In ganz Deutschland demonstrieren seit Wochen Hunderttausende gegen die AfD. Das ist ein wichtiges Zeichen, um Rechtsextremist:innen etwas entgegenzusetzen. Die Massenproteste könnten der Partei – unter bestimmten Voraussetzungen – sogar ein paar Prozentpunkte abringen. Aber nur wenige, die mit der AfD sympathisieren, wenden sich aufgrund der Demonstrationen von der Partei ab.
Proteste helfen also. Aber wer die AfD kurz- und mittelfristig politisch besiegen will, muss noch mehr tun.
Welche Rolle kann jede:r Einzelne dabei spielen, die Erfolge der AfD einzudämmen? Diese Frage habe ich der KR-Community gestellt – und aus den Antworten fünf Tipps herausgearbeitet, wie du dich privat gegen ihr Erstarken engagieren kannst.
1. Wählen gehen – und andere zur Wahl mobilisieren
Bei der Bundestagswahl 2021 blieben 14,2 Millionen Wahlberechtigte zu Hause, also eine von vier Personen. Für die Demokratie ist das fatal. Denn je weniger Menschen wählen, desto mehr Gewicht hat eine Stimme für die AfD.
Die Rechnung ist einfach: Wenn von zehn Personen zwei die AfD wählen, sind das 20 Prozent der Stimmen. Bleiben aber drei von zehn Wahlberechtigten zu Hause, ergeben zwei AfD-Stimmen knapp 30 Prozent Stimmenanteil. Sie braucht also weniger absolute Stimmen, um mehr Sitze in Parlamenten oder Stadträten zu bekommen.
Nichtwähler:innen sind deshalb ein Gewinn für die Rechtsextremist:innen. Und das Problem ist: Die AfD schafft es hervorragend, ihre Anhänger:innen zu mobilisieren. Den demokratischen Parteien bereitet das mehr Schwierigkeiten. Deshalb ist es wichtig, selbst wählen zu gehen – und andere im eigenen Umfeld dazu zu motivieren, es ebenfalls zu tun. Ein Argument dafür könnte sein: hierzulande haben rund 11,4 Millionen Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit kein Wahlrecht. Viele von ihnen gehören zu den Feindbildern der AfD – an der Wahlurne können sie sich aber nicht selbst gegen den Hass der Partei wehren.
Dieser Text ist mithilfe von KR-Leser:innen entstanden
Danke an Sophia, Andrea, Jörn, Fran, Christel, Imtraud, Patricia, Gudrun, Robert, Miriam, Barbara, Gerhard, Jens und Jutta für die Anregungen zu diesem Artikel.
Wie viel eine hohe Wahlbeteiligung bringen kann, zeigte sich zuletzt im Saale-Orla-Kreis in Thüringen. Dort gewann CDU-Kandidat Christian Herrgott überraschend die Stichwahl um das Amt des Landrats. In der ersten Wahlrunde lag der AfD-Kandidat Uwe Thrum noch über zehn Prozentpunkte vor seinem Konkurrenten. In der Stichwahl gewann er – trotz der bundesweiten Proteste gegen Rechtsextremismus – sogar noch einmal 1.753 Stimmen hinzu. Doch sämtlichen demokratischen Parteien, sowie dem zivilgesellschaftlichen Bündnis „Dorfliebe für alle“ gelang es, die demokratischen Wähler:innen zur Wahl des CDU-Kandidaten Herrgott zu motivieren. 52,4 Prozent stimmten für Herrgott – und verhinderten so einen Sieg der AfD.
2. Widersprechen – besonders, wenn es ungemütlich ist
Acht Prozent der Deutschen haben ein geschlossenes, rechtes Weltbild, sind also mit Argumenten nicht erreichbar. Das ergab eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Jeder Fünfte ist für rassistische und antidemokratische Rhetorik empfänglich, ist aber selbst nicht extremistisch. Das heißt: Bei dieser zweiten Gruppe lohnt es sich, das Gespräch zu suchen.
KR-Mitglied Patricia glaubt, dass wir besonders in der Familie rechtsextremistischen Äußerungen widersprechen müssen. „Fast jede:r hat im Familienkreis jemanden, der die AfD wählt“, schreibt sie. „Denen muss man erklären, welche Personen alles aus dem eigenen Leben gerissen würden, wenn die AfD an die Macht käme.“ Dabei ist es wichtig, freundlich und respektvoll zu bleiben und über die eigenen Ängste zu sprechen. Das heiße aber nicht, rassistische Äußerungen unkommentiert zu lassen.
Ähnlich sehen das auch KR-Leser:innen Sophia und Jörn. Sie finden es wichtig, Menschen zu verzeihen, ihnen eine „Tür offenzuhalten“ und klar zu machen: Ich lehne nicht dich persönlich, sondern deine Argumente ab. Ich sehe das ähnlich: Wer im eigenen Umfeld rechtsextremen Äußerungen widerspricht, sollte nicht belehrend sein, sondern sich geduldig, aber bestimmt erklären – und gleichzeitig Interesse am Gegenüber zeigen.
Auf solche Gespräche bereitet sich KR-Mitglied Jens mit Argumentationshilfen der Bundeszentrale für politische Bildung vor. „Weil ich glaube, dass es wichtig ist, jetzt den Mund aufzumachen, zu widersprechen“, sagt er. Als schwuler Mann gehört er selbst zu den Feindbildern der AfD – und findet es deshalb besonders wichtig, Betroffene von Rassismus oder Queerfeindlichkeit zu unterstützen.
3. In eine Partei eintreten
Knapp eine Woche nach den ersten Demos gegen Rechtsextremismus sagte CDU-Parteichef Friedrich Merz in der Talksendung von Caren Miosga: „Wenn jeder Zehnte von denen, die heute demonstriert haben, in eine politische Partei eintritt, dann ist mindestens genauso viel geholfen.“ Er hat recht.
Politische Parteien in Deutschland haben in den letzten Jahrzehnten massiv an Mitgliedern verloren. Die Ursachen sind vielschichtig, aber das Ergebnis ist fatal. Denn Deutschland ist eine repräsentative Demokratie. Diese braucht lebendige – demokratische – Parteien, in denen sich verschiedene Bürger:innen über Inhalte streiten und diese anschließend in die Parlamente, Landtage und Stadträte tragen.
Je vielfältiger Parteien zusammengesetzt sind, desto mehr Ansichten und Interessen finden Gehör. Umgekehrt gilt: Wenn Parteien zu einem Großteil nur aus Berufspolitiker:innen bestehen, haben wir ein Problem. Sie entfernen sich von der Bevölkerung und repräsentieren weniger Teile der Bevölkerung.
KR-Mitglied Fran ergänzt einen weiteren wichtigen Tipp für alle, die sich ein politisches Engagement vorstellen können: „Bei den Kommunalwahlen antreten“, fordert er. Denn viele Ämter in der Kommunalpolitik sind Ehrenämter. Wenn die demokratische Bevölkerung dort nicht selbst antritt, füllen Rechtsextreme diese Leerstelle.
4. Sich ehrenamtlich engagieren, auch im Schachverein
Auch jenseits der Politik suchen Rechtsextreme gezielt nach Lücken in der Zivilgesellschaft, um die eigenen Leute – und deren Ideologie – dort einzubringen. Sie organisieren Dorffeste oder engagieren sich in Sportvereinen. Als 2023 in ganz Deutschland 60.000 neue Schöffen gesucht wurden, riefen rechte Netzwerke ihre Anhänger:innen dazu auf, sich auf die Ämter zu bewerben. Denn sie wissen: Die Zivilgesellschaft ist ein wichtiger Ort für die Demokratie.
Egal ob Verein, Chor, Gewerkschaft oder Schach-Runde im Park: Hier begegnen sich Menschen aus verschiedenen Schichten, Berufen und Filterblasen – und bilden sich ihre Meinungen zur Bundespolitik ebenso wie zur geplanten Umgehungsstraße vor Ort. Wenn Rechsextremist:innen diese Strukturen unterwandern, können sie sich als engagierte Kümmerer inszenieren – und gleichzeitig beim Grillfest des Sportvereins ihre Meinungen verbreiten. Das Potenzial dafür ist riesig: In Deutschland gibt es laut Bundeszentrale für politische Bildung mehr als 600.000 Vereine mit rund 23 Millionen Mitgliedern.
KR-Mitglieder Sophia und Jörn raten deshalb, „einer Gemeinschaft mit gemischten Bildungsbiographien“ beizutreten – um mit verschiedenen Menschen zusammenzukommen und diese Orte gleichzeitig nicht Rechtsextremist:innen zu überlassen.
Wer also ganz direkt etwas für die Demokratie tun möchte, kann einem Verein beitreten oder sich ein Ehrenamt suchen. In vielen Städten und Gemeinden gibt es inzwischen Freiwilligenagenturen, die einen Überblick über Projekte haben, die Unterstützung suchen. Und meine Kollegin Susan hat hier erklärt, wie jede:r ein Ehrenamt findet, das zu einem passt.
5. Mehr Geld für die Demokratie fordern
Vereine, Verbände und Institutionen sind das Fundament einer demokratischen Zivilgesellschaft. Sie engagieren sich vor Ort für ein friedliches und tolerantes Miteinander. Viele Projekte zur politischen Bildung und zivilgesellschaftliche Initiativen wie „Bautzen bleibt bunt“ setzen sich zudem aktiv gegen Rechtsextremismus ein. KR-Mitglied Miriam glaubt deshalb, dass eine Sache besonders wichtig ist im Kampf gegen Rechtsextremismus: Geld. „Gerade jetzt müssen immer wieder Bildungsprogramme gegen Rechts und für die Demokratie um ihre Existenz fürchten“, sagt sie. Ihre Forderung lautet deshalb: „Wir müssen auf die Politik einwirken, um denen die Finanzierung zu sichern.“
Die Bundesregierung beschloss im März 2023 eigentlich das sogenannte Demokratiefördergesetz. Das ermöglicht dem Bund, Projekte und Initiativen der Zivilgesellschaft langfristig zu fördern, die sich für demokratische Vielfalt und gegen Rechtsextremismus einsetzen. Denn deren Arbeit hat einen Konstruktionsfehler: Wer sich ständig um Förderanträge kümmern muss und um das Überleben des eigenen Vereins bangt, kann sich nicht auf die eigentliche Arbeit konzentrieren. Oder muss sie eventuell sogar einstellen. Dabei sind sie aktuell wichtiger denn je. Das Demokratiefördergesetz soll diesen Projekten langfristig finanzielle Planungssicherheit geben. Doch seit der Verabschiedung im Kabinett blockiert die FDP das Gesetz. Das ist im Angesicht der aktuellen Stärke des Rechtsextremismus in Deutschland fatal. Wer verhindern will, dass rechtsextreme Gruppen ihre Ideologien verbreiten, muss massiv in die Zivilgesellschaft investieren.
Was also tun? Ganz einfach: E-mails an die Abgeordneten im eigenen Wahlkreis schreiben und sie dazu auffordern, sich für die Unterstützung von politischer Bildung und Zivilgesellschaft einzusetzen. Immer und immer wieder. KR-Mitglied Miriam betont, warum die langfristige Unterstützung von Bildungs- und Demokratieprojekten so wichtig ist: „Die Rechten denken nicht in Monaten und Jahren, sondern in Jahrzehnten.“
Deshalb braucht es vor allem Ausdauer. „Die Demonstrationen werden aufhören, dann muss die Tagesarbeit weitergehen“, schreibt KR-Mitglied Irmtraud. Sie selbst engagiert sich in einer Partei, informiert sich zur Tagespolitik, spricht Leute in ihrem Umfeld auf antidemokratische Äußerungen an und beteiligt sich an Demonstrationen. Ihr Beispiel zeigt: Demokratie ist kein Zustand, sondern eine Tätigkeit. Wenn man E-mails schreibt, sich im lokalen Schwimmverein engagiert, oder mit den eigenen Eltern am Essenstisch debattiert.
Redaktion: Rebecca Kelber, Schlussredaktion: Isolde Ruhdorfer, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert