Auf dem Bild ist eine Weltkarte zu sehen. An verschiedenen Orten sind Bilder hervorgehoben, die Schauplätze und Ereignisse zeigen, die mit dem Nahost-Konflikt zu tun haben.

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Politik und Macht

Was zur Hölle passiert gerade im Nahen Osten?

Seit Iran Israel attackiert hat, ist die Anspannung noch größer. Ich erkläre mithilfe von acht Karten, wie es so weit kommen konnte – und welchen Einfluss das auf Deutschland hat.

Profilbild von Isolde Ruhdorfer
Reporterin für Außenpolitik

Gaza ist mehr als 4.000 Kilometer von Berlin entfernt. Trotzdem kann der Krieg in Gaza das Public Viewing eines Fußballspiels in Deutschland beeinflussen.

Globale Zusammenhänge reagieren immer sensibler auf kleine Änderungen. Jedes Ereignis, jeder Krieg und jede Waffenstillstandsverhandlung hat Folgen. Nirgendwo wird das so deutlich wie im Nahen Osten, einer Region, in der eine kleiner Fehltritt zu einer gewaltsamen Eskalation führen kann.

Der iranische Drohnenangriff auf Israel vergangenes Wochenende ist die Folge einer langen Kette von Ereignissen. Jetzt ist wieder deutlich, wie fragil die Sicherheitslage die ganze Zeit über war. Seit die Hamas am 7. Oktober 2023 einen Terroranschlag auf Israel verübte und Israel daraufhin den Krieg in Gaza begann, ist nichts mehr wie vorher. Nicht nur in Gaza, nicht nur in Israel, nicht nur in Ländern der Region, wie etwa dem Libanon oder Syrien – auch Deutschland, Russland oder die USA spüren die Auswirkungen der aktuellen Eskalation.

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In diesem Text zeige ich anhand von acht Karten, was in den vergangenen Wochen und Monaten passiert ist. Das ist nicht nur hilfreich, um einen Überblick über die Ereignisse zu bekommen. Wer einen Schritt zurücktritt und das größere Bild betrachtet, versteht, wie es dazu kommen konnte, dass Iran zum ersten Mal Israel direkt angegriffen hat. Das Zusammenpuzzeln der Schauplätze des Konflikts zeigt auch, warum es auf das Leben in Deutschland Auswirkungen haben kann, wenn 4.000 Kilometer entfernt ein Krieg beginnt – oder endet.

Gaza: Die Bevölkerung leidet – und das beeinflusst Orte, die sich Tausende Kilometer weit weg befinden

Karte, auf der Israel und Gaza eingezeichnet sind.

© Krautreporter

Hier beginnt die Kette von Ereignissen, die seit Monaten die Nachrichten bestimmen. Am 7. Oktober überfiel die radikal-islamische Hamas Israel, ermordete mehr als 1.200 Menschen und entführte Hunderte weitere. Mehr als 100 israelische Geiseln befinden sich noch immer in Gaza. In Reaktion auf den Terroranschlag begann Israel damit, den Gazastreifen zu bombardieren. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza sind bei den Angriffen mehr als 33.000 Menschen gestorben, mehr als 75.000 sind verletzt.

Die humanitäre Situation in Gaza ist desaströs: Das Gesundheitssystem ist zusammengebrochen, nach Angaben des Welternährungsprogramms der UN drohen mehr als eine Million Menschen zu verhungern.

Während die Bevölkerung von Gaza leidet, beeinflusst die dortige katastrophale Lage auch Orte, die sich weiter weg befinden. Manche Unterstützer:innen der Palästinenser:innen radikalisieren sich. Und der internationale Beistand für Israel schwindet – zumindest war das so, bis Iran Israel angegriffen hat.

Syrien: Die Eskalation beginnt mit dem Tod iranischer Generäle

Karte, auf der Syrien mit Hauptstadt Damaskus eingezeichnet ist.

© Krautreporter

Anfang April 2024 griff Israel mutmaßlich ein iranisches Konsulat in Syrien an. Bei der Attacke auf die Konsularabteilung der iranischen Botschaft in Damaskus starben mindestens 13 Personen, darunter zwei hochrangige Generäle der iranischen Revolutionsgarde. Israel bestätigte den Angriff nicht, allerdings ist bekannt, dass Israel immer wieder Ziele in Syrien angreift, die mit Iran in Verbindung stehen.

Der Angriff auf das Konsulat war ein Wendepunkt, denn Konsulate gelten als erweiterter Teil des Staatsgebiets. Wenn wirklich Israel dahintersteckt, dann hat Israel damit das erste Mal Iran direkt angegriffen.

Das iranische Staatsoberhaupt, Ajatollah Ali Chamenei, drohte Israel kurz nach dem Angriff mit Vergeltung. US-Beamte warnten vor einem iranischen Gegenschlag, das deutsche Auswärtige Amt warnte vor Reisen nach Iran, Lufthansa strich alle Flüge in die iranische Hauptstadt Teheran. Es war klar: Es droht ein größerer regionaler Krieg. Diese Befürchtungen bewahrheiteten sich mit dem iranischen Angriff auf Israel vergangenes Wochenende.

Iran: Hunderte Drohnen und Raketen fliegen nach Israel

Karte, auf der Iran mit Hauptstadt Teheran eingezeichnet ist.

© Krautreporter

Vergangenes Wochenende startete Iran einen direkten Angriff auf das israelische Staatsgebiet. Israel konnte mit Unterstützung der USA, Großbritanniens und Jordaniens die meisten Geschosse abfangen. Doch nie zuvor gab es eine so offene und direkte Auseinandersetzung zwischen Iran und Israel.

Die Beziehungen zwischen Iran und Israel waren nicht immer so feindselig wie heute. Iran war sogar eines der ersten muslimischen Länder, das den Staat Israel anerkannte. Doch das änderte sich 1979 mit der islamischen Revolution in Iran, als Ayatollah Ruhollah Chomeini die Macht ergriff und die USA und Israel zu Feinden erklärte. Jetzt ist die Auslöschung Israels das Staatsziel des Mullah-Regimes, Staatsoberhaupt Chamenei ruft immer wieder dazu auf, Israel zu vernichten.

Seitdem führen Iran und Israel einen Schattenkrieg gegeneinander, der vor allem indirekt über andere Akteure stattfindet, über Proxys also. Zum Beispiel unterstützt Iran radikale Organisationen wie die Hamas, die Hisbollah oder die Huthi-Rebellen mit Geld, Waffen oder militärischer Ausbildung. Israel reagierte mit gezielten Militärschlägen in Syrien oder mit verdeckten Anschlägen in Iran.

Der iranische Drohnenangriff war das erste Mal, dass Iran Israel direkt und nicht über Proxys angegriffen hat. Jetzt kommt es auf die Reaktion Israels an: ob es zu einem symbolischen Gegenschlag oder einer Art „Enthauptungsschlag“ ausholt, der dazu führen soll, dass Iran überhaupt nicht mehr angreifen kann. Offenbar hat Israel schon beschlossen, dass es reagieren will – nur wann und wie, steht noch aus.

Fest steht schon jetzt: Die Verbündeten Israels solidarisieren sich mit dem Land – versuchen aber auch zu beschwichtigen. US-Präsident Joe Biden rief Israel zur Zurückhaltung auf. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock äußerte sich ähnlich. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte: „Wir werden alles tun, um einen Flächenbrand zu verhindern.“

Anders ausgedrückt: Politiker:innen und Analyst:innen befürchten eine weitere kriegerische Eskalation. Und zwar so sehr, dass alle Aufmerksamkeit darauf gerichtet ist. Das Leid der Bevölkerung von Gaza rückt in der internationalen Politik erstmal in den Hintergrund.

Libanon: Hisbollah greift von dort aus Israel an

Karte, auf der der Libanon eingezeichnet ist.

© Krautreporter

Der Konflikt zwischen Iran und Israel betrifft auch andere Länder, unter anderem den Libanon. Denn Iran finanziert die Hisbollah, eine Miliz, die den Süden des Libanon kontrolliert.

Seit dem 7. Oktober 2023 liefern sich Israel und die libanesische Hisbollah Gefechte im Grenzgebiet. Zehntausende Menschen sind aus dem Süden des Libanon beziehungsweise aus dem Norden Israels geflohen. Jetzt, wo ein größerer Krieg zwischen Iran und Israel droht, steigt auch die Gefahr, dass sich der Krieg über die Grenzgebiete hinaus ausweitet.

Jemen: Huthis attackieren Schiffe im Roten Meer – mit gravierenden Folgen für den Welthandel

Karte, auf der der Jemen, der Suezkanal, das Mittelmeer und das Rote Meer eingezeichnet sind.

© Krautreporter

Der Welthandel führt durch einen Kanal, der an seiner schmalsten Stelle knapp 300 Meter breit ist. Der Suezkanal ist das Nadelöhr des weltweiten Schiffsverkehrs – und ist ebenfalls Schauplatz der Konflikte im Nahen Osten.

Seit einigen Monaten stören die Huthis den weltweiten Schiffsverkehr. Die Huthis sind eine radikale Gruppe aus dem Jemen, sie sind dort Bürgerkriegspartei und kontrollieren einen Teil des Landes. Sie sind, wie die Hamas und die Hisbollah mit dem Iran verbündet. Ihr ziemlich eindeutiger Slogan lautet: „Gott ist groß, Tod den USA, Tod Israel, verdammt seien die Juden, Sieg dem Islam!“

Die Huthis attackieren seit dem 7. Oktober Handelsschiffe im Roten Meer. Sie behaupten, dass sie nur israelische Schiffe oder Schiffe mit Kurs auf Israel angreifen, das stimmt jedoch nicht. Deshalb ist das Rote Meer für Handelsschiffe nicht mehr sicher. Und damit auch der Suezkanal, der das Rote Meer mit dem Mittelmeer verbindet.

Das ist ein Desaster für den internationalen Güterverkehr: Rund 15 Prozent des Welthandels werden über den Suezkanal abgewickelt. Denn durch diese Meerenge führt der kürzeste Weg von Europa nach Asien. Jetzt, wo die Huthis diese Route unsicher machen, müssen die Schiffe einen Umweg nehmen und zwar um den gesamten Kontinent Afrika herum. Deshalb kommen viele Schiffe Tage oder Wochen später an als geplant. So wie der Welthandel heute funktioniert, verursacht das immense Kosten.

USA: Joe Biden könnte wegen seiner Unterstützung für Israel die Wahl verlieren

Karte, auf der die USA eingezeichnet sind.

© Krautreporter

Dass die USA zu den wichtigsten Verbündeten Israels gehören, wissen viele. Die USA helfen Israel mit Waffen, Geld und politischer Rückendeckung, zum Beispiel bei UN-Abstimmungen. Was aber nicht so bekannt ist: Für US-Präsident Joe Biden könnte diese Unterstützung negative Konsequenzen haben. Er könnte deshalb sogar die kommenden Präsidentschaftswahlen verlieren.

Es ist natürlich schwierig, genau festzumachen, ob Biden genau wegen dieses Themas Wählerstimmen verliert. Außenpolitische Themen haben selten starken Einfluss auf Wahlen, entscheidender sind eher innenpolitische Themen wie die wirtschaftliche Lage oder Immigration. Eine Ausnahme war der Irakkrieg, er war 2004 eines der wichtigsten Themen für US-Wähler:innen. Auch der Krieg in Gaza könnte eine wichtige Rolle spielen: Durch die sozialen Medien ist die Bevölkerung massenhaft mit dem Krieg in Berührung gekommen.

In bestimmten Gruppen, die eher mit den Palästinenser:innen sympathisieren, könnte Biden Wählerstimmen verlieren. Zwar heißt das nicht, dass sie stattdessen Donald Trump wählen, aber es ist möglich, dass sie einfach gar nicht wählen gehen. In Swing States wie etwa Michigan könnte der Krieg in Gaza – und Bidens Israel-Politik – dazu führen, dass er verliert.

Russland: Was der Terroranschlag in Moskau mit dem Nahen Osten zu tun hat

Karte, auf der Russland hervorgehoben ist.

© Krautreporter

Russland ist vielleicht nicht das erste Land, das einem bei den Konflikten und Kriegen im Nahen Osten in den Sinn kommt. Doch es ist aus zwei Gründen eng mit der Region verknüpft: Erstens ist Russland mit Iran verbündet und nutzt zum Beispiel iranische Drohnen für Angriffe auf die Ukraine. Sollte sich der Krieg zwischen Iran und Israel ausweiten, dann wäre es möglich, dass Russland ebenfalls eingreift.

Zweitens engagiert sich Russland seit Jahren im Nahen Osten, vor allem in Syrien. Und das hängt auch mit dem Terroranschlag auf eine Konzerthalle in Moskau im März diesen Jahres zusammen.

Angefangen hat es in Syrien: 2015 wütete dort bereits seit vier Jahren ein Bürgerkrieg. In diesem Jahr begann Russland seine Intervention in Syrien. Offizielles Ziel war es, gegen den „Islamischen Staat“ zu kämpfen. Doch Russland hatte auch andere Ziele. „Dreh- und Angelpunkt russischen außenpolitischen Denkens sind die USA“, heißt es in einer Analyse der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Demnach ging es Russland auch darum, den syrischen Diktator Assad an der Macht zu halten und die Rolle der USA in der Region zu schwächen.

Aus Sicht Russlands hat es sich gelohnt, in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen. Assad ist immer noch an der Macht und Russland hat es geschafft, seine Position in der Region zu festigen. „An Russland kommt im Nahen Osten niemand mehr vorbei“, schreibt der Deutschlandfunk über die russische Militärintervention in Syrien.

Die Intervention hatte aber auch weitere Folgen: Radikale islamische Organisationen wie der IS sind Russland seitdem feindlich gesinnt. Hinter dem Anschlag auf die Crocus City Hall in Moskau, bei dem mehr als 140 Menschen starben, steckt der IS-Ableger ISPK. Er kommt aus Afghanistan und rekrutiert auch in Zentralasien, die mutmaßlichen Täter in Moskau stammen aus Tadschikistan.

Der ISPK sei auf Russland fixiert und kritisiere in seiner Propaganda häufig Putin, sagte Colin P. Clarke, ein Terrorismusexperte, der New York Times. „ISPK beschuldigt den Kreml, muslimisches Blut an seinen Händen zu haben und verweist auf Moskaus Interventionen in Afghanistan, Tschetschenien und Syrien.“

Deutschland: Islamistische Anschlagsgefahr stark gestiegen

Karte, auf der Deutschland hervorgehoben ist.

© Krautreporter

Seit dem 7. Oktober und dem darauf folgenden Krieg in Gaza ist die Terrorgefahr in Deutschland stark gestiegen. „Die Gefahr ist real und so hoch wie schon lange nicht mehr“, sagte Thomas Haldenwang, Präsident des Verfassungsschutzes, schon im November. „Wir sehen im dschihadistischen Spektrum Aufrufe zu Attentaten und ein ‚Andocken‘ von Al-Kaida und IS an den Nahost-Konflikt.“

Nach dem Anschlag in Moskau rückte auch in Deutschland die Terrorgefahr medial wieder stärker in den Vordergrund – obwohl die Gefahr schon vorher bestand. So verhinderte die Polizei schon in der Weihnachtszeit einen Anschlag des ISPK auf den Kölner Dom. Die Sorge ist groß, dass bei der Fußball-EM 2024 große Menschenmengen in Stadien oder bei Public Viewings zur Zielscheibe von Terroranschlägen werden könnten. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte deshalb für den Sommer zeitweilige Grenzkontrollen an deutschen Grenzen an.

Nach Einschätzung von Innenministerin Faeser wird die Terrorgefahr in Deutschland erst nach einem Ende des Gaza-Kriegs wieder abnehmen. Hier zeigt sich auch in Deutschland, wie globale Ereignisse zusammenhängen. Gaza, Israel, Syrien, Iran, Jemen, Libanon, die USA und Russland mögen sich viele tausend Kilometer entfernt von Deutschland befinden. Trotzdem hat jeder dieser Orte eine Verbindung zu den Kriegen und Konflikten des Nahen Ostens – und auch zu Deutschland.


Redaktion: Lea Schönborn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

Was zur Hölle passiert gerade im Nahen Osten?

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