Ich bins, Isolde. Du liest meinen Newsletter „Ukraine verstehen“. Dieser Newsletter wird sich verändern, weil sich auch Krautreporter gerade verändert. Er wird nur noch alle drei Wochen erscheinen, dafür aber ausführlicher, damit du die Hintergründe noch besser verstehst.
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Was ist gerade wichtig?
Es war ein kleiner Literaturskandal: Drei ukrainische Autor:innen wurden zu einem Literaturfestival in New York eingeladen, drohten aber damit abzusagen. Denn bei ihrer Ankunft erfuhren sie, dass auf demselben Festival auch russische Autor:innen sprechen sollten – obwohl die Ukrainer:innen vorher klargemacht hatten, dass sie keine Bühne und auch kein Festivalprogramm mit Russ:innen teilen wollen.
Die Diskussion mit den russischen Autor:innen wurde deshalb gecancelt. Das wiederum führte zu einem prominenten Rücktritt. Auf dem Panel mit den russischen Autor:innen sollte auch Masha Gessen sprechen. Gessen ist russisch-amerikanischer Herkunft, arbeitet journalistisch und hat Bücher über Putins autoritäres Russland geschrieben. Gessen kritisierte, dass die Diskussion mit den russischen Autor:innen abgesagt wurde und verließ den Vorstand des PEN America.
Das könnte man als Skandälchen der Literaturwelt abtun. Dahinter steckt aber ein größeres Thema. Ukrainer:innen wollten nicht mit Russ:innen an den gleichen Veranstaltungen teilnehmen oder gar auf der gleichen Bühne sitzen.
Warum das denn?
Es war nicht der erste Vorfall dieser Art. Zum Beispiel verlieh die Stadt Osnabrück im April den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis an den ukrainischen Künstler Sergiy Maidukov und die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja. Erst sollten die Preisverleihungen getrennt stattfinden, dann sagte Maidukov ganz ab. Er habe genug russische Präsenz in seinem Leben, sagte der in Kyjiw lebende Zeichner.
Denn solche Events erwecken das Bild, Menschen aus Russland und der Ukraine stünden in einem Dialog oder würden sich sogar versöhnen. Und das, obwohl der Krieg noch lange nicht vorbei ist. Ukrainer:innen müssten also freundlich zu den Russ:innen auf der Bühne sein – gleichzeitig kämpfen vielleicht ihre Freund:innen an der Front, ihr Haus wird zerstört oder ihre Angehörigen verstecken sich vor russischen Bombenangriffen.
Außerdem entsteht durch solche Events und Preisverleihungen der Eindruck, dass Russ:innen und Ukrainer:innen im selben Boot sitzen, weil sie unter dem gleichen Regime leiden. Auf eine gewisse Weise stimmt das auch, schließlich hat Wladimir Putin den Befehl zum Überfall auf die Ukraine gegeben und verfolgt gleichzeitig alle Menschen im eigenen Land, die sich dagegen auflehnen.
Allerdings relativiert das den Schrecken, dem die Ukrainer:innen täglich ausgesetzt sind. Russ:innen haben Angst vor Verfolgung, aber Ukrainer:innen haben Angst, den nächsten Luftangriff nicht zu überleben. Setzt man die Situation von Russ:innen und Ukrainer:innen gleich, schmälert man auch die Verantwortung der russischen Bevölkerung für den Krieg – das ist zumindest die ukrainische Sichtweise.
Vielleicht denkst du: Eine gemeinsame Bühne ist doch kein Problem, wenn die teilnehmenden Russ:innen gegen den Krieg sind und das russische Regime kritisieren? Es kommt natürlich auf die Haltung der Beteiligten an und nicht alle Ukrainer:innen sehen das so streng.
Viele Ukrainer:innen wollen das aber trotzdem nicht: Sie sehen sich als Opfer eines Genozids und eines Krieges, der sich gegen die gesamte ukrainische Nationalität richtet. Und kolonialistisches Denken ist in Russland verbreitet, auch unter Personen, die das Putin-Regime kritisieren.
Masha Gessen hatte übrigens Verständnis für die Ukrainer:innen auf dem Literaturfestival, fand aber auch, sie hätten den Verband PEN erpresst. „Ich hatte das Gefühl, dass man von mir verlangte, diesen Leuten zu sagen, dass sie, weil sie Russen sind, nicht am großen Tisch sitzen können, sondern an dem kleinen Tisch an der Seite“, sagte Gessen dem Atlantic. „Das fühlte sich geschmacklos an.“
Die Frage der Woche
KR-Mitglied Uta fragt: „Ich frage mich, warum nicht mehr Menschen innerhalb der Ukraine auf der Flucht sind. Schließlich ist es in einem anderen Land mit einer anderen Sprache und Kultur nicht gerade leicht.“
Aktuell sind rund acht Millionen Ukrainer:innen in andere europäische Länder geflohen. Und fast fünfeinhalb Millionen Menschen sind innerhalb der Ukraine auf der Flucht. Viele haben sich also dafür entschieden, in der Ukraine zu bleiben. Es stimmt zwar, dass es nicht leicht ist, in einem anderen Land Fuß zu fassen, die Sprache zu lernen oder Arbeit zu finden. Wie genau die Situation der Ukrainer:innen in Deutschland ist, habe ich in dieser Ausgabe meines Newsletters erklärt.
Allerdings ist das Leben vieler Binnengeflüchteter hart. Zwar gibt es Sammelunterkünfte, doch längst nicht genug für alle, die aus ihrer Heimatregion fliehen mussten. Viele der Sammelunterkünfte sind nicht für lange Aufenthalte ausgelegt. Laut den Vereinten Nationen haben die Binnenvertriebenen dort oft nur eingeschränkten Zugang zu fließendem Wasser oder Bädern.
Eine ukrainische Studie kommt zu dem Schluss, dass Binnengeflüchtete die am stärksten gefährdete soziale Gruppe in der Ukraine sind. Eine der größten Schwierigkeiten ist es, eine Wohnung zu finden. Denn dadurch, dass so viele Menschen innerhalb der Ukraine auf der Flucht sind, gibt es nicht genug Wohnraum und die Mieten sind stark gestiegen.
Außerdem fällt es vielen Binnenvertriebenen schwer, eine Arbeit zu finden. Das führt natürlich zu Geldproblemen. Gleichzeitig haben viele Schwierigkeiten, sich bei den Behörden zu registrieren und staatliche Hilfszahlungen zu bekommen.
Und schließlich ist es auch im Westen der Ukraine nicht vollständig sicher. Luftalarm gibt es immer wieder landesweit. Und noch vor einer Woche meldete die Ukraine russische Drohnenangriffe und Explosionen im westukrainischen Gebiet Chmelnyzkyj.
Hast du eine Frage zum Krieg in der Ukraine? Dann nimm jetzt an meiner Umfrage teil.
Der Link der Woche
Wie verändert der Krieg die Liebe in der Ukraine? Diese Arte-Doku erzählt die bewegenden Liebesgeschichten von Ukrainer:innen. Zum Beispiel die von der 27-jährigen Olena. Sie kämpft als Soldatin und wurde im Kampf von ihrem Mann getrennt, jetzt ist er in russischer Kriegsgefangenschaft. Sie kann keinen Kontakt zu ihm aufnehmen – und hat in der Zwischenzeit ein Kind geboren.
Die Hoffnung der Woche
Fuminori Tsukiko ist ein lokaler Held in der ostukrainischen Stadt Charkiw. Der 75-jährige Japaner zog vor einem Jahr in die Ukraine, um als freiwilliger Helfer zu arbeiten.
https://www.youtube.com/watch?v=6Kce6avxBYU
Er sammelt Spenden über die sozialen Medien und verteilt Essen an Ukrainer:innen. In einem Beitrag des ukrainischen Fernsehens sagt eine alte Frau, dass er ein ganz besonderer Mensch sei. In diesem Moment drückt er ihr ein Brötchen in die Hand, sie sagt: „Ich liebe Sie“, und wirft ihm eine Kusshand zu.
Redaktion: Rico Grimm, Bildredaktion: Philipp Sipos, Schlussredaktion: Susan Mücke, Audioversion: Iris Hochberger