Als Mitglied hast du Zugriff auf diesen Artikel.
Ein Krautreporter-Mitglied schenkt dir diesen Artikel.
ist Krautreporter-Mitglied und schenkt dir diesen Artikel.
In Georgien protestieren seit Wochen Zehntausende gegen die Regierung und gegen ein umstrittenes Gesetz nach russischem Vorbild. Die Polizei geht brutal gegen die Protestierenden vor. Es gibt Videos, die zeigen, wie die Polizei auf Protestierende einprügelt, viele der Protestierenden posten Fotos von ihren Augen, die von Tränengas verquollen sind.
Die Proteste sind besonders. Denn sie könnten entscheidend dafür sein, wie sich Georgien entwickelt: mehr in Richtung EU oder mehr in Richtung Russland. Manche vergleichen die Proteste bereits mit dem Euromaidan in der Ukraine. Das waren die pro-europäischen Massenproteste 2013/2014, in deren Folge die ukrainische Regierung stürzte, Russland die Krim annektierte und seinen Krieg in der Ostukraine begann.
Was ist dran an diesem Vergleich? Wogegen protestieren die Menschen eigentlich? Und was hat die EU damit zu tun? Ich gebe dir einen kurzen Überblick.
Kurz für alle, die es gerade nicht auf dem Schirm haben: Georgien liegt im Kaukasus, hat 3,7 Millionen Einwohner:innen und war früher Teil der Sowjetunion. Die Hauptstadt ist Tiflis, viele benutzen die georgische Version Tbilisi. Georgien ist ein beliebtes Tourismusziel und berühmt für seine Natur und die gute Küche. Ich war selbst noch vor knapp einem Monat dort und habe dieses Foto gemacht:
Idylle in den Bergen, Proteste und Polizeigewalt auf den Straßen. © Isolde Ruhdorfer
Und, das ist wichtig: Seit einem kurzen Krieg mit Russland 2008, besetzt Russland knapp 20 Prozent von Georgien, genauer gesagt die abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien. Sie sind de-facto unabhängig und Russland hat dort Truppen stationiert.
Dieses Hintergrundwissen ist wichtig, um die aktuellen Proteste richtig einschätzen zu können. Die Regierungspartei „Georgischer Traum“ hat ein Gesetz zu „ausländischer Einflussnahme“ auf den Weg gebracht. Es beinhaltet, dass sich Organisationen, die zu mindestens 20 Prozent aus dem Ausland finanziert werden, behördlich registrieren lassen müssen. Die Regierung wollte dieses Gesetz schon vor einem Jahr verabschieden, hat es nach massiven Protesten aber zurückgezogen. Nun hat sie einen erneuten Versuch gestartet.
Die Regierung sagt: Das ist für mehr Transparenz. Die Protestierenden sagen: Das ist zur Unterdrückung der Opposition und der Zivilgesellschaft. Viele Organisationen, die beispielsweise die Demokratie fördern sollen, bekommen Gelder aus der EU oder den USA. Für sie bedeutet das geplante Gesetz eine starke Einschränkung.
Es erinnert an das „Ausländische Agenten“-Gesetz in Russland, das dazu dient, jegliche Kritik zu verhindern. Das Gesetz erschwert die Arbeit von NGOs und Medien und sorgt für Finanzierungsprobleme. Ähnliche Gesetze gibt es übrigens auch in Kirgistan und Kasachstan.
Dieses Gesetz bedeutet auch: So könnte Georgien wahrscheinlich nicht in die EU. Seit Dezember 2023 ist Georgien EU-Beitrittskandidat. 80 Prozent der Bevölkerung sind für einen EU-Beitritt, die Integration in Nato und EU ist sogar in der Verfassung verankert. Josep Borrell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, kritisierte die Gewalt gegen die Protestierenden. Und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte: „Wir erwarten von der georgischen Regierung, dass sie die Maßnahmen, zu denen sie sich als Kandidatenland verpflichtet hat, zügig umsetzt.“
https://x.com/JosepBorrellF/status/1785587562674798752
In diesem Kontext wirken die Proteste so: Die Protestierenden sind für die EU und gegen Russland. Sie wollen eine europäische, demokratische Zukunft – und verurteilen die georgische Regierung, die als pro-russisch gilt. Deshalb vergleichen viele die Proteste mit dem Maidan in der Ukraine.
Das Gesetz hat am Mittwoch eine weitere Hürde genommen, Mitte Mai soll es in Kraft treten. Seit ein paar Tagen sind die Proteste besonders heftig. Zaza Bibilashvili, Gründer der zivilgesellschaftlichen Organisation „Chavchavadze Center“, schrieb in einem Gastbeitrag für eine georgische Seite: „Ohne jemandem Angst machen zu wollen, haben wir nur noch Tage, um Georgien zu retten. Vielleicht Wochen. Aber nicht Monate.“ Die einzigen Befürworter des umstrittenen Gesetzes seien in Moskau. Die Wortwahl ist etwas drastisch, zeigt aber gut, in welchem Kampf sich viele der Protestierenden sehen.
Natürlich lassen sich nicht alle Menschen in Georgien in „pro-europäisch“ und „pro-russisch“ einteilen. Die einzelnen Meinungen sind meistens diverser. Klar ist aber, dass die Proteste – und die Polizeigewalt – in ihrer Heftigkeit nicht alltäglich sind. Und das ist Grund genug, in diesen Tagen besonders aufmerksam nach Georgien zu schauen.
Redaktion: Lea Schönborn, Schlussredaktion: Rico Grimm, Bildredaktion: Isolde Ruhdorfer