Auf dem Kati-Witt-Parkplatz in der nordsächsischen Stadt Riesa parken sonst die Fans von Florian Silbereisen oder Freiwild, die zum Konzert in die Sachsen-Arena wollen. Heute aber, an diesem grauen Samstag im Januar 2019, haben sich hier Anti-AfD-Demonstranten versammelt.
Junge Familien und Kinder in Bollerwagen, quasselnde Rentnergruppen, zwei Männer tragen T-Shirts, auf denen „Muslime für Frieden“ steht. Eine Gruppe Teenager hat ein Papp-Plakat gebastelt: „AfD wählen ist sooo 1933.“ Es dürften 1.300 Demonstranten auf dem Parkplatz sein. Genauso viele AfD-Politiker sitzen in der Halle vor ihnen. Sie haben sich getroffen, um auf einem Parteitag die Europawahl vorzubereiten.
Eingeladen hat die Anti-AfD-Demonstranten ein junger Mann, der sich gerade die roten Wangen warm grinst. Erik Richter, 24, zarter Bart und blonder, angedeuteter Irokesen-Schnitt ist zufrieden. Denn eigentlich müsste sich die AfD in seiner Stadt, in der zur Bundestagswahl 30 Prozent für sie gestimmt hatten, höchst willkommen fühlen. Aber das kann sie nun nicht mehr.
Diesen kleinen Sieg haben Richter und die Gegendemonstranten sich gegen einige Widerstände erkämpfen müssen. Proteste gegen rechts, das zeigen die Geschichte dieser Riesaer Demo und vieler anderer Fälle der jüngeren sächsischen Geschichte, hatten es in dem Bundesland noch nie leicht.
Zwei Abende vor der Demonstration sitzt Erik Richter im Offenen Jugendhaus Riesa. Ein bunt angesprühtes Gebäude, früher FDJ-Zentrale, noch viel früher ein Gefängnis. Heute: Kneipe, Tanzfläche, Lesebühne, Plenarsaal, Treff der jungen Riesaer. Als Richter im November hörte, dass die AfD in seine Stadt kommt, erzählt er mir, wusste er, dass er etwas dagegen tun will.
Protest gegen die AfD, findet Richter, sei nicht zwingend links. Der junge Mann trommelt mit dem Finger auf seiner Smartwatch herum. Sein Handy komme aus China, seine Socken aus Indien, sagt er. „Wir dürfen uns doch nicht der Welt verwehren, wie die AfD es tut. Wir können nicht hier die Flüchtlinge vertreiben und in ihren Herkunftsländern dafür sorgen, dass sie vertrieben werden.“
Die AfD verschließe davor die Augen. Deshalb wolle – nein, müsse – er, Richter, gegen sie demonstrieren.
NPD-Büro Riesa, Geschwister-Scholl-Straße 4
Also beginnt er Leute zu kontaktieren. Aktionsbündnisse, die sich in anderen Städten gegen rechts engagieren. Es melden sich auch Ex-Riesaer, die längst in die Großstadt gezogen sind, um mitzumachen. Manche waren schon in alten Zeiten dabei, als das größte Problem in Riesa noch die Geschäftsstelle der NPD Sachsen war. Damals, erinnert sich Richter, ging man hier gemeinsam und mit Witz gegen rechts vor: Die damalige CDU-Bürgermeisterin benannte die Straße, in der die NPD residierte, kurzerhand von Mannheimer in Geschwister-Scholl-Straße um.
Richter trat damals in die Partei Die Linke ein. Er organisierte mit Freunden Proteste gegen die NPD. Aber er spürte auch die Macht der Rechten.
Einmal, so Richter, habe der damalige Verein des Jugendzentrums, in dem er Mitglied war, eine Bühne des Stadtfestes bespielen dürfen. Man fragte die Band Feine Sahne Fischfilet an. Richter ist ein großer Fan, war dieses Jahr auf acht Konzerten. Den etwas beleibten Frontsänger Jan Gorkow kennt er flüchtig und nennt ihn ganz herzlich: Wampen-Bruder.
Damals meldete sich Holger Apfel, der damalige Vorsitzende der sächsischen NPD-Landtagsfraktion, bei der Stadt. Er beschwerte sich darüber, dass eine Band, die womöglich gegen die Verfassung verstößt, auf dem Stadtfest auftrete – und drohte eine Flugblattaktion an. Apfel bezog sich auf den Verfassungsschutzbericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern. In diesem tauchte die Band Feine Sahne Fischfilet auf, weil sie auf ihrer Website eine Anleitung für einen Molotow-Cocktail verlinkt hatte.
Und die Stadt? Untersagte das Konzert. „Man könne“, so die offizielle Begründung, „hohe Aggressivität und Gewalt nicht verhindern.“ Nicht von links, wohlgemerkt, sondern von rechts. Die norddeutsche Band durfte nicht auftreten, weil der Stadt Neonazis drohten.
Dieses Mal war es ähnlich. Der NPD-Mann Jürgen Gansel, der Wind davon bekam, dass nach der Anti-AfD-Demonstration ein Punk-Konzert im „Offenen Jugendhaus“ geplant war, wandte sich an die Stadt: Wie es sein könne, schrieb Gansel in einem offenen Brief, dass im „steuerfinanzierten Jugendhaus zahlreiche Bands aus dem Antifa-Milieu“ auftreten würden?
Gansel spielte, wenn man so will, die Holger-Apfel-Karte. Und die Stadt, und das erschreckte Erik Richter am meisten, richtete sich mal wieder nach den Wünschen der Rechtsextremen.
Eine Stadt zittert vor „der Antifa“
Am 8. Januar, vier Tage vor der Demonstration, erfuhr er aus der Zeitung, dass sein Konzert nicht stattfinden werde. Man habe Mängel in Sachen Brandschutz am „Offenen Jugendhaus“ festgestellt. Außerdem gebe es ein Problem mit der Vermietung. Stattdessen seien, in Anbetracht der anreisenden Antifaschisten, die ersten Wasserwerfer aus Dresden unterwegs.
Auf Nachfrage schrieb mir Marco Müller, der CDU-Oberbürgermeister von Riesa, von seiner Sorge, dass „von Zerstörungswut geprägte Aufmärsche ideologisch aufgeladener Gruppierungen“ seine Stadt heimsuchen könnten. Müller betonte seine Pflicht, „die Inanspruchnahme demokratischer Rechte zu ermöglichen“, und kündigte an, „gegen jeden Versuch vorzugehen, diese Grundrechte widerrechtlich mit Gewalt zu verhindern.“
Die Bedrohung kommt von links, das macht Müllers Statement ganz deutlich. Politikwissenschaftler wie der Wahl-Leipziger Michael Kraske glauben, dass es Rechtsextremisten auch deshalb in Sachsen so leicht haben, weil „in der sächsischen Politik, die von der CDU maßgeblich bestimmt ist, der Feind ganz offensichtlich immer noch links gesehen wird“.
Nehmen wir den Linken-Politiker André Hahn. Initiativen gegen rechts würden in Sachsen „nicht nur zu wenig unterstützt“, sagt er, „sondern zum Teil auch kriminalisiert.“ Er spricht aus eigener Erfahrung. 2010 war es, als Hahn in Dresden zu einer Sitzblockade aufgerufen haben soll, die letztlich einen Neonazi-Aufmarsch anlässlich des Jahrestags der Luftangriffe von 1944 verhinderte.
Ein Erfolg für die Demokratie? Hahn fand sich zwei Jahre später vor Gericht wieder: wegen eines Facebook-Videos, das ihn inmitten von Demonstranten zeigt. Weil man ihm den Verstoß gegen das Versammlungsgesetz letztlich nicht nachweisen konnte, wurde Hahn freigesprochen.
Wird in Sachsen Protest gegen rechts kriminalisiert?
Es gibt zahlreiche weitere Fälle, in denen linker Protest oder Protest gegen rechts in Sachsen erschwert, verhindert oder kriminalisiert wurde:
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Frühjahr 2011: Anlässlich des Gedenkens an die Luftangriffe auf Dresden will der Gedenkrundgang „Täterspuren“ des Bündnisses „Dresden-Nazifrei!“ an historischen Orten der Dresdner Altstadt wichtige Orte des Nazi-Regimes abgehen. Das Bündnis erhält aber ein Verbot. Der Rundgang wird auf die andere Elbseite verlegt. Stattdessen marschiert nun in der Altstadt die „Junge Landsmannschaft Ostdeutschland“ mit einem „Trauermarsch“ auf.
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Sommer 2011: Gegen den Jenaer Pfarrer Lothar König wird in Sachsen wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ ermittelte, weil man ihn verdächtigt, zu einer „Antifa-Sportgruppe“ zu gehören, die in Dresden Rechtsradikale jagt. Zur Beweisfindung schöpft die Polizei an die eine Million Mobilfunkdaten ab und leitet mehr als 600 Ermittlungsverfahren ein. Die Thüringer Polizei lobt sein Engagement gegen Rechtsextremisten. Nachdem Falschaussagen von Zeugen und gravierenden Fehler in der Anklage aufgedeckt werden, wird der Prozess drei Jahre später eingestellt.
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Sommer 2014: Der Linken-Politiker Falk Neubert und der Grünen-Abgeordnete Johannes Lichdi werden vor dem Amtsgericht Dresden wegen grober Störung und dem Verstoß gegen das Versammlungsgesetz zu einer Geldstrafe von 1.500 Euro verurteilt. Sie hatten drei Jahre zuvor gemeinsam mit 1.000 anderen eine Dresdner Neonazi-Demonstration blockiert.
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Frühjahr 2015: In der rechtsgerichteten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ sagt der ostsächsische CDU-Landtagsabgeordnete Alexander Krauß, es sei „die linksextreme Szene in Sachsen im Vergleich zum Rechtsextremismus keinesfalls das kleinere Problem“.
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Herbst 2016: CDU-Politiker bezeichnen Abgeordnete der Linken als „Krawallbrüder“, „Straftäter“ und „Terroristen“. Ministerpräsident Stanislaw Tillich klopft, als Zeichen der Zustimmung, nach der Rede auf die Tischplatte. Anlass der Beschimpfungen waren keine Proteste gegen rechts, sondern eine Anti-Braunkohle-Demonstration, die aus dem linken Spektrum rekrutiert wurde.
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Anfang 2017: Eine Demonstration gegen Pegida wird nur unter strengen Auflagen und auf einer kleinen Fläche am Rande des Neumarkts – und damit in weiter Entfernung von Pegida – genehmigt. Der Grund? Angst vor Schneebällen. Diese stellten, so das Ordnungsamt, „Gefahren für Leben und Gesundheit von Menschen“ dar.
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Herbst 2017: Der Dresdner CDU-Stadtrat Georg Böhme-Korns behauptet, es gebe mit Abstand mehr linksextreme als rechtsextreme Gewalt in Deutschland. In Zahlen gab es damals (2016) allerdings nur vier linksextreme Gewalttaten mehr (1.702 zu 1.698). In der Tendenz war rechte Gewalt um 14,3 Prozent angestiegen – während linke Gewalt um 24,2 Prozent sank.
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Herbst 2017: In fast 100 Verhandlungen werden um die 160 Teilnehmer einer Sitzblockade gegen den Leipziger Pegida-Ableger „Legida“ mit niedrigen dreistelligen Geldbußen belegt. Die Legida-Vertreter äußern sich „zufrieden“ über ihre Demonstration.
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Sommer 2018: Die sächsische Indieband Kraftklub engagiert sich regelmäßig gegen rechts. Ministerpräsident Michael Kretschmer nennt sie eine „unmögliche linke Band“.
Die Stadt Riesa bohrte Erik Richter mit Fragen zu seiner Gegendemonstration. Etwa, wo die Busse der anreisenden Gegendemonstranten parken sollten. Ob die Polizei Radlader benötige, um Brennsätze von den Kreuzungen zu räumen. Schließlich erwarte man „Antifas aus Connewitz“.
Wie man zudem sicherstellen werde, dass auch alle Demonstranten um null Uhr den letzten Zug nach Leipzig oder Dresden nehmen würden – und nicht marodierend durch Riesa zögen? Man habe Richter gebeten, die Demonstration nicht durch die Ladenzeile seiner Stadt zu führen – aus Angst um die Schaufenster. Später kündigte die Stadt noch online an, dass man prüfen werde, ob der Verein, der das Jugendhaus führt, nachträglich „sanktioniert“ werde.
Alles Probleme, für die Richter keine wirklichen Lösungen hatte. Und für die er sich eigentlich Hilfe bei der Stadt erhofft hatte. Letztlich kümmerte sich Richter aber um alles. Er überredete sogar die Mitteldeutsche Regiobahn, an diesem Tag einen längeren Zug bereitzustellen.
Der Riesaer OB schweigt
Und dann sprach ihn Oberbürgermeister Marco Müller auf eine Band an, die Richter für das Konzert eingeladen hatte. Die East German Beauties, ein wilder, sehr elektronischer Rave-Punk. Und diese Textzeile: „Deutschland verrecke.“ Der OB erzählte uns, dass die Band auf dem Index stehe, sagte Richter. Er recherchierte selbst und fand heraus, dass die Band nicht indiziert ist. Und er stritt sich mit Müller. Schließlich, sagte Richter, sängen auch die Toten Hosen „Wir schießen 2, 3, 4, 5 Bullen um“ in ihrem Song „Bonnie & Clyde“. Würde man auch ein Tote-Hosen-Konzert in Riesa verbieten?
Der Riesaer Oberbürgermeister Müller hat sich nach der Demonstration auch nach mehrfacher Nachfrage nicht nochmal zum Gegenprotest und den Vorwürfen geäußert.
Am 21. März, dem Tag gegen Rassismus, will Erik Richter trotzdem das nächste Mal sein Riesaer Bündnis aktivieren. „Mal sehen“, sagt er, „ob das dann auch klappt. Wenn man nicht wegen, sondern trotz der AfD auf die Straße geht.“
Mitarbeit: Diana Köhler; Redaktion: Rico Grimm; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Fotos: Josa Mania-Schlegel; Bildredaktion: Martin Gommel.