Ich gebe zu, so ganz freiwillig passiert meine Ostdeutschwerdung nicht. Als einer meiner ersten Texte über Ostdeutsche, die ihren Dialekt verstecken, bei Krautreporter erschienen ist, schrieb mir ein Leser, nennen wir ihn Otto: „Tarek (so hieß mein Hund mal), das war vielleicht vor 15 bis 20 Jahren mal so, als wir hier im Osten tatsächlich noch geglaubt haben, der schwafelnde und nichtssagende Wessi könnte auch nur IRGENDWAS außer labern. Heute hat sich der Wind gedreht, wir lachen nur noch müde über die Nichtskönner.“
Wut-Mails kriegen Journalist:innen immer wieder, aber diese hat mich getroffen. Für mich war es das erste Mal, dass mir jemand aktiv abgesprochen hat, dass ich als Westdeutscher über Ostdeutschland schreiben darf. Kein gutes Gefühl für mich, der seit mehr als einem Jahrzehnt im Osten lebt und gerade einen Job als Ostdeutschland-Korrespondent bekommen hatte. Erst recht nicht, weil ich befürchtete, dass der Schreiber vielleicht recht hatte. Ich fragte mich: Hätte mein Text mehr Verständnis bekommen, wenn ich Ostdeutscher wäre? Muss ich vielleicht wirklich Ostdeutscher sein, um über den Osten schreiben zu können?
Diese Zuschrift war weder die erste, noch die letzte Wut-Mail, die ich wegen meines Jobs bekam. Sie ist jetzt etwa ein Jahr her. Genauso lange bin ich nun Ostdeutschland-Korrespondent bei Krautreporter. Das Nachdenken über Ostdeutschland ist für mich gleich nach dem Aufstehen so selbstverständlich wie der Kaffee. Ich lese die Newsletter der ostdeutschen Lokalzeitungen, ärgere mich darüber, dass der Deutschlandfunk mal wieder nur aus Westdeutschland berichtet oder erkläre meinen Freunden im Westen per Sprachnachrichten, warum die AfD in Bautzen bei über 30 Prozent liegt. Dabei bin ich weder in Ostdeutschland geboren, noch stammen meine Eltern von hier. Ich bin ein Zugezogener. Einer von denen, die als arrogante Wessis verschrieen sind, die mit dem dicken Geldbeutel durch die Bars ziehen, die Häuser kaufen und Mieten nach oben treiben.
Ich weiß, meine Kolleg:innen aus Ostdeutschland haben Dinge, die mir fehlen. Wendeerfahrung nennen Autor:innen und Wissenschaftler:innen das: Sie haben mitbekommen, wie Nachbarn von einem Tag auf den anderen ihre Arbeit verloren haben. Oder es hat sie selbst getroffen, wie die Treuhand ihre Betriebe als nicht rentabel erklärt und geschlossen hat. Oder sie haben mit jedem Witz über sie nur noch müde genickt. Und das über Generationen. Wer ostdeutsch ist, hat einen anderen Blick auf die Welt als Westdeutsche.
Aber ich bin auch nicht erst gestern aus Wuppertal nach Leipzig gezogen. Ich lebe seit über elf Jahren im Osten. Für mich ist das hier Heimat. Ich kann auf dem Weg zwischen Jena und Weimar anhand der Industrieruinen erkennen, wie lange ich noch fahre, habe mehr Fotos von Gera als von Wuppertal und schreibe diesen Text auf einem Sofa der VEB Polstermöbelfabrik Cottbus. Das muss doch etwas bedeuten. Wie lange soll es denn dauern, bis aus einem ausgewanderten Wessi ein Ostdeutscher wird?
Migrationserfahrung könnte mein Integrationsvorteil sein
Ich finde: Wenn überhaupt ein Wessi Ostdeutscher werden darf, dann bin ich der perfekte Kandidat. Meine Familie hat schon Übung in Identitätswechseln. Ich bin das Kind einer Deutschen und eines palästinensischen Syrers, ich bin, wie Millionen andere, ein Produkt länderübergreifender Liebe. Mein Vater migrierte in ein fremdes System und musste sich hier ein Leben aufbauen. Meine Mutter ist im Ruhrgebiet aufgewachsen, ich bin dort geboren. Sie hat miterlebt, wie die „Engel“ an Weihnachten kamen, als das Glühen der Hochofen den Himmel erleuchtet hat und kriegt bei Dokus über die Zechenschließungen bis heute feuchte Augen. Und ich bin anpassungsfähig, weil ich lernen musste, es zu sein.
Mein ganzes Leben ist meine Herkunft zweigeteilt gewesen. Politiker:innen bezeichnen Menschen wie mich in ihren Reden als „multikulturell“. Sie möchten gerne, dass wir zwischen den Welten vermitteln, also zwischen der Welt der Deutschen, deren Großeltern hier geboren sind und der Welt von denen, deren Familien noch nicht so lange hier sind. Für Menschen wie mich bedeutet es, dass wir lebenslang nach unserer Identität und Heimat suchen.
In meiner Kindheit konnte man meinen Migrationshintergrund hauptsächlich daran sehen, dass ich mein Essen aus einer anderen Warmhaltebox bekam als die anderen im Kindergarten. Schweinefleischfrei für mich und meine Freunde aus der Türkei, Syrien, Ägypten und anderen mehrheitlich muslimischen Ländern. Gespielt haben alle gemeinsam, nur beim Essen waren wir anders. Aber auch wenn ich den gleichen Migrationsteller hatte, waren meine Freunde meist schwarzhaariger als ich, hatten mehr Geschwister und sprachen neben Deutsch auch noch die Sprache ihrer Eltern. Für sie war ich der Deutsche.
Ausgerechnet mit jedem Formular und jedem Dokument, das mich als Mitglied der deutschen Gesellschaft definierte, wurde mein Migrantendasein verstärkt. Es wurde zu einem Kreuzchen bei der Frage: „Ist eines Ihrer Elternteile im nichtdeutschen Ausland geboren?“ Bei der Immatrikulation an der Uni musste ich dieses Kreuzchen machen, auch bei meiner Anmeldung beim Arbeitsamt. Manche Sachbearbeiter:innen haben mich wenigstens entschuldigend angeschaut: „Für die Statistik.“ Was das bedeutet, habe ich erst später verstanden. Meine Herkunft – beziehungsweise, die meines Vaters – wurde zur Nummer und ich damit „anders“. Sollte ich mal arbeitslos werden, wäre ich ein Arbeitsloser mit Migrationshintergrund. Würde ich eine Bank ausrauben, wäre ich ein Verbrecher mit Migrationshintergrund. Bis heute befürchte ich, irgendwann einmal ein schlechtes Bild auf Menschen mit Migrationshintergrund zu werfen. Weil ich vielleicht doch mal auf Geld vom deutschen Staat angewiesen sein könnte oder in einen Autounfall verwickelt werde. Passiert ja schnell, Teil einer Statistik zu werden. Solche, über die sich die AfD freut, weil sie damit hetzen kann. Bei meiner Steuererklärung musste ich die Frage übrigens nie beantworten. „Steuerzahler:innen mit Migrationshintergrund“ sind wohl statistisch nicht so relevant.
Was mir mein Nicht-deutsch-nicht-migrantisch-Sein aber beigebracht hat: Identität ist auch Wahlfach. So habe ich dann mit Anfang 20 „Ostdeutsch“ belegt. Und, wow, ich bin damit gescheitert.
30 Jahre Wendeerfahrung lassen sich nicht in einem Studium nachholen
Als ich im Herbst 2009 zum Studium nach Jena in Thüringen ziehe, bin ich voll westdeutsch sozialisiert. DDR- oder Nachwendegeschichte kamen in der Schule kaum vor. Und wenn doch, dann aus Sicht der Bonner Republik, die den Sozialismus besiegt hatte. Bürgerrechtler:innen kenne ich höchstens aus den Wiedervereinigungssendungen im Fernsehen. Für mich war Jena hauptsächlich eine Stadt voller Student:innen. Was Jena ostdeutsch macht, habe ich erst im Laufe meiner Zeit dort verstanden.
Mit jedem Ausflug, jedem Kuss und jeder Party wird Thüringen immer mehr Heimat für mich, während Wuppertal stehenbleibt. Da muss ich Ostdeutschland eh immer nur erklären, höre Witze über Bananen und triste Blocksiedlungen: „Aber die Autobahnen sind super. Sind ja auch von uns bezahlt.“ Meine Mutter fragt mich bei einem meiner immer seltener werdenden Besuche, ob ich inzwischen ein Ostdeutscher sei, lässt das Fragezeichen aber eher wie einen Punkt klingen. Vielleicht ist es ein Grund, dafür, dass ich mir auf einmal wie besessen Wissen über Ostdeutschland anlese, als könnte ich dadurch sein wie jemand, der in Ostdeutschland groß geworden ist.
Ich belege Seminare über den Strukturwandel. Statistiken zu Arbeitslosenzahlen in Bitterfeld nach der Wende kann ich bald genauso auswendig aufsagen, wie Umfragen zu Nationalismus und Ausländerhass zwischen Eisenach und Görlitz. Wenn ich eine Deutschlandkarte ansehe, treten die Umrisse der DDR hervor. Ich lese eine Biographie über den 1976 aus der DDR ausgebürgerten Liedermacher Wolf Biermann, fühle seinen Schmerz: „Manch einer warf sein junges Fleisch // In Drahtverhau und Minenfeld // Durchlöchert läuft der Eimer aus //Wenn die MP von hinten bellt.“ (Seine Musik finde ich trotzdem langweilig). Ich kulte die ostdeutsche Küche ab, verbanne also Champignons aus der Zutatenliste für Jägerschnitzel, und lerne, dass ich das auch so mache, weil es in der DDR an vielen Zutaten gefehlt hat.
Im Sommer 2013 bin ich mit meiner damaligen ostdeutschen Freundin zu Besuch bei ihren Großeltern in Mecklenburg-Vorpommern. Ich finde alles spannend und entwickle in meinen Fragen eine gewisse Distanzlosigkeit. Bei einem Grillfest möchte ich wissen, wie die Kondommarke der DDR hieß (Mondos), ob es im Umfeld Stasi-Fälle gab (Ja) und wie sie durch die Wendezeit gekommen sind (so mittel). Weil wir am vollen Gartentisch sitzen und Grillgeruch in der Nase haben, ist die Stimmung locker, niemanden nerven meine Fragen.
Ich mit Anfang Zwanzig (Älter werden hat mir gut getan!) zwischen Plattenbau in Jena-Winzerla und dem Blick aus meinem ersten WG-Zimmer in Jena-Ost. Komposit: Till Rimmele
In dieser Zeit fange ich auch an, über Ostdeutschland zu schreiben. Ich schreibe eine Geschichte über das Plattenbauviertel Jena-Lobeda, in dem zwei der Mitglieder des NSU aufgewachsen sind. Ich frage den Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (DIE LINKE) im Interview, wie man junge Menschen auch nach dem Studium in Thüringen halten kann. Ich begleite rechtsextreme Demonstrationen und werde dafür bespuckt und angepöbelt. Und ich merke, dass ich anders schreibe, als Kolleg:innen, die in Westdeutschland sitzen. Immerhin schreibe ich immer auch über meine neue Heimat. Deswegen möchte ich immer noch einen Satz hinzufügen, der die Wendeerfahrung der Menschen beschreibt.
Pegida löst einen Ostdeutschland-Schock aus
Mit den Jahren merke ich, wie sich der Osten verändert. Einerseits laufen 2014 die ersten Pegida-Anhänger durch Dresden. Andererseits eröffnen in Jena, wo ich mittlerweile beim Studierendenmagazin mitmache, mehrere Läden für arabische Lebensmittel, was ich super finde und was den kulinarischen Horizont der Stadt endlich über Standard-Döner erweitert. Die Sucuk, eine türkische Wurst, muss ich nicht mehr aus Westdeutschland importieren. Außerdem fragt sich der Rest von Deutschland, was denn in Sachsen los ist.
Das Wort Rechtsextremismus taucht jetzt öfter in Diskussionen auf, die Suche nach den Ursachen endet oft in Debatten über die Folgen der Wendejahre. 25 Jahre danach sind die „blühenden Landschaften”, die Bundeskanzler Helmut Kohl 1990 versprochen hatte, mehr zu einem voreiligen Versprechen geworden, das Ostdeutschland möglichst schnell den Kapitalismus schmackhaft machen sollte.
Mit Pegida und der Wendeneuerzählung geht es bei „ostdeutsch” nicht mehr um Wurstgulasch und VEB-Flohmarkt-Sofas, sondern um Rassismus. Ich verstehe meine Mitbürger:innen nicht mehr, das Ausmaß ihrer Wut. Klar, es läuft sehr viel schief in der Geflüchtetenpolitik, aber einen Galgen „reservieren“ für Angela Merkel und Sigmar Gabriel, wie es bei Demonstrationen in Dresden heißt? Ich merke, dass mein Unverständnis kein Wessi-Problem ist, meinen im Osten aufgewachsenen Freunden geht es auch so. Nur mein Freund Marco, der seinen Geburtsort immer als „irgendwo zwischen Jena und Halle“ angibt, weil das Dorf eh niemand kennt, sagt: „War doch nicht anders zu erwarten.“ Gut, intellektuell kann ich sein Argument nachvollziehen: All die Verletzungen nach der Wende, die arroganten Westdeutschen, die Betrieb nach Betrieb verschachern, den Rückbau der Eisenbahnstrecken. So etwas erzeugt Wut, die sich auch in den Jahren davor immer wieder gezeigt hat.
Menschlich bin ich aber einfach wütend. Auf die geifernden Facebook-Kommentator:innen unter Nachrichten über Geflüchtete, die ihrem Hass freien Lauf lassen, bis zu faschistischen Vernichtungsfantasien. Auf Politiker:innen, die sich die Wut für die eigene Wahl zunutze machen oder einfach gleich in die Vernichtungsfantasien einstimmen. Auf die Zivilgesellschaft, die das anscheinend in großen Teilen einfach hinnimmt. Und immer öfter auch auf Stimmen aus Westdeutschland, die sich erhaben über den Osten echauffieren, während sie so tun, als ob es den „Nazi-Kiez“ in Dortmund-Dorstfeld nicht geben würde.
Die West-Stimmen reden über „das Tal der Ahnungslosen“ in Sachsen, wo die Demokratie nie wirklich angekommen sei. Ich rede über aussterbende Dörfer und was es bedeutet, zwei Stunden zur Arbeit pendeln. Das ist Alltag für viele Menschen im Osten. Meine inzwischen drei Herkünfte werden häufiger thematisiert als je zuvor. Bei Gesprächen in meiner Lieblingskneipe bin ich der „Wessi”, der eh nichts von den Problemen versteht oder auch mal der Typ mit Migrationshintergrund, der für gelungene Integration steht, mal der Ansprechpartner im Osten, der die wiederkehrende Frage beantwortet: „Was ist denn da bei euch los?“ Für mich wurde damit die Frage immer drängender: Wer bin ich denn nun?
Die Geschichte der anderen lässt sich nicht nacherleben
Also habe ich Ottos Mail ernst genommen. Ich habe das getan, was ich tun musste, um diesen Job weitermachen zu können, mit einer klaren Identität und Überzeugung. Aber zuerst musste ich wissen, ob ich andere Menschen finde, denen es genauso geht. Menschen, die auch hergekommen sind und vielleicht nie so ganz angekommen sind, obwohl sie eine neue Heimat gefunden haben. Deswegen habe ich nach Erfahrungen von Westdeutschen gesucht, die schon lange im Osten leben. Um Vorbilder zu finden und mich nicht mehr so alleine zu fühlen, mit meinem Versuch, gerne Ostdeutscher sein zu wollen, es aber vielleicht nie sein zu können.
Dagmar lebt zwar schon lange nicht mehr in Ostdeutschland, aber sie hatte etwas erlebt, das mir niemals möglich sein wird: Sie war während der Wendezeit in Ostdeutschland. Zwischen 1990 und 1992 hat sie für die Grünen Wahlkampf gemacht und geholfen die Partei aufzubauen. Sie erinnert sich an ein großes Selbstbewusstsein in den progressiven Kreisen, die mit der friedlichen Revolution etwas Großartiges geschafft hatten – damals ein Vorbild für sie. Für sie als Grüne gehörten dazu auch die ostdeutschen Naturschützer:innen: „Was die in den letzten Jahren der DDR geleistet haben, war ein Riesengeschenk, das wäre in Westdeutschland nie möglich gewesen. Da war uns Ostdeutschland meilenweit voraus und dafür bin ich sehr dankbar.“ Bis heute profitiert sie von den zwei Jahren. In Diskussionen mal zurückzutreten und zu schauen, was überhaupt das Problem der anderen ist, das habe sie damals gelernt. Trotzdem: „Man wird kein Ostdeutscher! An so vielen feinen Verhaltensroutinen wird man erkannt, das mindert die Anerkennung.“
Als ich Dagmars Sätze lese, ist für mich ein Punkt erreicht, an dem ich die harte Wahrheit sehen muss: Sie hat recht. Ich werde nie wirklich ostdeutsch werden können. Wendeerfahrung kann ich nicht nachholen und die Geschichten, die ich von anderen höre, sind genau das: Geschichten von anderen. Auf meinem Dachboden werde ich keine NVA-Uniform von meinem Opa finden und ich werde niemals die Stasi-Akte meines Vaters einsehen können. So wie es eben Ostdeutsche machen könnten. Ab sofort bin ich also Nicht-Deutscher-Nicht-Migrant-Nicht-Ostdeutscher. So ein Leben im Nichtsein kann aber auch nützlich sein, wie mir Nathalie zeigt.
Nathalie lebt seit über zehn Jahren in Zwickau. Im Telefonat wirkt sie viel weniger nachdenklich als ich, was mich natürlich sofort neidisch werden lässt. Sie hat ihre Rolle gefunden, nennt sich Botschafterin. Ostdeutsch fühlt sie sich trotzdem nicht. Stattdessen möchte sie die Kommunikation zwischen Ost und West verbessern: „Ich empfinde das als notwendig. In einer Ensemble-Gruppe mit Mitgliedern aus ganz Deutschland war ich die einzige, die Input aus Ostdeutschland bringen konnte.“ Verbesserung könne nur über Austausch passieren. Und dafür müssten sich dann West-, aber auch Ostdeutsche über ihre eigenen eingeschränkten Blickwinkel klar werden. Nathalie, als die Westdeutsche, die im Osten lebt und der alten Heimat im Westen Ostdeutschland erklärt, dort aber auch nicht ganz akzeptiert ist. Irgendwie möchte ich, dass Nathalie mein Vorbild wird.
Die ostdeutschen Probleme treffen jede:n
Dafür muss ich etwas aufgeben: Den Versuch, Ostdeutscher zu werden. Denn auch wenn nach einer Studie der FU Berlin im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung gerade junge Ostdeutsche die DDR verklären, mein Abgekulte von DDR-Küche und -Möbeln war ja Teil davon, meine Geschichte wird nie die Geschichte meiner hier aufgewachsenen Freunde sein.
Dann bin ich halt Nichts. Nicht-Deutscher-Nicht-Migrant-Nicht-Ostdeutscher. Als Journalist begleitet mich die Beobachter-Rolle ja schon eine Weile.
Zumal ich mit meiner Freundin eine neue deutsche Realität bilde. Sie kommt aus Ostdeutschland, ich bin eben hier. Sie ist nach der Wende geboren, ich davor. Und genau wie mein Vorgänger Josa hier bei Krautreporter sind wir alle drei im wiedervereinigten Deutschland aufgewachsen. Unser Sandmännchen war dasselbe – nämlich das ostdeutsche. Insofern ist es richtig: Wendeerfahrung habe ich nicht, sie ist zu einzigartig, um sie nachzuholen. Aber wer die von Journalist:innen in Ostdeutschland erwartet, wird nur Menschen ab 40 finden. Wenn Erfahrung mit Strukturwandel und Ablehnung und ein empathischer Umgang mit anderen Menschen wichtiger sein sollen, als der, möglicherweise auch verklärende, Blick in die Vergangenheit, dann kann ich ein super Ostkorrespondent sein.
Und was meine neue Heimat angeht, geht es mir ja immerhin genau wie allen anderen hier, die auch mit miesen Bahnverbindungen, schlechtem Internet, Neonazis, geringerem Gehalt kämpfen. Das kann ich dem Rest von Deutschland genauso erzählen.
Vielen Dank an Dagmar, Nathalie, Christoph, Henriette, Wega, Karl-Heinz und Conny.
Redaktion Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Till Rimmele