Regiert die AfD bald in Sachsen mit? Einige Menschen planen vorsichtshalber schon Streiks

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Politik und Macht

Regiert die AfD bald in Sachsen mit? Einige Menschen planen vorsichtshalber schon Streiks

Ein Generalstreik als letztes Mittel – ich habe Menschen begleitet, die jetzt schon für den Tag X planen, an dem die CDU Sachsen die AfD in die Regierung holen will.

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Reporterin für eine faire Wirtschaft

„Der Alaunpark ist heute leerer als sonst“, sagt Cindy* und lacht. Dass sie, Luca* und die anderen sich ausgerechnet diesen Tag ausgesucht haben, um Flyer zu verteilen. Immerhin sei heute auch noch eine Wahlkampfveranstaltung der AfD in Dresden, und dort seien jetzt bestimmt alle, um zu protestieren. Vielleicht hängen aber auch einfach die Wolken zu tief, um den Abend im Park zu verbringen.

Gerade steuert Cindy auf Teenager zu, die auf einer Banklehne sitzen. Sie sieht mit ihren rosa Sneakers und dem kurzen Pferdeschwanz jünger als ihre 42 Jahre aus – aber sie könnte trotzdem dreimal so alt sein wie diese Jungs, die hektisch versuchen, ihre Bierflaschen zu verstecken.

„Hallo, wir wollen streiken, falls die CDU Koalitionsverhandlungen mit der AfD aufnimmt. Macht ihr mit?“

„Ja geil.“ Die Jungs wirken erleichtert. „Wann denn?“

„Na, das wissen wir noch nicht. Wir hoffen ja auch nicht, dass es so weit kommt.“

Dann verteilt Cindy Flyer und pinke Sticker, auf den #wirstreiken steht.

„Lest mal den Aufruf, der ist gut.“

Überraschend viele nehmen die Flyer gerne.

Überraschend viele nehmen die Flyer gerne. © Rebecca Kelber

Seit vergangenem Frühjahr ist Cindy Teil eines losen Netzwerks von vielleicht 40, vielleicht 50 auch sonst zivilgesellschaftlich engagierter Menschen, die für den Ernstfall planen: falls die CDU bereit ist, eine Koalition mit der AfD einzugehen. Sollte das passieren, wollen sie die Dresdner:innen dazu bringen, zu streiken. Am Tag X der beginnenden Koalitionsverhandlungen sollen möglichst viele Menschen ihre Arbeit ruhen lassen und sich versammeln.

Die erste Regierung einer völkisch-nationalen Partei seit 1945

So wollen sie den Bruch markieren, den dieses Ereignis bedeuten würde. Eine Koalition zwischen der CDU und der AfD in Sachsen wäre das erste Mal seit 1945, dass eine völkisch-nationale Partei in Deutschland mitregieren darf. Aber sie wollen den Tag auch nutzen, um in Kontakt miteinander zu treten, um zu merken: Wir sind nicht allein. Es ist ein politischer Streik, das heißt keine Gewerkschaft steht dahinter, die Streikgelder zahlt. Deshalb soll jede:r selbst entscheiden, wie der Streik für sie oder ihn funktioniert. Statt einfach nicht zur Arbeit zu erscheinen, kann man ja Dienste verschieben oder Urlaub nehmen.

Eine Koalition ohne die AfD könnte in Sachsen schwierig werden: Rechnerisch gibt es zwar auch eine Mehrheit für eine Koalition aus CDU, SPD und Grünen. Aber im Nachbarland Sachsen-Anhalt macht dieses Modell vor allem durch Krisen Schlagzeilen, weil die ostdeutsche CDU und die Grünen nicht miteinander zurecht kommen.

Das gilt auch für Sachsen. Erst vor kurzem hat der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer in einem Interview der Welt die Panikmache in der Politik beklagt und gesagt: „Es ist doch absurd, wenn Grüne einen Klimanotstand ausrufen.“ Es gibt keinen Landesverband in der CDU, der so rechts ist wie die sächsische Union.

Kretschmer schließt eine Koalition mit der AfD aus. Trotzdem ist es nicht völlig undenkbar, dass es dazu kommt, wie Josa Mania-Schlegel kürzlich gezeigt hat – sollte Kretschmer zurücktreten. „Die einen in der CDU finden es denkbar, die anderen sagen: ‚Auf keinen Fall!’ Wie da die internen Debatten verlaufen, können wir nicht verfolgen“, sagt Cindy.

Die Flyer auf den Gepäckträger geklemmt, damit sie immer griffbereit sind.

Die Flyer auf den Gepäckträger geklemmt, damit sie immer griffbereit sind. © Rebecca Kelber

Eine Regierung mit der AfD würde den Alltag in Sachsen verändern

Käme die AfD an die Macht, so befürchten Cindy und Luca, würde das Geld für Beratungsstellen und Frauenschutzhäuser gekürzt werden. Die Kulturszene würde sich verändern, weil die AfD kaum missliebige Projekte finanziell unterstützen würde. Und auch der Unterricht an Schulen würde bald anders aussehen. Im Wahlprogramm der AfD steht: „Ziel der schulischen Bildung ist es, ein positives Bild von Sachsen und Deutschland, seiner Geschichte, Gegenwart und Zukunft zu vermitteln.“ Die AfD möchte die Lehrpläne mit diesem Ziel überarbeiten.

Der Arbeitskreis historisch-politische Bildung ist eine von mehreren Gruppen, die den Streik unterstützt. Er schreibt in seinem Aufruf: „Unser Beruf ist die Vermittlung des ‚Nie wieder!‘. Wir lehren in Workshops, Seminaren und Unterricht, wie aus Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt ein Genozid entstehen kann. Deshalb setzen wir uns dafür ein, eine völkisch-nationalistische, rassistische Gesellschaft zu verhindern.“

Eine AfD-Regierung könnte auch an den Universitäten viel ändern. In ihrem Wahlprogramm fordert die Partei zum Beispiel, sogenannte Zivilklauseln abzuschaffen, in denen sich Universitäten selbst verpflichten, keine Rüstungsforschung zu betreiben. Außerdem will die AfD dem Fach „Gender Studies“ die Gelder streichen.

Carl Bauer vom Student:innenrat (Stura) der Uni Leipzig sagt: „Die AfD und CDU haben bildungsprogrammatisch Überschneidungen. Wir rechnen deshalb mit starken Einschnitten an den Universitäten.“ Zum Beispiel sprechen sich AfD und CDU gegen einen „Akademisierungswahn“ aus, wollen die Hochschule also exklusiver gestalten. Deshalb hat der Stura beschlossen, im Fall von Koalitionsverhandlungen zu einem Bildungsstreik aufzurufen.

Eine radikale Idee für eine radikale Realität

Im Dresdner Bündnis kommen Menschen aus allen möglichen Bereichen zusammen: Neben Schüler:innen und Student:innen engagieren sich dort Künstler:innen, Sozialarbeiter:innen und Handwerker:innen. Luca arbeitet als Ingenieurin, Cindy in der außerschulischen Bildung.

Sie wissen, dass ein politischer Streik trotz „Fridays for Future“ eine ungewöhnlich radikale Idee für Deutschland ist. Insbesondere, weil hier Menschen nicht zur Arbeit gehen wollen und von keiner Gewerkschaft dabei unterstützt werden. Entsprechend skeptisch reagieren viele. Auch deshalb hätten sie so früh mit ihrer Planung angefangen, sagt Cindy: Um die Dresdner:innen an die Idee zu gewöhnen.

Ich bin überrascht, wie viele die Idee an diesem Nachmittag im Alaunpark gleich interessant finden und dankbar die Flyer annehmen. Aber wir sind ja auch mitten in der Dresdner Neustadt, wo Shishabar neben hippen Cafés neben Asiaten liegen und an manchen der 50er-Jahre Häuser die Tags bis auf die Hälfte des Fensters reichen. Wo die Student:innen wohnen, die Linken, darunter auch Cindy und Luca.

Typische Neustadt - ein bisschen schräg, ein bisschen Protest.

Typische Neustadt - ein bisschen schräg, ein bisschen Protest. © Rebecca Kelber

Planen für den Tag X

Es sei merkwürdig, einen Streik für einen möglicherweise nie eintretenden Tag X zu planen, erzählen Cindy und Luca. Sie kennen weder das Datum noch wissen sie, ob der Streik überhaupt stattfinden wird. Mehr noch: Sie hoffen, dass sie umsonst planen.

Dass sie es trotzdem machen, zeigt, wie ratlos und verzweifelt die beiden sind. Sie sagen, sie organisieren diesen Streik, weil ihnen nichts anderes mehr einfällt. „Wir haben doch alles versucht. Wir haben Demos organisiert, Bildungsveranstaltungen, über Rassismus, die Vergangenheit, die Shoa gesprochen“, sagt Cindy. Es habe alles nichts genützt.

Momentan drückt sich der rechte Einfluss in Cindy und Lucas Alltag in dem aus, was sie nicht tun: In der Straßenbahn über eine Demo gegen Nazis reden, mit Menschen mit Migrationshintergrund ins Erzgebirge fahren, eine Parzelle in bestimmten Kleingärten mieten.

Als Pegida noch regelmäßig spazieren ging, mied Luca die Innenstadt. „Wir haben schon eine eingeschränkte Realität. Die muss man auch haben, wenn man diese Gegenwart hier psychisch und physisch überleben will“, sagt Cindy. Deshalb wollen die beiden auch nicht ihre richtigen Namen nennen, wenn sie über ihr Engagement gegen rechts reden.

Durch ihre Vermeidungsstrategien haben sich in ihrem Leben so eingerichtet, dass sie die hässliche Seite Sachsens kaum spüren. In den vielen Jahren ihres politischen Engagements haben sie nicht nur die rechte, sondern auch die linke Szene in Dresden wachsen sehen, teilweise als Gegenreaktion auf Pegida. „Man kann hier ein schönes Leben haben“, sagt Cindy. Eine AfD-Regierung könnte das ändern. Auch deshalb sind die nächsten Monate für sie so existenziell. Als ich frage, wie sehr die Landtagswahl bei ihnen Thema ist, sagt Luca: „Permanent.“

Auf viele Fragen haben sie aber keine Antwort. Was nach diesem ersten Streiktag passieren soll? „Na, da müssen wir uns alle zusammensetzen und reden.“ Gefragt, was sie im Fall einer Minderheitenregierung tun würde, sagt Cindy: „Wenn dieses Szenario tatsächlich auftaucht, müssen wir Vollversammlungen machen und gemeinsam spinnen, was die richtige Antwort ist.“

Momentan, das sagen alle, konzentriert sich viel Energie darauf, vor der Wahl noch positive Stimmung zu verbreiten. Auf ihre Art macht also auch die Zivilgesellschaft einen Wahlkampf: Mit Konzert-Touren, Wahlaufrufen und Wanderausstellungen. Den Höhepunkt bildet die „Unteilbar“-Demonstration am 24. August in Dresden, zu der die Veranstalter:innen 25.000 Teilnehmer:innen erwarten. Es soll der letzte Ort der Selbstvergewisserung der sächsischen Zivilgesellschaft vor der Wahl sein. Dort wird auch der Streikaufruf noch einmal verlesen werden.

AfD und CDU Plakate gibt es hier nicht zu sehen - dafür werben die Humanisten.

AfD und CDU Plakate gibt es hier nicht zu sehen - dafür werben die Humanisten. © Rebecca Kelber

„Die reden doch nur“

Inzwischen ist es dunkel geworden. In der Alaunstraße sitzen Leute auf Bänken vor Kneipen, andere spazieren herum. Die Luft surrt von Gesprächen. Es könnte ein Sommerabend in irgendeinem studentischen Viertel irgendeiner Großstadt sein. Teilen die Menschen hier die Angst von Cindy und Luca? Ich frage herum, während ich die Straße entlang laufe und bekomme gemischte Antworten: Einige ja, andere nein.

Vor einem Dönerladen sitzt alleine ein Mann, dem man seinen Migrationshintergrund ansieht und -hört. Er deutet auf den Stuhl neben sich, als ich ihn anspreche. Ob er Angst habe? Nein, wieso denn auch. Also klar, die Leute – erst gestern sei er beim Paketausliefern wieder beschimpft worden, „du Arschloch“ hat ihm eine Radfahrerin hinterhergerufen.

Aber was soll er machen? Er zuckt mit den Achseln und lächelt. „Die reden doch nur.“


Wir haben den Namen der Frauen in Cindy* und Luca* geändert.

Redaktion: Rico Grimm; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Fotoredaktion: Martin Gommel.