Eigentlich geht es Roman Reher darum, wie man aus eigener Kraft ein Vermögen aufbauen kann. Deshalb warnt er regelmäßig davor, dass der Staat den Menschen ihr Geld wieder wegnehme. Zum Beispiel durch Steuern und Inflation.
„Das hört nicht auf, solange ihr dieses Geld benutzt“, sagt der Krypto-Influencer und blickt mit ernster Miene in die Kamera. Er meint Zentralbankgeld, wie den Euro. Dem solle sein Publikum besser misstrauen, denn es bringe sie um ihr wohl verdientes Vermögen. Seine Lösung: Bitcoins kaufen. Am besten mit der Schweizer App Relai, in deren Beirat er sitzt. Dafür wirbt er immer wieder. Auf Youtube, mit Großbuchstaben und Emojis in seinen Video-Titeln. Oder bei der Initiative „Bitcoin im Bundestag“, die von der Ex-AfD-Politikerin Joana Cotar geleitet wird.
Reher ist einer der reichweitenstärksten Krypto-Influencer Deutschlands. Auf Youtube folgen 173.000 Menschen seinem Kanal „Blocktrainer“, auf Instagram über 40.000. In seinen Videos und Posts kommentiert er Kryptowährungen und interviewt Promis wie Bushido oder Frank Thelen. Alles dreht sich um Krypto. Er will nicht politisch sein, betont er immer wieder – und spricht dann von einer „politischen Extreme, die den gesamten gesellschaftlichen Prozess lenkt und steuert“. Das klingt nach rechter Verschwörungserzählung und ist kein Einzelfall. Dahinter steckt ein größeres Muster.
Deutschlands Krypto-Influencer geben sich betont unpolitisch. Sie versprechen Freiheit, Self-Made-Karrieren, Vermögensaufbau und eine wohlhabende Zukunft. Im Netz erreichen sie Hunderttausende junge Menschen, besonders Männer, und verbreiten eine Ideologie, die ihre Follower für Ideen der Neuen Rechten empfänglich macht.
Die radikale Rechte verführt die Krypto-Szene, indem sie ihr Freiheit verspricht
„Die Thematiken, die wir jetzt ansprechen, betreffen weder nur den Kryptomarkt noch nur Bitcoin, es geht um einen Angriff“, sagt Krypto-Influencer RobynHD Ende Mai in einem Youtube-Video. Der Titel: „Unfassbar: ANGRIFF gegen Bitcoin & Co. hat begonnen! Sie wollen VOLLE Kontrolle!“. Er warnt davor, dass die Biden-Regierung in den USA und die EU den Krypto-Markt regulieren wollen. Die Botschaft: Sie wollen an dein Geld! Dagegen müssen wir uns verteidigen.
Ein Staat, der den Krypto-Markt regulieren will, ist einer der größten Ängste der Szene. Denn sie macht jungen Menschen in unsicheren Zeiten ein verlockendes Versprechen: Wenn der Staat dich nur in Ruhe lässt und du dich richtig anstrengst, kannst du dein Glück selbst in die Hand nehmen. Du kannst reich und erfolgreich werden. Zum Beispiel, indem du dein Geld in Bitcoins investiert. Aber wenn der Staat sich in diese Geschäfte einmischt, ist das Diebstahl.
Deshalb hat die Szene gerade einen neuen Helden: Donald Trump. „Ich werde dafür sorgen, dass die Zukunft von Krypto und Bitcoin in den USA liegt“, versprach der Ex-Präsident im Mai auf einem Kongress in Washington, D.C. Er wolle die Regulierungsversuche der Demokraten stoppen, sagte Trump.
Die Anwesenden jubelten, die weltweite Kryptoszene war aus dem Häuschen. Auch in Deutschland feierten Bitcoin-Anhänger Trumps Äußerungen. „Deshalb wäre die Wahl von Donald Trump gut für Bitcoin“, heißt es in einem Instagram-Post des deutschsprachigen Accounts „krypto_online“, dem 74.000 Menschen folgen. Der „Blocktrainer“ postete sofort ein neues Video: „BITCOIN! 3 UNGLAUBLICHE Wahlversprechen von DONALD TRUMP!“ Die Botschaft lässt sich so zusammenfassen: „Ich bin ja unpolitisch, aber DAS spricht wirklich für Trump.“ All das präsentieren sie in derselben Ästhetik: Die Krypto-Influencer schreiben reißerische Überschriften mit Großbuchstaben und tragen teure Armbanduhren am Handgelenk.
