.

Spencer Platt, James Devaney/Getty Images | Tim Mossholder/Unsplash

Politik und Macht

Warum Trump die Wahl noch nicht gewonnen hat

Spätestens seit Joe Bidens furchtbarer TV-Debatte glauben viele, dass Trump wieder US-Präsident wird. Aber es gibt gute Argumente, warum das noch nicht entschieden ist.

Profilbild von Christian Fahrenbach
Reporter, New York

Wir steuern unvermeidlich auf Donald Trump als Möchtegern-Diktator zu und er wird die mächtigste Demokratie der Welt bis zur Unkenntlichkeit aushöhlen. So ist spätestens seit der vergeigten TV-Debatte die Stimmung in Deutschland. Auch viele Liberale in den USA, wo ich lebe, fürchten sich seit Monaten davor und sehen jetzt ihre Ängste bestätigt.

Aber es hat wenig Sinn, schon jetzt zu glauben, Trumps Sieg sei nicht mehr abzuwenden. Vier Monate vor der Wahl ist noch nichts entschieden. Und es gibt gute Gründe, warum die Demokraten die Wahl am 5. November doch noch gewinnen könnten.

1. Es heißt nicht viel, dass Trump in den Umfragen vorne liegt

Seit Monaten liegt Trump in Umfragen vor Biden. Aber gerade in den USA können solche Befragungen täuschen. 2008 suggerierten sie, dass sich der junge schwarze Senator Barack Obama kaum gegen die Parteigröße Hillary Clinton durchsetzen kann. Der Sensationssieg von Donald Trump gegen Clinton 2016 widersprach den meisten Vorhersagen. Und dass vier Jahre später der langweilige Ex-Vizepräsident Joe Biden am Ende gegen Donald Trump gewinnen würde, hielten ebenfalls viele für kaum möglich.

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Es gibt einen US-spezifischen Grund, warum uns landesweite Umfragen oft täuschen. Die meisten dürften wissen: Hier wählt die Bevölkerung individuell für jeden Bundesstaat einen Kandidaten. Wer vorne liegt, bekommt alle Wahlleute des Staates zugesprochen. Bei den allermeisten Bundesstaaten ist aufgrund früherer Ergebnisse ziemlich klar, wen die Menschen dort wählen werden. Deshalb entscheiden eine Handvoll Staaten die Wahl, die sogenannten Swing States.

2020 bedeutete das: Ohne Siege in Wisconsin, Georgia und Arizona hätte Joe Biden die Wahl nicht gewonnen. In Summe hatte er dort rund 43.000 Stimmen Vorsprung. Man muss sich das vorstellen: Mehr als 158 Millionen Stimmen wurden abgegeben, aber am Ende entschied eine Gruppe von Menschen, die in ein Fußballstadion passt, 0,03 Prozent der Wählerschaft. Landesweite Umfragen berücksichtigen oft nur 1.000 Menschen und versuchen dann, auf 158 Millionen Menschen hochzurechnen. Es ist völlig unmöglich, solche Details zu erfassen.

Umfragen helfen trotzdem, Stimmungen und Trends zu erkennen. Deshalb beziehe ich sie auch in diesem Text in meine Argumentation ein. Aber kein Institut ist in der Lage, genau zu wissen, wie sich am Wahltag in vier Monaten die Wählerschaft in den wenigen entscheidenden Swing States der Mitte zusammensetzt und was genau sie am Ende zu ihrer Entscheidung bewegt.

2. Joe Biden ist ein erfolgreicher Präsident – er muss das nur besser verkauft bekommen

Eigentlich hat Biden in den letzten vier Jahren viel richtig gemacht. So verweist er gerne etwas trotzig darauf, dass die Arbeitslosigkeit in den vergangenen 50 Jahren noch nie niedriger war.

Auch neben der Wirtschaftspolitik kann Biden auf eine Liste weiterer Erfolge zeigen: Mit knapper Mehrheit hat er milliardenschwere Pakete für Infrastruktur und Klimaschutz durch den Kongress gebracht. Als deutlich verlässlicherer Partner führen die USA die Welt, allen voran im Ukrainekrieg. Aber Biden konnte auch verhindern, dass sich der Krieg in Nahost jenseits von Gaza auf andere Länder ausweitet.

Bei den Wähler:innen sind diese Erfolge bisher wenig angekommen. Denn für viele wiegt es schwerer, dass die Eier im Supermarkt inzwischen teils fünf Dollar im Dutzend kosten und sich manche ihre Miete nicht mehr leisten können. Dazu kommt die angeblich verheerende Flüchtlingslage an der US-Südgrenze zu Mexiko. Auch dort gingen zuletzt die Zahlen für Grenzübertritte ohne gültige Papiere zurück.

Unter Gemäßigten und wenig Politikinteressierten hätte Biden somit noch die Möglichkeit, seine Erfolge klarer zu unterstreichen. Weil Amerikaner im Sommer oft eine Auszeit von der Politik nehmen, gilt immer noch der „Labor Day“ Anfang September als Anfang der heißen Phase im Wahlkampf. Gerade im aktuellen Wahlkampf ist es gut möglich, dass sich die Gruppe der von beiden Kandidaten Enttäuschten erst spät entscheidet, doch noch der vernünftigen (wenn auch alten) Alternative ihre Stimme zu geben.

3. Die meisten Amerikaner:innen wollen nicht, dass Trump die Demokratie aushöhlt – aber sie wissen auch nicht, dass er es vorhat

Kurze Pause von Biden. Mein stärkstes Argument gegen Trump lautet: Donald Trump. Die Liste mit Schwächen des verurteilten Straftäters ist lang, aber ich will mich auf einen Aspekt konzentrieren. Er steht für eine extrem unbeliebte Politik.

Das mag anders wirken, denn Trump verkauft seinen Anhänger:innen Nostalgie und ein diffuses Programm. Gerade gelingt ihm das gut, denn alle wollen zurück ins Jahr 2019. Keine Pandemie weit und breit. Die Inflation galt als totgesagt. Und dieses Ziehen in der Schulter war auch noch nicht da, weil alle fünf Jahre jünger waren.

Wenn Donald Trump „Make America Great Again“ sagt, spielt er nicht nur mit einer Sehnsucht nach US-Weltmacht-Zeiten in den 1960ern, sondern auch mit genau dieser Nostalgie für die jüngere Vergangenheit.

Dabei versagte Trump in der Corona-Pandemie als Präsident. Er verhängte unsinnige Einreiseverbote, legte das Trinken von Bleiche zur Desinfektion nahe und verharmloste Covid verheerend lang. Sein Verhalten kostete sicher Menschenleben.

Noch problematischer für ihn könnten aber seine Ziele für die Zukunft werden – kaum einer seiner konkreten Vorschläge hat in den USA eine Mehrheit in der Bevölkerung. Denn er will die Demokratie weiter aushöhlen. Das jüngste Urteil des Obersten Gerichtshofs für eine weitgehende Immunität des Präsidenten in Amtshandlungen weckt neue Befürchtungen, wie weit Trump gehen würde. Sonya Sotomayor war eine von drei Richter:innen, die sich nicht gegen die Mehrheit von sechs Konservativen durchsetzen konnte. Sie schrieb eine wütende Begründung ihrer Ablehnung: „Dem Navy-Seals-Team-6 befehlen, einen politischen Rivalen zu töten? Immun. Einen Militärcoup organisieren, um sich an die Macht zu klammern? Immun. Sich für eine Begnadigung bestechen lassen? Immun. Immun, immun, immun.“

Als Vorlage für die kommenden vier Jahre einer möglichen Trump-Regierung gilt ein mehr als 900 Seiten starker Report namens Project 2025, geschrieben von der rechtskonservativen Lobbygruppe Heritage Foundation und begrüßt von den Republikanern.

Dessen Umsetzung würde viel mehr Macht beim Präsidenten konzentrieren, Institutionen wie das FBI, das Bildungsministerium und die Umweltbehörde EPA aushöhlen, Immigration massiv einschränken, Klimaschutzprojekte streichen, den Mittelbau der US-Verwaltung durch Trump treue Parteianhänger ersetzen – und Pornographie verbieten.

Aber mit genau diesen Zielen haben sich die allermeisten Wähler:innen noch nicht auseinandergesetzt. Drei Viertel von ihnen wissen wenig oder kaum, was hinter Project 2025 steckt, sagt eine Umfrage. Und selbst, wenn sie den konkreten Namen des Programms nicht kennen, viele inhaltliche Details daraus finden in den USA keine Mehrheit.

Generell glauben die Demokraten, dass sich mehr Menschen von Trump abwenden werden, wenn sie erst einmal dessen Ziele besser verstehen – dafür bräuchte es aber auch einen viel genaueren Verweis darauf, wie genau Trump den Staat umbauen will. Es war ein Fehler, dass Joe Biden bei der TV-Debatte kein einziges Mal auf die Ziele des Projekts eingegangen ist.

4. Es gibt eine zögerliche Pro-Demokraten-Stimmung – und sie haben Alternativen zu Biden

Auch wenn sich die aktuell dynamische Nachrichtenlage doch noch so entwickelt, dass Biden zurückzieht, gibt es Grund zur Hoffnung für die Demokraten.

Dieselben Umfragen, die viele Anhänger:innen der Partei zur Präsidentschaftswahl in Schockstarre versetzen, zeigen auch: Mehr Menschen wollen lieber eine Mehrheit im Kongress für die Demokraten als für die Republikaner sehen, wenn der Vorsprung auch nur hauchdünn ist.

Häufig heißt es: Wir können Biden nicht austauschen, weil die Alternativen auch nicht beliebter sind. So sei etwa Vizepräsidentin Kamala Harris so unbeliebt, dass man sie kaum zur Siegerin machen könnte.

Doch Harris hat auch Stärken: Sie ist eine aufrichtige Kämpferin für mehr Abtreibungsrechte und würde dazu Trump rhetorisch besser Paroli bieten können als der zögerliche Katholik Biden. Sie ist jünger und spricht als Schwarze Frau eine wichtige Wähler:innengruppe an. Ohnehin würden die Wähler:innen mit frischem Blick auf sie schauen, wäre sie die Präsidentschaftskandidatin. Bisherige Beliebtheitsdaten hätten deshalb nur wenig Aussagekraft.

Abgesehen von Harris gibt es einige aussichtsreiche Gouverneure, darunter Gavin Newsom aus Kalifornien und Gretchen Whitmer aus Michigan. Eine Umfrage von Data for Progress nach der TV-Debatte kam zu dem Ergebnis, dass alle ungefähr gleichauf liegen.

Das Institut Ipsos ermittelte ähnliche Ergebnisse, fragte die Leute aber auch, ob sie Michelle Obama zur Präsidentin wählen würden. Das Ergebnis: Ja, sie würde Trump laut dieser Umfrage deutlich schlagen. Dabei ist klar, dass sie nicht kandidieren will. Genauso gut können wir über eine Präsidentin Taylor Swift spekulieren. Michelle Obama hat immer wieder erklärt, dass sie nicht in die Politik gehen wolle, ihre Familie habe der Politik genug gegeben.

Wo stehen wir also? Eine Woche nach der TV-Debatte sieht es so aus, als würde die zunächst demonstrativ zur Schau gestellte Unterstützung von Biden bröckeln. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Kritik so laut wird, dass ihm ein Rückzug extrem nahegelegt wird. Am Ende kann nur er selbst sich dazu entscheiden, er muss seine in Vorwahlen gewonnenen Delegierten für den Demokraten-Parteitag Mitte August freigeben.

Aktuell gibt er sich öffentlich weiter fest entschlossen, das Ruder doch noch herumreißen zu wollen. Sein Sieg würde sicherlich knapp werden, aber bei Weitem nicht unmöglich, wie in den USA eben üblich.


Redaktion: Rebecca Kelber, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

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