drei wahlplakate von CDU, SPD und den Grünen

Leo-Baeck-Bibliothek, Plakatsammlung ACDP Konrad-Adenauer-Stiftung, Grüne

Politik und Macht

Wahlplakate zeigen, was in Deutschland auf dem Spiel steht

Das war schon 1930 so. Nur der Stil hat sich geändert.

Profilbild von Lea Schönborn
Reporterin

Woran denkst du, wenn du eine nackte Frau am Strand siehst? Wahrscheinlich nicht an die CDU.

Auf dem Plakat ist eine nackte Frau von hinten zu sehen, die über einen Strand wegläuft. Unten steht: "Machen Sie es wie die Preise, laufen Sie der SPD davon."

© Plakatsammlung ACDP, Konrad-Adenauer-Stiftung

Genau die ist aber auf einem Wahlplakat der CDU von 1972 abgebildet. Darauf empfahl die CDU, der SPD davonzulaufen – so wie die Preise. 1972 war das Jahr, in dem die Preise stiegen und sich zeigte, dass das Wirtschaftswunder nicht ewig andauern würde. Die CDU gab der SPD die Schuld.

An Wahlplakaten wie diesem lässt sich der Zustand der Gesellschaft erkennen, wer als Feind und was als gesellschaftlich wichtig erachtet wird. Plakate sind das Thermometer der Gesellschaft. Deswegen lohnt sich ein genauer Blick, von 1855 bis heute ins Jahr 2024, das Jahr der Europawahl.

Wer sich die Wahlplakate im Laufe der Geschichte ansieht, merkt: In mancher Hinsicht ist Deutschland wieder wie 1932, die Plakate haben nur ein anderes Design. Dieser Vergleich mag drastisch erscheinen. Doch wer die Wahlplakate richtig interpretiert, erfährt, woran Politiker:innen glauben und was sich Bürger:innen wünschen. Das hilft auch dabei, die Wahlplakate von heute zu verstehen und zu erkennen, welche gesellschaftlichen Werte bedroht sind.

Am Anfang sollte den einfachen Bürgern Kunst mit Plakaten beigebracht werden

Es begann unpolitisch: Plakate, wie wir sie heute kennen, haben sich Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt. Mit Beginn der Industrialisierung mussten immer mehr Menschen ihr Zuhause verlassen, um zur Arbeit zu kommen. Es bot sich die Möglichkeit, sie auf ihrem Arbeitsweg mit Werbung zu konfrontieren. In diesem Zeitraum brachte der Berliner Drucker Ernst Litfaß die Litfaßsäule nach Deutschland. Damit war eine neue Form der Kunst geboren: die Plakatkunst. Auf Plakaten dieser Zeit wurde entweder nur für die Kunst an sich geworben oder zusätzlich noch für ein Produkt.

In der Weimarer Republik waren die Plakate politisch und künstlerisch zugleich

Im Ersten Weltkrieg wurden die Plakate politischer: Bürger wurden auf ihnen angehalten, dem Staat Geld zu leihen, um die Niederlage auf dem Schlachtfeld zu verhindern.

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Nach dem Ersten Weltkrieg nutzten Parteien Plakate das erste Mal zur Wahlwerbung. Plakate erlebten eine „Hochzeit“, denn zunächst hatten sie keine Konkurrenz: Internet und Fernsehen gab es noch nicht und Zugang zum Radio hatten im Jahr 1932 nur 4,3 Millionen Menschen. Plakate hingegen sahen alle, die das Haus verließen. Es war das Primärmedium, um Informationen zu verbreiten. Gleichzeitig hatten die Gestalter:innen der Plakate einen künstlerischen Anspruch, ein Plakat der SPD von 1919 sah zum Beispiel so aus:

Zuversichtlich blickt die Frau mit der roten Fahne der Arbeiterbewegung in die Zukunft. Hinter ihr geht die Sonne auf - seit der Aufklärung das Symbol eines neuen, eines besseren Zeitalters, das nun beginnt. Darunter steht "Wählt die Mehrheits-Sozialdemokraten.

© Deutsches Historisches Museum, Berlin

Ein Kunstwerk, aber nicht nur das: Es markierte auch den Beginn einer neuen Ära, denn Frauen durften 1919 das erste Mal wählen. Deswegen ließen fast alle Parteien Wahlplakate mit Frauenabbildungen entwerfen, um die neue Wählerinnenschaft an sich zu binden.

Von da an wurden die Wahlplakate immer düsterer und brutaler. Jedes Plakat ein Aufschrei, eine riesengroße rot-schwarze Warnung.

Zu Beginn der 1930er Jahre warnte die SPD mit martialischen Motiven und grellen Farben vor dem Aufstieg des Nationalsozialismus. Die Plakate lassen rückblickend erahnen, wie ernst die Lage bereits war:

Auf dem Plakat steht: „Der Arbeiter im Reich des Hakenkreuzes“. Zu sehen ist ein roter Arbeiter, der an ein Hakenkreuz gefesselt ist.

© Leo-Baeck-Bibliothek

Oder das hier:

Zu sehen ist ein marschierendes Skelett in NSDAP-Uniform mit einer Trommel in der Hand. Darüber steht in roter Schrift: "Soll es so weit kommen?"

© Plakatsammlung des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt

Während des Nationalsozialismus durfte nur noch die NSDAP unter Hitler ihre Propaganda verbreiten. Das Wahlplakat – kurz zuvor noch eines der wichtigsten Medien vor den Wahlen – fiel der Zensur zum Opfer.

Der Wiederaufbau Deutschlands war geprägt von Lagerdenken

Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten Parteien erst wieder zugelassen und Wahlplakate dann auch noch von der jeweiligen Besatzungsmacht genehmigt werden. Gleichzeitig nahmen sie wieder eine wichtige Rolle ein, weil in den zerstörten Städten Zeitungswesen und Rundfunk noch darnieder lagen. Sie waren das Medium, über das Menschen in Deutschland erstmal ihre Infos bekamen. Das Wahlplakat war wieder auferstanden.

Auf einem der ersten Plakate nach dem Zweiten Weltkrieg rief die CDU „Antifaschisten“ auf, zu ihnen zu kommen. Knapp 80 Jahre später schwer vorstellbar, aber in der damaligen Zeit war die Abgrenzung zu Faschismus Kernelement jeder Partei – sogar der CDU.

Dunkle Schrift auf gelbem Untergrund: "Antifaschisten bekennt euch und kommt zur Christlich-Demokratischen Union Deutschlands"

© Plakatsammlung ACDP, Konrad-Adenauer-Stiftung

Auf den Wahlplakaten ab 1949 sind dann die großen Themen der Nachkriegszeit zu erkennen: die Teilung Deutschlands und der Drang nach Wiedervereinigung (zumindest in der Bundesrepublik), der Wiederaufbau, und natürlich das Wirtschaftswunder in der BRD. Gleichzeitig wurde schnell klar, was die Nachkriegsjahre bis nach Ende des Kalten Krieges prägen würde: das Lagerdenken. Zum Beispiel machte die SPD auf diesem Plakat Werbung für sich, indem sie die CDU und die FDP kritisierte. Damals war die SPD noch klar als Arbeiterpartei zu erkennen:

Schwarze Schrift auf gelblichem Untergrund: "Alle Millionäre wählen CDU – FDP. Alle übrigen Millionen Deutsche die SPD"

© Theodor-Heuss-Haus Stuttgart

Und die CDU machte Angst vor der SPD, stilisierte sie als den gefährlichen kommunistischen Invasor aus dem Osten. Zum Teil so bedrohlich und düster wie hier:

Die Welt, eine rote gruselige Figur und die Schrift "Die Rettung: CDU".

© Plakatsammlung ACDP, Konrad-Adenauer-Stiftung

Frank Brettschneider ist Kommunikationswissenschaftler und forscht seit Jahrzehnten zur Wirkung von Wahlplakaten. Brettschneider nennt die Methode, andere Parteien schlecht zu machen und sich dadurch zu profilieren, „Negative Campaigning“. „Diese Methode fand sich lange Zeit auch auf Wahlplakaten in der Bundesrepublik“, sagt er. Eine solch wichtige Rolle spielte die Methode aufgrund des Kalten Krieges, der Zeit des Systemkonflikts zwischen den USA und der Sowjetunion und damit auch zwischen der BRD und der DDR. Dieser Konflikt zeigt sich auch auf den Wahlplakaten der Parteien in Westdeutschland.

Gleichzeitig passierte noch etwas: Der Stil der Plakate änderte sich, es waren immer weniger Illustrationen und immer mehr Köpfe zu sehen. Das hat sich bis heute gehalten, sogar verfestigt. „Kopfplakate“ nennt sich das. Der Philosoph Hanspeter Rings bemängelt in diesem Text, dass damit der „künstlerische Freiraum“ genommen habe. Stattdessen hätten mehr und mehr „anonyme Grafikteams“ die Gestaltung übernommen.

Die Nachkriegszeit war eine Zeit der starken Männer und sexy Frauen

Auf Wahlplakaten lässt sich erkennen, welche Themen die jeweilige Zeit geprägt haben. Sie sind ein sehr genaues Thermometer des Gemütszustands einer Gesellschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die großen Themen Wohlstand und Freiheit, ab 1949 warb die CDU mit Konrads Adenauers Gesicht und weniger später mit dem Slogan „Keine Experimente“, Adenauer war von 1949 bis 1963 Kanzler der Bundesrepublik.

Das Plakat zeigt ein gezeichnetes Porträt von Konrad Adenauer, darunter in blauer Schrift "Kein Experimente CDU"

© Plakatsammlung ACDP, Konrad-Adenauer-Stiftung

Außerdem erkennbar: Wie sehr Männer die Politik dominierten. Von 1949 bis 2005 zierten vor allem Männer die Wahlplakate: Erst Konrad Adenauer, dann Ludwig Erhard, Kurt Kiesinger, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl und als vorerst letzter Mann Gerhard Schröder.

Frauen waren auf den Wahlplakaten eher Sexobjekte, trugen wenig Kleidung oder blickten lasziv in die Kamera. Sex sells, das galt viele Jahre auch bei Wahlplakaten. Erinnern wir uns an die nackte Frau am Strand vom Anfang des Textes. Sie war aber nicht die Einzige. Auch 1976 zeigte die CDU wieder eine Frau, mit lasziv geöffnetem Mund, die den Linken die rote Karte zeigt (Stichwort: „Negative Campaigning“).

Eine Frau mit geöffnetem Mund und im Schiedsrichteroutfit, eine Trillerpfeife um den Hals und in der Hand eine rote Karte. Darüber die Schrift: "Den Linken jetzt die rote Karte"

© Plakatsammlung ACDP, Konrad-Adenauer-Stiftung

In den 1980er Jahren brachten die Grünen ein neues Thema (Umwelt) und einen neuen Stil auf die Plakate (bunte Kinderzeichnungen). Für die Grünen war die Umwelt das Kernthema, mit dem sie sich abgrenzen konnten von den anderen Parteien. Dieses Plakat nutzten die Grünen 1979 im Europawahlkampf:

Ein buntes Plakat der Grünen, sieht aus wie von einem Kind gezeichnet, eine Sonne ist zu sehen sowie Blumen und Bäume. Dazu die Schrift "Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt."

© Spiegel

Der Bundestagswahlkampf 1994 markierte den Höhepunkt des Lagerdenkens: Die CDU startete die Rote-Socken-Kampagne. Der CDU-Generalsekretär Peter Hintze sah die Kampagne sogar als wahlentscheidend – allerdings hat er sie selbst entworfen. Mitglieder der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), die aus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) hervorging, wurden als „rote Socken“ bezeichnet. Die CDU behauptete, dass die SPD bereit wäre, eine Koalition mit der PDS einzugehen. Ein Skandal! Am Ende der Wahl konnte die CDU mit der FDP erneut eine Koalition bilden und die Bundesrepublik bekam zum fünften, aber auch letzten Mal Helmut Kohl als Bundeskanzler. Ein Plakat aus der Kampagnenreihe sah so aus:

An einer Wäscheleine hängt eine rote Socke, darüber steht "Auf in die Zukunft..." und darunter "aber nicht auf roten Socken!"

© Plakatsammlung ACDP, Konrad-Adenauer-Stiftung

Vier Jahre später gewann die SPD das erste Mal seit knapp 25 Jahren die Mehrheit der Wählerstimmen. Die Regierungskoalition war ab jetzt: Rot und Grün. Und das obwohl die CDU erneut mit sexy blonden Frauen in Tanktops gegen Gerhard Schröder gewettert hatte:

"3 Frauen können sich nicht irren – Schröder ist der falsche Mann!" steht auf dem Plakat der CDU. Zu sehen sind drei junge Frauen in Tanktops, die den Daumen nach unten zeigen.

© Plakatsammlung ACDP, Konrad-Adenauer-Stiftung

Das Jahr 2024: Die großen Themen sind Sicherheit und Demokratie

Im Jahr 2024 sind die Slogans der Parteien verwirrend: Die CDU wirbt mit FDP-Themen (zum Beispiel mit Sicherheit, Wohlstand und Freiheit), die SPD schreibt sich CDU-Slogans auf die Plakate (zum Beispiel Maß, Mitte und Frieden) und die Grünen werben mit Schlagwörtern, die eher mit der CDU in Verbindung gebracht werden (zum Beispiel Ordnung, Sicherheit und Stärke).

Auf einem Wahlplakat der Grünen steht zum Beispiel: „Ein starkes Europa bedeutet ein sicheres Deutschland“:

Man sieht das Gesicht von Terry Reintke, Spitzenkandidatin der Grünen. Rechts neben ihr steht "Ein starkes Europa bedeutet ein sicheres Deutschland".

© Grüne

Kurzum: Die Grünen klingen mehr nach Law-and-Order- als nach Umweltpartei, bei der SPD ist wenig von ihrem Rote-Socken-Image geblieben und die CDU und FDP sind auf den ersten Blick schwer auseinanderzuhalten. Aus Sicht der politischen Kommunikation sieht Brettschneider das Übernehmen von Themen, für die eine andere Partei bekannt ist, kritisch. Es tue einer Partei im Wahlkampf tendenziell besser, bei ihren Themen zu bleiben, als die Themen anderer zu spielen. Denn im Wahlkampf änderten Wähler:innen selten ihre Einstellungen. Es gehe vielmehr darum, die vorhandenen Einstellungen zu aktivieren, und dazu gehören Kompetenzzuschreibungen bei den Themen, die Menschen mit einer Partei positiv verbinden.

Die Plakate sind interessant, weil sie irritieren. Der Philosoph Hanspeter Rings schrieb 2009, dass „künstlerische und phantasievolle“ Plakate ein Zeichen für instabile und polarisierende Zeiten sein könnten. „Phantasievoll“ sind Plakate heute nicht mal mehr bei den Grünen, aber die großen Themen zeigen sie gewissenhaft an: Das sind in diesem Jahr Sicherheit und Demokratie.

Seit dem Beginn des Russland-Ukraine-Kriegs ist das Thema Krieg sehr präsent. Das zeigt zum Beispiel eine Studie des MDR. Fast 80 Prozent der Befragten gaben an, dass ihr Sicherheitsgefühl seit Beginn des Russland-Ukraine-Kriegs beeinträchtigt sei. Diese empfundene Bedrohung zeigt sich auch auf den Plakaten. „Seit Beginn des Russland-Ukraine-Kriegs wird wieder verstärkt mit Sicherheit geworben“, sagt auch Brettschneider.

Hier zum Beispiel die FDP, die Europa als wichtigen Ort betont. Daraus kann man folgern: Europa muss geschützt werden. Die CDU stellt sich auf ihrem Wahlplakat als Partei der Sicherheit dar.

Zu sehen sind zwei Plakate an einer Straße. Einmal von der FDP auf der linken und von der CDU auf der rechten Seite.

© picture alliance / dpa / Revierfoto / Revierfoto

Das andere große Thema ist die Demokratie. Das zeigt sich, weil die Parteien einerseits weniger auf Abgrenzung untereinander setzen. Brettschneider sagt: „Den Versuch der Abgrenzung haben wir heute weniger, weil die Parteien eigentlich immer zusammenarbeiten können müssen.“ Eine Ausnahme stelle die Abgrenzung nach rechts dar, diese habe auf den Plakaten wieder zugenommen. Das ist der Moment, in dem die Plakate an 1932 erinnern – weniger rot und martialisch, aber inhaltlich auch eine Warnung.

Die SPD positioniert sich „gegen Hass und Hetze“, die Grünen schreiben: „Mach den Rechten ein Kreuz durch die Rechnung“, und die FDP beschreibt Bildung als erste „Verteidigungslinie der Demokratie“.

Demokratie war seit dem Zweiten Weltkrieg eine Selbstverständlichkeit, die nicht ausgesprochen werden musste. Dass auf den Wahlplakaten häufig von Demokratie die Rede ist, bedeutet, dass die Demokratie als bedroht wahrgenommen wird. Im ARD-Deutschlandtrend antworteten fast 40 Prozent der Bürger:innen Anfang Februar auf die Frage, was ihrer Meinung nach die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland sei: „Rechtsextremismus und Rechtspopulismus“. Fast doppelt so viele wie im Oktober 2022. Das zeigt sich auch auf den Wahlplakaten.


Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos