Die Welt ist gerade in keinem guten Zustand. Ein Blick in die USA erzeugt das Gefühl, einer Demokratie beim Sterben zuzuschauen, der Klimawandel scheint immer unaufhaltbarer und eine Lösung für den Krieg in der Ukraine ist in weiter Ferne. Wenigstens bei den Kommunalwahlen in Sachsen gab es einen Lichtblick: Nur demokratische Kandidat:innen konnten sich durchsetzen.
So traurig es klingt, aber Annalena Schmidt, eine ehemalige Stadträtin aus Bautzen, hat es in einem Tweet gut zusammengefasst: „Deshalb haben wir Grund zu feiern!“
Wahlen in Sachsen sind immer ein besonderes Event, oft werden sie von den Medien und der Gesellschaft scharf beobachtet. In keinem anderen Bundesland ist die AfD so stark und kann sich auf eine Stammwählerschaft verlassen. Die Partei nimmt in Ostdeutschland mehr Raum ein als sonst irgendwo. Trotzdem können wir aus den Wahlen einiges für kommende Wahlen lernen.
1. Die AfD ist längst nicht so stark, wie befürchtet
Es gab Zeiten, in denen führende AfD-Parteimitglieder sich damit rühmten, in Teilen Sachsens einen Besenstiel zur Wahl aufstellen zu können und trotzdem zu gewinnen. Bei den Kommunalwahlen in sechs Landkreisen und 23 Gemeinden, die mit den Stichwahlen am vergangenen Sonntag beendet wurden, konnte sie kein einziges Mandat gewinnen. Eigentlich hatte sich die AfD gute Chancen ausgerechnet – und wollte zum ersten Mal in Deutschland einen Landratsposten besetzen. Selbst die große Corona-Leugner:innen-Welle ist ausgeblieben, schließlich hatte sich die AfD immer wieder mit den Demonstrationen solidarisiert. Und tatsächlich konnte man in einigen sächsischen Kleinstädten und Dörfern den Eindruck gewinnen, als ob eine riesige Masse an potentiellen Wähler:innen für die AfD durch die Straßen marschieren würde. Es ist eine Erkenntnis, die es lohnt immer wieder ausgesprochen zu werden: Die AfD vertritt keine schweigende Mehrheit. Was lernen wir daraus? Natürlich sollten wir die Partei nicht ignorieren. Auch wenn sie nicht gewonnen hat, ist sie in Ostsachsen immer noch für ungefähr ein Drittel der Wähler:innen die beliebteste Partei. Aber sie hat viel von ihrer Gefährlichkeit verloren – sie ist zu einem „strukturell und historisch gewachsenen Phänomen“ geworden, wie der Soziologe Raj Kollmorgen im Interview mit der Zeit sagt.
Viel bedrohlicher ist, was in Thüringen immer wieder passiert: Eine Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD. In Thüringen hat die CDU bei der Wahl von Thomas Kemmerich als Kurzzeit-Ministerpräsident ja bereits die Spiele der AfD mitgemacht und auch in letzter Zeit zeigen sich die Überschneidungen bei politischen Themen, zum Beispiel bei der Frage nach dem Mindestabstand von Windrädern. Also gilt: Augen auf bei der Wahl der Bündnispartner:innen.
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2. Panikberichterstattung bringt uns (nicht) weiter
Ja, dieses zugegebenermaßen mittelmäßige, Wortspiel ist gewollt. Ich möchte das Dilemma einmal ausführen, in dem wir Journalist:innen stecken. Einerseits bestand vor der Kommunalwahl die Sorge, dass rechtsextreme Kandidat:innen gewinnen könnten. Die Taz sprach von einem „Gespenst“, das umgeht und der Merkur aus München sah „heikle“ Zeiten auf die CDU zukommen. Kurz: Es war mal wieder Weltuntergangsstimmung. Das hat sich nach dem ersten Wahlgang glücklicherweise schon als falsch herausgestellt und die Angst schien unbegründet.
Das Dilemma: Journalist:innen müssen natürlich berichten, wenn eine rechtsextreme Partei möglicherweise Wahlen gewinnt. Die Berichterstattung kann allerdings dazu führen, dass Menschen zur Wahl gehen, um eine:n Kandidat:in zu verhindern. Jede Redaktion tanzt also vor Wahlen auf einem schmalen Grat: Berichterstattung, um rechtsextreme Parteien zu verhindern, nur um bei Erfolg sozusagen „falschzuliegen“ und die eigene Berichterstattung zu „korrigieren“.
3. Gemeinsamkeit macht stark
In Sachsen stellten sich Politiker:innen vor Wahlen oft die Frage: Verbünden wir uns, um die AfD zu verhindern? Denn an vielen Stellen kommen hier überhaupt nur noch so Mehrheiten zustande. Eine Strategie, die sich schon in der schwarz-rot-grünen Koalition in Sachsen zeigt. Nur, dass davon meist die CDU profitiert. Denn, wenn bis zu 30 Prozent der Wähler:innen eben die AfD unterstützen, bleibt für die übrigen Parteien kaum etwas übrig. Politisch akzeptable Alternativen werden so immer weniger.
Ich selbst habe bei der letzten Landtagswahl überlegt, wie ich am besten abstimme, damit die AfD keinen Ministerpräsidenten stellen kann. Ich hatte sogar überlegt, die CDU zu wählen, obwohl ich politisch wenig mit der Partei übereinstimme.
In der sächsischen Stadt Leisnig hat sich gezeigt: „Alle gegen die CDU“ kann auch funktionieren. Dort hatten Linke, SPD und Grüne die Wahl von Carsten Graf unterstützt und so den CDU-Mann Rüdiger Schulze besiegt. Leisnig hat nun zum ersten Mal seit der Wende keine:n CDU-Bürgermeister:in.
Die Lektion ist aber die: Wenn die AfD so viele Stimmen bindet (und niemand mit ihr zusammenarbeiten will), müssen die anderen Parteien zusammenarbeiten, um eine Mehrheit zu bekommen. Das ist demokratisch mindestens schwierig, aber ehrlicherweise muss ich zugeben: Ich habe keine Lösung, außer der Plattitüde, dass die Parteien eben bessere Arbeit machen müssen, um die AfD-Wähler:innen abzuholen.
Nun habe ich in diesem Newsletter doch wieder viel zu viel über die AfD geschrieben. Deswegen möchte ich mit einer Erinnerung enden: Jede Stimme zählt. Das konnte man bei dieser Kommunalwahl sehr deutlich sehen. In Zwickau haben zehn Stimmen Unterschied den Ausgang der Wahl bestimmt – wo der CDU-Mann Carsten Michaelis sich gegen die Landratskandidatin der Freien Wähler Dorothee Obst mit 26.679 Stimmen durchsetzen konnte.
Redaktion: Thembi Wolf; Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert