„Fridays gegen Altersarmut“ will gegen geringe Renten demonstrieren – und betreibt das Geschäft der Rechten

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Politik und Macht

„Fridays gegen Altersarmut“ will gegen geringe Renten demonstrieren – und betreibt das Geschäft der Rechten

Für Ende Januar haben viele Facebookseiten unter dem Motto „Fridays gegen Altersarmut” zu Mahnwachen aufgerufen. Sie wollen politisch unabhängig sein. Doch viele ihrer Argumente klingen nach AfD.

Profilbild von Belinda Grasnick
Reporterin

Könntest du von weniger als 1.035 Euro im Monat leben? Viele Menschen in Deutschland müssen das. Die Armutsgefährdungsschwelle für einen Ein-Personen-Haushalt lag im Jahr 2018 nach Angaben des Statistischen Bundesamts genau in dieser Höhe (eine Excel-Tabelle mit den regionalen Schwellen findest du hier). In den vergangenen Jahren waren regelmäßig etwa 15 Prozent der Menschen in Deutschland armutsgefährdet, das kann man im Armuts- und Reichtumsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales nachlesen. In anderen Worten: Von zwanzig Menschen sind drei von Armut bedroht.

Besonders ältere Menschen sind von Armut betroffen. Knapp ein Drittel der Menschen, die von Armut gefährdet sind, sind laut aktuellem Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Rentner:innen und Pensionär:innen.

So weit, so erschütternd. Darüber kann man sich ärgern, man kann es falsch finden und auch anklagen. Eine immer größer werdende Gruppe von Menschen will das am 24. Januar öffentlich machen – mit einer Reihe von Mahnwachen unter dem Schlagwort „Fridays gegen Altersarmut“.

In mehreren Facebook-Gruppen organisieren sich viele Menschen in verschiedenen Städten. Die größte Gruppe zählt inzwischen mehr als 270.000 Mitglieder. Toll, dass sich so viele für die Rentner:innen einsetzen, oder? Da will man direkt mitmachen?

Aber das könnte ein Fehler sein. Meine Befürchtung ist: Mit den Mahnwachen betreibt man das Geschäft der Rechtsradikalen.

Eine kühne Behauptung? Vielleicht fühlt es sich so an. Aber gehen wir das mal Schritt für Schritt durch.

Was genau steckt hinter „Fridays gegen Altersarmut“? Die Organisator:innen der großen Gruppe schreiben in ihrer Presseinformation (hier als PDF zu finden), sie seien „politisch unabhängig“ und „nur dem kleinen Mann verpflichtet“. Mittlerweile gibt es deutschlandweit Facebook-Gruppen, die zu verschiedenen Mahnwachen aufrufen. Doch alles begann mit einer Facebook-Gruppe, die von Heinz Madsen gegründet wurde.

Madsen wird von verschiedenen Seiten vorgeworfen, Gelder veruntreut zu haben. Im Blog „Volksverpetzer“ kann man das nachlesen. Es ist momentan unklar, was an den Vorwürfen dran ist. Heinz Madsen selbst weist sie zurück und beruft sich in der großen „Fridays gegen Altersarmut“-Gruppe auf die Unschuldsvermutung.

Aber darum geht es auch gar nicht. Selbstverständlich kann die Gruppe trotz der Anschuldigungen ein legitimes Anliegen verfolgen.

Die Antifa-Gruppe „Kurfürstlich Kurpfälzische Antifa“ hat recherchiert, dass einige der Administrator:innen der verschiedenen Fridays-Gruppen bei Facebook auch rechte Gruppen oder Parteien wie die AfD, NPD oder „Intensiv Patrioten“ liken. Aber auch das gilt nicht für alle Fridays-Gruppen. Deshalb alle Organisator:innen der Mahnwachen pauschal als rechts abzustempeln, ist falsch.

Mein Argument ist ein anderes: Der Begriff „Altersarmut“ ist eine emotionale Waffe. Er ist wie eine Eidechse, die in einem Swimmingpool zu ertrinken droht. Man will die Eidechse unbedingt retten – und dann stellt sie sich als hungriger Dinosaurier heraus, der einen auffressen will. Was ich damit sagen will: Altersarmut ist ein Problem, das sehr viel Potenzial für Empörung und Mobilisierung birgt. Und dahinter versteckt sich in dieser Zeit oft gezielte Menschenfeindlichkeit.

Die politische Rechte entdeckt von Zeit zu Zeit die soziale Frage – und das fast immer mit einem ganz bestimmten Dreh: Rechtsextreme spielen den Sozialstaat gegen die Einwanderungsgesellschaft aus. Die NPD titelte zum Beispiel früher „Geld für die Oma – statt für Sinti und Roma“.

Und gerade ist wieder so eine Zeit.

Ein Teil der AfD versucht schon länger, soziale Themen zu besetzen

Fangen wir halbwegs von vorne an: beim Kyffhäusertreffen des sogenannten „Flügels“ der AfD im Juni 2018. Dort sagte Björn Höcke – der seit einem Gerichtsbeschluss im September sogar als Faschist bezeichnet werden darf – Folgendes: „Die soziale Frage war das Kronjuwel der Linken, es war ihre Existenzgarantie. Und wenn wir als AfD glaubwürdig bleiben und entschlossen bleiben, liebe Freunde, dann können wir der Linken dieses Kronjuwel jetzt abjagen. Und das sollten wir tun!“

Ebenfalls im Juni 2018 hat die AfD Thüringen (unter Höckes Führung) ein Rentenpapier veröffentlicht. Darin spricht sie von „Altparteienversagen“ und rechnet eine „Staatsbürgerrente“ vor, die für alle Staatsbürger ab 35 Beitragsjahren gelten soll. Von wem sie sich mit dieser Definition wohl abgrenzen will?

Jetzt ist es nicht so, dass sich die AfD durch ausgefeilte Rentenkonzepte auszeichnet, wie der Rentenexperte Gerd Bosbach in diesem Interview der Frankfurter Rundschau erklärt. Es gibt ein Nebeneinander von neoliberalen, konservativen und linken Konzepten für eine Rentenreform. Der Vorsitzende der AfD, Jörg Meuthen, sagte t-online sogar einmal, er wolle die gesetzliche Rente komplett abschaffen.

Allerdings ist der „Flügel“, der als völkisch und zum Teil rechtsradikal eingeordnet wird, innerhalb der AfD im vergangenen Jahr ziemlich erstarkt. Während Höckes Vorstellungen von einem „solidarischen Patriotismus“ 2018 noch umstritten waren und ähnlich viele AfD-Mitglieder eher wirtschaftsliberale Ziele hatten, sehen die Kräfteverhältnisse innerhalb der Partei heute anders aus.

Auch andere Rechtsextreme versuchen, mit dem Thema Altersarmut Leute zu mobilisieren

Nicht nur die AfD hat verstanden, dass soziale Themen sich für politische Zwecke nutzen lassen. Die Demonstration der Neo-Nazipartei „III. Weg“ in Plauen am 1. Mai 2019 stand unter dem Motto „Soziale Gerechtigkeit statt kriminelle Ausländer!“ Im Demoaufruf ging es unter anderem um – na, schon erraten? Richtig: Altersarmut.

Das rechtsextreme Blog „PI News“ (PI steht für Politically Incorrect) forderte im Juli 2019 von der AfD, Altersarmut zum Thema zu machen. Im Text wird behauptet: Das Geld für die Rentner:innen fehle nur deshalb, weil Geflüchtete aufgenommen wurden.

Und im November 2019 protestierten in Augsburg die „Rocker gegen Altersarmut“. Laut Endstation Rechts Bayern ging der Demoaufruf hauptsächlich in rechtsradikalen Netzwerken herum. Der Organisator soll geschrieben haben, dass „wegen der ganzen Entwicklungshilfe und Geldern für Integration kein Geld mehr für Rentner da“ sei.

Genug der Beispiele. Die Argumentation ist immer dieselbe: Oma sammelt nur deshalb Flaschen, weil wegen der ganzen Ausländer:innen kein Geld für sie da ist. Zwei benachteiligte Gruppen werden wieder und wieder gegeneinander ausgespielt.

Tut das „Fridays gegen Altersarmut“ auch? Dafür gibt es eine Reihe von Indizien

Heinz Madsen schrieb selbst im Oktober 2019 in der großen „Fridays gegen Altersarmut“-Gruppe: „Wir wissen, dass zum Thema Rente und Altersarmut viele politische Faktoren ineinander greifen, egal ob es mit Besteuerung oder Steuergeld zu tun hat. Wir wissen auch das dass Thema Flüchtlingskosten dazu gehört und man auch darüber sachlich diskutieren sollte. Aber wenn Beiträge nur darauf abzielen, Flüchtlinge zum Hauptthema zu machen, dann ist dies die falsche Gruppe dafür.“

Nur: Nicht alle halten sich daran. In ihrer Wortwahl ähneln viele der „Fridays-gegen-Altersarmut“-Kommentator:innen AfD-Leuten, Pegida und Co. Da ist in der Beschreibung der großen Gruppe von „Diäteneliten“ (also Berufspolitiker:innen) die Rede, das „pöbelnde Pack gegen Rechts“ wird in einem Telegram-Kanal angegangen und die #FridaysforFuture-Demos werden auf Twitter angegriffen. Auch viele Reaktionen auf Kritik, wie etwa von den „Omas gegen Rechts“, enthalten derartige Begriffe. Das kann daran liegen, dass Rechtspopulist:innen ziemlich gut darin sind, die Sprache so zu prägen, bis sich diese Begriffe in den Köpfen der Leute festgesetzt haben, die keinen klassischen rechten Hintergrund haben.

Aber die Parallelen sind doch auffällig. Immer wieder liest man im Zusammenhang mit den Mahnwachen Sprüche wie: „#FridaysgegenAltersarmut statt #FridaysforFuture“. Das seien schließlich die „echten Probleme“. In den sozialen Netzwerken geht es auch gegen Figuren wie Greta Thunberg und Carola Rackete. Schon der Name „Fridays gegen Altersarmut“ ist ein Gegenentwurf zur Jugendprotestbewegung „Fridays for Future“.

Wenn es aber um Altersarmut gehen soll: Was hat das denn mit Klimaschutz, Einwanderung und Seenotrettung zu tun? Aber so funktioniert der Saurier, der sich als Eidechse tarnt: Es geht um Mobilisierung, nicht um die Sache.

Selbst wenn man tatsächlich nur deshalb bei „Fridays gegen Altersarmut“ mitmacht, weil man sich ein besseres Rentenkonzept in Deutschland wünscht – es lässt sich kaum verhindern, dass andere die Mahnwachen für ihre Zwecke nutzen.


Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel.