„SoKo LinX“ – Braucht Sachsen wirklich eine Sonderkommission gegen Linksextremismus?

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Politik und Macht

„SoKo LinX“ – Braucht Sachsen wirklich eine Sonderkommission gegen Linksextremismus?

Linksextreme verteidigen ihre Gewalt oft damit, dass sie sich nur gegen Dinge und Faschisten richte. Jetzt ist in Leipzig die Mitarbeiterin einer Baufirma angegriffen worden. Die Regierung richtet eine Sonderkommission ein – und die Szene streitet über die Tat.

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Um acht Uhr morgens kommen die Reinigungskräfte, um gegen den Linksextremismus in Leipzig zu kämpfen. Bewaffnet mit weißer Farbe machen sie sich auf, ein Graffiti auf einem Basketballfeld in Leipzig-Connewitz zu entfernen. „NO COPS, NO NAZIS, ANTIFA AREA“ steht dort in Buchstaben, die sicher einen Meter groß sind. Der Stadtteil von Leipzig ist bekannt für eine starke linke Szene. Das soll sich jetzt ändern. Und die Entfernung des Graffitis ein Zeichen sein.

Zwei Tage zuvor: Sachsens Innenminister Roland Wöller und Justizminister Sebastian Gemkow, beide CDU, haben eine Pressekonferenz einberufen. Dort verkünden sie die Gründung einer Sonderkommission gegen Linksextremismus – die „Soko LinX“. Gerechnet hat damit fast niemand.

Sachsen steckt zurzeit in Koalitionsverhandlungen, die beiden wahrscheinlichen Partner der CDU, Grüne und SPD, sind unzufrieden mit der schnellen Aktion. Aber die beiden Minister sagen, dass eine Grenze überschritten sei, dass jetzt etwas getan werden müsse: „Wir lassen es nicht zu, dass eine linksextremistische Szene den Rechtsstaat und seine Bürger terrorisiert“, so Innenminister Wöller. Leipzig, das sei das Zentrum des Linksextremismus in Sachsen; der Stadtteil Connewitz Teil des Problems.

Was für ein Problem meinen die beiden? In den Wochen vor der Pressekonferenz kam es zu mehreren mutmaßlich durch Linke begangene Straftaten.

Anfang Oktober: Mehrere Explosionen auf einer Baustelle in Leipzig, zwei Kräne brennen und erleuchten die Nacht. Schnell wird vermutet, dass ein linksextremistischer Anschlag passiert war. Die beiden brennenden Kräne schaffen es auf die Titelseiten vieler Zeitungen – auch, weil die Feuerwehr fürchtet, die Kräne könnten auf die umliegenden Wohngebäude stürzen. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) nennt es einen Terroranschlag.

Später im Oktober ist es wieder eine Baustelle, zu der die Feuerwehr ausrücken muss, wo zwei Bagger zerstört werden. Im November, kommt es dann erneut zu Brandanschlägen, und wieder trifft es Baufahrzeuge. Fast zeitgleich brennt es auf Geländen von zwei sächsischen Baufirmen. Und wieder vermutet die Polizei, dass da Linksextreme am Werk waren.

Dann kam der Angriff auf Claudia P. – sie arbeitet bei einer Immobilienfirma, die in Connewitz ein Wohnhaus auf dem Gelände baut, auf dem zuvor die Bagger gebrannt haben. Zwei vermummte Männer klingeln abends zu Hause bei ihr, schlagen ihr ins Gesicht und verletzen sie. Dann verschwinden sie mit den Worten: „Grüße aus Connewitz.“ Zwei Tage später stehen zwei Minister vor den Kameras und verkünden die Einrichtung einer Sonderkommission.

Angst um das eigene Zuhause

Nun ist es nicht so, dass die linke Szene sonderlich neu in Sachsen ist. In jedem Verfassungsschutzbericht der vergangenen Jahre steht Leipzig in einer Reihe mit Berlin und Hamburg. Und auch Brandanschläge gab es immer wieder, meist waren Mülleimer und Autos die Ziele. Was ist also auf einmal anders, dass jetzt eine Sonderkommission „den Druck auf die linksextremistische Szene in Leipzig weiter erhöhen und Straftaten schneller aufklären“ soll, wie Innenminister Wöller sagte? Ein Anruf beim Präsidenten des Landeskriminalamtes Sachsen Petric Kleine soll es klären.

Kleine war selbst lange in Leipzig als Polizist aktiv und wird während des Gesprächs mehrfach sagen, wie sehr er Leipzig liebt, wie viel Gutes die Szene der Stadt auch bringen könne. „Die Zahlen zu Brandstiftungen sind in den letzten Jahren relativ konstant“, gibt er zu.

Nun sei aber eine neue Qualität erreicht: „Wenn es um Mülltonnen geht, ist das schlimm genug, aber etwas anderes ist es, wenn Fahrzeuge von Baufirmen brennen.“ Und nun ist es auch noch zu dem Angriff auf die Mitarbeiterin der Baufirma gekommen – und damit zu einer Verschärfung der Taten.

„Bisher war das nach außen getragene Selbstverständnis der Szene so, dass proklamiert wurde, dass sie zwar Straftaten begehen, aber keine Menschen angreifen oder gar umbringen würde, selbstgewählte Ausnahmen waren dabei die sogenannten politische Gegner:innen oder auch die direkte Auseinandersetzung mit der Polizei beispielsweise bei Demonstrationen“, sagt Kleine. Das sei der berechtigte Einwand, wenn jemand Links- und Rechtsextremismus gleichsetzen würde. Damit grenzten sich die Täter:innen von Rechtsterroristen wie dem NSU oder der Gruppe Freital ab, und damit hätten sie auch um eine gewisse Legitimität in der Bevölkerung geworben. Mit dem Angriff auf Claudia P. sei aber eine rote Linie überschritten worden.

Es gibt aber noch eine andere Veränderung, die Kleine beschreibt. In den letzten Jahren war der Kampf gegen Rechtsextremismus und dort besonders die AfD der Grund für viele Straftaten. Meist ging es dann um Sachbeschädigungen an Bürgerbüros der AfD oder angezündete Autos von Politiker:innen der Partei. Die Diskussion um Geflüchtete und die vergangenen Wahlkämpfe boten genug Gelegenheit zur Eskalation. Die letzten Angriffe und Brandanschläge haben damit aber nichts zu tun. Stattdessen geht es um ein anderes Thema, um das auch bundesweit gestritten wird: Gentrifizierung, Verdrängung und Luxuswohnungsbau.

Das wird auch deutlich, wenn man die Bekennerschreiben zu den Taten liest. Die wurden auf der Plattform indymedia veröffentlicht, wo jede:r Beiträge hochladen kann. „Der wahre Terror ist die ungefragte Umgestaltung der Stadt auf Kosten derer, die dem Zwang zur Profitmaximierung zum Opfer fallen“, steht zum Beispiel dann in den Texten. Bauprojekte wie das des Arbeitgebers von Claudia P. stellten eine Bedrohung der Freiräume dar, die es in der Stadt gebe.

Kleine kann die Ängste vor der Kommerzialisierung der Viertel durchaus verstehen: „Ich halte es für völlig legitim, im Rahmen der gesetzlichen Regelung im politischen Diskurs über Meinungen zu streiten und auch Freiräume zu erstreiten.“ Alles andere könne er nicht akzeptieren.

Der Sinn der Sonderkommission

Nun soll also die Soko LinX dabei helfen, die Strukturen in Leipzig zu untersuchen. Zwar gab es bereits vorher eine gemeinsame Ermittlungseinheit, die sich dem Thema gewidmet hat. Nun sollen anstatt zehn doppelt so viele Polizisten ein Auge auf die Szene haben. Außerdem sollen zwei Staatsanwälte bei den Ermittlungen dabei sein.

„Wir haben gute Erfahrungen mit Sonderkommissionen bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus gemacht“, sagt Kleine. Und weiter: „Wir suchen nach Zusammenschlüssen, Gruppen, Netzwerken, die gegebenenfalls hinter diesen Straftaten stehen und wechselseitig agieren. Das ist neben der Aufklärung der Straftaten Teil der Arbeit der Sonderkommission.“ Ein bisschen sei es aber auch ein Signal nach außen, an die Szene und die Bevölkerung – also ein symbolischer Akt, um zu zeigen, dass etwas getan wird.

Würde sich Kleine mit Jürgen Kasek treffen, hätten die beiden wohl viel, worüber sie streiten könnten. Kasek ist bei den Grünen und Anwalt in Leipzig. Er ist wohl das, was man einen Szenekundigen nennt, und vertritt häufiger Menschen, denen linksextremistische Taten vorgeworfen werden. Er ist sehr deutlich, wenn es um die Sonderkommission geht: „Das ist Wahlkampfgetöse!“

In Leipzig finden Anfang 2020 Oberbürgermeisterwahlen statt. Der Kandidat der CDU: Justizminister Sebastian Gemkow. Der Mann, der gemeinsam mit dem Innenminister die Gründung der Sonderkommission verkündet hat. „Das soll Handlungsfähigkeit demonstrieren“, sagt Kasek. Er kritisiert auch die fehlenden Absprachen mit den Koalitionspartnern oder mit dem aktuellen Oberbürgermeister der Stadt Leipzig. „So bekommt das einen sehr merkwürdigen Anstrich.“

Der Angriff auf Claudia P. hat Kasek genauso ratlos zurückgelassen: „Da passt etwas nicht. Du wirst in Leipzig niemanden finden, der dazu etwas sagen kann.“ Solche gezielten Angriffe auf Menschen gab es bis zu diesem Zeitpunkt nicht. Selbst, als nach 2016 die Liste der 211 Beteiligten am Angriff von Neonazis auf Connewitz öffentlich wurde, gab es keine direkten Angriffe auf die Täter:innen.

„Viele linke Gruppen haben ihr Unverständnis über den Angriff auf Claudia P. geäußert.“ Und auch der Inhalt des Bekennerschreibens sei kritisiert worden. Für Kasek spricht das für Täter:innen, die nicht zur Leipziger Szene zählen können. Und tatsächlich ist im Verfassungsschutzbericht zwar die Rede davon, dass Leipzig ein besonderer Schwerpunkt für Linksextreme ist, aber inzwischen viele auch von außerhalb zuziehen.

Kasek sieht aber trotzdem wenig Erfolgsaussichten für die Sonderkommission. Das hat mehrere Gründe: Erstens seien es immer kleine Gruppen, die sich im Einzelfall zusammenschlössen, und niemand prahle mit den Taten. „Innerhalb der Szene würde niemand die Täter:innen denunzieren.“ Das liege auch an der gemeinsamen Ablehnung der Polizei. Zweitens seien Brandanschläge auch sehr schwierig aufzuklären. Das einzige, was die Feuerwehr feststellen könne, sei der Brandherd. Und die Taten seien so schnell zu begehen, dass es Glück wäre, wenn jemand zufällig die Täter:innen gesehen hätte. Die Täter:innen brauchten keine Vorbereitung oder Material, das sich zurückverfolgen lasse, für eine Brandstiftung.

„Im Grunde ist das Stochern im Nebel“, erklärt Kasek. Die Unterstützer der Sonderkommission zeigten vor allem eins: dass sie keine Ahnung von der linken Szene hätten. „Die Staatsanwälte werden an Langeweile sterben“, sieht Kasek voraus.

Aber er hat eine andere Idee für Leipzig. Dort, wo heute Streifenwagen durch Connewitz fahren, sollten lieber fähige Polizist:innen zu Fuß auf Streife gehen und persönliche Kontakte zu den Bewohner:innen der Viertel knüpfen. Einfach mal vorbeigehen und fragen, ob alles in Ordnung ist. Außerdem müsse ja auch nicht jede kleine Straftat sofort geahndet werden. So schaffe man ein Gefühl der Sicherheit und Vertrauen in die Polizei. Nachbarschaften stärken nennt Kasek das.

Weil aber die Baufirmen diese Nachbarschaften durch die Gentrifizierung zerstörten, bekämen Menschen Angst, sich Mieten von 13 bis 15 Euro pro Quadratmeter nicht mehr leisten zu können. „Wohnen ist in Leipzig zu einem Armutsrisiko geworden“, sagt Kasek. Diese Entwicklung sähen viele Menschen sehr kritisch und billigten dann Straftaten wie Brandstiftungen. Eine Sonderkommission gehe das Problem einfach von der falschen Seite an. Wolle man die Straftaten tatsächlich verhindern, müsse man tatsächlich die soziale Spaltung der Gesellschaft angehen.

Den ersten Kampf gegen den Linksextremismus in Leipzig hat die Stadt übrigens schon verloren. Die frisch gestrichene Wand hat keine zwölf Stunden überlebt. Irgendjemand hat am helllichten Tag „ACAB“ (All cops are bastards) darauf gesprüht.


Redaktion: Rico Grimm; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Fotoredaktion: Martin Gommel.