Ein Portrait von Wolfgang. Er blickt in die Kamera.

CC BY 2.0 Stefan Müller

Politik und Macht

„Mir wäre lieber, die Letzte Generation wäre nur eine Sekte“

Wolfgang Metzeler-Kick saß schon mehrmals im Gefängnis, weil er Straßen blockierte. Ich habe ihn in der JVA Stadelheim getroffen. Mir hat er erzählt, was er wirklich denkt.

Profilbild von Protokoll von Rico Grimm

Ich bin 48 Jahre alt und sitze in diesem Gefängnis, seit 15 Tagen. Warum? Weil ich als Umweltschutzingenieur zu viel weiß. Mir fällt es wahnsinnig schwer, nur zuzugucken. Sich ohnmächtig zu fühlen und nichts verändern zu können.

Als ich 18 Jahre alt war, hätte ich nicht gedacht, dass ich mal im Gefängnis lande. Das war kein Gedanke, der besonders naheliegend war. Aber jetzt sitze ich zum dritten Mal in der JVA Stadelheim. Als ich das erste Mal reinkam in die Zelle, dachte ich: „Uh. Klein, eng.“

Ich gehe schon länger auf Demos, aber erst 2015 wurde mir die Dringlichkeit der Klimakatastrophe richtig bewusst. Damals brach vom Larsen-C-Schelfeis ein Tafeleisberg ab, zweimal so groß wie das Saarland. Und mir wurde klar, dass wir keine Zeit mehr haben. Vielleicht war es schon 1990 zu spät. Ich habe ein Kind, das zwölf Jahre alt ist. Es ist beschissen zu wissen, dass man seinem Kind keine Zukunft geben kann.

Ein Polizei-Van fährt durch das Tor der JVA.

Die JVA München, auch bekannt als Stadelheim, wo Wolfgang bis zum 21. Dezember einsaß. Miguel Villagran / Getty Images

Wir müssten längst CO2 aus der Luft herausziehen. Wir haben jetzt einen Gehalt von 0,42 Promille CO2 in der Luft. Das ist das letzte Mal vor über fünf Millionen Jahren so gewesen. Da war der Meeresspiegel 15 Meter höher. Wir müssen aber auf 0,35 Promille runter. Wenn wir weitermachen wie bisher, wird meine Generation noch erleben, wie Bangladesch von der Erdkarte durch den Meeresspiegelanstieg verschwunden sein wird. Genauso wie Florida.

Als Desperado machst du ohne Hoffnung weiter

Im Mai 2022 band ich mich bei einem Bundesligaspiel zwischen Eintracht Frankfurt und dem SC Freiburg am Pfosten des Frankfurter Torwarts Kevin Trapp fest. Als ich ihm etwas von CO2-Leveln sagte, wies er nur darauf hin, was die Fans im Stadion riefen. Sie riefen: „Auf die Fresse, auf die Fresse!“ Sie meinten mich.

Ich bin ein Desperado, ein Verzweifelter. Ich weiß genau, wie die Situation ist. Alleine im Jahr 2100 müssen 16 Gigatonnen CO2 aus der Atmosphäre entnommen werden. Das entspricht der jährlichen Entnahmeleistung eines Hartholzwaldes auf der 1,3-fachen Fläche Europas. Und dabei könnten wir diesen Wald nicht sich selbst überlassen. Denn was umfällt und verrottet, setzt ja auch wieder CO2 frei. Die Menschheit ist drauf und dran, sich selbst umzubringen.

Aber als Desperado machst du ohne Hoffnung weiter. Als Desperado sagst du: Ja, die Situation ist aussichtslos, aber was ist noch zu verlieren? Da landen wir bei Professor Schellnhuber, der in einem Interview mit Tilo Jung sagte: „Die Chancen, noch zu gewinnen, sind so schlecht, dass ich bei einer Sportveranstaltung gar nicht mehr antreten würde. Aber es ist keine Sportveranstaltung. Es geht wirklich um das Leben und die Zukunft unserer Kinder.“

Ich stehe im Gefängnis früh auf und schreibe viele Briefe

Ich kam zu Nikolaus in die JVA, also am 6. Dezember 2022. Wir hatten am Morgen die Abfahrt zur A96 am Mittleren Ring blockiert. Der Moment, in dem du auf die Straße trittst, ist ein Lampenfieber-Moment. Die Aufgeregtheit kommt daher, dass es nicht klappen könnte, dass wir vorher abgefangen werden, dass es scheitert irgendwie. Aber an diesem Morgen hatten wir Glück, weil die Ampel gerade rot war, als wir kamen und wir Gelegenheit hatten, uns auf der Straße festzukleben. In diesem Moment war ich erleichtert, dass es nun losgeht. Und anders als in der Nacht zuvor schenkte uns dieses Mal die Polizei auch Aufmerksamkeit. Bei der Aktion am Stachus einen Tag vorher hatten sie versucht, uns wegzuignorieren. Es war ihnen auch zum Teil gelungen. Es waren nicht viele Autos gefahren und da dachte ich mir schon: „Mist.“ Nun aber, bei der Aktion am 6. Dezember, standen so viele Autos im morgendlichen Berufsverkehr, dass die Polizei einfach eingreifen musste. Sie lösten uns von der Straße und es folgte Präventivgewahrsam.

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Es war schon sehr skurril. Ich hatte bei der Anhörung vor Gericht ausgesagt, dass ich bis zum 21. Dezember in Aktion gehen werde. Der Richter hat mich dann bis zum 5. Januar in Haft geschickt und mir Freigang über Weihnachten gegeben. Das war bemerkenswert, weil die Polizei mich nur bis zum 12. Dezember in Gewahrsam schicken wollte. Das war dann schon eine gewisse Überraschung. Interessanterweise war aber mein Beschluss auf den 5. Dezember datiert und während der Anhörung wurde nichts weiter Nennenswertes protokolliert in dem Beschluss. Das Polizeiaufgabengesetz verschafft dem Richter die Möglichkeit, mich einen Monat wegzusperren. Aber im Vergleich zu dem, was auf uns zukommt, ist dieser Gefängnisaufenthalt sowieso Pillepalle.

Wir stehen hier drinnen früh auf, wir gehen aber auch früh ins Bett. Ich habe diesmal keinen Fernseher und auch keinen beantragt. Ich schreibe viele Briefe. Die Wärter lesen diese Briefe. Es dauert ewig, bis die Briefe von hier nach draußen gehen. Ich lese aber auch viel und mache Liegestütze. Gerade lese ich Jorge Semprún „Was für ein schöner Sonntag!“ Es ist ein Hammerbuch! Es spielt vorgeblich an einen Sonntag im KZ Buchenwald, aber eigentlich geht es um die ganze Geschichte dieser Zeit.

Die Situation hier ist nicht so schlimm, und ich habe noch andere Strategien als Lesen und Liegestütze. Meditieren zum Beispiel. Und Yoga. Aber ich muss im Moment gar nicht meditieren. Es passt schon.

Prinzipiell werde ich hier gut behandelt, vor allem im Vergleich zu dem, wie es anderen Menschen geht, in anderen Ländern. Schau nur nach Russland. Was da mit Menschen passiert, die ein Schild hochhalten, auf dem nichts draufsteht. Wir hier in Deutschland sind unglaublich privilegiert. Wenn wir jetzt nicht aktiv sind und sagen: „Hey Regierung, so geht es nicht weiter, ihr bringt uns alle um!“, dann wird es keiner machen.

Die Diskussion um die tote Radfahrerin ging in eine völlig falsche Richtung

Ich erwarte von den Menschen draußen, dass sie anfangen, sich mit den Fakten zu beschäftigen. Sie müssen wirklich mal den Fakt an sich heranlassen, dass es zu spät ist und das 1,5-Grad-Ziel wirklich tot ist. Was das heißt? Ein Blick nach Indien, nach Pakistan und man weiß, was auf uns zukommt. Das ist ein Blick in unsere Zukunft.

Grafik, die Szenarien, für Emissionssenkungen zeigt. Die ambitionierteren Szenarien erfordern alle, dass die Menschheit noch in diesem Jahrzehnt beginnt, Emissionen zu senken.

Wolfgang bezieht sich in unserem Gespräch mehrmals auf die Berichte des Weltklimarats (IPCC). Die Autoren und Autorinnen dieses Berichts haben auch Szenarien erstellt, wie die Klimakrise enden kann. Jede Linie stellt so ein Szenario dar. Für Wolfgang ist der sogenannte SSP1-1.9 (hellblau) eine wichtige Referenz, der eine 63-prozentige Chance geboten hätte, die 1,5 Grad Celsius Erderwärmung nicht zu überschreiten – wenn ab dem Jahr 2019 die Emissionen gesunken wären. Diese Chance gibt es nicht mehr. Jetzt muss die Menschheit um den orangenen Pfad kämpfen, der aber immer noch 2,7 Grad Erwärmung am Ende des Jahrhunderts bedeuten würde. IPCC

Seit meinem ersten Aufenthalt hier in der JVA vom 28. Oktober bis 1. November hat sich tatsächlich viel getan, was die öffentliche Wahrnehmung des Klima-Themas angeht. Es wird natürlich immer noch viel über die Aktionen selbst diskutiert. Und ob die Methoden der „Letzten Generation“ für die Situation angemessen sind oder nicht. Aber bei dieser Frage muss eben immer die Situation, sprich, das Klima thematisiert werden.

Wir, also die Aktivisti der „Letzten Generation“, sind ein Feueralarm. Und wer kann schon einen Feueralarm ausstehen? Das ist auch bei unseren Blockaden so. Aber als im Herbst über den Unfalltod einer Frau diskutiert wurde, die in Berlin von einem LKW überrollt worden war, ging die Diskussion in eine völlig falsche Richtung. Uns wurde vorgeworfen, wir, also unsere Aktion an einer Schilderbrücke sei schuld am Tod der Frau gewesen. Weil das Bergefahrzeug nicht schnell genug zu ihr durchgekommen sei. Aber der LKW ist von der Frau heruntergefahren, noch bevor das Sonderfahrzeug zum Hochheben des LKWs überhaupt in der Nähe sein konnte. Wir lernen in der Fahrschule, dass wir eine Rettungsgasse bilden müssen, wenn irgendwo Stau ist. Und genau das passiert immer wieder nicht. Bei allen möglichen Staus kriegen die Autofahrer:innen es nicht gebacken, eine Rettungsgasse zu bilden. Aber nur bei den Staus, bei denen die „Letzte Generation“ auftaucht, wird das statistisch erfasst.

Ich werde irgendwann richtig in Haft sitzen, wenn es so weitergeht

Selbstverständlich gibt es auch für mich Grenzen des Protests. Die verlaufen dort, wo Gewalt gegenüber anderen Menschen ausgeübt wird. Im Jahr 2006 oder so, bei der „Kriegskonferenz“ in München. Dort war ich Demo-Clown und habe mir auf dem Marienplatz einen Faustschlag von einem Polizisten eingefangen – dummerweise für diesen – vor laufender Kamera des Bayerischen Rundfunks. Er wurde viel später wegen Körperverletzung verurteilt. Die Presse hat auf den Vorfall stark reagiert. Sie hat eindeutig Stellung zur Polizeigewalt bezogen. Auch wenn andere der „Letzten Generation“ das eloquenter ausdrücken würden, ich denke: Die Gandhi-Nummer hat Macht.

Ich kenne das Gefühl der völligen Depression. Es gibt wirklich ein Tal der Tränen. Wenn man das einmal durchschritten und die ganzen Erkenntnisse der Klimawissenschaft über unsere Zukunft verarbeitet hat, dann findet man manchmal: Oh, an der Stelle ist es doch ein kleines bisschen weniger schlimm als ich dachte! Aber ich möchte und werde das auch nicht noch zehn Jahre weiter machen. Also die ganzen Blockaden. Denn der Point of No Return ist irgendwann da. Der ehemalige wissenschaftliche Chef-Berater der britischen Regierung meinte vor fast zwei Jahren, dass die Menschheit noch drei bis vier Jahre Zeit hätte, um eine Kehrtwende einzuleiten, also massiv die Emissionen herunterzufahren. Wenn es nicht passiert, haben wir den Kipppunkt in die Heißzeit überschritten. Das heißt, ich würde noch weiter machen, bis meine Gerichtsverfahren um sind. Aber dann ist Schluss. Denn es gibt es, dieses „ZU SPÄT!“

Wolfgang ist am Tor angebunden, neben ihm steht der Torhüter

Beim Bundesligaspiel Frankfurt gegen Freiburg bindet sich Wolfgang an das Tor von Eintracht Torhüter Kevin Trapp Alex Grimm / Getty Images

Mein Sohn und ich sind uns einig

Wenn es so weitergeht wie jetzt, sitze ich so in vier bis fünf Jahren nicht nur in Präventivgewahrsam, sondern richtig in Haft. Und wenn ich die Haftstrafen hinter mir hätte und es offensichtlich ist, dass die Menschheit keine Chance mehr hat, dann muss ich mir den Untergang genauso anschauen wie jeder andere von uns auch.

Wir Menschen leben in dem Bewusstsein, dass wir sterben. Das ist sowieso klar. Da ist auch die Frage der Schuld total albern, wenn sich die Leute der Generation vor uns angegriffen fühlen. Die Schuldfrage stellt sich erst, wenn einem klar wird, dass das, was man macht, mörderisch ist, dass es den Tod bringt. Wenn einem klar wird, dass das eigene Handeln dazu führt, dass unsere Kinder keine Zukunft mehr haben. Bei Robert Habeck zum Beispiel muss ich die Schuldfrage bejahen.

Mein Sohn und ich sind uns übrigens einig: Wir hätten es am liebsten, wenn die „Letzte Generation“ nur eine komische Sekte wäre. Wenn sie nur auf Hirngespinsten basieren würde.


Vielen Dank an Sonnenschein, Komet und pblomen, die mit mir zusammen in meinem Recherche-Discord Fragen gebrainstormt haben. Außerdem Dank an Holger, Tom, Maria, Klaus, Susanna, Christian, Elvira, die sich per Mail gemeldet hatten!

Redaktion: Esther Göbel, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

„Mir wäre lieber, die Letzte Generation wäre nur eine Sekte“

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