Jeden Monat versorge ich dich mit den wichtigsten Neuigkeiten, Recherchen und Analysen, damit du den Überblick nicht verlierst.
Heute schaue ich unter anderem nach Brasilien, Österreich und Spanien – und ausführlich nach Deutschland. Hinweise und Rückmeldungen kannst du gern an ben@krautreporter.de senden. Meinen Newsletter kannst du hier kostenlos abonnieren. Los gehts!
Sechs Nachrichten aus aller Welt
🌎 Europa: Wie sich die Machtverhältnisse innerhalb der EU nach rechts verschieben
Jahrelang hat die EU über eine gemeinsame Migrationspolitik verhandelt – und sich jetzt auf Eckpunkte eines neuen (viel kritisierten) Asylpakts geeinigt. Interessant ist, wer bei den Verhandlungen den Ton angegeben hat: die italienische Premierministerin Giorgia Meloni, gemeinsam mit einem Block aus rechten und konservativen Parteien. Das zeigt: Die politische Landschaft innerhalb Europas verändert sich. „Überall auf dem Kontinent zeigt eine wachsende Zahl von Parteien der Mitte und der rechten Mitte die Bereitschaft, mit rechtsextremen Parteien zusammenzuarbeiten“, schreibt die englischsprachige Zeitung Politico in einer treffenden Analyse. Während konservative Parteien sich lange Zeit von der extremen Rechten fernhielten, arbeiten sie jetzt immer häufiger zusammen. Die EU rückt nach rechts – und das nicht nur beim Thema Migration, sondern zum Beispiel auch in der Klimapolitik.
🌎 Griechenland: Rechte Parteien im neuen Parlament
Die konservative Partei „Nea Demokratia“ von Regierungschef Kyriakos Mitsotakis hat die griechische Parlamentswahl deutlich gewonnen. Doch auch mehrere rechtsradikale Parteien feierten Erfolge und sicherten sich zusammen 13 Prozent der Parlamentssitze. Unter anderem schaffte es die bis dato fast unbekannte rechtsextreme Partei „Spartiates“ als fünftstärkste Kraft mit 4,6 Prozent ins Parlament – mit Hilfe eines prominenten Unterstützers: Ilias Kasidiaris, einst im Führungskader der mittlerweile verbotenen Neonazi-Partei „Goldene Morgenröte“, rief aus dem Gefängnis zur Unterstützung von „Spartiates“ auf. Im Parlament könnten die neuen rechten Kräfte Mitsotakis zu einer noch strengeren Asylpolitik drängen.
🌎 Italien: Ex-Präsident Silvio Berlusconi ist tot
Der frühere italienische Ministerpräsident und Medienunternehmer starb am 12. Juni im Alter von 86 Jahren. Seit 1994 führte er insgesamt vier Regierungen in Italien als Ministerpräsident an. Berlusconi galt als stilbildende Ikone des modernen Rechtspopulismus. In einem lesenswerten Nachruf bei der Süddeutschen Zeitung schreibt der italienische Publizist Antonio Scurati über den „Berlusconismus“: „Berlusconis Talkmaster (…) haben uns nichts beizubringen, sie wiederholen unaufhörlich, dass wir nicht lernen, wachsen oder uns weiterentwickeln müssen, dass wir gut sind, so wie wir sind, endlich können wir wir selbst werden. Sie sind nur dazu da, uns zu unterhalten, zu amüsieren, zu bespaßen.“
🌎 Spanien: Die rechtsextreme Vox-Partei stimmt sich auf die Wahlen ein
Schon in der letzten Ausgabe dieses Newsletter habe ich darüber berichtet: Nach den Parlamentswahlen in Spanien am 23. Juli könnte das Land eine Regierung aus der konservativen PP und der rechtsextremen Vox bekommen. Vox pflegt gute Beziehungen zu Viktor Orbán und Giorgia Meloni. Die Partei hetzt gegen Migrant:innen, Homo- und Transsexuelle und versammelt Rechte, Rassist:innen, strenggläubige Katholik:innen und Franquist:innen.
Der aktuelle Wahlkampf zeigt, was das Land im Falle einer Regierungsbeteiligung der Partei erwarten könnte: In Madrid brachte Vox ein riesiges Plakat an, in dem eine Hand die Regenbogenflagge, ein Feminismus-Symbol, die katalanische Fahne und das Symbol der Sustainable Development Goals (auch: Agenda 2030) der Vereinten Nationen in den Mülleimer wirft. In mehreren Regionen im Land ordnete die Partei die Kommunen an, sämtliche Regenbogenfahnen von öffentlichen Gebäuden zu entfernen. Und in Valdemorillo nahe Madrid verbot die neue Kommunalregierung unter Vox-Beteiligung jüngst die Aufführung eines Theaterstücks der britischen feministischen Schriftstellerin Virginia Woolf.
🌎 Österreich: Polizei hebt Waffenarsenal aus
Österreichische Sicherheitsbehörden haben bei Hausdurchsuchungen im rechtsextremen Rockermilieu ein riesiges Waffenarsenal sichergestellt, darunter Langwaffen, Maschinengewehre, Granatwerfer, mehr als 10.000 Schuss Munition und Hakenkreuz-Flaggen. Der Wert der Waffen beträgt laut Tagesschau rund 1,5 Millionen Euro. Gefunden wurden sie bei einem Ableger des internationalen Motorradclubs „Bandidos“.
🌎 Brasilien: Bolsonaro darf bis 2030 nicht mehr für öffentliche Ämter kandidieren
Der frühere brasilianische Präsident Jair Bolsonaro darf nach einem Gerichtsurteil bis 2030 nicht mehr in ein öffentliches Amt gewählt werden. Der Grund: Laut Brasiliens oberster Wahlbehörde (TSE) hat der Ex-Präsident sein Amt und seine Macht missbraucht, um die Wahlen Ende 2022 zu beeinflussen und Zweifel am Wahlsystem zu sähen. Bolsonaro kann das Urteil noch anfechten.
Nachrichten aus Deutschland
🇩🇪 AfD auf Erfolgskurs
Die AfD verzeichnete zuletzt zwei Erfolge in der Kommunalpolitik: In Sonneberg in Thüringen stellt sie nun mit Robert Sesselmann bundesweit ihren ersten Landrat. Und mit Hannes Loth ist in Raguhn-Jeßnitz (Sachsen-Anhalt) zum ersten Mal ein Bürgermeister der AfD gewählt worden. Drei Dinge sind dabei wichtig:
- Die AfD setzt auf Kommunalpolitik. Die Partei weiß, dass andere Parteien auf Landes- und Bundesebene nicht mit ihr zusammenarbeiten. Zumindest noch nicht. Der Gewinn kommunaler Ämter soll das ändern: Man wolle „von unten die ersten Pflöcke einschlagen“, sagt der AfD-Politiker Leif-Erik Holm. Das Kalkül: In der Kommunalpolitik ist es schwieriger, sich aus dem Weg zu gehen. Andere Parteien sollen langsam daran gewöhnt werden, mit AfD-Politiker:innen zusammenzuarbeiten. Dafür nutzt die AfD eine weitere Strategie.
- Selbstverharmlosung: Der Thüringer Landesverband der AfD gilt laut Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch. Björn Höcke ist dessen Chef. Trotzdem versucht die AfD, sich ein bürgerliches Antlitz zu geben. Um Wähler:innen nicht zu verschrecken und die eigenen ideologischen Ziele zu erreichen, solle man die eigenen Positionen in der Öffentlichkeit verharmlosen, riet der rechtsextreme Vordenker und Höcke-Vertraute Götz Kubitschek schon vor Jahren. Auf Kommunalebene geht das besonders gut: Wer über Straßenbau oder Förderungen für örtliche Schulen berät, kann sich recht einfach als bürgerlicher Politiker darstellen.
- Kommunale Spitzenämter haben begrenzten Handlungsspielraum – das kommt der AfD zugute: Nach der Wahl in Sonneberg spielten verschiedene Politiker:innen und Medien die Bedeutung der Wahl herunter. Ihr Argument: Ein Landrat hat begrenzte Handlungsmöglichkeiten. Er muss Vorgaben aus der Landes- und Bundespolitik umsetzen. Robert Sesselmann würde deshalb gar keine Möglichkeit bekommen, die eigene, extreme Agenda in Realpolitik umzusetzen. Das Problem: Das ist erst einmal gar nicht das Ziel der AfD. Die Partei will sich in der Kommunalpolitik in erster Linie in Szene setzen. Ich glaube deshalb: Natürlich ist Sesselmanns Handlungsspielraum begrenzt – aber genau das wird er gekonnt nutzen, um gegen „die da oben“ aus Berlin zu hetzen. Frei nach dem Motto: Schaut, wir wollen alles anders machen, aber die Systemparteien lassen uns nicht. So kann die AfD ihre Selbstinszenierung als Opfer und Underdog weiter pflegen, obwohl sie selbst an der Macht ist.
🇩🇪 Die Union und die AfD: die falsche Strategie?
Der deutsche Konservatismus befindet sich in einer tiefen Krise. Nach der Wahl in Sonnenberg machte CDU-Parteichef Friedrich Merz die Ampel-Regierung für den Erfolg der AfD verantwortlich und erklärte die Grünen zum „Hauptgegner“. Die Partei wolle die Menschen umerziehen, Einfamilienhäuser verbieten oder den Menschen das Gendern aufzwingen, heißt es wahlweise von Politikern wie Markus Söder, Jens Spahn oder Friedrich Merz. Auf der Suche nach der eigenen Identität übernimmt die Union immer öfter Talking Points der radikalen Rechten. Das Kalkül: So will man AfD-Wähler:innen zurückgewinnen. Das Problem: Das funktioniert nicht, wie sogar wissenschaftliche Studien zeigen. Im Gegenteil. Die Übernahme rechtspopulistischer bis rechtsradikaler Positionen, Erzählungen und Kommunikationsstrategien stärkt am Ende bloß die radikale Rechte selbst.
Analyse des Monats
🔎 Das Wesen des modernen Rechtspopulismus
Weltweit sind Rechtspopulist:innen auf dem Vormarsch. Aber was ist das überhaupt, Rechtspopulismus? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede haben Trump, Bolsonaro und Orbán? Und wie unterscheiden sie sich von autoritären Verführern des 20. Jahrhunderts? Wen diese Fragen interessieren, dem empfehle ich heute zwei Analysen: In dem Artikel „Trump, Johnson, and the real problem with populism“ legt der Politikwissenschaftler und Populismusexperte Jan-Werner Müller in der Financial Times die Wesenszüge des modernen Rechtspopulismus offen.
Und in „Rechtspopulismus ist ein Gefühl“ analysiert Nils Markwardt bei Zeit Online die psychopolitische Agenda des Rechtspopulismus. „Ihr Angebot enthält zwar keine realpolitischen Lösungsansätze, aber auf mehreren Ebenen unmittelbare Entlastungsversprechen“, schreibt er. Werte oder Ideen spielten darin keine Rolle. Stattdessen sei die Kernbotschaft der Populist:innen: „Schaut mich an, ich bin ein Sünder, aber deshalb dürft auch ihr Sünder sein.“ Mehr noch: „Selbstdisziplinierung, Rechtschaffenheit und innere Pflicht sind für Verlierer.“
Die Trumps, Johnsons und Orbáns dieser Welt treiben die Kulturkampfisierung aller Lebensbereiche gezielt auf die Spitze, schreibt Markwardt: „Erst wenn man alles Mögliche, und seien es Wärmepumpen, Wölfe oder Lastenfahrräder, zur identitätspolitischen Zumutung gemacht hat, kann man zu deren Entlastung antreten. Und diese erschöpft sich dann oft auch nicht nur in bloßer Abwehr, sondern ebenso in aggressiver Überkompensation: Für jeden Veganer isst man zwei Schnitzel extra. Auch insofern geht es hier also weniger um Lösungen, als um Gefühle und Identitätsmarketing.“
Das Theorieteil: Was sind eigentlich …
📝 … die Fourteen Words?
Rechtsextreme benutzen immer wieder die Zahl 14. Das ist ein Code. Er verweist auf einen 14 Worte langen Satz, den der US-Rechtsextremist David Eden Lane prägte: „We must secure the existence of our people and a future for white children.“ Zu Deutsch: „Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für die weißen Kinder sichern.“ Das impliziert, dass das eigene „Volk“ bedroht ist – und rechtfertigt dessen Verteidigung mit Gewalt.
Redaktion: Andrea Walter, Bildredaktion: Philipp Sipos, Schlussredaktion: Susan Mücke, Audioversion: Iris Hochberger