Der Tag, an dem Amal Saleh* ihren Bruder, zwei Schwestern und ihre Großmutter verlor, war wie jeder andere. Die 14-Jährige ging zur Schule, half ihrer Mutter beim Kochen und verbrachte den Abend am Fluss nahe der Stadt Dschindires, in Nordwest-Syrien.
Wenige Stunden später erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7,8 die Region. Bevor Amal realisierte, was geschah, lag sie unter Trümmern des vierstöckigen Hauses begraben, in dem ihre Familie damals lebte. Dunkelheit umgab sie, aus der Ferne drangen die Rufe ihrer Eltern zu ihr durch. Bevor Amal das Bewusstsein verlor, drückte sie noch die Hand ihrer Großmutter, die eine Armlänge entfernt von ihr verschüttet lag. Damals wusste Amal noch nicht, dass die bereits tot war.
Mehr als 60.000 Menschen starben bei dem Erdbeben am 6. Februar 2023 in Syrien und der Türkei. Amal Saleh überlebte. Als sie wieder zu sich kam, lag sie mit zahlreichen Knochenbrüchen auf der Intensivstation eines Krankenhauses. Das Dr. Mohammad Wassim Maaz Krankenhaus liegt in der Stadt Bab al-Salam, mitten in einem Meer aus Wellblechhütten und Zelten aus Plastikplanen. Die Bewohner:innen haben Zuflucht gesucht vor dem Islamischen Staat, der syrischen Armee oder russischen Luftangriffen.
Hier im Halogenlicht eines umgebauten Hangars herrscht Krankenhausalltag im Krieg: Rund 400 Angestellte kümmern sich um Blinddarmdurchbrüche, Muskelschwund und Knochenbrüche. Ich habe einen Tag lang dem Personal und den Patient:innen zugehört. Und gemerkt: Ihre Erlebnisse weben sich in eine größere Geschichte ein. Sie erzählen schlaglichtartig von Momenten eines Krieges, der im Westen in Vergessenheit gerät, aber die Weltpolitik für immer verändert hat.
Vieles von dem, was Deutschland heute beschäftigt, begann vor über zehn Jahren in Syrien. Das gilt für Russlands Krieg gegen die Ukraine und den islamistischen Terror genau wie für die sogenannte Flüchtlingskrise und das Ende der USA als selbsternannter Weltpolizei. Die wichtigsten politischen Ereignisse der vergangenen Jahre lassen sich deshalb anhand eines einzigen Ortes rekonstruieren: dem Dr. Mohammad Wassim Maaz Krankenhaus in Nordwest-Syrien.
„Die Menschen wollen den Sturz des Regimes“
Es begann mit ein paar Graffitis. Am 6. März 2011 sprühten Jungen in der syrischen Stadt Daraa regime-kritische Slogans an die Wände ihrer Schule. „Doktor, du bist als Nächstes dran“, stand dort. Sie meinten Baschar al-Assad, den Diktator des Landes. Und: „Die Menschen wollen den Sturz des Regimes.“ Schon zuvor hatte es im Land gebrodelt. Die Assad-Familie regierte das Land seit Jahrzehnten autoritär. Die syrische Wirtschaft lag am Boden, Jobperspektiven für junge Menschen gab es kaum.
Atef Najib, ein Cousin von Assad, ließ die Teenager verhaften und foltern. Die Eltern der Kinder beschwerten sich, flehten ihn um die Freilassung ihrer Kinder an. Er sagte ihnen, sie sollten ihre Söhne vergessen und nach Hause gehen, um weitere Kinder zu bekommen. Als daraufhin Tausende Menschen für die Freilassung der Kinder protestierten, schossen Sicherheitskräfte in die Menge.
Es gingen nur noch mehr Menschen auf die Straße. Assad beauftragte enge Familienmitglieder damit, die Bewegung niederzuschlagen. Der Geheimdienst ließ Zehntausende Menschen verhaften, foltern und verschwinden.
Immer mehr Soldaten der syrischen Armee desertierten, bald griffen Islamisten zu den Waffen und Oppositionskräfte gründeten 2011 die Freie Syrische Armee. Ihr Ziel war es, die Regierung zu stürzen. Doch Assad dachte nicht daran. Gemeinsam mit Iran und Hisbollah begann er, die Rebellen zu bekämpfen. Das war der Beginn des syrischen Bürgerkrieges.
Vor den Toren des Krankenhauses leben Zehntausende Menschen in Zelten und Hütten. © Benjamin Hindrichs
Wie Putin Obamas rote Linie ausradierte
Amal Saleh erinnert sich nicht an das Leben vor dem Krieg. „Aber ich stelle es mir wunderbar vor“, sagt sie. Ein grauer Hijab rahmt ihre dunklen Augen ein. Ihre Eltern erzählten ihr manchmal von früher, sagt sie. Von einer Zeit ohne Angst, als Freunde und Verwandte im Haus der Familie ein und aus gingen, Tee tranken, sich in stundenlangen Unterhaltungen verloren. Doch das war vor ihrer Zeit.
Amal wurde 2009 in der 30.000-Einwohner-Stadt Saraqeb geboren, südlich von Idlib. Dort arbeitete ihr Vater in einem Barbershop, ihre Mutter als Näherin. Amal war zwei Jahre alt, als der Krieg begann und ihre Familie vor den Bomben der syrischen Armee nach Dschindires floh. In Saraqeb verlor sie damals einen Bruder.
In derselben Stadt warf ein Hubschrauber am Nachmittag des 29. April 2013 Sarin ab. Das ist ein farb- und geruchloses Nervengas, das zu Muskelkrämpfen, Lähmungen, Atemnot und letztlich dem Tod durch Ersticken führen kann. Der Angriff war kein Einzelfall: Ab Ende 2012 setzte das Assad-Regime gezielt Chemiewaffen gegen Rebellengruppen und die Zivilbevölkerung ein.
Im Sommer 2012 hatte US-Präsident Barack Obama gewarnt, der Einsatz von „unkonventionellen Waffen“ gegen Zivilist:innen sei für ihn eine „rote Linie“. Er drohte mit dem Einsatz von US-Truppen, sollte Assad diese Linie überschreiten. Das Problem war: In den USA wollte niemand in den syrischen Bürgerkrieg eingreifen. Die US-Interventionen im Irak und in Afghanistan hatten die Einsätze in den USA unpopulär gemacht. Obama hatte große Teile seines Wahlkampfes damit verbracht, einen Wandel der US-Außenpolitik im Nahen Osten zu versprechen – und einen Abzug der US-Truppen.
Damals arbeitete Russlands Präsident Wladimir Putin den vielleicht klügsten Schachzug seiner politischen Laufbahn aus. Beim G20-Gipfel in Sankt Petersburg 2013 trafen sich Putin und Obama zu einem Gespräch. Putin war eng mit dem Assad-Regime verbunden und wusste um Obamas Dilemma. Also bot er dem US-Präsidenten an, eine von den Vereinten Nationen geleitete, gemeinsame Initiative zur Zerstörung von Assads Chemiewaffen zu starten. Obama willigte ein.
Das Angebot bot Obama einen Ausweg: Er konnte eine internationale Lösung präsentieren und hatte innenpolitisch eine Rechtfertigung, nicht selbst in Syrien einzugreifen. Gleichzeitig erkaufte die Entscheidung Assad Zeit und sicherte sein Überleben an der Macht. Denn UN-Missionen dauern lang.
Der große Gewinner war Wladimir Putin. Er wusste jetzt: Solange Obama Präsident ist, werden sich die USA wahrscheinlich nicht in weitere Konflikte ziehen lassen. Das stärkte Putin in seiner Gewissheit, dass er im Westen auf keinen nennenswerten Widerstand stoßen würde, wenn er Russlands Einfluss in der Welt ausweiten wollte. Putin sah Obamas mangelnde Handelsbereitschaft also als Chance für Moskau. Ein halbes Jahr später gab Putin den Befehl, die Krim annektieren zu lassen.
Für die politische Weltordnung war Obamas Rote-Linie-Entscheidung ein Schlüsselmoment. Die sogenannte regelbasierte Weltordnung geriet ins Wanken, Russland gewann enorm an Einfluss im Nahen Osten. Und gleichzeitig führte Putin mit neuem Selbstbewusstsein erst einen verdeckten, dann einen offenen Krieg gegen die Ukraine.
Der Islamische Staat rief in der schönsten Stadt der Welt das Kalifat aus
Als Amal Saleh nach dem Erdbeben 2023 auf die Intensivstation des Krankenhauses kam, kümmerte sich der Oberarzt Abdulhannan Jouja um sie. Er behandelte ihre Knochenbrüche und bangte mit der 14-Jährigen, als es darum ging, ihr möglicherweise den Arm amputieren zu müssen. „Sie lag zwei Monate bei uns in der Klinik und konnte sich anfangs nur im Rollstuhl fortbewegen“, erinnert er sich, während er hastig durch die weiß gefliesten Flure des Krankenhauses läuft, vorbei an weißen Vorhängen, Menschentrauben und in Burkas gekleideten Frauen. Um seinen Hals wackelt das Stethoskop mit seinen Schritten.
Der 60-jährige Jouja schaut in die einzelnen Abteilungen und Zimmer. Auf blau bezogenen Krankenhausbetten sitzen Patient:innen und blicken an die kahlen Wände. In der Kinderabteilung hängen Luftballons an der Decke, in der Notaufnahme trägt jemand einen blutenden jungen Mann hinein. Ein Autounfall. Schreie vermischen sich mit dem Geruch von Desinfektionsmittel. Jouja nickt den Ärzten zu und geht weiter. Er lebt eigentlich auf der türkischen Seite der Grenze, in Reyhanli. Doch weil die Grenzüberquerung nach Syrien viel Zeit kostet, steht ein kleines Feldbett in seinem Büro. Er seufzt.
„Der Job kostet mich viel Energie“, sagt er. Wie so viele syrische Ärzte habe auch er seit Beginn des Krieges Schwierigkeiten, seine Familien zu ernähren. Deshalb arbeitet er nebenher noch in einem anderen Krankenhaus in Idlib. Wie er damit zurechtkommt? „Mit Humor“, sagt er und lacht. „So versuche ich, mich vom Geschehen zu distanzieren.“ Er weist mit dem Kopf um sich: „Manchmal versuche ich, hier zu lesen oder Sport zu machen“, sagt er und zuckt mit den Schultern. „Aber Witze zu machen ist leichter.“
Jouja träumt davon, eines Tages in seinen Geburtsort Raqqa zurückzukehren, die „schönste Stadt der Welt“. Er erzählt von einem deutschen Freund, der ihn in den 1980er Jahren einmal eine Woche lang besuchte und begeistert gewesen sei. „Ich vermisse die Teehäuser, die Weltoffenheit der Bewohner und das Gefühl, jeden auf der Straße zu kennen“, sagt er. Und lacht wieder. Obwohl er weiß: Das Raqqa aus seiner Erinnerung existiert heute nicht mehr.
Oberarzt Adulhannan Jouja bei seinem Rundgang durch das Krankenhaus. © Benjamin Hindrichs
In Europa ist Raqqa nicht für seine Altstadt oder Weltoffenheit bekannt, sondern für öffentliche Hinrichtungen, Folter und Sklavenmärkte. Die Stadt war von 2014 bis 2017 die inoffizielle Hauptstadt des Islamischen Staates (IS) in Syrien. Das Assad-Regime kämpfte gegen den IS, so wie schon Baschars Vater früher gegen islamistische Bewegungen in Syrien vorgegangen war. Denn die Assads, Teil der alevitischen Minderheit, versuchten immer wieder, den Einfluss der sunnitischen Mehrheit im Land kleinzuhalten, zum Beispiel, indem sie die sunnitische Muslimbrüderschaft verboten. Und der IS sah sich als alleiniger Vertreter der Sunnit:innen.
Nachdem der IS große Gebiete in Irak und Syrien eingenommen und einen Genozid an den Jesid:innen verübt hatte, rief ihr Anführer im Jahr 2014 das Kalifat aus. In den IS-Gebieten galten strenge Scharia-Gesetze. Die Gruppe ließ zahlreiche Menschen öffentlich hinrichten und foltern. Oft filmten sie ihre Taten und nutzten das Material für neuartige Propaganda-Formen im Netz, die Islamisten und Rechtsextreme bis heute weltweit nachahmen und damals Zehntausende Dschihadisten aus aller Welt nach Syrien lockten.
Diese popkulturelle Inszenierung des IS kam auch im Westen an. Mit ihr begann eine Anschlagsreihe in Europa. Junge Menschen töteten in Paris, Nizza, Brüssel, Manchester oder Berlin Hunderte Menschen. Assad wiederum nutzte den Terror für einen weiteren Schachzug, der ihm seine Macht sichern sollte.
Russland probte in Syrien für den Krieg gegen die Ukraine
Er bat Putin, direkt in den Krieg einzugreifen – offiziell, um gegen den IS zu kämpfen. Zu der Zeit sah es aus, als könnte Assad den Krieg verlieren, er kontrollierte nur noch ein Fünftel des syrischen Territoriums. Putin stimmte zu und griff auch Rebellenhochburgen an. So bombardierten Putins Kämpfer gemeinsam mit Assads Truppen auch den von Rebellen besetzten Teil Aleppos. Bei einem Bombenangriff kam der Kinderarzt Dr. Mohammad Wassim Maaz ums Leben, dessen Name das Krankenhaus in Bab al Salam trägt. Kurz nach dessen Tod belagerten Regimetruppen mit russischer Unterstützung die Stadt. Viele der verbliebenen Ärzt:innen flohen, so erzählt es Mahmoud Mustafa, der Chef der Independent Doctors Association, die das Krankenhaus aufgebaut hat. Er sagt: „Wir haben damals viele Freunde verloren.“
Schon früher war es eine Strategie des Kremls, in Kriegen brutal gegen die Zivilbevölkerung vorzugehen. Das sollte den Widerstand der Bevölkerung brechen. In Syrien perfektionierte Putin diese Strategie. Um sie so „effektiv“ wie möglich zu gestalten, wandte Russland in Syrien oft sogenannte „Double Taps“ an: Erst flogen russische Bomber einen Luftangriff. Wenn Krankenwagen und Einsatzkräfte eintrafen, um Überlebende zu retten, folgte eine zweite Bombardierung, die noch mehr Menschen umbrachte.
Dieselbe Taktik setzt das russische Militär heute auch in der Ukraine ein. Und auch die Personen sind dieselben geblieben: Einer der Köpfe hinter der Kriegsstrategie in Syrien war Waleri Gerassimow, Chef der russischen Streitkräfte. Heute kommandiert er die russischen Streitkräfte in der Ukraine.
Millionen Vertriebene wurden zur Verhandlungsmasse der internationalen Politik
Der Krieg in Syrien hat rund 13 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben. Aber sieben Millionen von ihnen leben weiterhin in Syrien, die meisten in extremer Armut. Einer von ihnen ist Abdulkadir Alshawi. Er spricht mit tiefer Stimme, hinter seiner OP-Maske versteckt sich ein gekräuselter Bart. Während des Gesprächs blickt er immer wieder auf seine kräftigen Hände. Als seien sie Zeugen, die er zu seinem früheren Leben befragen müsse.
Vor dem Krieg hatte Abdulkadir Alshawi rund 70 Schafe. Jeden Tag stand er vor dem Morgengrauen auf, kümmerte sich um die Herde und seine Felder südlich von Aleppo und produzierte Käse. „Es war ein gutes Leben“, sagt er. „Und es war fantastischer Käse.“ Heute sitzt er im Rollstuhl und lebt im Vertriebenenlager vor den Türen des Krankenhauses. Es ist eines von über 1.500 Camps in der Region, in der über 1,5 Millionen Menschen Zuflucht gesucht haben.
Alshawi kommt jeden Tag ins Krankenhaus. Der Grund ist eine Durchblutungsstörung der Beine. Das erste Mal musste er vor fünf Jahren operiert werden. Damals konnte er nach einigen Monaten sogar wieder laufen. Das ist heute nicht mehr möglich. „Mit dem Rollstuhl im Camp ist es sehr schwer“, sagt er und weist mit dem Kopf auf die Wand, hinter der die Zeltlandschaft beginnt. „Du musst nur an die Straßen denken, dann weißt du warum.“ Sie sind voller Schlaglöcher.
Abdulkadir Alshawi vermisst sein Leben vor dem Krieg. © Benjamin Hindrichs
Der Syrien-Krieg hat auch die deutsche und europäische Politik geprägt. Seit seinem Beginn sind Millionen Menschen ins Ausland geflohen. Sie machten sich über das Mittelmeer und die Balkanrouten auf den Weg nach Norden. Allein in Deutschland leben inzwischen fast eine Million Syrer:innen. Am Hauptbahnhof in Dortmund, Frankfurt oder München begrüßte 2015 eine hilfsbereite Zivilgesellschaft die Ankömmlinge zunächst mit Applaus und Merkel sagte: „Wir schaffen das.“ Dann trieb Pegida Tausende Menschen auf die Straße.
Rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien entdeckten das Thema „Migration“ für sich und schlachten es bis heute erfolgreich aus. Im August 2015 glaubten noch 57 Prozent der Befragten, dass Deutschland genau richtig viele Menschen aufnehme oder sogar mehr aufnehmen solle. Neun Jahre später, bei den EU-Wahlen 2024, war Migration eines der drei wichtigsten Themen für die Wahlentscheidung der Bürger:innen. In Deutschland sagten in einer Umfrage im Herbst 2023 zwei Drittel der Befragten, dass Deutschland weniger Geflüchtete aufnehmen sollte.
In den vergangenen Jahren wurden Flüchtende zu einer Verhandlungsmasse internationaler Politik. Wie eine Ware, die mit Geld aufgerechnet werden kann. Sie sind inzwischen auch ein Druckmittel, das autoritäre Regime nutzen, um Europa zu destabilisieren. Manchmal wirkt es, als würden Flüchtende nicht als Menschen angesehen werden.
Die Zukunft des Krankenhauses hängt auch von den deutschen Haushaltsstreits ab
Zurück zur 14-jährigen Amal Saleh.
Als Amal im Krankenhaus lag, ging es ihr sehr schlecht. „Ich habe viel geweint“, sagt sie. Um sich abzulenken, habe sie viel Zeit am Handy vertrödelt. Damals habe ihre Physiotherapeutin Kaddoura gesagt, sie solle lieber lesen und für die Schule lernen. Erst fand sie das nervig. Jetzt ist sie dankbar. Denn Amal geht heute wieder zur Schule. Sie ist in der neunten Klasse, liest gern und lernt am liebsten Türkisch. Ihre Hände und Beine kann sie wieder bewegen und sogar Gewichte heben. Amals Geschichte kann sich auf zwei Arten lesen lassen: als Tragödie. Oder als Widerstandsgeschichte. Ähnlich ist es mit dem Dr. Mohammed Wassim Maaz Krankenhaus.
Über ein Jahr nach dem Erdbeben kann Amal Saleh wieder Gewichte heben. © Benjamin Hindrichs
Geboren aus den Trümmern bombardierter Krankenhäuser in Aleppo, ist es heute die größte Gesundheitseinrichtung der Region. Es hat 150 Betten, behandelt täglich über 1.000 Menschen und bildet sogar angehende Ärzte von den Universitäten der Umgebung aus. Aber die Zukunft des Krankenhauses ist unklar.
Denn der Krieg gerät in Vergessenheit und die Hilfsgelder werden weniger. Zuletzt kündigte das Welternährungsprogramm der UN an, die Syrien-Hilfen massiv zu kürzen. Dabei sind aktuell so viele Syrer:innen auf humanitäre Hilfe angewiesen wie noch nie. Wenn Hilfslieferungen sinken, steigt die Zahl der Mangelernährten und damit auch die der Patient:innen.
Gleichzeitig geht den Krankenhäusern das Geld aus: Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt, dass deshalb 120 Gesundheitseinrichtungen in Nordsyrien vor dem Aus stehen. Und die Haushaltsstreits der Bundesregierung betreffen das Krankenhaus in Bab al-Salam direkt. Denn die Hilfsorganisation Malteser International und das Auswärtige Amt gehören zu den größten Geldgebern des Krankenhauses. Das Auswärtige Amt muss 2025 mit rund einer Milliarde Euro weniger für humanitäre Hilfen auskommen. „Weitere Kürzungen führen zu einem Desaster“, sagt der Oberarzt Abdulhannan Jouja.
Trotz der Sorgen blickt er aber auch mit Hoffnung in die Zukunft: Jouja freut sich auf die Rente, auf lange Spaziergänge durch die Hügel und Cafébesuche mit seiner Familie. Am liebsten in Raqqa. Ähnlich geht es Amal Saleh. Die 14-Jährige will Ärztin werden.
*Amal Saleh heißt eigentlich anders. Ihr richtiger Name ist der Redaktion bekannt.
Transparenzhinweis: Diese Recherche wurde durch ein Reisestipendium für den Journalistenpreis Humanitäre Hilfe finanziert und durch die Aktion Deutschland Hilft und Malteser International unterstützt.
Redaktion: Isolde Ruhdorfer und Rebecca Kelber, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert