Ein Ei an den Kopf.
So hatte sich der niedersächsische AfD-Politiker Holger Kühnlenz seinen Samstagmorgen am Parteistand sicher nicht vorgestellt. Als er den Werfer, einen 29-jährigen vermummten Mann, zur Rede stellen wollte, kassierte er auch noch einen Schlag ins Gesicht. So erzählte Kühnlenz es später der Polizei, bevor er Nahaufnahmen seiner geröteten Nase auf seinen Social-Media-Kanälen teilte.
Seit dem Angriff auf den SPD-Politiker Matthias Ecke debattiert Deutschland darüber, wie sehr Gewalt und Einschüchterungen gegen Politikerinnen und Zivilgesellschaft inzwischen zum Alltag gehören.
Darüber ist die AfD natürlich not amused.
Denn noch bevor die Polizei bekannt gab, dass sie von einem rechtsextremen Motiv ausgeht, waren sich zahlreiche Journalisten und Politikerinnen einig: Die AfD trägt eine Mitverantwortung für die gebrochenen Knochen des Matthias Ecke.
Die Partei reagiert, wie sie immer reagiert: Sie macht es sich in der Opferrolle bequem – und weist unermüdlich darauf hin, dass AfD-Politiker ebenfalls attackiert werden.
Das stimmt, Holger Kühnlenz ist nicht der einzige: Laut Bundesregierung gab es im vergangenen Jahr 86 Angriffe auf AfD-Leute. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Hess ist sich sicher, dass zu diesen Attacken auf seine Parteifreunde „auch die völlig enthemmten Nazi-Vergleiche der Vertreter anderer Parteien“ beitragen. Schließlich sei die eigene Partei der Inbegriff des Friedens: „Die AfD lehnt konsequent jegliche Gewalt in der politischen Auseinandersetzung ab“, schreibt er – und fordert dasselbe von allen Demokraten.
Dabei züchtet die AfD seit Jahren jenen Hass, dem brutale Angriffe auf Demokraten entspringen. Und ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt: Wenn eine in weiten Teilen rechtsextreme Partei und ihr faschistoides Vorfeld Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung normalisieren, dann sollten Staat und Zivilgesellschaft sich ihr in den Weg stellen – und zwar nicht nur mit schönen Worten.
Es wird Zeit, dass der Staat sich mit allen Mitteln der wehrhaften Demokratie gegen die faschistische Bedrohung wehrt, anstatt sie kleinzureden, sie ängstlich zu ignorieren oder sie zu normalisieren.
Er muss zurückschlagen.
„Zurückschlagen“ ist ein Wort, das viele aus der liberalen Mitte der Gesellschaft nicht mögen, weil es darauf hindeutet, was ansteht: ein Kampf, der nicht mit cleveren Argumenten im fairen Meinungswettstreit geführt wird. Denn das ist immer noch zu oft die Annahme der liberal-bürgerlichen Mitte: Rechte Volksverführer entzauberten sich schon selbst. Man müsse sie argumentativ stellen.
Das ist gut gemeint – aber vielleicht doch auch naiv?
Die Neue Rechte träumt vom Bürgerkrieg und die AfD leckt sich das Maul
Wer in Deutschland groß geworden ist, sollte wissen: Faschisten lassen sich nicht an der Macht entzaubern. Sie lassen sich auch nicht kontrollieren. Ihre Weltsicht basiert auf glorifizierter Ungleichheit: Hier die gute weiße Volksgemeinschaft, dort die minderwertigen anderen – egal, ob sie von „Rassen“ oder „Kulturkreisen“ sprechen, die einfach nicht miteinander vereinbar seien.
Der erkrankte Volkskörper, so immer noch eine ihrer Lieblingsmetaphern, müsse sich reinigen. In den Worten von Björn Höcke klingt das so: Man werde ein paar „Volksteile verlieren“, wenn nötig, mit „wohltemperierter Grausamkeit“. Dieses unverhohlene Flirten mit Gewalt- und Vernichtungsphantasien kommt aus demselben geistigen Werkzeugschrank, aus dem sich auch einer von Höckes engsten Vertrauen bedient, der rechtsextreme Strategieberater und Publizist Götz Kubitschek.
Kurz: Die Neue Rechte in Deutschland sehnt sich nach Gewalt. Sie träumt von jenem Tag X, an dem endlich der Endkampf ausbricht zwischen der liberalen Demokratie und ihren Gegnern. Sie will Chaos stiften und die Stimmung im Land aufpeitschen, um diesen bürgerkriegsähnlichen Zustand schneller herbeizuführen – und die AfD ist ihre parlamentarische Vollstreckungshilfe. Wenn rechtsextreme Schläger demokratische Politiker:innen und Wahlhelfer:innen angreifen, dann dürften sich einige in der AfD das Maul lecken.
Ein Blick auf die Gewaltbereitschaft der AfD veranschaulicht das: Allein die AfD-Bundestagsfraktion beschäftigt laut BR mehr als 100 Rechtsextreme. Eine Correctiv-Recherche zeigt, dass die AfD auf allen Ebenen Mandatsträger:innen duldet, die mit körperlicher, verbaler oder indirekter Gewalt aufgefallen sind. Darunter sind mehrere Landtags- und Bundestagsabgeordnete.
Erst vor wenigen Tagen wurde der Berliner AfD-Bezirksverordnete Kai Borrmann rechtskräftig verurteilt, weil er eine Schwarze Frau in einem Restaurant rassistisch beleidigt und ihr später ins Gesicht geschlagen hatte. Der Landesvorsitzende der Jungen Alternative in Nordrhein-Westfalen, Felix Cassel, ist nach einer AfD-Veranstaltung in eine Gegendemonstration gefahren. Der AfD-Lokalpolitiker Sven Ebert wurde erstinstanzlich wegen gefährlicher Körperverletzung an zwei Frauen verurteilt. Andere Menschen aus der Partei und ihrem Umfeld standen wegen körperlicher Angriffe, Volksverhetzung oder Waffenbesitz vor Gericht. Und die aktive AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann sitzt bald in Frankfurt auf der Anklagebank, weil sie mutmaßlich Teil einer Reichsbürger-Terrorzelle war, die einen gewaltvollen Staatsstreich plante.
Das seien „Einzeltäter“, heißt es immer wieder – ein sinnentleertes Wort in diesem Kontext. Was für eine Bedeutung hat es, wenn die lüsterne Gewaltbereitschaft in Reden und Reels aus dem deutschen Parlament in die Gesellschaft sickert?
Die Schläger fühlen sich sicher. Das ist vielleicht der wichtigste Punkt. Denn sie wissen um die Verunsicherung der demokratischen Zivilgesellschaft. Die fragt sich: Was sollen wir tun?
Wer hilft, wenn NS-Fans den lokalen Sportverein übernehmen? Wer hilft, wenn rechtsextreme Netzwerke in der Polizei Personendaten weitergeben und bei rechter Gewalt wegsehen? Wer hilft, wenn Menschen online ins Fadenkreuz genommen werden, bevor man ihnen zuhause auflauert? Wer hilft, wenn ein Rechtsterrorist in den Straßen Hanaus mit seiner Gesinnung wirbt, bevor er zehn Menschen ermordet? Wer hilft, wenn wieder und wieder Geflüchtete und deren Unterkünfte angezündet werden? Wer hilft, wenn Rechtsextreme Jagd auf queere Menschen machen? Wer hilft, wenn Journalistinnen und ihre Familien mit dem Tod bedroht werden? Wer hilft, wenn Aktivistinnen täglich mit Vergewaltigungsdrohungen aufwachen?
Wer hilft?
Die Antwort ist ernüchternd: der wehrhaft demokratische Staat und seine Sicherheitsbehörden viel zu selten.
Sie wollen uns jagen
Dieses Jahr gab es die größten Demonstrationen in der Geschichte der Bundesregierung. Menschen aller politischen Lager gingen gegen den neuen Faschismus auf die Straße. Aber was ist seither geschehen, um all jene zu beschützen, die die Zielmarkierung der Faschisten auf der Stirn tragen?
Der CDU-Politiker Armin Laschet hat bei einer dieser Demonstrationen ausgeführt, wie naiv der Glaube ist, Faschisten ließen sich zähmen. Das habe schon in den 1930er-Jahren nicht funktioniert, sagte er. Er hat recht. Damals wie heute gilt: Faschisten werden sich nicht zähmen lassen, sie wollen keine Kompromisse. Sie wollen uns „jagen“. Sie wollen: „Alles für Deutschland“. Sie wollen den „Parteienstaat abschaffen“.
Im Hinterkopf sollten wir immer die Worte des Journalisten Wassili Grossman behalten, der in einer Reportage über das Vernichtungslager Treblinka schrieb: „Wir müssen eingedenk sein, dass der Rassenwahn, der Faschismus aus diesem Krieg nicht nur den bitteren Geschmack der Niederlage davonträgt, sondern auch die süße Erinnerung, wie leicht der Massenmord gelingt.“
Redaktion: Rico Grimm, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert