Neun Polizisten posieren in Cottbus kurz vor ihrem Einsatz bei den Anti-Kohle-Protesten Ende Gelände in der Lausitz vor einem zweifelhaften Graffito für ein Foto. Als die Polizeiführung sie auffordert, den Schriftzug zu entfernen, bleiben die Buchstaben „DC!“ und zwei Flusskrebse stehen. „DC“ ist eine gängige Abkürzung für „Defend Cottbus“, eine Parole, die genauso wie das Krebssymbol von Rechtsextremen in der Region verwendet wird. Die Polizisten erklären dazu nur, die Farbe sei ihnen ausgegangen.
https://twitter.com/Ende__Gelaende/status/1200132122721312769
Typisch, Rechtsextremismus ist völlig normal in Ostdeutschland, sogar bei der Polizei? So könnte man das Geschehen auf den ersten Blick zusammenfassen. Ich habe in Brandenburg nachgefragt – und ein etwas anderes Bild bekommen.
„Das ist ein Vorfall, den man ernsthaft aufklären muss“, sagt Andrea Johlige. Sie sitzt als Landtagsabgeordnete der Linken im brandenburgischen Innenausschuss. „Die Polizeiführung hat in dem Fall aber sehr sauber gearbeitet. Innerhalb von wenigen Stunden gab es erste Ermittlungsergebnisse. Da möchte ich mal ein anderes Bundesland sehen, das so schnell so konsequent handelt.“
Und tatsächlich: Bei meiner Recherche konnte ich feststellen, dass das Land Brandenburg seit den 1990ern sehr viel tut, um gegen Rassismus und Rechtsextremismus vorzugehen. Es ist damit bundesweit Vorreiter. Seit 1998 gibt es das Programm Tolerantes Brandenburg, das verschiedene Projekte und Organisationen fördert, die sich für Demokratie und gegen Rassismus einsetzen. Nach einem Antrag von Linken, Grünen, SPD und FDP gibt es seit 2013 außerdem einen Zusatz in der brandenburgischen Landesverfassung, der Antirassismus als Staatsziel festlegt. In Artikel 7a der Verfassung steht seitdem: „Das Land schützt das friedliche Zusammenleben der Menschen und tritt der Verbreitung rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankenguts entgegen.“ So etwas findet sich in keiner anderen Landesverfassung. Aber macht so ein Verfassungszusatz wirklich so einen großen Unterschied?
„Die Antirassismus-Klausel in der Landesverfassung ist ein wichtiges Zeichen“, sagt Frauke Büttner, die die Geschäftsstelle des Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in Potsdam leitet. „Dass dementsprechendes Engagement in den Rang eines Verfassungsgutes erhoben ist, stärkt allen den Rücken, die sich in der Zivilgesellschaft und im Beruf gegen rechtsextreme Einstellungen und Gewalt engagieren.“
„Es ist erstmal nur eine Verfassungsklausel und damit ein symbolischer Akt“, sagt Judith Porath, die den Verein Opferperspektive leitet. Der Verein berät und unterstützt Opfer rechter Gewalt. Letztlich hänge sehr von den Kommunen ab, wie gut das Verfassungsziel umgesetzt werde, sagt sie.
„Das ist keine reine Symbolpolitik“, sagt dagegen die Linken-Abgeordnete Andrea Johlige. „Aber nur weil man etwas in die Verfassung schreibt, ist noch längst nicht alles gut.“
Neutralität heißt nicht, extremen Gedanken eine Bühne geben zu müssen
Die AfD bemüht in den vergangenen Jahren immer wieder das „Neutralitätsgebot“, um gegen das Handlungskonzept Tolerantes Brandenburg und auch die Antirassismusklausel vorzugehen. Zum Beispiel hat sie 2019 ein Gutachten dazu in Auftrag gegeben.
Das Neutralitätsgebot bedeutet, dass Staatsorgane parteipolitisch neutral agieren müssen – also auch Landesregierungen. Das Tolerante Brandenburg ist ein Leitbild der Landesregierung. Die AfD sieht sich unter anderem dadurch ungerecht behandelt, weil auch Organisationen unterstützt werden, die über Rechtspopulismus in Brandenburg informieren.
„Wie lange soll man denn neutral sein? Wir interpretieren das so: Wir stehen hinter der Verfassung und müssen die Demokratie schützen“, sagt Angelika Thiel-Vigh von der Koordinierungsstelle des Toleranten Brandenburg dazu. „Wenn wir der Meinung sind, die Demokratie wird angegriffen, dann sind wir keiner parteilichen Neutralität verpflichtet.“
Antirassismus steht im Lehrplan – wird aber je nach Schule unterschiedlich umgesetzt
Damit das große politische Ziel erreicht werden kann, brauche es Antidiskriminierungsarbeit überall, beispielsweise auch in den Schulen und bei der Polizei, sagt die Linken-Abgeordnete Andrea Johlige. Also habe ich mich erkundigt, wie das dort konkret klappt. Mein Eindruck: Es gibt viele gute Initiativen und Ideen. Aber nicht alle können im Alltag auch gut umgesetzt werden.
In den Schulen zum Beispiel: Im Rahmenlehrplan für Berlin-Brandenburg gibt es einen großen, fächerübergreifenden Teil zu gesellschaftlicher Vielfalt. Wie der genau gestaltet wird, ist aber am Ende jeder Schule selbst überlassen.
Auch außerunterrichtliche Projekte werden vom Land gefördert. In Brandenburg sind zum Beispiel 87 Schulen Teil des bundesweiten Programms Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage, bei dem sich die Schüler:innen mit den Themen Vielfalt und Antirassismus auseinandersetzen.
An einer Brandenburger Grundschule „mit Courage“ unterrichtet Anne. 70 Prozent der Schüler:innen haben eine Selbstverpflichtung unterschrieben, dass sie Menschen unterstützen, die von Diskriminierung betroffen sind. Regelmäßig gibt es Projekttage, die Schule arbeitet außerdem mit externen Organisationen zusammen an dem Thema.
Auch im Unterricht ist Vielfalt ein wichtiger Schwerpunkt an Annes Schule. In der 3. Klasse geht es im Sachkundeunterricht darum, „wie wir wohnen und leben“. Ein zentrales Thema ist dabei, wie verschiedene Menschen leben, etwa Flüchtlingsfamilien, Alleinerziehende oder ältere Menschen. In der 5. und 6. Klasse sind Mitbestimmung und Demokratie ein fester Schwerpunkt im Fach Gesellschaftswissenschaften. Insgesamt sind 26 Stunden für diese Themen vorgesehen. „Das ist recht viel“, sagt Anne.
An der Karl-Sellheim-Schule in Eberswalde gab es in diesem Jahr zur Europawahl und zur brandenburgischen Landtagswahl Junior- und U18-Wahlen. „Die Auswertung der Wahlergebnisse bleibt aber auf der Strecke“, sagt Maik Hager, der dort Lehrer für Politik, Geschichte, Erdkunde und Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde ist. „Das ist besonders bedenkenswert, weil sich die beteiligten Schüler mehrheitlich für die AfD entschieden haben.“
„Die Schüler lassen sich nur schwer in demokratische Prozesse einbinden“, sagt er. „Sie haben auch wenig Interesse an der Schülervertretung.“ Was auch daran liegt, dass sie dort keine richtige demokratische Arbeit leisten können, sagt Hager. Meistens trifft sich die Schülervertretung nur zwei Mal im Halbjahr für zwei Stunden.
Hager würde seinen Schüler:innen gern einen Gang ins Stadtparlament ermöglichen. „Es ist schwer, den Schülern zu vermitteln, dass Politik praktisch ist“, sagt er.
An der Karl-Sellheim-Schule brächten Schüler:innen massive Vorurteile von zu Hause mit, sagt Hager. Rechtsextreme Grüße und rassistische Äußerungen kämen immer wieder vor. „Wir arbeiten dann stark mit Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen“, sagt er. Aber das reiche nicht aus. „Wir wollen ja auch ein Umdenken bewirken.“
Nach einigen Gesprächen kann ich feststellen: Wenn an der Schule die Grundvoraussetzungen stimmen, kann das antirassistische Staatsziel des Bundeslands ganz gut umgesetzt werden. Dafür muss allerdings der Unterricht ganz klar darauf ausgelegt werden, und es muss genug Zeit für politische und gesellschaftliche Bildung sein. Sind die Eltern skeptisch gegenüber Demokratiebildung, ist es für Lehrer:innen ganz besonders schwierig.
Null Toleranz für rechte Straftäter:innen, Hassparolen und Rassismus bei der Polizei
Darauf, wie sich der Rechtsextremismus zahlenmäßig entwickelt und in den Köpfen entsteht, kann eine Landesregierung nur begrenzt Einfluss nehmen, sagt Frauke Büttner vom Aktionsbündnis Brandenburg gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Das kann auch ein Verfassungszusatz nicht ändern. „Es ist genauso wichtig, wie staatliche Institutionen – wie Polizei oder Verwaltung – auf rechtsextreme Vorfälle und rechte Gewalt reagieren“, findet Büttner.
Ein Umdenken bei der Brandenburger Polizei gab es Mario Heinemann zufolge schon in den 90er Jahren. „Seit mehr als 20 Jahren hat sich die Polizei des Landes Brandenburg ein konsequentes Vorgehen gegen rechte Strukturen und Straftäter, gegen Hassparolen und Fremdenfeindlichkeit auf die Fahnen geschrieben“, sagt der Leiter der Pressestelle des Brandenburger Polizeipräsidiums in Potsdam.
1998 rief die Brandenburger Polizei gegen den damals sehr ausgeprägten Rechtsextremismus die Mobilen Einsatztrupps gegen Gewalt und Ausländerfeindlichkeit ins Leben. „Die Aufgabe der mobilen Einsatztrupps ist noch heute, verfassungsfeindliche Strukturen aufzuklären und Ermittlungen einzuleiten“, sagt Heinemann. Der jahrelange Kampf gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus ist seiner Meinung nach keine Garantie für die Zukunft: „Der Kampf gegen antidemokratische Bestrebungen ist ein stetig währender.“
Um Diskriminierung entgegenzuwirken, gibt es seit September 2014 Grundsätze, die Polizist:innen unter anderem dazu verpflichten, Minderheiten vor der „Verwendung diskriminierender Minderheitenbezeichnungen zu schützen“.
Auch bei der Ausbildung für Polizeianwärter:innen wird diskriminierungsfreies Handeln immer wieder thematisiert, sagt Heinemann: „Die Menschenwürde bei polizeilichem Handeln zu achten und vorurteilsfrei zu agieren, ist ein wesentliches Ziel der Wissensvermittlung an der Hochschule der Polizei Brandenburg.“
Der Campus der Polizeihochschule befindet sich in unmittelbarer Nähe der Gedenkstätte Sachsenhausen, die an das von 1936 bis 1945 dort gelegene NS-Konzentrationslager erinnert. Als der Campus 2006 dorthin verlegt wurde, war das eine umstrittene Entscheidung, sagt Robert Bechmann, der Pressesprecher der Hochschule der Polizei. „Aber heute ist klar, wie wichtig es ist, auch beim Thema Nationalsozialismus genau hinzuschauen. Es gibt keinen geeigneteren Ort, an dem wir vermitteln könnten, wie wichtig es ist, für Menschenrechte einzutreten.“ Jede:r Anwärter:in im Polizeidienst besuche während der Vorbereitungszeit wenigstens einmal die Gedenkstätte. In der Polizeiausbildung an der Hochschule werden auch immer wieder aktuelle Sachverhalte mit rechtsextremistischem Hintergrund dargestellt und ausgewertet.
Rein strukturell tut die Brandenburger Polizei das Richtige. Dennoch gibt es immer wieder Vorfälle, die dem widersprechen – wie in Cottbus mit dem Graffito. „Brandenburg ist in der Vergangenheit immer gut damit gefahren, ein klares Bekenntnis gegen Rechts zu machen“, sagt Angelika Thiel-Vigh vom Toleranten Brandenburg. „In Cottbus war man damit vielleicht etwas zu zögerlich.“
Seit 2015 ist die aufklärerische Arbeit in Brandenburg schwerer geworden, weil rassistische und extrem rechte Politik wieder erstarken. „Die Positionierung des Landes macht aber deutlich, dass Gewalt, Hass und Diskriminierung außerhalb der demokratischen Werte stehen“, sagt Frauke Büttner.
Die Politik gegen Rassismus und Rechtsextremismus in Brandenburg kann ein Vorbild für andere Bundesländer sein – wenn sie noch stärker im Alltag umgesetzt wird
Judith Porath vom Verein Opferperspektive stellt fest: „Bei der Bekämpfung von Rassismus hat auch Brandenburg noch einen langen Weg vor sich.“ Brandenburg sei mit der Verfassungsklausel zwar ein Vorbild, „aber die muss auch mit Leben gefüllt werden“. Bei der Polizei gibt es zwar Weiterbildungen zum Thema Antirassismus, bei Staatsanwaltschaften und Gerichten aber bisher nicht, sagt Porath. „Menschen, die von Rassismus betroffen sind, müssen besseren Rechtsschutz bekommen“, fordert sie.
Was ich als positiven Eindruck aus Brandenburg mitnehme: Das antirassistische Staatsziel hat im Landesparlament eine sehr breite Mehrheit – von Linken und Grünen über SPD und FDP bis hin zur CDU. „Die demokratischen Parteien standen immer geschlossen hinter unserer Arbeit“, sagt Angelika Thiel-Vigh. Das ist sehr wichtig, um gemeinsam gegen Rassismus und Rechtsextremismus vorgehen zu können.
An der Umsetzung fehlt es bisher aber in einigen Bereichen trotzdem. Ein Antidiskriminierungsgesetz mit ganz konkreten Maßnahmen, wie es 2017 von den Grünen im Landtag vorgeschlagen wurde, ist bisher nicht in Sicht.
Redaktion: Rico Grimm; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Fotoredaktion: Martin Gommel.