Eigentlich hatte alles ganz anders laufen sollen. Aber der Thüringer Landtag kommt nicht zur Ruhe und schlittert von einem Chaos ins nächste. Dieses Kapitel: Ein gescheiterter Neuwahlantrag, ein konstruktives Misstrauensvotum und eine Verfassungsklage.
Aber von vorne. Für diejenigen, die sich nicht erinnern: Im Oktober 2019 wählen die Thüringer:innen so, dass es kaum einen Weg für eine Mehrheit im Parlament gab. Links gibt es keine Mehrheit und mit der AfD möchte niemand zusammenarbeiten. Nach einem Trollmanöver der AfD wird der FDP-Kandidat Thomas Kemmerich für kurze Zeit Ministerpräsident, muss aber nach Protesten zurücktreten. In der Folge wird Bodo Ramelow von den Linken im Februar 2020 zwar wieder Ministerpräsident, muss sich aber von der CDU tolerieren lassen und kündigt für die kommende Bundestagswahl im September Neuwahlen an.
Schon im Frühjahr deuten einige CDU-Abgeordnete an, dem Neuwahlantrag nicht zustimmen zu wollen. Die Stimmen wären aber nötig, weil nur eine Zwei-Drittel-Mehrheit den Landtag auflösen kann. Während also der Landeswahlleiter die Bundes- und mögliche Landtagswahl vorbereitet, verhandeln im Hintergrund die Parteien miteinander. Mitte Juli ist die Neuwahl dann vom Tisch, die Mehrheit lässt sich nicht ohne die Stimmen der AfD garantieren und das wollen die Linken auf gar keinen Fall, sprechen von einem „Dammbruch 2.0“.
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Bodo Ramelow ist zwar immer noch Ministerpräsident, hat aber immer noch keine Mehrheit. Gleichzeitig läuft der Stabilitätspakt mit der CDU, der die Arbeit von Ramelows Kabinett möglich gemacht hat, wie vereinbart aus. Gesetze oder den Haushalt, der bald ansteht, kann die Landesregierung damit nicht durch das Parlament bringen. Die Folge: Stillstand.
Nun gäbe es die Lösung, dass Ramelow selbst für die Auflösung sorgt, in dem er die Vertrauensfrage stellt, so wie es zum Beispiel Gerhard Schröder im Bundestag getan hat. Aber hier könnte die AfD tricksen: Sie könnte einfach eine neue Ministerpräsident:innen-Wahl fordern und einen eigenen Kandidaten aufstellen. Dann befänden wir uns wieder im Januar 2020.
An dieser Stelle tritt Björn Höcke auf den Plan. Der nutzt das Chaos aus und stellt einen Antrag auf ein konstruktives Misstrauensvotum und sich selbst als Kandidaten vor. Eine Inszenierung, die alle anderen Parteien kritisieren. Wie kompliziert die Situation in Thüringen ist, zeigt aber ein Detail: Weil die CDU um jeden Preis den Eindruck verhindern will, sie kooperiere mit der AfD, werden alle Abgeordneten bei der anonymen Abstimmung den Raum verlassen. Manche sehen darin einen Offenbarungseid, der die Nähe mancher CDUler zur AfD bestätige. Schließlich könnte die Fraktion auch einfach geschlossen mit „Nein“ stimmen. Dass sie lieber den Saal verlässt, sei ein Hinweis darauf, dass die Fraktionsführung sich nicht sicher ist, dass alle Fraktionsmitglieder auch mit Nein stimmen.
Wie geht es nun weiter? Der Politologe André Brodocz fasst das Chaos im Deutschlandfunk ganz gut zusammen: „Wir haben im Thüringer Parlament eine Mehrheit aufseiten der Opposition. Aber diese Parteien wollen nicht zusammen regieren, sie wollen auch nicht mit den Parteien der Minderheitsregierung eine neue Mehrheitsregierung bilden und Neuwahlen haben wir jetzt gesehen, wollen sie ebenfalls nicht.“ Wenn Parteien im Parlament aber der Wille zum Regieren fehle, funktioniere unser Regierungssystem nicht mehr, erklärt er weiter. Er findet: „Man könnte überspitzt sagen, wir haben eigentlich ein Problem bei der Oppositionsfähigkeit hier in Thüringen“
Ganz nebenbei passiert in Thüringen auch noch mehr: Die AfD hat eine Verfassungsklage gegen Angela Merkel eingereicht. Sie habe mit der Aussage, dass die Wahl von Thomas Kemmerich „unverzeihlich“ gewesen sei, gegen die Neutralitätspflicht verstoßen. Und die FDP könnte im September ihren Fraktionsstatus verlieren, weil die Abgeordnete Ute Bergner die Fraktion verlassen wird und nur noch vier Abgeordnete verbleiben – zu wenig für den Fraktionsstatus und damit viele Rechte und Zuschläge.
Wenn man Umfragen glauben kann, würde eine Neuwahl in Thüringen übrigens auch nur wieder in den Februar 2020 führen. Denn nach denen gäbe es wieder keine arbeitsfähige Koalitionsmöglichkeiten. Die nächsten drei Jahre bis zur nächsten turnusmäßigen Wahl, werden also vor allem eins: chaotisch.
Redaktion und Schlussredaktion: Rico Grimm