Zum Ende der Probezeit bekommt Stefanie ihre Kündigung. Der Arbeitgeber findet, es passt nicht mehr. Vor der Entscheidung gab es einen E-Mail-Austausch mit der Pressesprecherin der Firma, einem renommierten Familienunternehmen. Dem passten Stefanies Aussagen auf Twitter nicht: Dort hatte sie Bußgelder für Firmen gefordert, die kein Homeoffice ermöglichen und Politiker:innen kritisiert.
Die Pressesprecherin meint: Mit dieser Forderung schade Stefanie dem Firmenstandort, der durch Corona ohnehin schon gefährdet sei. Stefanie sagt: „Ich hätte nur das schreiben dürfen, was der politischen Meinung des Unternehmens entspricht.“ Stefanie heißt eigentlich anders und ihr Unternehmen muss auch unerwähnt bleiben. Denn eine Kündigung, auch innerhalb der Probezeit, aufgrund von politischen Aussagen ist in den meisten Fällen rechtlich problematisch und Stefanie will ihrem ehemaligen Arbeitgeber nicht schaden.
Bis zu ihrer Kündigung hat Stefanie in einem Unternehmen gearbeitet, das Politiker:innen gerne als Rückgrat der Wirtschaft bezeichnen, mit einer Leitung, die sich mit dem sozialen Engagement des Unternehmens rühmt. Aber mit Stefanie auch eine junge Mitarbeiterin entlässt, weil sie auf Twitter auch mal Politiker:innen kritisiert.
Um Konflikte zu vermeiden, sagen Chef:innen gerne, dass Politik am Arbeitsplatz nichts verloren habe, handeln dann aber doch mehr oder weniger offen politisch.
Wie extrem verschieden Chef:innen dabei vorgehen können, zeigen zwei Beispiele aus Sachsen.
Auch Arbeitgeber:innen haben eine Meinung zu Geflüchteten
Hier hat der Uhrenhersteller Nomos Glashütte in den vergangenen Jahren klargemacht, dass er Politik am Arbeitsplatz wichtig findet. Geschäftsführerin Judith Borowski hat ihre Angestellten auf Fortbildungen zu Weltoffenheit geschickt. Und im August des vergangenen Jahres schreibt sie in einem Gastbeitrag im Handelsblatt: „Wir alle – auch Unternehmen und Unternehmer, auch Mitarbeiter – sollten uns einmischen. Gern unparteiisch im Hinblick auf Rot, Grün, Schwarz oder Gelb, aber doch parteiisch, wenn es um unsere Freiheit, um Demokratie, Verteilung und viele Sachfragen geht.“
Dass Borowski blau, also die AfD nicht erwähnt, ist kein Zufall: Sie kämpft seit Jahren offen gegen die Partei und schreibt davon, dass es in Ostdeutschland mehr gäbe als „dumpfes AfD-Geheul“. Sie hat dafür viel Lob bekommen. Aber auch viel Ablehnung, insbesondere in Sachsen. Dort hat sie auch einen rechten Gegenentwurf.
Aus Bautzen kommt eines der größten Bauunternehmen Sachsens. Die Firma Hentschke baut und renoviert Straßen, Gleise, Brücken und Häuser in ganz Deutschland. Auf der firmeneigenen Internetseite gibt es eine eigene Rubrik für Stellungnahmen, in denen sich der Betriebsrat und der Geschäftsführer Jörg Drews äußern. Mal geht es um Medien, die tendenziös berichten würden, mal um Brandanschläge auf Firmeneigentum. Drews ist in der Region sehr bekannt, gilt manchen als Rechtsextremist, hat unter anderem fast 20.000 Euro an die AfD gespendet und darf, zumindest von der Bautznerin Birgit Kieschnick als Reichsbürger bezeichnet werden. Drews’ Pressesprecher hatte zu Beginn der Pandemie bei Facebook gepostet: „Wer in meinem Office Maske trägt, fliegt raus.“ Es ist also nicht übertrieben zu schreiben: Drews ist ein politischer Chef und trägt das auch nach außen.
Was sich in Sachsen in solcher Deutlichkeit zeigt, ist bei Stefanie im Verborgenen passiert. Es ging bei der Kündigung ja nicht um die Qualität ihrer Arbeit. Sondern um das, was sie vom Homeoffice und manchen Politiker:innen hält. Beziehungsweise: Was ihre Chef:innen davon halten.
Denn in der Debatte um Politik am Arbeitsplatz geht es meist um eine Position: die der Arbeitnehmer:innen. Wer sich mit dem Thema beschäftigt, findet vor allem auf eine Frage die Antwort: „Wie politisch dürfen sich Arbeitnehmer:innen verhalten?“ Da geht es dann um Fragen, ob man ein T-Shirt mit einer Friedenstaube tragen dürfe (kommt drauf an) oder ob man in seiner Freizeit auf eine Demonstration gehen könne (ja, aber nicht in Betriebskleidung). Was aber passiert, wenn Arbeitgeber:innen solche Dinge tun, spielt nur am Rande eine Rolle. Es ist ein bisschen so, als ob die frei von jeder politischen Haltung wären. Dass das nicht so ist, hat Stefanies Beispiel gezeigt.
Niemand möchte belehrende E-Mails vom Chef
Wenn eine Diskussion oder ein Streit in einem Betrieb in einer Entlassung enden, ist das natürlich eine Eskalation. Und wenn es um politischen Streit geht, heißt es oft: Man muss sich ja nicht äußern. Klar ist: Die Fälle, die es in die Öffentlichkeit schaffen, sei es durch Gerichtsverfahren oder über soziale Netzwerke, sind Ausnahmefälle. Trotzdem hat mich interessiert, ob KR-Leser:innen ähnliche Erfahrungen gemacht haben und wie sie es mit der Frage halten, wie politisch Arbeitgeber:innen sein dürfen.
Die Frage hat die Community gespalten. Die einen sehen ein großes Problem in politischen Chef:innen, wollen am liebsten jede Politik aus dem Arbeitsplatz raushalten. Die anderen haben kein Problem damit, arbeiten teilweise in Betrieben mit politischem Hintergrund, wie Gedenkstätten oder Sozialverbänden und würden sogar den Arbeitsplatz wechseln, wenn die Politik keine Rolle mehr spielen würde. Dass ein:e politsche:r Chef:in das Klima am Arbeitsplatz aber signifikant ändert, darin waren sich die meisten einig. Natürlich war die Umfrage nicht repräsentativ, aber in den über 400 Antworten waren auch drei Beispiele, die drei Grundkonflikte verdeutlichen: eine gehemmte Gesprächskultur, aufgesetzte Weltoffenheit und Arbeit an politischen Themen.
Christians ehemalige Chefin ist Mitglied der SPD. Er beschreibt in seiner Antwort, was es mit der Gesprächskultur machen kann, wenn Chef:innen politisch werden: „Das war nicht immer angenehm, da man nicht wirklich offen über bestimmte Themen sprechen konnte.“ Dass sei nicht unbedingt aus Angst vor Problemen so, sondern eher, weil sie „mit Mitgliedschaft und aktiven Posten in der SPD recht verloren bei uns gewirkt hat. Es passte teilweise nicht zu dem, wie sie auf Arbeit agiert hat und was die SPD vertritt.“ Christian erzählt auch, wie seine Chefin vor der Bundestagswahl für die Partei geworben hat. Er findet das nicht schlimm, aber eben unangenehm. Und auch andere beschreiben, dass sie das Gefühl nicht mögen, wenn die Geschäftsführung eine offene politische Haltung hat. In den Antworten ging es oft um das Gefühl beim Small Talk in der Teeküche oder der Mittagspause. Miriam beschreibt Aussagen zur Corona-Situation in E-Mail-Updates ihres Chefs als „belehrend“, selbst wenn sie mit ihnen übereinstimmt.
Janes Arbeitgeber möchte politisches Engagement der Mitarbeiter:innen fördern und bietet dafür auch Gruppen innerhalb des Betriebs an. In Workshops kann Jane sich mit Diversität, Inklusion und Gleichstellung der Geschlechter beschäftigen, was ihr grundsätzlich gefällt. Gleichzeitig sagt sie aber auch: „Ich finde nicht gut, dass in unsere jährliche Zielvereinbarung nun auch unser Engagement in diesen Gruppen aufgenommen und bonusrelevant bewertet werden soll. Meiner Meinung nach ist ein solches Engagement nur sinnvoll, wenn es aus einem selbst kommt. Anstöße gerne. Zwang nein.“ Das Politische ist also gar nicht das Problem. Dass es als ein Druckmittel eingesetzt wird schon eher.
Bei manchen Chef:innen kommt man nicht um Politik herum
Es gibt Unternehmen, bei denen man nicht um Politik herumkommt. Das sind zum Beispiel Gewerkschaften oder Sozialverbände. Auch in meiner Umfrage hat sich das gezeigt. Ein:e Teilnehmer:in arbeitet an einem ehemaligen KZ-Standort in Thüringen. Die Leitung der Gedenkstätte „hat die dem Bekenntnis zur freiheitlichen Demokratie zugrunde liegenden Werte als Lernziel zu repräsentieren“, steht in der Antwort. Arbeitnehmer:innen bei solchen Betrieben wissen um die politische Dimension ihrer Arbeit. Es ist ein bisschen, wie für eine Kirche zu arbeiten. Klar brauchst du dafür nicht an eine göttliche Kraft zu glauben, aber du wirst dich kaum komplett von der Religion fernhalten können. Deswegen haben es solche Arbeitgeber auch viel leichter, Menschen zu entlassen, die nicht die gleiche Haltung haben.
In meiner – nicht repräsentativen – Umfrage war eine Sache bemerkenswert: Fast 80 Prozent der Teilnehmer:innen fanden es nicht in Ordnung, wenn die Chefin oder der Chef offen zur AfD hält. Und die Ablehnung der AfD zeigte sich gerade in einer Forderung, die immer wieder zu lesen war: Jede politische Haltung muss im Rahmen des Grundgesetzes bleiben.
Viele Menschen aus meiner Umfrage wünschen sich, dass die politische Haltung Privatsache bleibt. Hier spiegelt meine Umfrage die Realität wider. Das Meinungsforschungsinstitut Yougov hat herausgefunden, dass 44 Prozent der Teilnehmer:innen politische Gespräche am Arbeitsplatz unangebracht finden. Spannend dabei ist, wer eher politische Gespräche bei der Arbeit führt: Wähler:innen der FDP sprechen am häufigsten Themen an. Außerdem zeigt sich das explizit politische Selbstverständnis von Nomos Glashütte und Hentschke Bau aus Sachsen auch bei den Arbeitnehmer:innen: Ostdeutsche sprechen im Vergleich zu ihren westdeutschen Kolleg:innen deutlich häufiger am Arbeitsplatz über politische Themen.
Rechtlich ist die Sache klar geregelt: Alles, was den Betriebsfrieden stört, ist verboten und kann zu einer Kündigung führen. Das heißt zum Beispiel auch, dass Kolleg:innen sich nicht von Äußerungen gestört fühlen dürfen. Bei Chef:innen allerdings ist so eine Kündigung naturgemäß schwieriger; sie müssen im Zweifel von den Eigentümern der Firma oder bei Aktiengesellschaften vom Aufsichtsrat ihres Amtes enthoben werden.
Dabei entwickeln immer mehr Unternehmen durchaus politische Verantwortung – auch wenn diese, wie meine Kollegin Isolde Ruhdorfer gezeigt hat, manchmal auf tönernen Füßen steht. In der Fachwelt heißt das „Corporate Political Responsibility“. Das könne, schreibt der Unternehmensberater und Lobbyist Johannes Bohnen, „auf das individuelle Profil einer Marke einzahlen, weil die Aktion dem Unternehmen unmittelbar zugerechnet wird.“ Trotzdem raten andere Autor:innen eher zu „Zurückhaltung“ oder „Konzentration auf unternehmerische Inhalte“. Soziales Engagement gehe aber immer. Also: Spenden für das örtliche Kinderheim, ja, der Aufruf, die CDU zu wählen, nein.
Politik am Arbeitsplatz ist demokratiefördernd
In der Demokratieforschung sieht man das etwas anders. Dort hört am Arbeitsplatz Politik nicht auf. Im Gegenteil. Wer in zentralen Lebensbereichen – und dazu gehört der Job nunmal – die Möglichkeit hat, Demokratie zu erfahren, zum Beispiel durch konstruktive Diskussionen oder Teilhabemöglichkeiten, der ist weniger anfällig für antidemokratische Orientierungen. Unter anderem deswegen, so die Forscher:innen, weil solche Erfahrungen das Gefühl geben, etwas bewirken zu können – und wer das spüre, ist politisch selbstbewusster.
Aber andere Faktoren spielen auch eine große Rolle: Bildung und Einkommen. In der Leipziger Mitte-Studie zu rechtsextremen Einstellungen kommen zwei Forscher zu dem Ergebnis, dass Beteiligung am Arbeitsplatz, Anerkennung und Solidarität „tagtäglich eine zufriedenstellende Qualität von Demokratie, so wie sie tatsächlich funktioniert, erfahren wird.“ So wird der Arbeitsplatz im Idealfall zur Demokratiewerbefläche.
Unabhängig davon, welche politische Richtung oder Ideen Chef:innen haben – sobald sie die in den Betrieb bringen, sind Arbeitnehmer:innen betroffen. Wie alle Beispiele zeigen, löst das aber Hierarchien nicht auf. Wer abweichende Meinungen, keine Lust auf Workshops oder überhaupt keine Lust auf Politik am Arbeitsplatz hat, kann sich dem nur schwer entziehen oder dagegenhalten.
Ein Teilnehmer an der Umfrage schreibt: „Ich kann mir den Luxus erlauben, dagegen vorzugehen.“ Also zum Beispiel kündigen. Oder es wie Stefanie machen. Die teilt die Meinung ihres Unternehmens zum Homeoffice nicht, sagt aber: „Selbst wenn ich Chancen hätte, die Kündigung unwirksam zu machen, wüsste ich gar nicht, ob ich noch in dem Unternehmen arbeiten wollte.“ Nicht nur, weil das Vertrauensverhältnis weg ist, sondern auch, weil sie ihre Meinung am Arbeitsplatz nicht verstecken will.
Herzlichen Dank allen, die sich beteiligt haben: Vera, Britta, Kathi, Shelley, Nicole, Johanna Sophie Marie Thomas Christian Sandra, Mara Katja, Ute, Inka, Simon, Bernd, Theresa, Stefan, Natali, Julia, Christian, Chrissanne, Tanja, Anna Sebastian, Petra Mareike, Daniel, Ilka, Markus Peter, Anne, Jan, Petra Barbara, Anton , Karl-Heinz Philipp, Carlo, Jochen, Dorit, Eva-Maria , Tobias, Hanna Ivo, Nils, Marcel, Diana , Wolfgang, Volker, Christoph, Marc, Christian, Maik, Kerstin Stefan , Klaus , Rapha Amélie, Torben, Ferdi, Heike, Dirk Flo , Frank, Maggie, Andreas, Sonja, Alex, Phil, Sebastian, Achim, Sandra, Simon, Marcus, Mary, Gerrit Stefanie, Gesine , Hanka, Kay Meike Julia, Sigrid, co, Norbert, Nils, Oliver, Bee, Helena Franziska Robin Benjamin U, Dennis , Marie, Karoline, Maik, Sabine Jane , Fanny, Andreas Susann, Jana-Marleen, Jan, Nathalie, Miria, Claudia, Jan Manuel, Laura Frieda Falk, Linder, Ralf, Oliver, Dirk, Filippo Lorenz , Rainer, Nicola, Fanny, Caro O., Anna, Christoph, Cornelia, Anne, Jennifer, Marie, Markus, Tom Marie Jörg, Bine, Christiane, Evelyn Sara, Philipp Johannes Barbara, Klaus, Mona, Anja, Daniel, Ferdinand , anja, Liliane Daniel Sebastian, Elena Peter, Julien, Nina Conny, Reni, Fenna, Stefanie Carmen Daniela, Angela, Heidi, Stefanie Natascha, Drea, Ines, Ina Thomas , Christian, Christian, Mirja Anne, c, Katja, Optional , Torsten, Reinhard Michael, Julia Christiane, Sonia Kristina, Silke, Ulrike, Katharina Erik, Jan Ka, Jeannette Maria Uli, Tine, Jochen, Andreas, Samira, Edda, Nadja, Markus Anne, Günter, Sebastian, Lisa, Matthias, Miriam, Sine Manuela , Antonia Katharina, Tino, Ulf, Thomas. Carsten, Frederik, xx, Bernd , Javier, Christian, Mona, Dagmar Anna, Robert Corinna, Max
Redaktion: Rico Grimm; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Till Rimmele; Audioversion: Christian Melchert