Collage: Eine EU-Fahne, Heidelberg, Damien Boeselager und ein VOLT-Wahlplakat.

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Politik und Macht

7 Gründe für den Überraschungserfolg von Volt

2,6 Prozent der Wählenden haben Volt bei der Europawahl gewählt. Ich habe ihre Wähler:innen gefragt, warum. Ein Grund: Für viele ist Volt die konsequenteste Antwort auf die AfD.

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Reporterin

Warum ausgerechnet Volt? Das habe ich mich gefragt, als ich gesehen habe, dass 2,6 Prozent der Wählenden in Deutschland für Volt gestimmt haben – unter den 16 bis 24-Jährigen sogar neun Prozent. Das sind etwa eine Million Menschen. Also habe ich Volt-Wähler:innen unter den KR-Leser:innen gefragt und über 300 Erklärungen gelesen.

In der Umfrage zeigt sich: Es gibt sieben verschiedene Gründe, die in ihrer Kombination 2,6 Prozent dazu gebracht haben, ihre Stimme Volt zu geben. Was ich schon verraten kann: Es hat mit einem Kindheitstraum, den Grünen und dem Wahl-O-Maten zu tun.

1. Wer Volt wählt, träumt von den „United States of Europe“

Viele, die am Sonntag für Volt abgestimmt haben, glauben an den Traum von einem stärker vereinten Europa. Patrick hat als Kind sogar von den „Vereinigten Staaten von Europa“ geträumt, schreibt er in der Umfrage. Und er sagt: „Irgendwie kann ich mir das mit Volt vorstellen.“ Das klingt süß und etwas naiv.

Auch Mou hätte gerne die „United States of Europe“. Für Mou und Patrick ist die EU etwas Emotionales. Sie verbinden damit offene Grenzen und internationale Freund:innenschaften. So beschreibt es auch Sven. Er ist 22 und schreibt, dass er sich als Europäer fühlt. Ein Leben ohne die EU kennt er nicht.

Volt ist die einzige paneuropäische Partei, die bei der Europawahl angetreten ist. Das heißt, sie ist in 31 Staaten vertreten und tritt europaweit mit demselben Programm an.

Fast alle 300 Teilnehmenden meiner nicht-repräsentativen Umfrage haben angegeben, dass sie Volt gewählt haben, weil die Partei in ihrer Essenz „pro-europäisch“ ist. Volt will sogar eine europäische Verfassung.

Vor der Europawahl war unklar, ob Volt noch zeitgemäß ist, weil EU-Pullis in Kleiderschränken im Jahr 2024 eher zustauben oder auf dem Flohmarkt für einen Euro angeboten werden, als stolz auf der Straße getragen zu werden. Es war unklar, ob der Traum einer vereinten EU noch verfängt in einer Zeit, in der Rechtspopulist:innen in Deutschland in jedem Jahr mehr Stimmen erhalten. Für die 2,6 Prozent, die Volt gewählt haben, ist Volt sogar mehr als zeitgemäß. Für sie verspricht Volt eine Utopie, die andere Parteien längst aufgegeben haben.

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Die EU ist aber für Volt-Wähler:innen kein Selbstzweck. Sie wollen ein Europa, das neben den USA und China bestehen kann, und dafür brauche es mehr Integration, nicht weniger. Und auch eine europäische Armee.

Und wer bei dieser Wahl das Signal „Mehr Europa“ in die Welt schicken wollte, hat oft Volt gewählt. Keine andere Partei steht so sehr für dieses Thema.

2. Volt ist für viele die konsequenteste Antwort auf Rechtspopulismus

Ein Leser schreibt: „Aufgrund des Aufschwungs der AfD und der Euroskepsis habe ich maximal proeuropäisch gewählt.“ Und diese Aussage zeigt deutlich: Für die Wähler:innen ist Volt die beste Antwort auf die AfD. „Das Gegenmodell zu Nationalismus“, schreibt KR-Mitglied Paula.

Es gibt einige Parteien, die traditionell dem Antifaschismus verbunden sind. Warum haben Menschen trotzdem Volt gewählt?

Das liegt einerseits an der Gründungsgeschichte: Volt wurde 2018 als Reaktion auf rechtspopulistische Tendenzen, den Brexit-Volksentscheid und Donald Trump gegründet. Es liegt auch an ihrer inhärenten Logik: Eine Partei, die sich als europäische Partei positioniert, ist das Gegenstück von Nationalismus. Und drittens an dem Inhalt: Eine Partei, die die Macht der EU ausweiten möchte, kann nicht besonders nationalistisch sein.

Dass Volt heute noch als Antwort auf Nationalismus gesehen wird, zeigt, dass sie zumindest etwas richtig gemacht haben: Sie werden als das wahrgenommen, als dass sie sich gegründet haben. Bisher zumindest noch.

3. Es gibt Wählerpotenzial, und zwar in Heidelberg und Darmstadt

Volt ist eine Stadtpartei, vom Vibe her ähnlich wie „Die Urbane, die Hip-Hop-Partei“ (wer kennt sie noch?), nur in etwas geleckter: Die Abgeordneten tragen keine Baggy Pants, sondern Hemd unterm Pulli. Die Gründer:innen sehen aus, wie ich mir Menschen vorstelle, die aus einem reichen Elternhaus kommen. Eine Person aus meiner Fußballmannschaft hat gestern gesagt, Volt sei für sie sowas wie „eine grüne FDP“. Volt ist perfekt für Heidelberg.

Und tatsächlich: Besonders viele Menschen in größeren Städten haben Volt gewählt, besonders in Baden-Württemberg. Sehr erfolgreich war die Partei in Heidelberg mit 9,5 Prozent. Noch mehr Stimmen hat sie aber in Darmstadt erhalten (10,9 Prozent) und das liegt in Hessen. Beides sind Uni-Städte und Darmstadt hat sogar eine ausgezeichnete Technische Universität. Und das sagt ziemlich viel über das Milieu aus, das sich von der Partei angesprochen fühlt: Grüne, wohlhabende Menschen, denen Wissenschaft wichtig ist.

Im ländlichen Raum war die Partei schwächer, am schlechtesten hat sie in Ostdeutschland abgeschnitten. In Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern liegen sie jeweils bei 1,3 Prozent.

Dieses Meme einer Instagram-Seite verbildlicht das Wahlergebnis von Volt:

Ein Screenshot eines Memes der Instagram-Seite "Stuttgarter.Meme".

Screenshot: Instagram (Stuttgarter.Meme)

Wer Volt vor allem mit blauen EU-Pullis und deren Träger:innen verbindet, sieht die Partei wahrscheinlich als eine sozialliberale Abweichung der FDP.

Dabei wird im Wahlprogramm das Wort „liberal“ kein Mal erwähnt, „sozial“ hingegen 64-mal. Es wird von einem „umfassenden sozialen Sicherheitsnetz“ gesprochen und dem Ziel, dass sich Geflüchtete „freizügig“ in der EU bewegen können (das ist dann wohl der liberale Part).Wer Volt als neue FDP abstempelt, macht es sich also etwas leicht. Sie sehen vielleicht so aus wie FDP-Fuzzis, haben aber einige ziemlich sozialdemokratische Forderungen.

Ein Krautreporter-Leser schreibt, er gibt Volt nochmal vier Jahre, wenn es sie dann immer noch gibt, würde auch er sie wählen. Damit ist er untypisch für die Wähler:innen von Volt, denn die sind sogenannte Early Adopters, also Personen, die neue Produkte (oder Parteien) als erste ausprobieren wollen.

4. Volt ist die Partei für Early Adopters, die an Wissenschaft und trotzdem an Fortschritt glauben

Wer Volt wählt, dem ist Wissenschaft wichtig und der findet Ideologie nervig. In Antworten in der Umfrage wird wahlweise von „Klimapolitik ohne Ideologie“ oder von „Pragmatismus ohne Ideologie“ gesprochen.

Neben dem Glauben an die Wissenschaft ist Volt eine Partei, die den Wähler:innen Hoffnung macht. Einige heben den „Mut“ der Partei hervor, andere die „positive Vision“ und weitere die „Zuversicht“, die die Kandidat:innen ausstrahlen würden.

Sie glauben also an Wissenschaft und haben trotzdem noch Hoffnung. Eine besondere Mischung, die schwer vereinbar scheint. Denn wer sich Klimacharts anschaut, dem wird mulmig. Aber genau das ist wahrscheinlich der Job von Politiker:innen, den Volt-Kandidat:innen bei dieser Wahl gut gemacht haben: die triste Realität als dornige Chance zu verkaufen.

Denn die Wähler:innen von Volt sehnen sich nach einer Partei, die positiv über die Zukunft spricht, trotz allem. Eine Umfrageteilnehmerin sagt: „Das war der einzige Wahlkampf, den ich als positiv wahrgenommen habe und der nicht nur gegen etwas war.“

Wenn ich mir einen Volt-Wähler vorstelle, ist es definitiv ein Mann (das mag auch daran liegen, dass sehr viel mehr Männer als Frauen an der Umfrage teilgenommen haben) und auch einer, der schon mindestens ein Start-up gegründet hat. Aber ein nachhaltiges, zum Beispiel für Kondome. Ganz nach Simons Motto, der Volt gewählt hat, „weil sie anpacken statt schlechtreden“.

5. Volt ist die Protestwahl für Bürgis

Volt ist die Wahl für diejenigen, die nicht mehr Grüne oder SPD wählen wollen, aber auf keinen Fall rechts. Die nicht radikal genug für die Linke sind, nicht zynisch genug für Die Partei und nicht pflichtvergessen genug, um einfach überhaupt nicht zu wählen.

Für Leute wie Marie, die sagen: „Ich bin Mitte 30, studiert und habe keinen Bock auf die leeren Versprechen der alteingesessenen Parteien.“ Dazu passt, dass „frischer Wind “wahrscheinlich die Wortkombination ist, die in der Umfrage am häufigsten aufgetaucht ist.

Eine Leserin schreibt, sie habe sich für Volt entschieden, weil die Grünen wegen der Asylrechtsverschärfung und der Klimapolitik für sie nicht mehr wählbar gewesen seien. Andere wählten Volt, weil die Partei den Grünen ähneln würde, aber ohne die Esoterik, bei Themen wie Homöopathie oder Gentechnik zum Beispiel. Eine Person, die selbst sogar Mitglied der Grünen ist, schreibt, dass sie das „super weirde konservative Framing“ in der Wahlkampagne der Grünen irritiert habe. Und die Linken würden sich durch ihre „naive Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ diskreditieren.

6. Volt ist vielleicht die erfolgreichste Wahl-O-Mat-Partei

Der Wahl-O-Mat ist für kleine Parteien sehr wichtig. Er gibt ihnen die Chance, in den Blickpunkt der Wähler:innen zu geraten. Und bei Volt hat das extrem gut funktioniert.

Einige Teilnehmer:innen der Umfrage haben angegeben, dass sie Volt gewählt haben, weil die Partei ihnen beim Wahl-O-Mat an erster Stelle angezeigt wurde. Das hier ist wohl die Person mit der höchsten Übereinstimmung: „Ich hatte 100 Prozent Übereinstimmung im Wahl-O-Mat. Dann habe ich mich ausführlich informiert und bin zu dem Entschluss gekommen, dass Volt mich perfekt vertreten kann.“

Der Wahl-O-Mat ist nicht das einzige Mittel, das im Vorhinein der Wahl die Aufmerksamkeit der Wähler:innen auf Volt gelenkt hat. Hinzu kommen die Plakate, die von Volt im Vergleich zu anderen Parteien ziemlich früh hingen und über die immer wieder gesprochen wurde.

https://x.com/voltbw/status/1799037193840893961?s=46&t=nhkBSgjmRBYZNeUH5Vksow

Und dann gab es auch noch eine Wahlumfrage des ZDF, deren Ergebnisse am Donnerstag vor der Wahl veröffentlicht wurden und in der Volt drei Prozent der Stimmen zugesprochen wurden. Das hat mindestens einen Teilnehmerin meiner Umfrage unter KR-Mitgliedern dazu bewegt, ihr Kreuz tatsächlich bei Volt zu setzen.

7. Bei der Europawahl kann man experimentieren

Der letzte Punkt lässt sich einfach zusammenfassen: Es ist nur die Europawahl. Bei ihr lässt sich experimentieren. Nico schreibt zum Beispiel, dass er bei einer Wahl mit Prozenthürde die Grünen gewählt hätte. „Die fehlende Sperrklausel jedoch lässt mich zu EU-Wahlen immer experimentieren.“


Recherche: Vincent Baur, Redaktion: Rico Grimm und Rebecca Kelber, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

Transparenzhinweis: Im Teaser stand erst „Mehr als zwei Millionen“, dabei ist etwa eine Million Menschen korrekt. Der Fehler beruht darauf, dass von den Wahlberechtigiten und nicht den tatsächlich Wählenden ausgegangen wurde. Das wurde berichtigt.

7 Gründe für den Überraschungserfolg von Volt

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