Schon am Sonntagabend wurde klar: Für die CDU beginnt jetzt eine wilde Zeit. Die Ergebnisse der Partei in weiten Teilen Deutschlands und in Ostdeutschland besonders haben das deutlich gemacht: Neun Prozent Zweitstimmen-Anteil insgesamt, der Verlust zahlreicher Direktmandate, in Sachsen besonders an die AfD. Anstatt schwarzer Wahlkreiskarten dominiert in Sachsen und Teilen Thüringens das Blau der AfD.
Es stimmt natürlich, dass die Stärke der AfD an der Schwäche der CDU liegt. Denn es gehört auch zur Wahrheit, dass die AfD nicht stärker geworden ist und dass sie ihr Wähler:innenpotential scheinbar ausgeschöpft hat. Trotzdem kam kaum ein Gespräch, das ich in den vergangenen Tagen geführt habe, ohne die Frage aus, die viele in Ostdeutschland lebende Menschen kennen: „Was ist da los bei euch?“
In diesem Newsletter soll es nicht um diese Frage gehen. Warum? Erstens ist die Diskussion schon deutlich älter als die vergangene Bundestagswahl, zweitens halte ich die Debatte in der CDU, die gerade stattfindet, für richtungsweisender und einflussreicher. Die CDU ist auf der verzweifelten Suche nach einer neuen (konservativen) Identität und diese Suche beginnt in Ostdeutschland.
Die Debatte über die CDU ist eine Push-Pull-Debatte
In meinem Text aus dem Wahlkreis von Hans-Georg Maaßen habe ich es schon angedeutet: Die Wahl war auch ein Kampf von zwei Ideen, wie man mit AfD-Wähler:innen umgeht. Die Idee von Hans-Georg Maaßen war die der maximalen Annäherung: In einem Wahlflyer schreibt er, wie er vielen AfD-Aussagen zustimmt. Sein einziges Argument, die Partei aber nicht zu wählen, ist: „Eine Stimme für die AfD ist eine verschenkte Stimme.“ Gewirkt hat das nicht. Mit über 33 Prozent der abgegebenen Stimmen ist der SPD-Kandidat Frank Ullrich gewählt worden.
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Die andere Idee war die von Marco Wanderwitz in Sachsen. Der hat sich klar gegen die AfD gestellt und mehrere Male schon fast Wähler:innenbeleidigung betrieben, als er von „diktatursozialisierten“ Menschen gesprochen hat. Auch Wanderwitz konnte seinen Wahlkreis nicht gewinnen. Ein ziemlich unbekannter AfD-Kandidat schlug ihn.
Dass beide Kandidaten ihre Wahlkreise nicht gewinnen konnten, macht die Debatte so spannend: Keine – oft unterstellte – Strategie hat funktioniert. Rechte Anbiederung genauso wenig wie komplette Abgrenzung. Im ersten Fall wählten die Menschen offenbar lieber das Original, im zweiten hat vielleicht die Enttäuschung über die Aussagen von Wanderwitz Wähler:innen davon abgehalten, CDU zu wählen.
Hinter all dem steht die Frage: Wie schafft die CDU es, AfD-Wähler:innen zurückzuholen und gleichzeitig ihre anderen Wähler:innen mit AfD-nahen Aussagen nicht zu verschrecken.
Die Suche nach dem neuen Konservatismus
Die Wahlergebnisse hatten besonders in Sachsen schnelle Folgen: Der sächsische CDU-Chef und Ministerpräsident Michael Kretschmer hat sich als einer der Ersten noch am Montag von Armin Laschet distanziert. Außerdem hat er Marco Wanderwitz als CDU-Landesgruppenchef im Bundestag verhindert. Für Wanderwitz, der immerhin als sächsischer Spitzenkandidat gestartet war, eine ziemlich heftige Abfuhr. Aber es geht auch um die Ausrichtung der CDU.
In einem ersten Interview mit Kretschmer nach der Wahl in der Leipziger Volkszeitung gab es eine sehr interessante Stelle: Kretschmer antwortet auf die Frage nach einem Projekt für eine konservativere CDU so: „Wir haben beispielsweise bei der inneren Sicherheit klare Kante gezeigt – oft auch gegen Kritik der Koalitionspartner. Wir sind bei der Wirtschaftspolitik sehr klar und wehren uns gegen einen übergriffigen Staat. Wir wollen mit Maß und Mitte den Umbau zum klimaneutralen Industrieland gestalten. Beim Thema Werte und Normen sind wir offen: so auch bei der gendergerechten Sprache. Wir weisen aber das Überbetonen dieses Punktes zurück. Insgesamt haben wir damit eine gesunde Position.“
Die Antwort zeigt, wie verzweifelt die CDU gerade nach konservativen Projekten sucht: Man ist offen, aber alles mit „Maß und Mitte“. Ein bisschen gefühlte Stammtischwahrheiten, aber nicht zu viele.
Damit ist der erste Schritt einer konservativen CDU scheinbar einer in Richtung AfD: Die innere Sicherheit spielt auf Abschiebungsdebatten innerhalb der sächsischen Koalition an, und mit der Genderdebatte kann man in AfD-Kreisen zuverlässig den Blutdruck steigen lassen. Die CDU geht in diese Richtung, obwohl bei dieser Wahl doch die meisten Wähler:innen eher zur SPD oder den Grünen gewandert sind und nicht zur rechten AfD. Außerdem hat Maaßen seinen Wahlkreis viel deutlicher verloren als Wanderwitz. Wie genau ein moderner Konservatismus aussehen könnte, ist vor allem im Angesicht der massiven Veränderungen, die gerade stattfinden – das meint nicht nur den Klimawandel, sondern auch gesellschaftliche – eine schwierige Frage; ich beneide CDU-Politiker:innen nicht um die Aufgaben der kommenden Jahre.
Der Osten ist (mal wieder) Vorreiter
Dabei hat die Wahl auch eines gezeigt: Was im Osten passiert, führt zu Veränderungen in ganz Deutschland. Die Schwäche der CDU, vor Jahren im Osten gestartet, zeigt sich nun auch immer stärker im Westen. Die Diskussion über eine konservativere CDU beginnt hier und wird den gesamtdeutschen Diskurs prägen.
Besonders, wenn etwas eintritt, das der Thüringer CDU-Chef und ehemalige Ostbeauftragte Christian Hirte gefordert hat: Die ostdeutsche CDU müsse mit einer Stimme sprechen. Gleichzeitig sagen mehrere CDU-Politiker:innen aus dem Osten, dass sie ostdeutsche Themen stärker formulieren müssten. Das Brandenburger CDU-Vorstandsmitglied Jan Redmann sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Im Wahlkampf stand niemand überregional für den Osten. Und wir hatten eine Fehlstelle im Wahlprogramm bei den sozialen Themen. Das hat die SPD ausgenutzt.“
Das klingt schon anders als die Annäherung an AfD-Themen.
Schlussredaktion: Esther Göbel; Bildredaktion: Till Rimmele