Eine Stadt in Sachsen glaubt nicht mehr an die Kraft des Dialogs – und das ist vielleicht auch gut so

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Politik und Macht

Eine Stadt in Sachsen glaubt nicht mehr an die Kraft des Dialogs – und das ist vielleicht auch gut so

Unsere gespaltene Gesellschaft muss nur wieder mehr reden und zuhören. Heißt es. Aber hilft das wirklich? Ich war in Bautzen, einer Stadt, die etwas anderes versucht.

Profilbild von Josa Mania-Schlegel
Reporter für Ostdeutschland, Leipzig

Annalena Schmidt sitzt mit Freunden beim Bier, als sie einen Anruf erhält, von dem sie am nächsten Morgen der Polizei erzählen wird. Einen Tag später ärgert sie sich, ihr Telefon nicht schnell auf laut gestellt zu haben. So wäre sie nicht die einzige Zeugin für diesen Anruf gewesen: „Annalena Schmidt. Wir werden dich vergiften. Du wirst langsam und qualvoll sterben.“

Drohungen bekäme sie in letzter Zeit wieder öfter, erzählt mir Schmidt. Und das habe viel mit dem Abend in der Kirche zu tun, an dem die gespaltene Stadt Bautzen wieder ins Gespräch kommen sollte. Der aber eher eine Art Tribunal für Annalena Schmidt wurde.

Wie konnte es dazu kommen? Bautzen gilt als zerstrittene Stadt seit hier 2016 der Husarenhof, eine zukünftige Flüchtlingsunterkunft, brannte. Die Stadt entzweite sich: Zwischen Menschen wie Schmidt, die Rechtsextremismus in ihrer Stadt offensiv thematisieren. Und denen, die das Problem auf keinen Fall größer als nötig machen wollen.

Bautzen ist geteilt – in Problematisierer und Beschwichtiger

Drei Jahre später, am 8. Februar, lud der Bautzener Oberbürgermeister Alexander Ahrens dann seine Stadt in die Maria-und-Martha-Kirche ein. „Zurück zur Sachlichkeit“ war der Abend überschrieben. Die Ränge: proppenvoll. Ahrens hoffte auf die Kraft der Dialogs. Wie so häufig hieß es: die Leute müssten nur wieder einander zuhören. Müssten mehr Verständnis für die Gegenseite aufbringen. Dann werde das alles schon wieder.

Zuerst bekam Annalena Schmidt das Mikrofon. Die 32-Jährige ist 2016, kurz bevor der Husarenhof brannte, als Historikerin ans sorbische Institut nach Bautzen gekommen. Seitdem bloggt und twittert sie über ihre Wahlheimat, sie tritt bei der nächsten Kommunalwahl im Mai für die Grünen an. Sie möchte in den Stadtrat. Die höchste Reichweite haben Posts, in denen Schmidt rassistische Vorfälle in Bautzen thematisiert. Auch, weil sie damit ein Klischee bestätigt. Da ist es wieder, das braune Sachsen.

Damals wie heute rufen die Zeitungen bei ihr an, wenn es in Bautzen brennt. Frau Schmidt, was ist denn schon wieder in Bautzen los? Sie beantwortet nach eigenen Angaben jede Anfrage. „Ich zeige“, sagt Schmidt in einem Artikel, „dass Bautzen nicht nur braun ist“.

Es gibt Menschen in Bautzen, die sehen das genau umgekehrt. Die glauben, dass Bautzen seinen Ruf als braunes Nest nur bekam, weil Schmidt darüber twittert und Interviews gibt.

Die Bautzener kamen gespaltener aus der Kirche, als sie hineingekommen waren

Jörg Drews bekam nach Schmidt das Mikrofon. Der Bauunternehmer gilt als großzügiger Förderer der Stadt. Da ist der von ihm gesponserten Gästeblock des Fußballvereins Budissa Bautzen, ohne den Budissa nicht in die Regionalliga gedurft hätte. Davon erzählt Drews heute noch gern.

Jörg Drews glaubt, dass Annalena Schmidt die Stadt, die er schönzumachen hilft, gezielt als rechtsextrem diffamieren will.

Schmidt problematisierte, Drews beschwichtigte an diesem Abend. Dann nahmen abwechselnd Bürgerinnen und Bürger am Altar der Maria-und-Martha-Kirche Platz – und redeten. Jedenfalls versuchten sie es. Johlen, Buh-Rufe, Abklatschen, mal Applaus für die eine, mal Gelächter für die andere Seite. Die Bautzener kamen gespaltener aus der Kirche, als sie hineingekommen waren.

An die Kraft des Dialogs glauben auch liberale Amerikaner, wenn sie mit Trump-Wählern reden. Emmanuel Macron, wenn er mit den randalierenden Gelbwesten ins Gespräch kommen will. Oder Michael Kretschmer, der sächsische AfD-Wähler auf seine Seite zu ziehen versucht. Es gibt Gesprächsformate, wie das „Sachsengespräch“ und es erscheinen Bücher wie „Mit Rechten reden“, die erklären, dass die Gegenseite mit logischen Argumenten zu schlagen sei.

Aber was, wenn alles Reden nicht mehr hilft? Es gibt ja kein anderes Rezept gegen die Spaltung. Oder doch?

Im ostsächsischen Bautzen kann jedenfalls niemand mehr sagen, man müsste nur wieder miteinander reden. Sie haben es ja versucht – und sind gescheitert. Und so herrscht in Bautzen derzeit eine fast laborhafte Situation. Kommen die Menschen, denen Reden und Zuhören nicht geholfen hat, vielleicht auf ein ganz neues Mittel gegen die Spaltung?

Einen Monat nach dem gescheiterten Gesprächsversuch habe ich drei Tage in Bautzen verbracht, um das herauszufinden. Ich habe Menschen getroffen, die neue Versuche planen, ihre Stadt wieder zu versöhnen. Und solche, denen der Riss, der durch Bautzen geht, gar nicht groß genug sein kann.

Da war der Drucker Heiner Schleppers, der Annalena Schmidt auf Twitter geblockt hat, weil er ihre Posts über Bautzen nicht erträgt; der aber gleichzeitig froh ist, dass sie seine Stadt erst zum Streiten brachte. Der ehemalige Polizist Karsten Hilse, der 2017 den Wahlkreis Bautzen für die AfD eroberte und alles will, aber keinen Frieden. Und der Oberbürgermeister Alexander Ahrens, der seine Stadt mit aller Kraft versöhnen will – und in Bautzen beispielhaft zeigen will, wie unsere zerrissene Gesellschaft wieder zusammenfinden kann.

Bevor ich nach Bautzen fuhr, hörte ich von einem neuen Versuch der Bautzener, wieder zusammenzukommen. Unter dem Motto „Licht gegen Hass“ gemeinsam auf den Domplatz gehen. Kerzen statt Dialog. Keine Mikrofone. „Licht gegen Hass“ war ursprünglich als Gegenveranstaltung geplant. Der Bautzener Ex-NPD-Chef Marco Wruck hatte zuvor eine Demonstration angekündigt, die hieß: „Annalena Schmidt im Stadtrat verhindern“. Eine Demo gegen Schmidt, die kurz zuvor ihre Kandidatur für die Grünen verkündet hatte. Wruck hatte seine Demo wieder abgesagt, „Licht gegen Hass“ sollte aber weiterhin stattfinden.

„In Bautzen sieht man Trennung als Chance“

Die Idee dafür hatte der Stadtrat Heiner Schleppers, der mich Mittwochnachmittag auf den Domplatz bestellt. Er wolle mir dort etwas zeigen, das mir helfen sollte, Bautzen zu verstehen. Der Dom hat noch zu, aber Schleppers erzählt es mir und ich sehe es ein paar Stunden später selbst: Mitten durch die Stuhlreihen des Doms verläuft ein Gitter, wie ein Geländer. Seit 1524 trennt es hier Katholiken und Evangelen. Jede Seite hat sogar ihre eigene Orgel. In keiner anderen Kirche Deutschlands gibt es das.

Der Stadtrat und Drucker Heiner Schleppers hat 1989 geholfen Stasi-Offiziere zu entwaffnen. Jetzt will er seine Heimatstadt Bautzen versöhnen.

Der Stadtrat und Drucker Heiner Schleppers hat 1989 geholfen Stasi-Offiziere zu entwaffnen. Jetzt will er seine Heimatstadt Bautzen versöhnen.

„Wir haben Symbole, die uns trennen“, sagt Heiner Schleppers. Bautzen sei eine Stadt, die schon immer wusste, wie es sich mit Spaltung lebt. „Aber wir sehen Trennung als Chance“, sagt Schleppers. Wir gehen weiter, Richtung Senfstube. Schleppers ist Bautzener, er führt hier eine Druckerei aus Familienbesitz und hat nie woanders gelebt. Auf wenigen Metern kann er einem die ganze Stadtgeschichte erzählen. Hier der Domstift, wo das Dom-Gitter vertraglich genehmigt wurde. Dort ein zweisprachiges Straßenschild: Deutsch-Sorbisch, wie überall in der Stadt.

„Wir haben in Bautzen eine geteilte Sprache, wir haben eine geteilte Kirche“, sagt Schleppers. „Warum soll es da ein Problem sein, wenn wir geteilte politische Ansichten haben?“ Annalena Schmidt hat er geblockt. „Mir wird schlecht, wenn ich schon morgens lesen muss, wie braun und rechtsextrem meine Heimat sein soll“, sagt Schleppers. „Aber im Prinzip“, sagt er, „macht sie das Richtige: sie packt Probleme auf den Tisch.“

Später scrolle ich durch Twitter. Annalena Schmidt schreibt: „Kerzen helfen nicht gegen Nazis! Aber: Wenn es aus diesen Reihen kommt, ist es ein Zeichen, dass sich gerade in der Stadt etwas bewegt!“

„Danke an die Demonstranten!”, sagt der CDU-Mann

Am Abend veranstaltet die CDU Bautzen ihren politischen Aschermittwoch. Als Stargast wird Jens Spahn erwartet. Die Mitarbeiter des Bautzener Krankenhauses bringen sich – trotz Kälte – mit Plakaten und Trillerpfeifen in Stellung, um beim Gesundheitsminister bessere Arbeitsbedingungen zu fordern. Gäste müssen sich an dem lärmenden Block vorbei in den Festsaal schlängeln.

Als später drinnen der CDU-Vorsitzende Marko Schiemann den Abend eröffnet, richtet er sich zuerst an die Demonstranten: „Ich danke Ihnen“, sagt Schiemann, „dass Sie die zweieinhalb Stunden da draußen ausgeharrt haben.“ Verdutzter, verhaltener Applaus. „Wir haben gesehen, wie wichtig es ist, die Meinung von Ihnen und Fachleuten anzuhören“, sagt er, „und ich ärgere mich immer noch, dass kein warmer Tee zur Hand war, den ich gerne rausgebracht hätte.“

Als ich abends in der Radeberger Bierstube vorbeischaue, geht es an keinem der drei Tische um Annalena Schmidt oder Jörg Drews. Es gibt andere Sorgen. Die Bautzener Trinkwasserqualität zum Beispiel oder die Nebenwirkungen von Schmerztabletten. Der Barkeeper trauert einer zu Ostzeiten verschenkten Schwalbe hinterher. Links über den Tresen hängt eine Vitrine mit Zinnsoldaten, Cowboys und Indianern. Manche Figuren sind so gestellt, dass sie ihre Waffen aufeinander richten.

„Die Leute lassen sich ihre Stadt nicht kaputtreden“

Karsten Hilse holte bei der Bundestagswahl in Bautzen eines der drei AfD-Direktmandate. Jeder dritte Bautzener Wähler stimmte für ihn. Und seitdem tourt er fast pausenlos durch seinen Wahlkreis. Wie fast alle AfD-Abgeordneten, die befürchten, dass ihre Wähler 2017 gar nicht für sie – sondern vor allem gegen Merkel gestimmt haben.

Karsten Hilse machte als junger Mann Öko-Aktivismus und hatte es als Polizist mit Neonazis zu tun. Heute setzt er sich als AfD-Abgeordneter gegen die Energiewende ein.

Karsten Hilse machte als junger Mann Öko-Aktivismus und hatte es als Polizist mit Neonazis zu tun. Heute setzt er sich als AfD-Abgeordneter gegen die Energiewende ein.

Nach Bautzen und Kamenz steht Hilse ein Tag in Hoyerswerda bevor, das man hier Hoywoy nennt. In einem abgedunkelten Ladenraum im Erdgeschoss liegt Hilses Büro. Sein Siegerlächeln, das ihm vor vielen Jahren den Titel als Mister Brandenburg einbrachte, hat Hilse immer noch.

Als er 2017 für die AfD in den Bundestag einzog, ließ er seinen Polizeiberuf ruhen. Zu DDR-Zeiten entnadelte er mit Freunden eine Kiefer und malte sie gelb an, als Protest gegen die Luftverschmutzung des Kohlekraftwerks „Schwarze Pumpe“. Heute setzt er sich als Umweltpolitiker gegen die Energiewende ein. Und dafür, dass die Sachsen Wölfe schießen dürfen.

Der Streit in Bautzen und der laute Abend in der Maria-und-Martha-Kirche verlief nach Hilses Ansicht genau richtig. „Jeder hat das Recht, sich auf seine Weise zu äußern“, sagt er, „auch wenn es mal laut und ungemütlich wird.“ Annalena Schmidt habe die Wut der Bautzener mit ihren Äußerungen erst heraufbeschworen.

Denn die Bautzener, sagt Hilse, seien stolz auf das, was sie sich seit der Wende hart erarbeitet hätten. Sicher gebe es hier auch Rechtsextremisten. Aber wo gebe es die nicht? Anders als viele andere ostdeutsche Kleinstädte steht Bautzen schuldenfrei da und die historische Altstadt lockt Touristen an. „Das lassen sich die Leute nicht kaputtreden“, sagt Hilse. „Sie wehren sich dagegen, bis es aufhört.“

„Wer sich rassistisch benimmt, muss das erstmal reflektieren“

Nach dem Brand des Husarenhofs 2016 kam es auf dem Bautzener Kornmarkt zu Auseinandersetzungen mit Asylbewerbern. Es waren Gäste aus dem gegenüberliegenden Best Western Hotel, die sich zuerst über übergriffige Jugendliche beschwerten. Dann kam es zu Hetzjagden. Und zwei Monate später flogen Molotow-Cocktails auf eine weitere Asylunterkunft. Der Verfassungsschutz nannte die Stadt einen „rechtsextremen Schwerpunkt“.

„Frau Schmidt muss uns Bautznern nicht erklären, wie man diskutiert“, sagt mir Hilse noch. Den Streit findet er gut. „Wenn die Leute sich erstmal gegen Frau Schmidt wehren, dann beginnen sie sich auch zu fragen: Wogegen könnten wir uns noch wehren?“ Und das, sagt Hilse, komme dann auch ihm zugute. Er lächelt sein Siegerlächeln und weist auf das AfD-Plakat hinter seinem Rücken.

Im Laufe der Woche wird – zusätzlich zu „Licht gegen Hass“ – noch eine Kundgebung für Freitag angemeldet. Neben dem Domplatz wollen die Bautzener Grünen direkt hinter dem Rathaus für „das Recht auf freie Meinungsäußerung“ demonstrieren. Ein klares Bekenntnis zu ihrer neuen Stadtrats-Kandidatin Annalena Schmidt. Bautzen wird also auch am Freitag geteilt sein. Annalena Schmidt twittert: „Ich bin gerade noch sehr unentschlossen, ob ich dort sein werde! #Bautzen hat seit Jahren die Chance für das #Grundgesetz einzutreten und hat es zu oft verpasst!“

Direkt zwischen den beiden Orten, auf die sich die Bautzener am Abend aufteilen werden, betritt Oberbürgermeister Ahrens morgens um zehn sein Rathaus. Er kommt ein paar Minuten zu spät, das Eishockey-Training ging noch etwas länger. „Jetzt tut mir alles weh“, sagt Ahrens, „aber so bleibt man frisch.“

Alexander Ahrens ist seit 2015 Bautzener Oberbürgermeister. Erst nach seiner Wahl trat er in die SPD ein.

Alexander Ahrens ist seit 2015 Bautzener Oberbürgermeister. Erst nach seiner Wahl trat er in die SPD ein.

Früher hat Ahrens Handball gespielt, beides ein „Kontaktsport“, sagt er, „das fand ich immer spannend“. Eine Karriere als Profihandballer schlug er aus, als sich ein Mitspieler kompliziert den Ellenbogen brach. Ahrens wurde Strafverteidiger und besprach mit Mördern gemeinsame Strategien. 2016 geriet er deutschlandweit in Kritik, weil er als Bautzener Oberbürgermeister mit einer Gruppe Rechtsextremer in den Dialog trat. „Ich kann keinem im Gespräch ausreden, Nazi zu sein“, sagt er. „Aber warum soll ich nicht mit ihm sprechen?“

Wer sich rassistisch benimmt, glaubt Ahrens, sei nicht per se ein schlechter Mensch. Rassismus müsse man erstmal reflektieren – und dazu gehöre ein gewisses Selbstbewusstsein. Gespräche können da helfen, deshalb spricht er. Verurteilungen bewirken eher das Gegenteil. „Annalena Schmidts pauschale Kritik“, sagt Ahrens, „hilft niemandem.“

„Bautzen wirkt auch ohne mich braun“, sagt Annalena Schmidt

In den letzten Wochen erschienen in einigen überregionalen Medien Interviews mit Schmidt. Ahrens glaubt, dass Bautzens Status als braunes Nest gerade deshalb wieder zurück in den Köpfen der Republik ist. „Geht es jetzt wieder zurück ins braune Herz Deutschlands?“, fragte ihn ein westdeutscher Bundestagsabgeordneter kürzlich zum Abschied. Er erwiderte: „Was soll ich denn in Dortmund?“

Ahrens glaubt, dass eine Lage entschärft werden kann, indem sie zunächst eskaliert. „Manch eine Meinung muss erstmal laut geäußert werden, damit die Mitte merkt, dass es keine Meinung ist – sondern Hass“, sagt er. Das nächste Mal würde das Gespräch schon differenzierter ausfallen. In einem kleineren Rahmen. Ohne Fernsehkameras. Ahrens habe da schon was geplant, in ein paar Wochen. Noch ein Versuch, die Bautzener zu versöhnen.

Zurück ins Café, wo Annalena Schmidt noch über den Drohanruf des letzten Abends grübelt. Ihr Tweet darüber wurde mittlerweile ein paar Tausend Mal geteilt. Die Grünen-Chefin Annalena Baerbock schreibt ihr: „Danke dir von Herzen für den Einsatz für deine Stadt und unsere Demokratie. Du bist nicht allein!“ Der Bautzener Hass zieht die Bundespolitik auf den Plan.

Annalena Schmidt zog nach Bautzen, als es in der Stadt zu rassistischen Ausschreitungen kam. Sie begann, über ihr Leben als „Wahlsächsin“ zu bloggen und twittern.

Annalena Schmidt zog nach Bautzen, als es in der Stadt zu rassistischen Ausschreitungen kam. Sie begann, über ihr Leben als „Wahlsächsin“ zu bloggen und twittern.

Schmidt, die nicht glaubt, dass Kerzen anzünden gegen Nazis hilft, organisierte 2017 eine Menschenkette gegen eine NPD-Demo. „Ich habe gesagt: Sorry Leute, aber wenn ihr nicht wollt, dass Bautzen als rechts da steht, dann müsst ihr dagegen auf die Straße gehen.“ Sie nahm sich eine Woche am Institut frei. Am Schluss standen 750 Menschen gegen 50 NPDler. Ein Kraftakt. Schmidts Tweet über rechtsextrem gekleidete Weihnachtsmarktbesucher hatte trotzdem eine größere Reichweite.

„Demos gegen Rechts gibt es überall in Deutschland, Hetzjagden und brennende Asylheime nicht“, sagt Schmidt. Sie könne nichts dafür, dass Bautzen als rechtes Nest dastehe. „Bautzen“, sagt sie, „wirkt auch ohne mich braun“. Als Stadträtin würde sie gern über andere Themen als das Image der Stadt sprechen. Über Turnhallen und Grundschulen zum Beispiel. Aber auch über Rechtsextremismus.

Schmidt sagt, dass der Diskurs in Bautzen nicht zwischen zwei Meinungen gespalten sei. Sondern zwischen denen, die sich äußern. Und denen, die still bleiben. Problematisierer und Beschwichtiger. „Es steht jedem frei sich zu äußern“, sagt Schmidt. „Ich weiß halt, wie man Twitter bedient.“

Die Bautzener haben verstanden, dass nicht alle einer Meinung sein müssen

Am Freitagabend kommen einige Hundert Bautzener in ihren Dom. Bürgermeister Ahrens ist da, der Drucker Schleppers, auch der Bauunternehmer Jörg Drews. Es gibt eine Messe. Sie schließt mit den Worten: „Geht mit der Absicht Schranken zu überwinden, in Wort und Tat“. Die Bautzener zünden Kerzen an und gehen am Trenngitter ihres Domes entlang auf den Vorplatz, wo schon die ersten Fernsehkameras warten.

In der Predigt wurde über Rassismus gesprochen, über Hass und Ausgrenzung. Ganz ohne Annalena Schmidts Zutun. Jörg Drews zündet sich draußen seine dritte Zigarette an. Das Leben sei voller Kompromisse, sagt Drews. „Jeder muss sich fragen, ob er hoch baut und den anderen überragt, oder eben ein bisschen tiefer.“

Auf der anderen Seite des Doms sagt eine Rednerin auf der Kundgebung der Grünen: „Ich bin mir ganz sicher, dass die schweigende Mehrheit der Bautzener auf der richtigen Seite steht.“

Nur, welche ist die richtige Seite? Dort halten die Leute Kerzen in den Wind, hier Fahnen. Dort verurteilt ein Pfarrer Rassismus. Hier trägt jemand eine „Freedom of Speech”-Basecap. „Toleranz“, „Gemeinschaft“, solche Wörter fallen auf beiden Seiten.

Zuerst kommt mir das seltsam vor. Es kann doch nicht sein, dass die Bautzener es nicht hinbekommen, sich gemeinsam zu treffen.

Vielleicht hat die Stadt mit den zwei Sprachen und dem geteilten Dom das vor uns allen kapiert. Dass eine zerrissene Gesellschaft nicht besser wird, wenn am Ende alle geschlossen auf dem Marktplatz stehen.

An Bautzens Wänden wird ausgefochten, wer in der Stadt das Sagen hat.

An Bautzens Wänden wird ausgefochten, wer in der Stadt das Sagen hat.

Redaktion & Schlussredaktion: Rico Grimm; Fotos: Josa Mania-Schlegel; Bildredaktion: Martin Gommel.

Eine Stadt in Sachsen glaubt nicht mehr an die Kraft des Dialogs – und das ist vielleicht auch gut so

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