Mirella Precek, Jahrgang 1993, betreibt seit 2012 ihren YouTube-Kanal „Mirellativegal“. Das erste Video der gebürtigen Nürnbergerin war ein Make-up-Tutorial. Sechs Jahre später folgen ihr fast 500.000 Menschen.
Den Schminkpinsel hat sie aber weggelegt. Stattdessen spricht Mirella nun über Nachhaltigkeit, Sexismus und das Für und Wider von Social Media. Während sie das tut, backt oder puzzelt sie. Oder geht in den Wald. Der ist auch viel näher, seit sie aus der Kölner Innenstadt aufs Land gezogen ist.
Warst du schon einmal auf einer Demo?
Gute Frage. Ich glaube tatsächlich nicht. Und ich ärgere mich ein wenig darüber. Bei den Demos gegen die Abholzung des Hambacher Waldes zum Beispiel hätte ich gern unmittelbar teilgenommen. Dass ich das verpasst habe, ärgert mich. Ich habe aber versucht, über Social Media darauf aufmerksam zu machen.
Mirella, ist es ein Privileg, unpolitisch zu sein?
Gewissermaßen schon. Wenn du dich nicht mit Themen wie Sexismus und Nachhaltigkeit beschäftigst und keinen öffentliche Meinung dazu artikulieren willst, zeigt das, dass du noch nie eine Meinung dazu haben musstest. Vielleicht, weil du nicht davon betroffen bist. Nachhaltigkeit beispielsweise ist angesichts des Klimawandels aber ein Problem, das uns alle betrifft. Das Privileg ist also trügerisch.
Du hast gesagt, vegane Ernährung sei für dich ein politisches Statement. Warum?
In den letzten Monaten habe ich mich viel über Veganismus schlaugemacht, und das Thema hat sich dadurch für mich ganz schön zugespitzt. Da gab es zum Beispiel eine aktuelle Studie, nach der vegane Ernährung den größtmöglichen persönlichen Einfluss auf CO2-Emissionen hat. Denkt man vielleicht gar nicht, dass vegane Ernährung die Umwelt so sehr entlastet. Und dadurch, dass das mit dem Klimawandel einfach nicht so gut aussieht und nicht wirklich etwas passieren zu scheint, hab ich das Gefühl, es ist an der Zeit, selbst die Verantwortung zu übernehmen.
Ich hätte gern mal Kinder und würde gern, dass die in einer schönen Welt aufwachsen, die nicht von Dürren und ähnlichem geplagt ist. Wenn man sich über diese Dinge informiert, merkt man, dass die Welt gerade so ein bisschen am Arsch ist. Und über Dinge wie Veganismus, die jeder persönlich praktizieren kann, zu informieren, ist für mich ein guter Weg, einen Beitrag zu leisten.
„Ich versuche, diese Nähe zum Alltag und das Nicht-Perfektsein zu transportieren.“
Also Nachhaltigkeitsbestrebungen in Form von Bottom-up Bewegungen, anstatt darauf zu warten, dass internationale Abkommen umgesetzt werden?
Ja richtig. Von „oben“ werden bezüglich unseres Fleischkonsums auch nicht so schnell Vorgaben kommen. Man hat ja beim Veggie-Day-Vorschlag der Grünen gesehen, was los war. Unser Fleischkonsum ist für uns so eine Selbstverständlichkeit geworden, so ein günstiges Grundnahrungsmittel. Das gilt es zu hinterfragen.
Kannst du für Leser, die dich nicht kennen, kurz erklären, wie du politische Inhalte in deinen Videos einbringst?
Ich glaube das „Besondere“ an mir ist, dass ich kein perfektes Bild vorspiele. Zum Beispiel im Bereich Feminismus. Ich bin keine Vorzeigefeministin, aber ich beschäftige mich mit dem Thema und versuche die Leute an meinen Entwicklungen teilhaben zu lassen. Bei Nachhaltigkeit ist es ähnlich. Ich habe nicht gesagt, ich werde mein Leben komplett ändern und beispielsweise nie wieder Müll produzieren, weil das einfach für mich von heute auf morgen nicht realistisch ist.
Ich versuche, diese Nähe zum Alltag und das Nicht-Perfektsein zu transportieren. Man kann viele Dinge versuchen und sollte sein Bestes geben, aber wir sind alle nicht perfekt und können stetig dazu lernen.
Ich nehme die Leute bei meinen Prozessen mit. Das Format habe ich auch „Der Versuch“ genannt, weil es eben ein Versuch für mich selbst ist. An einigen Punkten scheitere ich, andere klappen sehr gut. Es ist so was wie eine Reise, auf die ich die Leute mitnehme. Ich lasse sie daran teilhaben, was mir schwerfällt und was mir gut gelingt.
Als du auf Youtube begonnen hast, hast du noch andere Videos gemacht, eher klassische Beauty-Sachen. Wann hast du das geändert?
Ein Video war für mich entscheidend „Warum ich fett geworden bin.“ Davor gab es viele Kommentare, wo Leute mir nicht unbedingt nur etwas Gutes wollten. Immer wieder kam die Frage: „Warum hast du zugenommen? Warum hast du zugenommen?“ Dann habe ich überlegt, wie ich das Thema aufgreife und hatte dabei das Bedürfnis, gleichzeitig eine gute Message rüberzubringen.
Ich hätte ein Video machen können, wo ich sage „Ihr seid alle scheisse, hört auf, so was zu schreiben!“, und das wäre auch völlig in Ordnung gewesen. Aber ich denke, so wie ich es gemacht habe, war es besser. Auch im Freundeskreis hat man ja Leute, die mal zu- oder abnehmen, und da sollte man auch hinterfragen, ob vielleicht etwas dahintersteckt. Eine Krankheit vielleicht, oder psychische Probleme. Mir war wichtig, humorvoll darauf hinzuweisen und aus der für mich negativen Situation etwas Gutes zu machen.
Also hat dich die Erfahrung von digitalem Fat Shaming politisiert?
Ja, wahrscheinlich.
„Ich finde es grundsätzlich anmaßend, jeder öffentlichen Person, jedem Influencer vorzuschreiben, er müsse politisch engagiert und ein perfektes Vorbild sein.“
Welche Auswirkungen hatte das auf deinen YouTube-Kanal? Sind Zuschauer abgesprungen?
Viele meiner Zuschauer sind von Anfang an dabei und finden meine Entwicklung spannend, haben sich selbst vielleicht ähnlich entwickelt. Einige sind auch neu dazu gekommen. Gerade habe ich ein Video über Nachhaltigkeit gemacht und einen Haufen Mails bekommen, in dem Leute sich gefreut haben, dass jemand mit großer Reichweite sich dazu äußert.
Sind politische Inhalte grundsätzlich weniger attraktiv?
Ich glaube schon. Trash-TV läuft super, und bei YouTube ist es ähnlich. Viele Leute wollen einfach mal abschalten und sich berieseln lassen. Wenn man zum Beispiel mit Nachhaltigkeit konfrontiert ist, macht man sich vielleicht Gedanken wie: „Was kann und sollte ich vielleicht selbst tun?“ Das ist anstrengend, und dann sieht man sich vielleicht doch lieber ein Katzenvideo an.
Wie begegnest du diesem Problem?
Ich versuche, nicht mit erhobenem Zeigefinger die Leute zu belehren, sondern auf Augenhöhe mit ihnen zu reden. Ich spiele ihnen kein perfektes Leben vor, darum können sich viele mit mir identifizieren. Veränderungen im eigenen Leben sind dann einfacher umzusetzen, weil die Themen nicht so weit weg sind, als wenn irgendjemand im Fernsehen darüber spricht, oder so.
Also haben Influencer keine grundsätzliche Verantwortung?
Doch, schon, in dem Sinn, keine sexistische Kackscheiße zu verbreiten oder jemanden zu diskriminieren.
Okay, das wären dann handfeste und aktive Dinge. Bei hunderttausenden Zuschauern hat man aber doch immer eine Vorbildfunktion.
Erzwingen lässt sich da nichts, das muss von den Influencern selbst kommen. Außerdem ist das so ein grundsätzliches Problem: Viele Zuschauer glauben, sie sähen den ganzen Menschen hinter der Kamera. Die Leute sehen aber nicht die Realität, sondern nur einen kleinen, ausgewählten Ausschnitt aus dem Leben der Influencer. Wenn sich jemand privat für irgendetwas engagiert und das nicht filmt, bekommen die Zuschauer auch nichts davon mit.
Eine Blaupause für den richtigen Grad an politischem Engagement gibt es also nicht?
Ich finde es grundsätzlich anmaßend, jeder öffentlichen Person, jedem Influencer vorzuschreiben, er müsse politisch engagiert und ein perfektes Vorbild sein. Denn woran messen wir das ganze dann? Bin ich der Maßstab oder der Dalai Lama oder Jan Böhmermann? Ab wann ist man genug politikinteressiert, und bei welchen Debatten ist es okay, sich nicht zu äußern? Natürlich wünsche ich mir mehr interessante Diskussionen, mehr Mehrwert und mehr Verantwortungsbewusstsein. Aber wir reden hier auch von der Unterhaltungsbranche. Solange der Inhalt unterhaltsam ist und, wie gesagt, eben niemanden diskriminiert, ist er meiner Meinung nach völlig legitim.
Wenn du eine Talkshow im Abendprogramm der ARD hättest, worüber würdest du reden, und wen würdest du einladen?
Ich würde über Social Media reden. Was macht es mit uns? Bisher gibt es keine Langzeitstudien, das ist ein ganz neues Feld. Manchmal habe ich das Gefühl, das ist ein wenig wie mit dem Rauchen. Früher haben die Ärzte ja auch gesagt, Rauchen sei nicht schädlich. Irgendwann meinten sie dann „Okay, vielleicht sollte man nicht die ganze Zeit rauchen“. Bei Social Media ist das vielleicht ähnlich.
Über die „richtige Dosis“, über das, was in unseren Köpfen passiert, darüber würde ich gern reden. Einladen würde ich Psychologen, Menschen, die täglich mit Social Media zutun haben, aber auch solche, die es gar nicht nutzen.
Redaktion: Rico Grimm; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Fotoredaktion: Martin Gommel.