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Gestern ist eine Dystopie zur Realität geworden. Ich hatte den Eindruck, mitten im Buch „1984“ von George Orwell gelandet zu sein, als ich mir die Bilder von Wladimir Putins Besuch in Nordkorea ansah.
Männer, Frauen und Kinder winkten mechanisch mit Russland-Fähnchen und Luftballons; Uniformierte riefen „Russland, Russland, Russland“. Zwischendurch fuhren Putin und Kim Jong-un in einem Auto mit offenem Dach an den jubelnden Menschenmengen vorbei, im Hintergrund hingen übergroße Porträts der beiden Machthaber an der Wand. Ein bizarrer Anblick.
© Anadolu/ Getty Images
Ich habe mir einen Livestream des Besuchs im aserbaidschanischen Fernsehen angesehen, der Sender „Baku TV“ hat auch einen russischsprachigen Kanal. Viele russische Propaganda-Medien sind in der EU verboten und deshalb schwerer zugänglich. Die Kommentare unter dem Stream waren ebenso bizarr wie der Auftritt. „Ich will in Nordkorea leben und arbeiten. Dort herrschen Sicherheit und Ordnung”, schreibt jemand auf Russisch. Ein anderer Nutzer kommentiert: „Vorwärts zum strahlenden Kommunismus, Genossen!!!“ Und nein, das ist nicht ironisch gemeint, in den Kommentaren dominierten Herz-Emojis und Daumen nach oben.
So absurd der Auftritt auch war, es lassen sich ein paar interessante Dinge ableiten, die mit der sozialistischen Vergangenheit der beiden Länder zu tun haben. (Das hier ist übrigens ein Newsletter, den ich regelmäßig verschicke und den du hier auch abonnieren kannst, um ihn regelmäßig in dein Postfach zu bekommen).
Der Besuch war keine reine Propaganda-Veranstaltung: Putin und Kim unterschrieben einen Vertrag über eine strategische Partnerschaft. Russland und Nordkorea vereinbarten gegenseitigen Beistand, sollte eines der beiden Länder von einem Drittstaat angegriffen werden.
Besonders bemerkenswert finde ich, dass der Artikel des Vertrags, in dem es um den militärischen Beistand geht, fast wortgleich einen alten kopiert: und zwar den Vertrag über Freundschaft und gegenseitigen Beistand aus dem Jahr 1961 zwischen der UdSSR und der „Demokratischen Volksrepublik Korea“, wie Nordkorea formell heißt. Nordkorea ist offiziell ein sozialistisches Land, das sich auch nach Ende des Kalten Krieges nicht wandelte.
Nicht nur die pompöse Inszenierung erinnerte also an sozialistische Zeiten, auch der Vertrag selbst orientiert sich daran.
Allerdings handelt es sich nicht wirklich um eine Reise in die Vergangenheit, wie der russische Publizist Alexander Gaunov in einem Artikel schreibt. Der Auftritt sei „eine Rekonstruktion nicht der sowjetischen Realität, sondern des aktuellen Mythos darüber.“ Selbst die einfachen Sowjetbürger:innen hätten über Nordkorea gelacht, so Gaunov. „Die Seiten der Zeitschrift ,Korea Heute‘ wurden meist mit einem mitleidigen Lächeln durchgeblättert – es gibt noch mehr Idiotie auf der Welt, und wir haben schon nichts.“
Das Russland unter Putin verherrlicht die Sowjetzeit. Es passt also, dass Putin gemeinsam mit Kim einen Auftritt inszeniert, der an Sowjetzeiten (oder an das Buch „1984“ von Orwell) erinnert. Die Nutzer:innen in den Youtube-Kommentaren haben das jedenfalls verstanden.
So bizarr die beiden Machthaber auch scheinen mögen, gefährlich sind sie trotzdem. Nordkorea liefert Russland Waffen für den Krieg gegen die Ukraine. Beide Länder besitzen Atomwaffen. Im Gegensatz zu „1984“ war das Treffen von Putin und Kim Realität.
Redaktion und Schlussredaktion: Lea Schönborn, Bildredaktion: Isolde Ruhdorfer