Das Verwaltungsgericht Köln hat am 6. Februar entschieden: Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf die AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) als gesichert extremistische Bestrebung einstufen und beobachten. Jugendorganisationen von Parteien sind nicht bloß eine Kaderschmiede für die Parteigrößen von morgen, sie rekrutieren auch neue Mitglieder und beeinflussen die inhaltliche Ausrichtung der Gesamtpartei. Anna-Sophie Heinze forscht am Trierer Institut für Demokratie- und Parteienforschung. Für eine gerade veröffentlichte Studie zur Jungen Alternative hat sie auch mit einigen Mitgliedern der JA gesprochen. Sie sagt: Der AfD-Nachwuchs hat die Radikalisierung der Partei über Jahre befeuert, obwohl es anfangs große Konflikte mit ihr gab. Wie sie das Gewaltpotenzial der Gruppe einschätzt, warum ein Verbot schwierig werden könnte und warum man den Extremismus einer Gruppe nicht bloß an ihrem Programm festmachen sollte, erklärt sie im KR-Interview.
Frau Heinze, in einer kürzlich veröffentlichten Recherche fantasieren Teilnehmende einer Veranstaltung der Jungen Alternative über Arbeitslager und Ghettos für Ausländer:innen, die mit Gewalt dort festgehalten werden sollen. Wie radikal ist der AfD-Nachwuchs?
Sehr radikal. Dass Teilnehmende über Gewalt gegen migrantische und jüdische Menschen nachdenken, hat mich nicht überrascht. Die Junge Alternative wird ja nicht ohne Grund vom Verfassungsschutz als „gesichert extremistisch“ eingestuft.
In einem 436 Seiten langen Verfassungsschutz-Gutachten von 2019 heißt es, die Junge Alternative sei antidemokratisch und ziele „auf den Vorrang eines ethnisch-homogenen Volksbegriffs.“ Was genau heißt das?
Anna-Sophie Heinze
Anna-Sophie Heinze ist Politikwissenschaftlerin am Trierer Institut für Demokratie- und Parteienforschung (TIDUP) an der Universität Trier. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören Parteien, politische Systeme und Populismus. Sie publiziert auch für das Online-Portal „Verfassungsblog“.
Im Basisprogramm der Jungen Alternative von 2018, dem sogenannten Deutschlandplan, wird das ethnopluralistische, also rassistische, Volksverständnis der JA sehr deutlich. Sie fordert unter anderem eine Migrationspolitik, die den „kulturellen und ethnischen Erhalt des deutschen Volkes“ an erste Stelle setzt. Wie genau das passieren soll, steht nicht im offiziellen Programm. Aber da gibt es innerhalb der Jungen Alternative offensichtlich sehr extreme Ansichten. Alle, die nicht in das eigene Bild passen, sollen weg.
„Wir sind nicht bloß konservativ, wir sind auch rechts“, heißt es im offiziellen Programm der JA. Darin betont sie aber auch ihren angeblichen Respekt für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Woran lässt sich der Extremismus einer Organisation festmachen, wenn nicht an deren Programm?
Natürlich schreibt die Junge Alternative ihre extremen Ansichten nicht offen ins Programm. Wie die AfD versucht sie, sich einen „normalen“, bürgerlichen Anstrich zu geben. Deswegen sollte man sich auch andere Daten anschauen. Bei der Jungen Alternative vor allem die Social-Media-Kommunikation und Straßenproteste: Was posten Mitglieder auf ihren Accounts, mit wem gehen sie auf die Straße und welche Symbole sind dort zu sehen? Das ist aufschlussreicher als das Programm, weil es das interne Weltbild der Organisation besser widerspiegelt.
Was sehen wir dort?
Die AfD und die Junge Alternative haben auf Social Media eine sehr hohe Reichweite – meist mehr als andere politische Organisationen. Wie machen sie das? Ihre Beiträge sind bunt, flippig, mit Musik. Es gibt weibliche Influencerinnen, die sich als Höcke-Fangirls inszenieren und das traditionelle Familienbild propagieren. Es gibt Videos von Wanderungen oder anderen Ausflügen. Die JA kann sich sehr gut verkaufen. Ihre Social-Media-Arbeit ist sehr professionell – und wichtig. Sie mobilisiert vor allem jüngere Menschen. Das hat auch dazu beigetragen, dass die finanzielle Unterstützung durch die AfD gewachsen ist.
Mit wie viel Geld unterstützt die AfD die Junge Alternative?
Es gibt keine offiziellen Zahlen. 2020 haben JA-Mitglieder von 10.000 Euro pro Jahr gesprochen. Inzwischen sollen es 30.000 Euro pro Jahr sein. Mit diesen Zahlen muss man vorsichtig umgehen. Aber wenn das stimmt, kann man damit Social-Media-Beauftragte einstellen, Veranstaltungen abhalten und sich ein Corporate Design geben.
In den sozialen Medien zeigen sich Mitglieder der Jungen Alternative auch immer wieder mit Leuten der Identitären Bewegung (IB). Wie eng sind die Verbindungen der Organisation zu solchen Neonazi-Netzwerken?
Es gibt offene Sympathien. Ein Beispiel: Als beim Bundeskongress der Jungen Alternative 2018 der sogenannte Deutschlandplan veröffentlicht wurde, waren dort Symbole der Identitären Bewegung zu sehen. Das war damals ein heftiges Zeichen. Denn es handelte sich nicht um eine verdeckte Recherche über ein paar Mitglieder, sondern um das höchste Gremium der Jungen Alternative. Inzwischen sind die Verbindungen überall. Auf JA-Demos sind Fahnen der IB zu sehen, man besucht dieselben Veranstaltungen, ist im Netz verbunden und publiziert in den gleichen Medien.
Machen wir einen Schritt zurück. Die Junge Alternative wurde im Juni 2013 gegründet, vier Monate nach der AfD. Zur offiziellen Jugendorganisation der Partei wurde sie aber erst im November 2015. Warum hat das so lange gedauert?
Beide Organisationen mussten sich erst einmal selbst finden und Strukturen aufbauen. Gerade bei der JA gab es kaum Leute, die Vorerfahrung in anderen Jugendorganisationen hatten. Die große Streitfrage war aber: Wohin geht es ideologisch? Die Junge Alternative hatte von Anfang an einen radikaleren Schlag als die AfD.
In beiden Organisationen gab es Flügelkämpfe zwischen vermeintlich „moderateren“ und radikalen Kräften. In der AfD schien das Verhältnis zunächst ausgeglichener. Die Junge Alternative hingegen hat schnell gesagt: Wir wollen weiter gehen als die AfD. Sie hat sich offen mit der Identitären Bewegung zusammengetan. Das hat einige AfD-Mitglieder damals abgeschreckt. Der frühere Parteivorsitzende Bernd Lucke spielte sogar mit dem Gedanken, eine neue Jugendorganisation zu gründen, weil ihm die JA zu radikal war.
Letztlich kam es aber doch dazu, dass die AfD die Junge Alternative als offizielle Jugendorganisation anerkannte.
Der Wendepunkt war der Essener Parteitag im Juli 2015. Damals hat der als radikal geltende Flügel den innerparteilichen Machtkampf gewonnen. Frauke Petry löste Bernd Lucke an der Parteispitze ab. Viele moderatere Kräfte sind dann ausgetreten, 2.000 bis 3.000 Mitglieder. Die ganze Partei ist weiter nach rechts gerückt. Im November 2015 fand sich dann eine Mehrheit dafür, die Junge Alternative als offizielle Jugendorganisation anzuerkennen. Ein paar Jahre lang gab es zwischen Partei und Jugendorganisation aber immer wieder Konflikte.
Was war der Streitpunkt?
Die große Frage war: Wie sehr grenzt man sich nach Rechtsaußen ab, um die Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu umgehen? Die AfD war wesentlich vorsichtiger als die Junge Alternative.
Die Junge Alternative wurde dann auch früher als die Gesamtpartei durch das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Inzwischen gilt sie als gesichert extremistische Bestrebung. Hat die JA die Radikalisierung der AfD befeuert?
Die Junge Alternative ist ein wichtiger Treiber der Radikalisierung der AfD. Aber sie ist natürlich nicht der einzige Grund dafür, dass die moderaten Kräfte innerhalb der AfD zunehmend marginalisiert wurden.
Heute hat die Junge Alternative mehr als 2.000 Mitglieder. Seit Oktober 2022 ist Hannes Gnauck ihr Bundesvorsitzender. Er sitzt als AfD-Bundestagsabgeordneter auch im Verteidigungsausschuss. Gnauck wurde schon als Soldat vom Militärischen Abschirmdienst als Rechtsextremist eingestuft. Wie eng sind die Verbindungen zwischen Jugendorganisation und AfD heute?
Jugendorganisationen von Parteien sozialisieren und mobilisieren Mitglieder und repräsentieren die Jüngeren. Das macht die Junge Alternative sehr erfolgreich. Aus diesen Mitgliedern rekrutiert die AfD dann natürlich Personal. Heute sitzen JA-Mitglieder für die AfD in den Parlamenten, sie machen Ausschussarbeit, können im Bundesvorstand der Partei Einfluss nehmen und arbeiten für AfD-Abgeordnete. Die Verbindungen sind so offensichtlich, dass man sich nicht mehr ernsthaft voneinander abgrenzen kann. Man zieht jetzt an einem Strang – und versucht nicht einmal mehr, sich den Anschein einer bürgerlichen Partei zu geben.
Seitdem der Verfassungsschutz sowohl die AfD als auch die Junge Alternative beobachtet, stellen sie die Behörde als Instrument der Bundesregierung dar, um die „wahre Opposition” zum Schweigen zu bringen. Eint die Beobachtung inzwischen die Partei und die Jugendorganisation?
Seitdem der Versuch, eine Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden zu umgehen, durch die weitere Radikalisierung gescheitert ist, haben AfD und Junge Alternative ihre Taktik geändert. Sie versuchen jetzt verstärkt, diese Behörden zu delegitimieren. Sie behaupten, das Bundesamt für Verfassungsschutz sei eine Stasi 2.0 im Dienst der anderen Parteien. Man versucht, die repräsentative Demokratie überall zusammen anzugreifen und sich selbst als die einzig wahren Demokraten hinzustellen.
Der Bundesvorsitzende der Grünen Omid Nouripour forderte im Januar ein Verbot der Jungen Alternative. Halten Sie das für sinnvoll?
Da die Junge Alternative ein Verein und keine Partei ist, wäre ein solches Verbot wohl zumindest einfacher und schneller umzusetzen als ein Parteiverbotsverfahren. Die Hürden wären geringer, da es sich um einen Verwaltungsakt handelt, der durch das Bundesinnenministerium in Gang gesetzt werden müsste. Aber es ist umstritten, ob ein JA-Verbot losgelöst von der Partei überhaupt machbar ist. Als offizielle Jugendorganisation der AfD gibt es eben doch zahlreiche Verbindungen zwischen der Jungen Alternative und der AfD. So einen Fall gab es noch nie: Man hat noch nie darüber nachgedacht, die Jugendorganisation einer Partei separat von der Partei selbst zu verbieten.
Wie schätzen sie das Gewaltpotenzial der JA ein?
Das ist eine sehr wichtige Frage. In der JA sind einige Leute, die sehr aktiv mit gewaltförmigen Ideen und Angstzenarien spielen. Die Vorsitzende der JA Brandenburg Anna Leisten besucht zum Beispiel Trainingscamps und postet auf Instagram, man müsse sich wehrhaft machen. Auch wenn sie sich offiziell von Gewalttätigkeit distanziert, wird hier der Eindruck vermittelt, man müsse sich vorbereiten, weil einen niemand anders mehr in diesem Staat schützt.
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Sie haben für ihre Forschung auch mit JA-Mitgliedern gesprochen. Wie sind die Ihnen als Wissenschaftlerin begegnet?
Im Herbst 2020 waren sie noch recht offen und mitteilungsbedürftig. Mittlerweile ist es deutlich schwieriger, mit hochrangigen JA-Mitgliedern in Kontakt zu kommen. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass sich die Junge Alternative weiter radikalisiert hat und stärker unter Beobachtung steht.
Korrekturhinweis: In einer vorherigen Fassung hieß es, „Mitglieder“ der Jungen Alternative hätten laut RTL-Recherche über Arbeitslager und Ghettos für Ausländer:innen fantsiert. Es handelte sich aber lediglich um Teilnehmende einer JA-Veranstaltung. Wir haben den Fehler korrigiert.
Redaktion: Rico Grimm, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos