In diesem Newsletter beantworte ich eure großen Fragen zum Ukraine-Krieg. KR-Mitglied Johannes fragt: „Fast alle Menschen sind gegen Krieg, trotzdem gibt es ihn überall auf der Welt. Wie lassen sich Kriege aktiv verhindern?”
Ich könnte es mir einfach machen und sagen: Weil Gewalt und Krieg zum Menschen dazu gehören. Doch das ist erstens nicht sehr konstruktiv und zweitens glaube ich, dass es nicht ganz stimmt. Denn, wie Johannes schreibt: Obwohl es Kriege gibt, sehnen sich doch viele nach einer friedlichen, gewaltlosen Welt.
Um Krieg zu verstehen, muss ich erst erklären, was Frieden ist. Dafür habe ich mit Hendrik Hegemann telefoniert, Wissenschaftler am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg. Er sagt: „Frieden ist kein Zustand, sondern ein Prozess.“ Und zwar ein Prozess abnehmender Gewalt und zunehmender Gerechtigkeit. In einem Land, in dem zum Beispiel Minderheiten unterdrückt werden oder die Polizeigewalt sehr hoch ist, herrscht zwar kein Krieg, aber friedlich ist es trotzdem nicht. Eine vollkommen friedliche, gewaltfreie Welt ist also eine Utopie, der wir uns höchstens annähern können.
Kriege kann es innerhalb eines Staates geben, etwa bei einem Bürgerkrieg, oder zwischen verschiedenen Staaten, wie jetzt beim russischen Krieg gegen die Ukraine. Viele Forscher:innen definieren einen Krieg über die Opferzahl: Wenn mehr als 25 Menschen pro Jahr sterben, ist es ein bewaffneter Konflikt. Ab 1.000 Toten pro Jahr spricht man von einem Krieg.
Demokratien führen Kriege – nur nicht gegen andere Demokratien
Warum und wann greift ein Land ein anderes an, so wie Russland die Ukraine? Es klingt seltsam, aber zwischenstaatliche Kriege gibt es zu selten, um eine wirklich gute Antwort darauf zu geben. Deshalb lässt sich auch nur schwer verallgemeinern, wie sie sich verhindern lassen. Bewaffnete Konflikte innerhalb eines Staates kamen in den vergangenen Jahrzehnten viel häufiger vor.
Ich würde an dieser Stelle gerne die häufigsten Kriegsgründe für Bürgerkriege aufzählen können. Aber auch das wird der Realität nicht gerecht. Ethnische Diskriminierung, eine große Fluchtbewegung oder Konkurrenz um Ackerland: Das kann zu einem Krieg führen, muss es aber nicht. Grundsätzlich bricht ein Krieg aus, wenn es unterschiedliche Interessen gibt und die Kriegsparteien die Möglichkeit haben, diese Interessen mit Gewalt durchzusetzen. Um Kriege zu verhindern, muss eine Gesellschaft also lernen, Konflikte friedlich auszutragen.
Macht die Staatsform Kriege wahrscheinlicher? Demokratien sind friedlicher als Autokratien oder Diktaturen, dachte ich. Hegemann sieht das anders: „Demokratien sind nicht per se friedlicher. Demokratien sind friedlich anderen Demokratien gegenüber.“ Es gab noch nie einen Krieg zwischen zwei gefestigten Demokratien. Aber der Irakkrieg mit den USA und Großbritannien, der Koreakrieg, der Algerienkrieg mit Frankreich: All das sind Beispiele für Kriege, an denen Demokratien beteiligt waren.
Es wird nicht immer alles schlimmer
Wer Nachrichten schaut, hat schnell das Gefühl: Ständig brechen Kriege aus, enden tun sie selten und überhaupt vernichtet sich die Menschheit gerade selbst. So war 2022 mit mehr als 200.000 Kriegstoten das tödlichste Jahr seit 30 Jahren. Wird wirklich alles schlimmer? „Nein, gar nicht“, sagt Hegemann. Betrachte man die Statistik seit 1949, wo die Datensätze beginnen, dann habe es schon viel opferreichere Zeiten gegeben. „Das liegt daran, dass die Zeit nach 1989 durch innerstaatliche Konflikte geprägt war“, sagt Hegemann. Und da sterben weniger Menschen als bei einem Krieg zwischen zwei Ländern. Bei solchen Kriegen kommt zum Beispiel eher die Luftwaffe zum Einsatz, die ganze Stadtviertel zerstört. Bei einem Bürgerkrieg passiert das eher nicht.
Wenn wir schon nichts dazu sagen können, wie sich Kriege verhindern lassen, wissen wir dann mehr über ihr Ende? Die Hälfte der zwischenstaatlichen Kriege endet durch Verhandlungen. Doch Konflikte müssen dafür „reif“ sein. Das heißt, beide Seiten müssen sich darauf einlassen, die Lösung muss für beide Seiten akzeptabel und langfristig tragbar sein. Aber es gibt kein Patentrezept dafür, wann diese Situation eintritt. Das Minsker Abkommen beispielsweise hat diese Bedingungen nicht erfüllt und den Krieg in der Ostukraine nicht beendet.
Eine abschließende Antwort darauf, wie sich Kriege verhindern lassen, gibt es also leider nicht. Dafür sind die Ausgangsbedingungen zu unterschiedlich. Das klingt zwar nicht sehr optimistisch, Hegemann ist aber trotzdem zuversichtlich: „Es ist möglich, dass es weniger Gewalt und mehr Gerechtigkeit gibt.“ Das ist zwar nicht der Weltfrieden, den wir alle gerne hätten. Aber wenn wir Frieden als Prozess verstehen, dann ist es möglich, dass wir die Welt immer friedlicher machen.
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Redaktion: Rebecca Kelber, Bildredaktion: Philipp Sipos, Schlussredaktion: Susan Mücke, Audioversion: Iris Hochberger