Ihre Rede provoziert. Die kenianische Schriftstellerin Yvonne Adhiambo Owuor steht auf einer Bühne in Köln. Es ist ein Tag im Juni 2023 und Owuor eröffnet die „African Futures“-Konferenz, eine der weltweit größten afrika-wissenschaftlichen Fachtagungen.
Owuor sagt, sie träume von einer Annäherung an Russland und China. Sie wünscht sich „einen Trump’schen Zaun“ um den afrikanischen Kontinent, versehen mit dem mehrsprachigen Warnschild: „Lasst uns in Ruhe.“
Der Kölner Stadtanzeiger schreibt: „Eine Provokation, eigentlich eine Unverschämtheit.“ Die ganze Rede sei eine Zumutung.
Sicherlich lässt sich einiges an Owuors Rede kritisieren. Doch die Rede steht für etwas: für das neue Selbstbewusstsein vieler Länder aus dem Globalen Süden. Für die Direktheit, mit der sie dem Westen Fehler vorwerfen. Und für das Unverständnis und die Empörung, die sie damit auslösen.
Ich habe Owuor eine E-Mail geschickt, ihre Antwort kam innerhalb weniger Stunden. Owuor schreibt sprachgewaltige Romane, so ähnlich klingen auch ihre Mails. Sie schreibt mir vom „Entstehen einer neuen Welt“, von Paradigmen, die sich im freien Fall befinden, vom „Mief abendländischer Heuchelei“.
Gerade findet eine Verschiebung in der Welt statt. Der ehemalige Präsident des UN-Sicherheitsrats, Kishore Mahbubani, schrieb in der Financial Times, dass „etwas Tiefgreifendes“ geschehe: „eine Art metaphysische Loslösung des Westens vom Rest.“
Länder, die im Westen lange als unterentwickelt galten, als Dritte-Welt-Land, als chaotisch oder gar unzivilisiert, sind auf dem Vormarsch. Sie haben wirtschaftliche Power und eigene Ziele. Sie schließen sich zu neuen Allianzen zusammen und nehmen Einfluss auf das Weltgeschehen. Sie holen in ihrer Entwicklung nicht zu westlichen Industriestaaten auf, stattdessen entwickeln sie sich in eine ganz andere Richtung, mit eigenen Konzepten für Klimaschutz, Feminismus oder Gerechtigkeit.
Für uns – Deutschland und Europa – ist das erst einmal bedrohlich. Denn es bedeutet, dass wir unsere Interessen nicht mehr einfach so durchsetzen können. Es bedeutet, dass unsere Werte und unsere Vorstellung von universellen Menschenrechten in anderen Ländern auf Ablehnung stoßen.
Die großen Aufgaben und Probleme, die uns im Alltag betreffen, sind global: Klimakrise, Pandemie, Migration oder Inflation. Wenn die Welt diese anpacken will, müssen westliche Industriestaaten den Globalen Süden ernst nehmen. Das betrifft Regierungschef:innen und Diplomat:innen, aber auch Menschen, die in NGOs oder der Entwicklungszusammenarbeit aktiv sind und Menschen, deren Firma Fachkräfte aus Vietnam engagiert oder Produkte in Indien verkauft.
Um diese globalen Herausforderungen anzupacken, müssen sich westliche Länder – und die Menschen, die dort leben – über einiges klar werden. Dazu gehören, Fehler einzusehen und Macht abzugeben, auch wenn es wehtut. Dazu gehört ebenfalls, manche westlichen Vorstellungen grundsätzlich infrage zu stellen. Wenn wir das nicht tun, ist das nicht nur unfair für die Länder des Globalen Südens. Es schadet uns wahrscheinlich sogar selbst.
Der Globale Süden ist die Mehrheit der Welt
Es ist natürlich eine Vereinfachung, mehr als 100 Länder unter diesem einen Begriff zusammenzufassen. Länder wie Nigeria, Indonesien, Pakistan oder Brasilien sind sehr unterschiedlich. Trotzdem kann es sinnvoll sein, von einem Globalen Süden zu sprechen.
Es geht dabei nicht um die geografische Lage. Zum Beispiel gehört Australien zum Globalen Norden, aber die Mongolei zum Globalen Süden. Der Ausdruck dient oft als Sammelbegriff für arme Länder, früher „Dritte-Welt-Land“ oder „Entwicklungsland“ genannt. Das deutsche Entwicklungsministerium ordnet Länder dem Globalen Süden zu, die von den Mitgliedern des OECD-Entwicklungsausschusses öffentliche Gelder für Entwicklungszusammenarbeit bekommen.
Beim Begriff Globaler Süden geht es aber auch um Identität und um gemeinsame Erfahrungen. Es ist ein selbstermächtigender Begriff für Länder, die früher Kolonien waren und teilweise noch nicht einmal unabhängig waren, als sich die UN-Institutionen nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten. 134 dieser Länder haben sich innerhalb der UN zur G77 zusammengeschlossen, die größte Gruppe innerhalb der UN.
Der Globale Süden ist weltweit in der Mehrheit. Die G77-Staaten sind nicht nur gemessen an der Mitgliederzahl die größte Gruppe innerhalb der UN, sie repräsentieren auch die Mehrheit der Weltbevölkerung: mehr als 80 Prozent. Es ist wichtig, sich diese Zahl in Erinnerung zu rufen, wenn es um globale Machtverschiebungen geht. Es ist wichtig, weil wir nicht über die Interessen einzelner kleiner Länder reden – sondern über die Mehrheit der Weltbevölkerung.
Sie haben eigene Ziele und wollen mehr Macht
Diese Mehrheit schließt sich zu neuen Allianzen zusammen. Das wichtigste Beispiel dafür sind die Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika). Anfang 2024 erweiterten sie sich: Jetzt sind noch Saudi-Arabien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate, Äthiopien und Iran dabei. „Brics Plus“, wie sich das Bündnis nennt, repräsentiert damit 46 Prozent der Weltbevölkerung und 30 Prozent des weltweiten BIPs. Sie haben eine Power, die den G7-Staaten Konkurrenz macht, also den weltweit führenden Industrienationen.
Und sie haben eine Agenda. Die Brics-Staaten wollen mehr Mitspracherecht in der Weltpolitik, wie der chinesische und der südafrikanische Präsident sagten. Sie denken laut über eine Brics-Währung nach, die dem US-Dollar Konkurrenz machen soll.
In ihrer umstrittenen Rede spricht Yvonne Adhiambo Owuor positiv über die Brics-Erweiterung. Per Mail stellt sie klar: „Es liegt in meinem Interesse und im Interesse meines Landes und meines Kontinents, von Brics Plus und seinen Möglichkeiten begeistert zu sein.“
Anders ausgedrückt: Der Globale Süden hat eigene Ziele – und will diese auch durchsetzen. Das zeigt sich bei Abstimmungen in den Vereinten Nationen (UN). Vor allem, wenn es um die israelischen Bombardements des Gazastreifens und den Russland-Ukraine-Krieg geht.
Seit dem 24. Februar 2022 gab es mehrere Abstimmungen der UN-Generalversammlung mit Bezug zum Russland-Ukraine-Krieg. Die Fachzeitschrift „Ukraine-Analysen“ hat in einer Tabelle festgehalten, wie die einzelnen Länder abgestimmt haben. Daraus ergibt sich ein klares Bild: Zwar stellen sich nur eine Handvoll Länder wie Syrien und Nordkorea klar auf die Seite Russlands. Doch die Liste der Länder, die sich enthalten, ist länger: Vietnam, Uganda, Südafrika, Indien oder die Mongolei, um nur einige zu nennen. Die mehr als 30 Länder liegen größtenteils im Globalen Süden. Ähnlich war es bei einer Abstimmung über einen Waffenstillstand in Gaza: Ein Großteil des Globalen Südens stimmte dafür. Deutschland enthielt sich.
Der Globale Süden hat viele Gründe, enttäuscht zu sein
Anruf bei Ottilia Anna Maunganidze vom südafrikanischen Think Tank International Security Studies. Als ich sie frage, ob die Länder des Globalen Südens inzwischen mehr zu sagen haben, antwortet sie: „Sie haben schon immer gesprochen. Aber erst jetzt wird ihnen mehr Aufmerksamkeit geschenkt.“
Länder des Globalen Südens fühlen sich also übergangen oder ungerecht behandelt. Und dafür gibt es einige Gründe. In Kürze sind das:
- Klimakrise
- Coronapandemie
- Veraltete Strukturen in UN-Organisationen
- Mangelhafte Aufarbeitung der Kolonialzeit
Länder des Globalen Südens sind tendenziell stärker von der Klimakrise betroffen, also von Hitzewellen, Überschwemmungen oder Hungersnöten. Laut den Daten des Globalen Klima-Risiko-Index waren die am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder zwischen 2000 und 2019 Puerto Rico, Myanmar, Haiti, die Philippinen und Mosambik. Dabei liegen die Hauptverursacher des Klimawandels eher im Globalen Norden.
Die Coronapandemie war wie ein Katalysator für das Gefühl der Ungerechtigkeit. Während sich Menschen in der EU, den USA oder Kanada schon 2021 gegen Covid impfen lassen konnten, gingen vor allem afrikanische Staaten leer aus. Sie forderten die Patente, um selbst Impfstoff herstellen zu können – ohne Erfolg. Recherchen des WDR haben gezeigt, dass die EU-Kommission und Hersteller verhinderten, dass die Impfstoffe gerecht verteilt werden. Laut einer Aufstellung von Unicef bekamen bis Ende September 2021 afrikanische Staaten rund 16 Impfdosen pro Hundert Einwohner. In der EU waren es zehn Mal so viel.
Die kenianische Schriftstellerin Owuor schreibt dazu in ihrer Mail: Die Pandemie sei eine großartige Gelegenheit gewesen, „als vereinte Menschheit zusammenzukommen und uns einem gemeinsamen Feind zu stellen“. Doch diese Gelegenheit habe der Westen vergeudet.
Die Strukturen in den UN-Organisationen machen es schwer, dem Globalen Süden mehr Macht zu geben. Die Chef:innen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zum Beispiel kommen immer aus Europa. Und die ursprünglichen fünf Brics-Staaten sind für 26 Prozent des globalen BIPs verantwortlich, ihre Stimmrechtsanteile im IWF liegen aber nur bei 14 Prozent.
Es liegt aber nicht nur an den Strukturen, sondern auch an der Einstellung einzelner Menschen. Zum Beispiel waren westliche Staaten nach den ersten Abstimmungen zum Russland-Ukraine-Krieg überrascht, dass viele Länder des Globalen Südens nicht mit ihnen stimmten. Ottilia Anna Maunganidze aus Südafrika sagt: „Um es auf den Punkt zu bringen: Länder wie die USA oder Deutschland nahmen einfach an, dass ihnen afrikanische Länder zustimmen würden.“ Sie seien davon ausgegangen, dass alle die gleichen Prinzipien teilen. Aber: „Es gab keine Absprachen.“
Nicht zuletzt arbeiten viele ehemalige Kolonialstaaten diese Zeit nicht richtig auf. Das führt zu Frust und Unverständnis bei den Menschen, die die Auswirkungen der Kolonialzeit bis heute spüren. Schriftstellerin Owuor sagte in ihrer Rede: „Was als Nächstes kommt, kann nicht so teuflisch, schwächend, entmenschlichend, plündernd, demütigend, entsetzlich und böse sein wie das, was die letzten fünf Jahrhunderte für den größten Teil der Welt gewesen sind.“
Wir brauchen Freunde in der Welt
Noch einmal zusammengefasst, wie die Lage aus Sicht des Globalen Südens ist: Sie wurden in der Kolonialzeit ausgebeutet, sie haben kaum Mitspracherecht in globalen Institutionen, genauer gesagt fragt sie der Globale Norden häufig nicht einmal nach ihrer Meinung. Und das, obwohl viele Länder des Globalen Südens eine wachsende Wirtschaft haben und sie die Mehrheit der Weltbevölkerung ausmachen.
Ganz schön unfair.
Dabei hätten Deutschland und Europa durchaus Anreize, stärker mit dem Globalen Süden zusammenzuarbeiten. Die Weltordnung ändert sich gerade: Früher war die Welt von den USA dominiert, jetzt befinden wir uns mitten in einem Umbruch, wobei es kein klares Machtzentrum mehr gibt. Um weiter weltweit Waren zu verkaufen oder für die eigene Sicherheit zu sorgen, könnte es für Deutschland sinnvoll sein, neue Partnerschaften einzugehen. Oder, wie es mir ein KR-Leser schreibt: „Gute Freunde in der ganzen Welt könnten unsere Rettung sein.“
Wie können solche Partnerschaften aussehen? Was muss sich ändern, damit „the west and the rest“, wie es auf Englisch oft heißt, zusammenarbeiten? Dafür muss der Westen eines verstehen: wie sehr westliche Doppelmoral einen Keil zwischen den Westen und den Globalen Süden treibt.
Nichts ist mir in der Recherche öfter begegnet als diese „westliche Doppelmoral“. Natürlich kannte ich diesen Vorwurf schon, vor allem in Bezug auf den völkerrechtswidrigen US-Angriff auf den Irak. Trotzdem war mir vorher nicht bewusst, wie sehr er Menschen aus dem Globalen Süden prägt, wenn sie über den Westen sprechen.
Wie sich der Westen selbst diskreditiert
Am 6. Januar 2021 stürmte ein wütender Mob das Kapitol der Vereinigten Staaten. Es waren Anhänger von Donald Trump, der soeben die Präsidentschaftswahlen verloren hatte – aber das Ergebnis nicht akzeptierte. Er stachelte in einer Rede seine Anhänger an, die daraufhin mehrere Stunden lang den Kongress verwüsteten. Fünf Menschen starben. Der republikanische Senator Marco Rubio schrieb in einem Tweet: „Es ist nichts Patriotisches an dem, was sich am Kapitol abspielt. Das ist antiamerikanische Anarchie im Stil der Dritten Welt.“
Der Sturm auf das Kapitol und dann noch dieser Tweet: Sie sind das perfekte Beispiel für die Doppelmoral, die der Globale Süden dem Westen ankreidet. Der Tweet legt nahe, dass es anti-demokratische Kräfte nur in armen Ländern gibt – dabei hatte ein Mob gerade das Parlament der USA gestürmt.
Kurz nach dem Sturm auf das Kapitol warf Simbabwes Präsident Emmerson Mnangagwa den USA vor, ihr moralisches Recht verwirkt zu haben, andere Länder „unter dem Deckmantel der Wahrung der Demokratie zu bestrafen“. Die USA und die EU belegen Simbabwe seit mehr als 20 Jahren mit Sanktionen.
Fairerweise muss man sagen, dass Simbabwe ein autoritäres Regime ist, auf dem Demokratieindex des „Economist“ liegt das Land auf Platz 132 von 167. Und nicht nur die Sanktionen verursachen Simbabwes wirtschaftliche Probleme, sondern auch Misswirtschaft und Korruption. Trotzdem stellen sich Menschen aus dem Globalen Süden die Frage: Wieso sollten die EU und die USA noch das Recht haben, Simbabwe mit Sanktionen zu belegen? Übrigens liegt das im südlichen Afrika gelegene Botswana auf dem Demokratieindex nur zwei Plätze hinter den USA (und zwei Plätze vor Italien). Botswana, das also eine stabile Demokratie ist, belegt aber niemanden mit Sanktionen.
Warum Menschenrechte für alle gelten sollten – aber wirklich für alle
Es klingt zunächst wie ein Dilemma: Schließlich haben wir nun mal Werte und Rechte, die in den meisten westlichen Ländern weitgehend eingehalten werden. Pressefreiheit zum Beispiel, ohne die ich nicht so sicher arbeiten könnte. Bedeutet „weniger westliche Doppelmoral“, dass wir Menschenrechtsverletzungen nicht mehr anprangern können? Dass wir es einfach akzeptieren sollen, wenn andere Länder Oppositionelle verfolgen oder Protestierende verhaften?
KR-Leserin Stella hat unter meinem Artikel über die neue Weltordnung einen kritischen Kommentar verfasst. Diese Einstellung erinnere sie nämlich an China, das Menschenrechte oder Pressefreiheit als „westliche Erfindung“ abstempele. „Das finde ich sehr gefährlich, da es dafür sorgt, dass man zum Beispiel die Gewalt Chinas gegen die Uiguren oder auch die ständige Bedrohung Taiwans dann nicht mehr verurteilen müsste, da diese ja für China nach ihrer Definition keine Verletzung der Menschenrechte oder Ähnliches darstellt.“
Ich habe Aude Darnal gefragt, sie kommt aus Martinique und leitet ein Projekt über den Globalen Süden der Denkfabrik „Stimson Center“ in Washington, D.C. Auf meine Frage, ob der Westen nicht seine eigenen Werte verraten würde, wenn er Menschenrechtsverletzungen nicht mehr anprangert, antwortet sie: „Das ist ein Anliegen, das ich faszinierend und ziemlich ironisch finde.“
Dieser Text ist mithilfe von KR-Leser:innen entstanden
Vielen Dank an Helena, Babett, Peter, Jutta, David, Sebastian, Andrea, Barbara, Robert, Laura, Bettina, Daniela, Klaudia, Jürgen, Anne, Angela, Florian und Hendrik, die mir Tipps, Kommentare und Hinweise geschickt haben. Das hat mir geholfen, diesen Text zu strukturieren und die richtigen Fragen zu stellen.
Darnals Argumentation geht so: Die Bevölkerung im Globalen Süden schätze die gleichen Werte wie Menschen in westlichen Ländern. Es gebe sogar eine alte Tradition von Menschenrechten in nicht-westlichen Ländern, zum Beispiel die Manden-Charta, die ihre Ursprünge im Mali des 13. Jahrhunderts hat. Zwar gebe es „oft eine Diskrepanz zwischen den Wünschen der Bevölkerung und ihrer Regierung“, aber das sei eben auch nicht in allen Ländern des Globalen Südens so.
„Zweitens finde ich es ironisch, weil der Westen sich mit nicht-demokratischen Regierungen einlässt, wenn es seinen Interessen dient“, sagt Darnal. „Es ist problematisch, in manchen Ländern von Menschenrechten zu sprechen, wenn man andererseits mit autokratischen Führern zusammenarbeitet, die gegen Menschenrechte verstoßen“, sagt sie. Gleichzeitig gebe es ein systemisches Problem von Gewalt gegen Schwarze Communities, zum Beispiel in den USA und in Frankreich.
Menschen wie Darnal finden: Westliche Länder sind nicht die einzigen auf der Welt, die etwas von Menschenrechten verstehen. Wieso sollte also der Westen anderen etwas von Menschenrechten erklären, wenn er selbst diese Werte nicht richtig einhält?
Für echte Lösungen brauchen wir den Globalen Süden
Alles hängt mit allem zusammen: Es ist eine Floskel, die aber in der Weltpolitik zutrifft. Das lässt sich gut an den USA und den karibischen Staaten erklären. Die Karibik ist besonders stark von der Klimakrise betroffen, obwohl die dortigen Staaten kaum zum Klimawandel beitragen. Außerdem kommen die meisten Mordwaffen in der Karibik aus den USA. Klimawandel und Waffengewalt: Zwei Faktoren, die Migration befeuern, aber deren Ursachen nicht in der Karibik selbst liegen.
Wenn die USA Migration aus karibischen Staaten begrenzen will, hat sie also ein Interesse daran, diese beiden Faktoren zu bekämpfen. „Es geht nicht um Wohltätigkeit“, sagt Aude Darnal. Sondern um gegenseitige Unterstützung, von der beide Seiten profitieren.
Erste Schritte in die richtige Richtung gibt es bereits. Zum Beispiel einigten sich die Länder bei der UN-Klimakonferenz Ende 2023 auf einen Klima-Entschädigungsfonds. Besonders wohlhabende Länder wollen in den Fonds einzahlen, damit Länder des Globalen Südens Klimaschäden daraus begleichen können. Ottilia Anna Maunganidze vom südafrikanischen Think Tank ISS ist der Meinung, dass diese Entscheidung für den Klima-Entschädigungsfonds nicht zustande gekommen wäre, wenn nicht der Afrikanische Klimagipfel wenige Monate zuvor Vorarbeit geleistet hätte.
Auch bei den UN-Abstimmungen gibt es Fortschritte. Nach den ersten UN-Abstimmungen zum Russland-Ukraine-Krieg reisten mehr Spitzenpolitiker:innen in afrikanische Staaten. „Es gab einen Anstieg von Besuchen aus den USA, Frankreich, Deutschland“, sagt Maunganidze. „Bei Verhandlungen zwischen der Afrikanischen Union und der EU über die Afrika-Europa-Strategie hatte Afrika viel mehr Spielraum bei den Verhandlungen. Plötzlich waren die Ansichten dieser Länder in den Gesprächen von Bedeutung.“ Maunganidze sagt dazu: „It’s a work in progress.“ Also ein Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist.
Vielleicht wird irgendwann eine Rede wie die von Yvonne Adhiambo Owuor in Köln keine Empörung mehr auslösen, sondern Verständnis. Oder zumindest die höfliche Einsicht, dass Menschen aus dem Globalen Süden eigene Ziele und andere Meinungen haben.
Redaktion: Rico Grimm, Schlussredaktion: Astrid Probst, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert