Collage: Trump und Biden Diskutieren vor dem Capitol. Auf dem Capitol steht ein großer Gorilla.

Vac1, Luka Banda, Alex Wong/Getty Images | Ivan Gromov/Unsplash

Politik und Macht

Der Gorilla im Raum: Trump ist nicht das größte Problem

Ein einflussreicher Think Tank will die US-Demokratie umbauen. Die ersten Schritte sind schon getan.

Profilbild von Benjamin Hindrichs
Reporter für Macht und Demokratie

Kaum jemand bemerkt den Affen: 1999 drehten die US-Psychologen Daniel Simmons und Christopher Chabris ein Video von jungen Menschen, die sich einen Ball zuwerfen. Später zeigten sie die Aufnahme den Teilnehmenden ihrer Studie „Gorillas in Our Midst“ und gaben ihnen eine Aufgabe: Sie sollten zählen, wie oft ein Team den Ball hin und her passt. Mitten im Spiel läuft eine Frau im Gorillakostüm über das Spielfeld und hämmert sich auf die Brust. Knapp die Hälfte der Teilnehmenden bemerkt das nicht. Denn gerade wenn wir besonders aufmerksam sind, übersehen wir die auffälligsten Dinge, so die Schlussfolgerung der Psychologen.

Der US-Wahlkampf ist die politische Version dieses Experiments. Am 4. November wählt das Land einen neuen Präsidenten und die Donald-Trump-Show hat längst begonnen. Vor Gericht, auf Wahlkampfveranstaltungen und im Fernsehen spielen er, seine Vertrauten und seine Anhänger:innen sich einen Pass nach dem anderen zu. Medien, Analyst:innen und politische Gegner:innen verfolgen das Spektakel, zählen die Pässe und Schritte. Doch da ist noch ein Gorilla im Raum, etwas Entscheidendes, das alle übersehen, wenn sie sich zu sehr auf Trump selbst fokussieren.

Im Hintergrund arbeiten die Republikaner daran, die US-Demokratie massiv umzubauen. Das zeigt unter anderem ein 920 Seiten langes Dokument einer ultrakonservativen Denkfabrik, das detaillierte Maßnahmen für eine republikanische Präsidentschaft 2025 enthält. Es ist Teil eines größeren Projekts und würde es Trump – und theoretisch auch dessen Konkurrentin Nikki Haley – überhaupt erst ermöglichen, Gegner:innen zu verfolgen, die Medienfreiheit einzuschränken und das Militär im eigenen Land einzusetzen.

Dieses Projekt ist der Gorilla.

Eine „Armee“ von Konservativen soll die USA umbauen

Demokratie bedeutet sehr vereinfacht gesagt, dass Regeln wichtiger sind als Inhalte, Personen oder Parteien. Sprich: Nur eine politische Mehrheit kann Gesetze erlassen. Gerichte wiederum können diese Gesetze kippen, wenn sie verfassungswidrig sind. Umgekehrt gilt: Werden Inhalte, Personen oder Parteien wichtiger als Regeln, ist die Autokratie nicht weit.

Donald Trump hat seit jeher klar gemacht, dass er Regeln verachtet. Inhalte, oft in Form von Geschäftsinteressen oder emotionaler Raserei, sind ihm wichtiger. Inzwischen teilen große Teile der US-Konservativen diese Einstellung. Deshalb haben sie einen Plan ausgearbeitet, der die US-Politik von Grund auf verändern soll. Sie nennen ihn „Project 2025“.

Mehr als 350 konservative Intellektuelle haben an diesem Plan gearbeitet, 80 Organisationen waren daran beteiligt. Die Schirmherrschaft des Projekts hat die Heritage Foundation inne, eine der einflussreichsten konservativen Denkfabriken des Landes. Sie steckte 22 Millionen Dollar in das Projekt. Der Leiter ist Paul Dans, ein ehemaliger Stabschef von Trump.

Das Ziel von „Project 2025“ ist es, Zehntausende „überprüfte, trainierte und vorbereitete“ Mitarbeiter:innen zu rekrutieren, die nach einem republikanischen Wahlsieg in den Bundesbehörden daran arbeiten, republikanische Interessen umzusetzen. Die Heritage Foundation selbst spricht von einer „Armee“, die sie ausbilden will.

US-Konservative wähnen sich also nicht in einer politischen Auseinandersetzung, sondern in einem Krieg – und „Project 2025“ ist in ihren eigenen Worten ihre „Geheimwaffe“. Diese „Waffe“ besteht aus einem 920-seitigen Regierungsprogramm, dem sogenannten „Mandate for Leadership“. Aus einer Personendatenbank, aus der politisch loyales Personal rekrutiert werden soll. Aus einem Trainingsprogramm, um dieses Personal auf seine Arbeit vorzubereiten. Und aus einem Aktionsplan für die ersten 180 Tage an der Macht, der sich wesentlich aus dem Regierungsprogramm speist.

Gefolgschaft ohne Widerspruch: Das Leitprinzip von „Project 2025“

„Das Projekt ist eine ernsthafte Bedrohung für die amerikanische Demokratie“, sagt Brandon Bohrn, Experte für Beziehungen zwischen den USA und Europa bei der Bertelsmann Stiftung. Das 920-seitige Regierungsprogramm „Mandate for Leadership“ funktioniere dabei als Leitprinzip des gesamten Plans.

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Dass die Heritage Foundation Politikempfehlungen für angehende Präsidenten erarbeitet, ist nicht neu. Das erste „Mandate for Leadership“ erschien schon 1981. Seither dient es regelmäßig als Vorlage sämtlicher großer Entscheidungen von konservativen US-Präsidenten. Ronald Reagan, US-Präsident in den 1980ern, soll allen Mitgliedern seines Kabinetts eine Kopie des Dokuments ausgehändigt und etwa 60 Prozent der 2.000 empfohlenen Maßnahmen umgesetzt haben, unter anderem Steuersenkungen. Auch Donald Trump setzte während seiner ersten Amtszeit zentrale Politikempfehlungen der Stiftung um: Die USA stiegen zum Beispiel aus dem Pariser Klimaabkommen aus, vergaben zahlreiche Lizenzen für neue Ölbohrungen und beendeten die Finanzierung von Organisationen in Verbindung mit Schwangerschaftsabbrüchen.

Auch das aktuelle „Mandate for Leadership“ empfiehlt zahlreiche Gesetzesvorhaben. Die Verfasser:innen fordern, eine republikanische Regierung solle Bidens Umweltpolitik rückgängig machen, die Bereitstellung von Medikamenten zum Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellen, Asylsuchende massenhaft abschieben und in Universitäten und Schulen nach christlich-konservativem Weltbild lehren. Doch „Project 2025“ ist mehr als nur ein konservatives Regierungsprogramm.

„Der Kern dieses Projektes ist die Zerstörung des Verwaltungsstaates“, sagt Experte Bohrn. Mehr als zwei Millionen Menschen arbeiten in US-Behörden über das Land verteilt. Aktuell genießen sie arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz, das heißt sie können nicht einfach entlassen werden. Die Republikaner wollen das ändern. Sie planen, den rechtlichen Status dieser Behördenmitarbeitenden durch eine Verordnung des Präsidenten so schnell wie möglich zu ändern. „Das würde es leichter machen, sie zu entlassen und durch politisch loyale Anhänger zu ersetzen“, sagt Brandon Bohrn.

Laut ihm glauben die Republikaner, dass Trump während seiner ersten Amtszeit nicht wie gewünscht regieren konnte, weil das Behördenpersonal ihm nicht bedingungslos folgte. Ihr Ziel sei es deshalb, jetzt einen hierarchisch organisierten, mit eigenen Leuten durchdrungenen Staat zu schaffen, der dem Präsidenten Gefolgschaft leistet. Dafür braucht es Personal. Auch darum kümmert sich das Projekt.

Ein LinkedIn für Konservative

Eines der wichtigsten Teile des „Project 2025“ ist die Arbeit an einer Datenbank. Darin sammelt es Personen, die im Falle eines republikanischen Wahlsieges im Schnellverfahren ausgebildet werden sollen, um sofort Posten in US-Behörden zu übernehmen. Interessierte können sich dafür auf der Website des Projekts registrieren, müssen aber einen detaillierten Fragebogen über ihre politische Gesinnung einreichen.

„Die USA haben das Recht, Migranten anhand ihres Herkunftslandes auszusuchen“, lautet eine der Aussagen, zu der man seine Meinung abgeben muss. Eine andere: „Die Institutionen der Familie und der Religion sind fundamental für Amerikas Freiheit und Gemeinwohl.“ Nicht die Expertise oder Arbeitserfahrung zählen also zuallererst für die Besetzung einer kommenden Republikaner-Regierung, sondern die politische Gesinnung.

„So etwas hat es noch nie gegeben“, sagt Brandon Bohrn über das Projekt, das in US-Medien oft als rechtes LinkedIn bezeichnet wird. Schon früher hätten konservative Organisationen Personallisten für eine mögliche Regierung gebaut. „Aber jetzt gibt es eine zentralisierte Datenbank, in der sich bereits Tausende Menschen eingetragen haben“, sagt er.

Einmal geprüft, soll die „Presidential Administration Academy“ Interessierte auf ihre Arbeit in der US-Verwaltung vorbereiten, eine Art ideologische Online-Akademie und die dritte Säule von „Project 2025“. Im Schnellverfahren bereitet die Heritage Foundation in Online-Kursen die Teilnehmenden auf ihre Aufgabe vor, ab „Tag 1“ bereit zu sein, dem Präsidenten „zu dienen“.

Die Republikaner würden das Gesetz nicht brechen, sondern als Werkzeug nutzen

„Für meine Freunde alles, für meine Feinde das Gesetz“, diesen Satz soll der ehemalige Diktator von Peru, Oscar R. Benavides, einmal gesagt haben. Heute erlebt die Aussage ihre Blütezeit: Sämtliche Autokraten des 21. Jahrhunderts versuchen, den Anschein der Volksherrschaft zu wahren, während sie die Demokratie aushöhlen. Sie bereichern sich und ihre Clique, während sie ihre Gegner:innen mit Gesetzen und Vorwürfen verfolgen. Das reicht von Korruption über Landesverrat bis hin zu Pädophilievorwürfen. So macht es Viktor Orbán in Ungarn, Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei, Wladimir Putin in Russland.

Moderne Autokraten brechen das Gesetz nicht. Sie benutzen es als Werkzeug, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Das könnte auch in den USA passieren, sollten die Republikaner die Wahl gewinnen – und „Project 2025“ umsetzen.

Im Sommer 2023 versprach Trump: „Ich werde einen echten Sonderermittler ernennen, um den korruptesten Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten Amerikas, Joe Biden, und die gesamte kriminelle Biden-Familie zu verfolgen.“ Zuletzt kündigte er an, politische Rival:innen zu verfolgen, sollte er Präsident werden. Ermöglichen könnte ihm das nicht nur jener auf Gefolgschaft ausgerichtete Verwaltungsstaat, den die Republikaner errichten wollen. Sondern auch ein weiteres Vorhaben von „Project 2025“: Die Republikaner wollen Behörden, die bislang unabhängig waren, unter die direkte Kontrolle des Präsidenten stellen. Vor allem das Justizministerium – und damit auch das FBI.

Das heißt: Zunächst könnten die Republikaner Behörden mit Anhänger:innen besetzen, die dem Präsidenten aufs Wort folgen. Anschließend könnte er ihnen direkt anordnen, gegen wen sie ermitteln sollen. Das könnte auch die Disziplinierung der eigenen Leute ermöglichen, wie man es aus anderen Autokratien kennt: Ein starker Mann bietet Einfluss und bekommt dafür absolute Gefolgschaft. Wer Teil des Systems wird, macht sich zum Komplizen. Wer da wieder raus will, muss mit Strafverfolgung rechnen. Diese Taktik hat Wladimir Putin in Russland über die letzten 20 Jahre perfektioniert.

Hier wird noch ein weiteres, zentrales Vorhaben von „Project 2025“ wichtig: Die Republikaner wollen eine Verordnung erlassen, die den Einsatz des Militärs im Inland auf Grundlage des Aufstandsgesetzes ermöglicht. Sollte es, wie zum Beispiel in Israel, Massenproteste gegen die Regierung geben, könnte der Präsident die Proteste mit Hilfe des Militärs niederschlagen lassen.

Eine republikanische Trump-Regierung könnte ein Durchbruch der Autokratie sein

Welchen Einfluss hat das „Project 2025“? Der ungarische Politikwissenschaftler Bálint Magyar hat untersucht, wie Viktor Orbán in Ungarn die Demokratie aushöhlte. Magyar teilt diesen Prozess in drei Schritte. Seine Arbeit hilft dabei, die mögliche Tragweite des Projekts zu verstehen.

Den ersten Schritt auf dem Weg zur Autokratie bezeichnet Magyar als „autokratischen Versuch“: Demokratisch gewählte Politiker:innen versuchen, die Institutionen mit kleinen Veränderungen umzubauen. Sie stärken die Exekutive – vor allem den Präsidenten – und beschränken die Befugnisse von Parlament, Medien und Gerichten. Gleichzeitig besetzen sie so viele Posten wie möglich mit treu ergebenen Anhänger:innen und ändern, wenn möglich, das Wahlsystem oder sogar die Verfassung.

Auf diese Phase folgt irgendwann der Versuch eines „autokratischen Durchbruchs“. Das ist eine Art Kipppunkt: Gelingt es der Partei oder dem Präsidenten, eine absolute Mehrheit im Parlament zu bekommen und die Gewaltenteilung außer Kraft zu setzen, gibt es vorerst kein Zurück mehr. Demokratische Institutionen leben dann größtenteils nur noch zum Schein weiter, die Gewaltenteilung wird eingeschränkt.

Der 6. Januar 2021 war Trumps erster Versuch eines „autokratischen Durchbruchs“. Er wollte eine demokratische Wahl nicht anerkennen und stachelte seine Anhänger:innen zum Sturm auf das Kapitol auf. Der Versuch war chaotisch und schlecht geplant. Doch in der Zwischenzeit haben er und sein Umfeld aus den eigenen Fehlern gelernt und eine Lehre aus der Geschichte verstanden: Die meisten Autokraten der Moderne sind nicht durch einen Putsch an die Macht gekommen, sondern wurden demokratisch gewählt, bevor sie die Demokratie abschafften. Und sie hatten breite Unterstützung in ihren Reihen. Das heißt: Sollte Trump am 4. November 2024 die Wahl gewinnen, ist sein autokratischer Durchbruch wahrscheinlicher denn je – ermöglicht von den Republikanern, vorbereitet durch das „Project 2025“.


Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

Der Gorilla im Raum: Trump ist nicht das größte Problem

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