Collage: Eine Hand hält eine Marionette an Fäden fest.

Reid Zura, Nadine Shaabana, Lidia Nemiroff/Unsplash

Politik und Macht

Warum junge Männer manipulieren lernen wollen

Ein Buch aus den 1990ern erobert die Herzen von jungen Männern. Es erklärt ihnen, wie sie mit Machiavellis Methoden Menschen manipulieren. Sollte uns das Angst machen?

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Reporterin

Schon das Buchcover ist eine Red Flag; ein optischer Warnhinweis. Roter Umschlag mit blauem Streifen und goldener Schrift. Und dann erst der Inhalt: „Gesetz 11: Mache Menschen von dir abhängig“, „Gesetz 14: Gib dich wie ein Freund, aber handle wie ein Spion“, „Gesetz 32: Spiele mit den Träumen der Menschen“. Eine Gruppe Jugendlicher mit Baggy-Jeans und Mittelscheitel, die an einem Samstagnachmittag in einem Hugendubel in München umherschlurft, drückt es so aus: „Boah Alter, das Buch ist evil.“

Es geht um: „Power: Die 48 Gesetze der Macht“ von Robert Greene. Die mittelgescheitelten Jugendlichen kennen es vermutlich von Tiktok. Dort sorgen die rund 20 Millionen deutschen User:innen nämlich dafür, dass dieses Buch heute ein Bestseller ist. Obwohl es bereits 1998 erschienen ist.

Schon damals, es ist Robert Greenes erstes Buch, ist es erfolgreich. Unter anderem die Rapper Jay Z, Kanye West und Kubas früherer Präsident Fidel Castro sind Fans des amerikanischen Populärpsychologen. Die Bewunderung des Rappers 50 Cent geht so weit, dass er Greene kontaktiert. Daraus entsteht, kein Witz, ein gemeinsames Buch über Furchtlosigkeit: „Das 50. Gesetz“.

2023 hat „Power“, das Buch mit den zwei Gesetzen weniger, seinen Weg zurück in die Bestsellerlisten gefunden. Mehr als 40 Wochen war es ein Amazon-Bestseller. In Deutschland wurden mehr als 400.000 Exemplare verkauft, in den USA mehr als eine Million. In Gefängnissen ist es dort verboten. Es ist ein Buch, zu dem es Videos gibt, die sich mehr als 14 Millionen Menschen angesehen haben. Eines, das als der Machiavelli des 21. Jahrhunderts bezeichnet wird (so steht es auf dem Buch), das also auf dem politischen Theoretiker aufbaut, der es für legitim erachtete, Menschen zu töten, wenn sie zu mächtig sind. Warum interessieren sich weltweit Millionen Menschen jetzt wieder für dieses Buch?

Es könnte kurz unangenehm werden, sich mit dieser Frage und vor allem den Fans zu beschäftigen – wer trifft schon gerne Menschen, die ein Buch gut finden, das empfiehlt: „Gesetz 31: Lasse andere mit den Karten spielen, die du austeilst“?

Also dahin blicken, wo man sich nicht Auge in Auge gegenüberstehen muss. Ins Internet. Auf Amazon sind die mehr als 70.000 Rezensent:innen überwiegend begeistert. „Dieses Buch […] bietet auch praktische Einsichten, die im beruflichen und persönlichen Leben anwendbar sind“, schreibt einer. Viele stimmen zu. Andere beschreiben es als toxisch, bösartig, grausam. Eine der wenigen Frauen in der männerdominierten Rezenionsspalte bereut den Buchkauf: „Gutes aber auch gefährliches Buch … Man sollte es nicht seinem pubertierenden Sohn überlassen … Vorsicht, das rächt sich…😉.“ Auf Google schreibt einer: „Perfekt, es tut das, was es soll! Ich kann jetzt sogar schon meine Professoren manipulieren und dadurch zu besseren Noten kommen. Auch andere Menschen kann ich perfekt dadurch kontrollieren.“

Da sind sie, die, die maßgeblich für das Comeback und den Hype des Buches sorgen. Männer. Hauptsächlich: junge Männer. Generation Tiktok. Die meisten, die das Buch kaufen, seien unter 22 Jahre alt, sagt ein Buchhändler bei Dussmann, Berlins Buchparadies. Da steht es in der Wirtschaftsabteilung. Komisch, findet der Buchhändler. Eigentlich sei es doch eher ein populärwissenschaftliches Psychologiebuch? Wobei, sagt er, vielleicht ist es in der Wirtschaft doch richtig aufgehoben. Da, wo sich die kommende Generation von Managern rumtreibt, auf der Jagd nach Ruhm, finden sie Tipps für ihren fulminanten Aufstieg in Form von Greenes Buch. Für 20 Euro. Seit Monaten verkauft sich das Buch gut, sagt der Buchhändler. Vielleicht, weil die Tipps so simpel erscheinen. Weil es Erfolg verspricht. Einziger Haken: Man muss bereit sein, andere zu manipulieren.

Menschen sehnen sich nach einfachen Regeln

Das Offensichtliche zuerst: Das Buch ist ein Ratgeber. Schon das macht es zu einem Verkaufsschlager. Kaum ein anderes Genre ist so gefragt. Weil die Zeiten so unsicher sind – Krise und Kriege – steigt die Leselust und Sehnsucht nach Lebensregeln. Lebensratgeber schwemmen den Buchmarkt und sind auf der Beliebtheitsskala hinter Romanen und Kinderbüchern. Jeder, der ein Fünkchen Unperfektion entdeckt, kann und will diese wegperfektionieren.

Auch in der KR-Community haben manche von „Power“ gehört. Die es kennen, finden es fragwürdig. KR-Leserin Michaela schreibt, dass das Buch sie ärgert und verwirrt. „Mitunter habe ich auch den Eindruck, dass die Gesetze nicht unbedingt miteinander vereinbar sind“, schreibt sie. Ein kurzer Blick ins Buch reicht, um zu verstehen, was sie meint:

„Gesetz 4: Sage immer weniger als nötig“

„Gesetz 6: Mache um jeden Preis auf dich aufmerksam“

Ein Psychologe schreibt in seiner Amazon-Bewertung: „Das Buch liest sich weniger als Anleitung zur Ergreifung von Macht, sondern zuallererst als Anleitung zur Entwicklung von multiplen Persönlichkeitsstörungen, vor allem paranoid, antisozial, narzisstisch und nicht zuletzt massiv histrionisch.“

Nicht alle Gesetze sind verstörend

Manche nennen das Buch daher die Bibel der Psychopathen. Unter den Gesetzen sind aber auch welche, die weniger diabolisch sind.

Bleiben 36 verstörende Gesetze, die erklären, wie man Menschen abhängig macht und manipuliert. Für Greene kein Problem:

„Heute leben wir in einer […] paradoxen Situation: Alles muss zivilisiert, anständig, demokratisch und fair erscheinen. Aber wenn wir uns zu strikt an diese Regeln halten […], werden wir von denen vernichtet, die nicht so dumm sind.“

Sind Macht und Manipulation jetzt trendy? Die kurze Antwort, die der Psychologe Christian Blötner von der Fernuniversität in Hagen gibt, lautet: Waren sie schon immer. „Manipulation gehört zur menschlichen Natur,“ sagt er. Selbst Kinder manipulieren, wenn sie etwas wollen.

Und dieses Verhalten ist gar nicht so verpönt. Frank Underwood aus der US-amerikanischen Fernsehserie „House of Cards“, der machtgierige Politiker, oder Barney Stinson, der in „How I met your mother“ Frauen austrickst, um sie ins Bett zu bekommen – sie alle sind beliebte fiktive Personen, sagt Blötner. Obwohl sie antisozial handeln. Gleiches gilt für Politiker wie Ex-US-Präsident Donald Trump.

„Macht zu kennen, finde ich hilfreich, schon, um nicht verarscht zu werden“, schreibt Peter aus der KR-Community. Klar: Wissen ist Macht. Greene selbst wirbt auf diese Art für sein Buch, während er darin über den „vollendeten Manipulator“ fantasiert. Natürlich ist da was dran. Könnte aber auch nur eine weitere Verkaufsmasche und Manipulation sein.

„Gesetz 5: Ohne einen guten Ruf geht nichts – Schütze ihn mit allen Mitteln“

Greenes Ruf ist jedenfalls fragwürdig. Eines seiner Bücher, „Die Gesetze der Verführung“, wurde in Deutschland aus dem Programm genommen und verschwand aus den Buchläden, weil er darin erklärt, wie man andere psychisch missbraucht.

Eines gelingt ihm in „Power“:

„Gesetz 37: Inszeniere packende Schauspiele“

Er erzählt von historischen Persönlichkeiten, von deren Aufstieg oder Fall. Von Königen wie Alexander dem Großen und Ludwig XIV., dem ehemaligen Reichskanzler Otto von Bismarck bis hin zu Kaiser Napoleon. Bei „Gesetz 7: Lass andere für dich arbeiten, doch streiche immer die Anerkennung dafür ein“, erzählt er, dass der Maler Peter Paul Rubens mit Aufträgen überhäuft wurde und andere für sich malen ließ. An anderer Stelle schreibt er über das Trojanische Pferd, in dem sich griechische Krieger versteckten. Die Griechen inszenierten ein packendes Schauspiel und verschleierten ihre Absichten. So siegt man, meint Greene. Klingt plausibel.

Der Name Machiavelli wird zum Gütesiegel

Die Geschichte gibt Greene recht – zumindest der Teil, den er auswählt. Und noch was verleiht seinem Buch Glanz und Glaubwürdigkeit: Der Name Machiavelli. Den schreibt Greene aufs und ins Buch. Auf dem Philosophen und dessen Verständnis von Macht basiert „Power“. Für Machiavelli ist der Mensch schlecht. Er ist egoistisch und würde auf dem Weg zu seinem Idealstaat über Leichen gehen. Entsprechend entwirft Greene seine Gesetze.

„Gesetz 42: Erschlage den Hirten, und die Schafe zerstreuen sich“

„Gesetz 2: Vertraue deinen Freunden nie zu sehr – bediene dich deiner Feinde“

Keine Ahnung, was Machiavelli davon hält. Fragen kann ihn keiner. Im Jahr 1527 ist er gestorben. Daher Frage an den Historiker Volker Reinhardt, der als Machiavelli-Experte gilt und eine Biografie über ihn geschrieben hat. „Bei allen Aktualisierungen seiner Ideen, ist es wie mit billigen Orangensaft“, sagt er, „10 Prozent sind Frucht, also original Machiavelli, 90 Prozent Chemie.“

Fast 500 Jahre ist es her, dass Machiavelli „Der Fürst“ geschrieben hat. 1532 war das. Er entwarf darin den Idealstaat, den der Fürst erschaffen soll. Dafür muss er Verträge brechen, betrügen und gewaltsam handeln können. Können! Wer Machiavelli hört, denkt vermutlich an diese grausamen Tipps. Was dabei vergessen wird, ist, dass sie nur Mittel zum Zweck sind – auf dem Weg zum Idealstaat, für das Wohl aller. Danach sollte der Fürst abdanken und abzischen.

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Wie kaum ein anderer Philosoph überdauert Machiavelli. Manche reden sogar von einem Comeback. Machiavelli für Manager, Machiavelli für Frauen, Machiavelli für Mütter – diese Bücher gibt es tatsächlich. „Das ist ein Verrat an Machiavellis Geist“, sagt Reinhardt.

Machiavelli gibt eigentlich die falschen Tipps

Machiavellis Dauererfolg liegt auch an seinem Schreibstil, sagt Reinhardt. „Er schreibt für seine Zeit ungewöhnlich – heute würde man sagen, im Stile eines intelligenten Kriminalromans“, sagt er. Knackig, zupackend, in Alltagssprache. Und was er schreibt, kommt gut an. Machiavelli gibt sich als der, der die Machenschaften von denen da oben entlarvt. Als der, der die Verschwörungen und Propaganda der Mächtigen aufzeigt und wirft den Mächtigen Italiens vor, dass sie ihren Job schlecht machen. „Machiavelli hat etwas extrem Populistisches. Er sagt: Lest mich, dann wisst ihr, was die da oben mit euch veranstalten“, sagt Reinhardt. Das funktioniert, damals wie heute. Logisch, dass ein Buch gut funktioniert, das sich in die gleiche Tradition stellt. Das verspricht, dass es über Macht aufklärt und noch den Schritt weitergeht und zeigt, wie man sie anwendet.

„Gesetz 33: Für jeden gibt es die passende Daumenschraube“

„Gesetz 20: Scheue Bindungen, wo immer es geht“

Ganz falsch, sagt Reinhardt. Wobei das mit den Bindungen eine Frage der Definition ist. Machiavelli war Feind der Klientelbildung. Doch damit, sagt Reinhardt, gibt Machiavelli eigentlich die falschen Ratschläge für den machthungrigen Menschen. „Der richtige Ratschlag ist: Schaff dir ein Netzwerk, begünstige Leute, die dafür deine Macht stärken“, sagt Reinhardt. Machiavelli würde das anders sehen.

„Gesetz 34: Handle wie ein König, um wie ein König behandelt zu werden“

„Gesetz 15: Vernichte deine Feinde vollständig“

Wer denkt: Was mache ich, wenn ich keine Feinde habe? Kein Problem. Auch dafür hat Greene eine Lösung:

„Wenn Sie keine Feinde haben, finden Sie Mittel und Wege, sich welche zu machen.“

Wie das geht, weiß einer der mittelgescheitelten Jungs im Münchner Hugendubel: „Wenn du das liest, will ich nicht mehr mit dir befreundet sein.“


Redaktion: Theresa Bäuerlein; Schlussredaktion: Susan Mücke; Fotoredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger

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