Trump erreichte, was er wollte: Auf allen Kanälen feiern ihn plötzlich Krypto-Influencer, die sich normalerweise gern als antipolitisch inszenieren. Dass der Ex-Präsident ein verurteilter Straftäter ist, Verschwörungserzählungen von Wahlbetrug verbreitet oder ankündigte, nach seiner Wiederwahl einen Tag lang eine Diktatur errichten zu wollen, spielt dort keine Rolle.
Die Krypto-Szene lehnt den Staat ab und öffnet sich für rechte Verschwörungserzählungen
Auch Kiarash Hossainpour griff die Trump-Meldung auf seinem Youtube- und Tiktok-Kanal auf. Er ist einer der bekanntesten Krypto-Influencer Deutschlands und Co-Host des Podcasts „Hoss und Hopf“. Jede Woche diskutiert Hossainpour dort mit seinem Kollegen Philip Hopf das Weltgeschehen.
Zwischen den Zeilen wird ihre politische Haltung schnell deutlich. Als ein Gericht Donald Trump verurteilt, weil er Schweigegeldzahlungen an einen Porno-Star verschleiert hatte, beweist das für Philip Hopf bloß, „wie gefährlich Donald Trump für das Establishment ist.“ Sanktionen gegen das Vermögen russischer Oligarch:innen? Ein gefährlicher Eingriff in das Privateigentum. Wladimir Putin habe zumindest „mehr Rückhalt in der Bevölkerung als die meisten demokratisch geführten Länder.“ Und im Geschichtsunterricht in Deutschland gehe es „eigentlich nur ums Dritte Reich, lange, lange, lange gar nichts und dann jetzt wahrscheinlich irgendwelche Trans-Themen oder Gender.“
In ruhiger Sprache, immer mit einem Augenzwinkern und in matter Schwarz-Weiß-Ästhetik auf Instagram: So tragen die beiden Ideen an ihr Publikum, die auch die Neue Rechte teilt. Sie inszenieren sich als nachdenklich-philosophische Gegenkultur, als smartes Gegengewicht zum „woken“ Zeitgeist.
„Der Schlüssel liegt nicht im Verbringen von Zeit, sondern im Investieren von Zeit“, heißt es zum Beispiel in einem von Hossainpours Instagram-Posts. Oder: „Erfolg ist kein Glück, sondern harte Arbeit.“ Das spricht besonders junge Männer an. Denn die beiden Influencer vermitteln ihnen: Schluss mit deinem langweiligen Leben, du kannst endlich wieder jemand sein. Investiere in Krypto und baue dein eigenes Vermögen auf. Überstunden, Sneakers, dicke Autos und Krypto-Wallets, das ist Freiheit. Denke selbst. Vertraue den Medien nicht. Und Vorsicht vor dem Staat, der dich abzocken will.
Libertäre glauben, dass der Staat der Teufel ist
1996 war die Zukunft ein goldenes Versprechen: Der Kalte Krieg war vorbei, Coolios „Gangsta’s Paradise“ stand auf Platz 1 der deutschen Charts und das ZDF erklärte, dass man neuerdings per Internet persönliche Briefe (E-Mails) verschicken könne. Günstiger als Telefon und Fax!
https://www.youtube.com/watch?v=k0tVl_iYmos
Für das Silicon Valley war das Internet die wahrgewordene Utopie. Ein Raum, in dem Menschen sich weltweit vernetzen und Informationen austauschen können. Der technische Fortschritt versprach eine nie dagewesene Freiheit.
In diesem Kontext – und nach ein paar Gläsern Champagner – verfasste der Aktivist und Songtexter der Band Grateful Dead, John Perry Barlow, am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos 1996 die „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“. Die ersten Worte lauten hochtrabend: „Regierungen der industriellen Welt, ihr müden Giganten aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace.“ Barlow tippte die Worte auf einem alten Apple-Computer und schickte sie an rund 600 Leute. „Ihr seid bei uns nicht willkommen, ihr habt keine Hoheit, wo wir uns versammeln“, heißt es.
Was er sagen wollte: Die Regierungen der Welt sollten sich aus dem Internet fernhalten.
Die Erklärung gilt als eines der Gründungsdokumente des sogenannten Cyberlibertarismus. Eine Bewegung, die sich gegen die staatliche Regulierung des Internets engagiert und aus der auch die ersten Kryptowährungen und der Bitcoin entstanden. Dahinter steckt der Wunsch, eine verschlüsselte, dezentrale Währung zu schaffen, die nicht von Staat und Zentralbanken kontrolliert werden kann, weil diese angeblich durch Steuern und Inflation den Leuten ihr Geld klauen.
Das klingt erst einmal verlockend. Nach der Möglichkeit, das eigene Geld zu investieren, ohne dass der Staat darauf zugreifen kann. Doch schon im Namen steckt eine größere Idee: Libertarismus. Das ist eine politische Philosophie, die besagt, dass individuelle Freiheit das absolut höchste Gut ist. Der Staat soll das Privateigentum und den freien Waren- und Personenverkehr schützen. Alles andere ist übergriffig. Denn Menschen sind „souveräne Individuen“. Also selbstständige Wesen, die sich gegen andere durchsetzen und sich vor dem gierigen Staat und dessen Gesetzen schützen müssen. Nur so können sie ihr Potential entfalten.
Dass demokratische Regierungen durch Sozialleistungen, Infrastruktur oder Bildung gewisse Freiheiten überhaupt erst ermöglichen, ist hier egal. Denn Freiheit funktioniert in diesem Weltbild immer nach den Regeln des Marktes, also ohne Eingriffe oder Regulierungen durch die Regierung. Das Problem ist: Diese „Freiheit“ führt für die allermeisten Menschen in die Unterdrückung.
Wie Tech-Unternehmen uns im Namen der Freiheit manipulieren
„Ich möchte euch nur klarmachen: Bitcoin selbst ist komplett unpolitisch“, sagte der „Blocktrainer“ Roman Reher in einem Video Anfang Mai. So sieht er auch sich selbst. Er möchte sich einfach keiner Partei „committen“ und seine „individuelle Freiheit“ nicht aufgeben, „damit wer anderes darüber bestimmen kann“. Das habe er schon mit 18 Jahren verstanden. Anschließend geht es neben Trump auch um die AfD.
Die Partei hat im Bundestag nämlich eine Anfrage zu Bitcoin eingebracht. „Echt spannendes Thema“, findet er und freut sich anschließend darüber, dass die Anfrage Formulierungen der Initiative „Bitcoin im Bundestag“ übernommen hat, bei der er mitgearbeitet hat. Dann betont er wieder, wie unpolitisch er ist. Die AfD will in der Anfrage unter anderem wissen, ob die Bundesregierung neue Gesetze plant, um den Handel mit Bitcoin zu besteuern.
Wenn es um Bitcoin und gegen dessen staatliche Regulierung geht, feiern die Krypto-Influencer auch die AfD. Dabei basiert der vehemente Kampf gegen staatliche Regulierung als Form von Tyrannei auf einem Denkfehler: Er geht davon aus, das Internet sei ohne Regierungen ein freier Raum. Das ist falsch.
Das Internet ist heute mehr denn je von den Interessen weniger Großkonzerne geprägt. Deren Profitlogik strukturiert das Netz. Auf X, Instagram oder Facebook verbreiten Trolle und Bots Falschinformationen, die demokratische Wahlen beeinflussen. Diktatoren wie Wladimir Putin betreiben Troll-Armeen, um ihre Interessen durchzusetzen. Gleichzeitig funktionieren unsere News-Feeds wie Drogen und peitschen unsere Emotionen in die Höhe, denn je mehr Zeit wir auf Instagram oder Youtube verbringen, desto mehr unserer Daten können die Tech-Firmen verkaufen. Unsere Aufmerksamkeit ist ihr Geschäft. Deshalb hat Facebook sogar einmal ausprobiert, wie man gezielt unsere Gefühle auf der Plattform manipulieren kann. Der Algorithmus spielt bewusst mit den Unsicherheiten junger Frauen und hat sogar den Genozid an den Rohinga in Myanmar befeuert. Er bewarb Anti-Rohingya-Content, weil dieser besonders viele Interaktionen hervorrief und die Leute so mehr Zeit auf der Plattform verbrachten.
Das soll Freiheit sein?
Im Namen der Freiheit und des Fortschritts haben Tech-Unternehmen in den vergangenen 20 Jahren enorm an Reichtum und Einfluss gewonnen. Sie haben mehr Einfluss auf das Internet als jede Regierung, obwohl sie nicht einmal demokratisch legitimiert sind. Wer Freiheit vor allem als Abwesenheit staatlicher Regulierung versteht, verkennt (oder findet es gut), dass das letztlich die Interessen großer Unternehmen befeuert – die uns alle mehr einschränken als jeder Staat. Wenn wir über Bitcoin sprechen, heißt das auch: Riesige Bitcoin-Mining-Farmen zerstören für ihren Profit die Umwelt. Sie haben mehr Rechenkraft als jeder Einzelanleger und damit deutlich größere Profitchancen.
Dasselbe Prinzip funktioniert übrigens auch für die Öl-, Auto- und Tabakindustrie. Auch sie kämpfen bis heute gegen jegliche staatliche Regulierung, um die eigenen Profite zu maximieren. Den Verbrauchern verkaufen sie das als Freiheitsgefühl: Autofahren, Rauchen, Reisen ohne Ende. Die Journalistin Adrienne LaFrance sagt deshalb: Was sich als Fortschritt kleidet, entpuppt sich bei genauem Hinschauen als „Techno-Autoritarismus“. Als Unterwerfung durch Tech-Unternehmen im Namen der Freiheit.
Die letzten Verteidiger der Freiheit führen uns in die Unfreiheit
In seinem Essay „Do Artifacts Have Politics?“ argumentiert der Technikphilosoph Langdon Winner, dass Technologien auf zwei Arten politisch sein können. Entweder indem sie schlichtweg mit einer bestimmten politischen Einstellung assoziiert werden, zum Beispiel, weil die Erfinder oder Eigentümer sie verbreiten. So wie Elon Musk, der als X-Eigentümer antisemitische Verschwörungserzählungen verbreitet. Oder indem sie von einer bestimmten Politik abhängig sind, um überhaupt funktionieren zu können. Das ist bei Bitcoin der Fall.
Wer auf Kryptowährungen und Big-Tech schaut, merkt: Diese Technologien hängen von einer libertären Anti-Staats-Politik ab, die vor allem in rechtsradikalen Kreisen beliebt ist.
Deshalb liebäugeln Krypto-Influencer mit Politikern wie Javier Milei. Der argentinische Präsident bezeichnet sich selbst als „Anarcho-Kapitalist“ und den Staat als „ein Pädophiler in einem Kindergarten mit angeketteten und in Vaseline gebadeten Kindern“. Deshalb finden viele den Präsident von El Salvador gut, der Bitcoin als Zahlungsmittel eingeführt hat, während er gleichzeitig Grundrechte außer Kraft setzt und Menschen willkürlich inhaftieren lässt. Und deshalb reagierte die Bitcoin-Szene so begeistert, als die AfD im Bundestag eine Kleine Anfrage zum Thema Bitcoin stellte.
Sie geben sich als unpolitisch, aber Bitcoin selbst ist politisch. Und Menschenrechte spielen für den Erfolg von Kryptowährungen keine Rolle.
Die Krypto-Influencer, die sich im Netz als die letzten Verteidiger der Freiheit inszenieren, führen uns also, bewusst oder unbewusst, in die Unfreiheit. Heute bereits im Netz. Morgen vielleicht an der Spitze der Regierung.
Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger