Hier kommt normalerweise dein monatliches Briefing zum globalen Rechtspopulismus und -extremismus. Heute schauen wir aber nur nach Deutschland. Denn in den vergangenen Wochen ist viel passiert: Geheimtreffen, Parteigründungen, Parteiverbotsdebatten. Zeit für einen ausgeruhten Überblick. Du hast Hinweise oder Feeback? Schreib mir eine Email an ben@krautreporter.de. Los gehts!
Die Recherche: rechtsextremes Vernetzungstreffen unter Beteiligung von AfD-Mitgliedern
🔎 Was ist passiert?
Am 10. Januar veröffentlichte Correctiv eine Recherche unter dem Titel „Geheimplan gegen Deutschland“. Im November hatten sich in einem Hotel bei Potsdam AfD-Politiker:innen, rechtsextreme Aktivist:innen und Unternehmer getroffen. Auch Mitglieder der Werteunion waren anwesend. Sie debattierten unter anderem über das Konzept der „Remigration“, also der teils erzwungenen Vertreibung von meist migrantischen Menschen.
🔎 Was genau steckt hinter dem Begriff „Remigration“?
Rechtsextreme träumen seit jeher von einem homogenenen „Volk“, aber Gesellschaften sind vielfältig. „Remigration“ bezeichnet den Plan, dieses herbeifantasierte, ethnisch homogene „Volk“ in der Realität herzustellen – durch Vertreibung, Abschiebungen, und gesellschaftlichen Ausschluss von Asylbewerbenden, Ausländer:innen mit Bleiberecht und „nicht assimilierten“ Staatsbürger:innen aus Deutschland. Maßgeschneiderte Gesetze und feindliche Lebensbedingungen sollen über Jahrzehnte hinweg all jene aus Deutschland vergraulen, die für die Rechtsextremen nicht zum weißdeutschen „Volk“ gehören.
„Remigration“ ist also ein beschönigendes Wort für die geplante Vertreibung von Millionen, die den ethnischen Reinheitsvorstellungen der Rechtsextremen nicht entsprechen. Die Taktik ist bekannt: Rechtsextreme benutzen immer wieder harmlos klingende Begriffe, um ihre Ideologie in der Gesellschaft zu normalisieren.
Die Reaktionen: die Strategie der AfD
Seit Veröffentlichung der Recherche sind in ganz Deutschland Hunderttausende gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen. Die Forschung zeigt: Das könnte die AfD schwächen (mehr dazu in diesem Interview meiner Kollegin Lea Schönborn). „Die extreme Rechte ist regelrecht in Panik“, analysiert der Soziologe Matthias Quent in der Tagesschau. Deshalb setzt die Partei auf Angriff. Sie behauptet, die Regierung organisiere die Demonstrationen, weil sie Angst vor der AfD habe.
Der AfD-Parteivorstand erklärte in einem Positionspapier, „Remigration“ bedeute bloß die verfassungskonforme Abschiebung von Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Gleichzeitig wendet die Partei aggressiv die altbekannten Strategien des Rechtspopulismus an: Ablenkung, Täter-Opfer-Umkehr und Power-Lügen.
➡️ Ablenkung: Während in Deutschland Hunderttausende gegen Rechtsextremismus protestierten, gab Alice Weidel der Financial Times – eine der einflussreichsten Zeitungen der Welt – ein ausführliches Interview. Weidel präsentierte sich als normale Konservative, sprach von einer möglichen AfD-Regierungsbeteiligung im Bund 2029 und bemerkte, der Brexit könnte ein „Modell“ für Deutschland sein. Damit machte sie weltweit Schlagzeilen. Doch das Ablenkungsmanöver funktionierte nur kurz. Also schwenkte die Partei um.
➡️ Täter-Opfer-Umkehr: Am 31. Januar hielt Weidel im Bundestag eine hasserfüllte Rede. Darin inszenierte sie die AfD als Opfer einer großen Verschwörung. Weidel sprach von einer beispiellosen „Verleumdungskampagne“ gegen ihre Partei. Correctiv sei eine „Hilfs-Stasi“, die der Bundesregierung angeblich dabei helfe, mit „steuerfinanzierten Verleumdungs- und Rufmordkampagnen“ das Land zu spalten, um die eigene Macht zu sichern. Der AfD-Bundesverband spricht von „Lügen und Falschbehauptungen“. Solche Äußerungen sind klassische Täter-Opfer-Umkehr: Die AfD versucht, sich als Opfer einer Verschwörung der demokratischen Parteien darzustellen und die Glaubwürdigkeit von Correctiv anzuzweifeln.
➡️ Power-Lüge: Die Behauptungen von Weidel und anderen Partei-Größen sind „Power-Lügen“. Sie dienen nicht der Verschleierung der Wahrheit, sondern der Machtdemonstration: Eine Power-Lüge zwingt Menschen dazu, sich zwischen zwei vermeintlichen Wahrheiten zu entscheiden: Entweder sie glauben der „Stimme des Volkes“, also der AfD und ihrem Umfeld, oder der „Lügenpresse“ und den „Altparteien“. So spaltet man die Gesellschaft – und radikalisiert die eigenen Anhänger:innen. Wenn du mehr über „Power-Lügen“ erfahren willst, empfehle ich dir meinen Artikel dazu.
Geht die AfD-Strategie auf?
In den meisten Umfragen hat die AfD seit Veröffentlichung der Recherche zwei bis drei Prozentpunkte an Zustimmung verloren. Dennoch könnten sich weiterhin knapp 20 Prozent der Deutschen vorstellen, die Partei zu wählen. Der neueste ARD-Deutschlandtrend zeigt: Zwei von drei AfD-Anhänger:innen ist der Rechtsextremismus der Partei egal. Daraus folgt eine wichtige Lehre für den politischen Kampf gegen Rechtsextremismus: Wer die AfD besiegen will, muss sie übertrumpfen – und nicht versuchen, ihre Wähler:innen durch Übernahme ihrer Inhalte zurückzugewinnen.
Das Nachbeben: weitere „Geheimtreffen“, extremistische Gastgeber und ein rechtsextremer CDU-Politiker
🧐 Sohn des Organisators des „Geheimtreffens“ von AfD bezahlt
Bei dem Treffen in Potsdam im November war auch Arne Friedrich Mörig anwesend, der Sohn des Veranstalters. Dort hatte er mutmaßlich einen Vortrag über die Gründung einer rechten Social-Media-Agentur gehalten. Nach Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung wurde Arne Friedrich Mörig direkt aus Mitteln des AfD-Bundesvorstands bezahlt.
🧐 AfD-Chef Tino Chrupalla bei weiterem rechtsextremen Treffen zu Gast?
Das Treffen in Potsdam war laut Recherchen der Zeit nicht die erste Zusammenkunft dieser Art. Bereits Anfang Oktober 2021 soll ein ähnliches Event stattgefunden haben. Dabei ging es wohl auch darum, Geld für rechtsextreme Projekte zu sammeln. Unter den Gästen war damals wohl auch der AfD-Bundesvorsitzende Tino Chrupalla. Bei einer weiteren Veranstaltung mit dem Rechtsextremen Martin Sellner sollen laut der Zeit ebenfalls AfD-Abgeordnete aus Bayern anwesend gewesen sein.
🧐 Die rechtsextremen Gastgeber vom „Landhaus Adlon“
Die Eigentümerin der Villa, in der das Treffen stattfand, heißt Mathilda Huss. Laut Recherchen der Wochenzeitung Zeit ist sie in der rechtsextremen Szene gut vernetzt. Auf dem Anwesen von Huss und ihrem Ex-Partner, einem CDU-Mitglied, sollen in den vergangenen Jahren rechtsextreme Szene-Größen wie der neurechte Stratege Götz Kubitschek, der Chefredakteur des Compact-Magazins, Jürgen Elsässer, sowie Aktivist:innen der Identitären Bewegung zu Gast gewesen sein. Auch der Chef der Werteunion, Hans Georg Maaßen, war laut der Zeit mehrfach dort. Huss kaufte kürzlich auch ein Schloss in Reinsberg in Mittelsachsen, das die Identitäre Bewegung zunächst als Schulungszentrum benutzen wollte.
🧐 Martin Sellner: Auf der Fahndungsliste der Bundespolizei
Nach Informationen des Spiegel hat die Bundespolizei den österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner in ihre interne Fahndungsdatenbank aufgenommen. Das heißt: Im Fall einer Grenzkontrolle könnte an der Grenze zurückgewiesen werden – nach Rücksprache mit dem Bundespolizeipräsidium in Potsdam.
🧐 Peter Kurth: CDU-Politiker stark mit Rechtsextremen vernetzt
Berlins früherer CDU-Finanzsenator Peter Kurth hat laut Recherchen des Spiegel zahlreiche AfD-Politiker:innen und Führungskader der rechtsextremen Szene im Sommer 2023 in seine Wohnung eingeladen, darunter Martin Sellner, Götz Kubitschek, Maximilian Krah und Benedikt Kaiser. Nach Monitor-Recherchen überwies er als CDU-Mitglied außerdem mindestens 120.000 Euro an eine Firma der rechtsextremen Identitären Bewegung. Diese sammelte Geld ein, um Immobilien zu erwerben, die als Anlaufstellen und Treffpunkte für Rechtsextreme dienen.
Die Debatten: Grundrechtsentzug, Parteiverbot, Geldhahn abdrehen
Seit Veröffentlichung der Correctiv-Recherche werden zahlreiche Debatten darüber geführt, wie sich eine wehrhafte Demokratie gegen Rechtsextremismus wehren kann.
💬 Grundrechtsentzug für Björn Höcke?
Knapp 1,7 Millionen Menschen haben online eine Petition unterschrieben, die den Entzug der Grundrechte von Björn Höcke fordert. Mit einer ähnlichen Petition wird sich bald der Petitionsausschuss des Bundestages befassen. Die Forderung lautet, dass bei rechtsextremistisch auftretenden Personen der Entzug der Grundrechte geprüft werden soll. Das würde Betroffenen etwa die Möglichkeit nehmen, bei Wahlen zu kandidieren. Die Möglichkeit der Grundrechtsverwirkung ist in Artikel 18 des Grundgesetzes geregelt, wurde in der Geschichte der Bundesrepublik bislang aber noch nicht angewendet. Ein entsprechender Antrag könnte vom Bundestag, von der Bundesregierung oder von einer Landesregierung gestellt werden. Die Entscheidung liegt beim Bundesverfassungsgericht. Die Erfolgsaussichten eines solchen Vorhabens gelten als gering.
💬 Ein Parteiverbotsverfahren gegen die AfD?
Seit einigen Wochen ist die Debatte über ein mögliches AfD-Verbotsverfahren wieder aktuell. Artikel 21, Absatz 2 des Grundgesetzes sagt: Parteien, „die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden“, sind verfassungswidrig. Sie sollen deshalb keine Chance bekommen, bei demokratischen Wahlen anzutreten. „Kann man die AfD verbieten? Muss man sie verbieten?“ fragte der Zeit-Podcast „Das Politikteil“ schon im Oktober 2023. In der Jüdischen Allgemeinen schreibt Ronen Steinke über die Ursprünge der „wehrhaften Demokratie“. Im SZ-Podcast von Carolin Emcke spricht der Anwalt Christoph Möllers unter anderem über juristische und politische Gründe für und gegen ein AfD-Parteiverbotsverfahren.
Fakt ist: Die Hürden für ein Parteiverbot sind äußerst hoch, das Verfahren könnte Jahre dauern – und könnte bis zu einer Entscheidung die AfD stärken. Deshalb wird mittlerweile auch ein mögliches Verbot der rechtsextremen Jugendorganisation der AfD debattiert, der Jungen Alternative. Die ist rechtlich keine Partei, sondern ein Verein – und deshalb leichter zu verbieten. Deren Rolle als Radikalisierungsmaschine wurde gerade wissenschaftlich im Paper „Drivers of radicalization“ untersucht.
💬 Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen die NPD: Kann die Politik der AfD den Geldhahn abdrehen?
2019 hatten Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht beantragt, die Partei „Die Heimat“ (ehemals: NPD) für sechs Jahre von der staatlichen Finanzierung auszuschließen. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Antrag am 23. Januar stattgegeben – und zum ersten Mal darüber geurteilt, unter welchen Voraussetzungen ein Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der Staatsfinanzierung möglich ist. Die Kriterien sind allerdings ähnlich hoch wie bei einem Parteiverbotsverfahren. Um die AfD von der staatlichen Parteienfinanzierung auszuschließen, müsste ihre Verfassungsfeindlichkeit nachgewiesen werden.
Geschwister im Geiste? Die Werteunion-Gründung und Hans-Georg Maaßen
💁♂️ Werteunion beschließt Parteigründung
Deutschland hat eine weitere Rechtsaußen-Partei: Die Mitglieder der sogenannten Werteunion haben laut eigenen Angaben Mitte Januar in Erfurt die Gründung einer eigenen Partei beschlossen. Der Spiegel hat Informationen zu den wesentlichen Akteuren der Werteunion recherchiert. Darunter sind neben dem ehemaligen CDU-Politiker Hans-Georg Maaßen Kampfsportler, Rechtsaußenkräfte der Union, Rechtsextremist:innen, AfD-Vertraute und Verschwörungsaktivist:innen. Beim Gründungstreffen war unter anderem auch der bekannte „Crash-Prophet“ Markus Krall anwesend, der zum mittlerweile als mutmaßlichem Rechtsterroristen angeklagten „Reichsbürger“ Prinz Reuß Kontakt hat. Auch Simone Baum und Michaela Schneider gehören zur Gruppe, beide waren beim rechtsextremen Vernetzungstreffen in Potsdam dabei.
💁Hans-Georg Maaßen: Werteunion-Chef vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft
Der Chef der Werteunion und ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, wird laut einer Recherche von t-online von seiner eigenen ehemaligen Behörde als Rechtsextremist eingestuft. „Maaßen gilt damit für den Verfassungsschutz auch als Beobachtungsobjekt“, heißt es. Maaßen hat sich in den vergangenen Jahren permanent nach rechts radikalisiert und hat zahlreiche antisemitische Verschwörungserzählungen verbreitet. Er war bis 2018 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Seine Karriere dort begann er unter der rot-grünen Bundesregierung 2001, als Referatsleiter für Ausländerrecht.
Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Rebecca Kelber