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Politik und Macht

„Wir haben Angst“

Russland hat Meduza, das wichtigste freie russischsprachige Medium, zur „unerwünschten“ Organisation erklärt. Die Bedrohung für die Redaktion und ihre Unterstützer:innen wächst. Ein Offener Brief.

Profilbild von Sebastian Esser
Herausgeber

Krautreporter und Meduza stehen sich nahe. Wir unterstützen die Arbeit der Kolleg:innen, so gut wir können von Deutschland aus und begleiten das Team seit Ausbruch des Krieges, zum Beispiel mit einem Unterstützungsaufruf im vergangenen Frühjahr. Deswegen veröffentlichen wir den Offenen Brief der Kolleg:innen bei uns.


Meduza ist in Russland zu einer „unerwünschten“ Organisation erklärt worden. Mit anderen Worten: Die Arbeit unserer Redaktion ist jetzt in dem Land, das unsere Gründer:innen ihre Heimat nennen, vollständig verboten.

Sollte sich Meduza nicht selbst auflösen, droht die russische Strafverfolgung nicht nur unseren leitenden Mitarbeiter:innen und unserem Redaktionsteam. Sie droht auch allen, die unsere Materialien verbreiten – schon wer einen unserer Artikel auf Facebook teilt, macht sich jetzt strafbar. Die russische Strafverfolgung droht aber auch all jenen, die versuchen, Geld zu unserer Unterstützung zu spenden; und sogar allen, die unseren Reporter:innen ein Interview geben oder auch nur ein Zitat.

Im Jahr 2021 – also noch vor dem Ukraine-Krieg – erklärte das russische Justizministerium Meduza zu „ausländischen Agenten“. Nach dem Angriff Moskaus auf die Ukraine im Februar 2022 sperrten die russischen Behörden unsere Homepage. Trotz der Bemühungen des Kremls haben wir unsere Arbeit fortgesetzt, wir haben mehrere Millionen Menschen in Russland erreicht und sind zum größten unzensierten russischsprachigen Nachrichtenkanal der Welt geworden.

Je stärker der Druck, desto mehr Widerstand leisten wir

Wir würden unseren Unterstützer:innen gerne sagen, dass unser neuer „unerwünschter“ Status uns keine Sorgen bereitet. Dass er nichts bedeutet. Aber das wäre nicht wahr. Wir haben Angst. Wir fürchten um unsere Leser:innen und um diejenigen, die seit vielen Jahren mit Meduza zusammenarbeiten. Wir haben Angst um unsere Lieben und unsere Freund:innen.

Aber wir glauben an das, was wir tun. Wir glauben an die Meinungsfreiheit. Und wir glauben an ein demokratisches Russland. Je stärker der Druck auf uns und unsere Werte wird, desto stärker leisten wir Widerstand.

Wir glauben auch an Solidarität. Wir lassen uns von den Journalist:innen anderer „unerwünschter“ Publikationen inspirieren, die ihre Arbeit nie eingestellt haben. Wir finden Kraft in der Unterstützung von Kolleg:innen in den Medien und von Nichtregierungsorganisationen, die sich dem Widerstand gegen die russischen Behörden verschrieben haben. Mit solch entschlossenen, mutigen und prinzipientreuen Menschen zusammenzuarbeiten, ist eine Freude und ein Privileg.

Wir werden Wege finden, weiterhin Journalismus zu machen

In schwierigen Momenten wie diesem haben wir auch unschätzbare Hilfe und Ratschläge von unseren Kolleg:innen aus aller Welt erhalten. Diese Unterstützung und diese Gemeinschaft sind es, die uns weitermachen lassen; sie geben uns die Gewissheit, dass wir nicht das Recht haben, aufzugeben und zu schweigen.

Wir werden Wege finden, unter diesen neuen Bedingungen zu arbeiten. Wir werden unseren Leser:innen, von denen sich noch Millionen in Russland befinden, weiterhin über die Ereignisse berichten. Wir werden uns der russischen Zensur nicht beugen.

Auch Meduza in englischer Sprache wird seine Arbeit fortsetzen. Jeden Tag werden unsere Journalist:innen weiterhin über die Geschehnisse in und um Russland berichten, über unsere Homepage, aber auch durch Podcasts, mithilfe der sozialen Medien und durch unsere Newsletter.

Wir brauchen Unterstützung mehr als jemals zuvor

Noch nie waren wir so dringend auf die Unterstützung von Menschen aus der ganzen Welt angewiesen. Im Jahr 2022 verloren unsere Spender:innen, die in Russland leben, die technischen Möglichkeiten, Geld an Meduza zu senden. Jetzt riskieren alle russischen Staatsbürger:innen, die unserer Redaktion auch nur eine Kopeke zukommen lassen, strafrechtliche Verfolgung. Wir können unsere Leser:innen nicht in Gefahr bringen.

Wir glauben, dass Meinungsfreiheit und der Zugang zu gesicherten Informationen keine Geschenke sind, sondern hart erkämpfte Errungenschaften, die geschützt werden müssen. Freie Wahlen und eine aktive Zivilgesellschaft sind ohne diese grundlegenden Errungenschaften nicht denkbar. Wir sind bereit, dafür zu kämpfen.


Wenn ihr dem Meduza-Team helfen wollt, geht das hier: Meduza.


Redaktion: Esther Göbel, Schlussredaktion: Susan Mücke, Audioversion: Christian Melchert

„Wir haben Angst“

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