Es lief eine Filmbiografie, und zwar über den DDR-Liedermacher Gerhard Gundermann. Also nicht Wolf Biermann, eher die zweite Reihe, nicht ganz so bekannt. Auch kein Widerständler wie Biermann. Gundermann war ein Rebell, das ja. Und er war bei der Stasi.
Waaas? – sagen jetzt viele. Ein Film über einen Stasi-Mann, untermalt mit seinen schönsten Liedern? Zeichnet dieser Film etwa weich, was eigentlich verurteilt gehört? Ostalgie-Romantik, wo eigentlich eindeutige Kritik lautwerden müsste? Dass es so einfach nicht ist, verstehe ich vier Tage später. Die Drehbuchautorin des Films, Laila Stieler, 53, sitzt mir gegenüber.
Zwölf Jahre hat sie daran gearbeitet. Zwölf Jahre! So lange wollte niemand die Geschichte des Stasi-Mitarbeiters und Kohlebaggerfahrers mit den berührenden Gitarrenliedern verfilmen. Obwohl Gundermann doch einiges über jenen Osten erzählt, dessen Bewohner dieser Tage mal wieder so viel Unverständnis erzeugen. Vor allem in Westdeutschland, dort, wo man sich lange nicht richtig mit dem Osten beschäftigen wollte. Oder wenn, dann immer nur von oben herab.
Laila, ich habe mich – zugegeben – auch kurz gewundert: Warum macht man einen liebevollen Film über einen Ex-Stasi-Mann, der teilweise sogar seine Freunde bespitzelte?
Na, um genau diesen Widerspruch zu zeigen – dass jemand auch mit den besten Absichten zum Täter werden kann. Gundermann hat nie gesagt, dass es ein Fehler war, für die Stasi zu arbeiten. Auch, wenn alle von ihm eine Entschuldigung erwarteten. Stattdessen sagte er: „Ich habe auf das richtige Pferd gesetzt – aber es hat verloren.“ Eine Sache, die er für richtig hielt, hat sich als falsch erwiesen. Ich nehme ihm das ab. Die Schwierigkeit, den Film zu machen, bestand darin, diesen Widerspruch nachvollziehbar zu erklären.
Wem musste man das erklären?
Den Produzenten, den Geldgebern. Einige, denen wir von unserer Idee erzählten, hatten Probleme mit diesen Widersprüchen. Was vielleicht auch damit zu tun hat, dass es Westdeutsche waren. Sie verstanden nicht, warum dieser Gundermann der Stasi private Briefe seiner Freunde weitergab. Oder warum er seinem Freund die Freundin ausspannte.
Wie hast du die Produzenten davon überzeugt, dir Geld zu geben für einen Film, dessen Hauptfigur wie ein Ekelpaket wirken kann?
Ich sagte: „In der DDR sind solche Trennungen massenhaft passiert, so war das Leben. Das muss man nicht moralisch sehen.“ Ich sagte: „Mensch, der Protagonist kommt vielleicht nicht gegen seine Gefühle an, aber er hat doch ein schlechtes Gewissen. Das muss doch reichen.” Aber es reichte offenbar nicht.
Was wollten sie hören?
Viele verstanden nicht, dass Gundermann sich nicht entschuldigen konnte. Es gibt heute eine Art Entschuldigungskult, aber Gundermann passt da nicht rein. Er steht dazu, dass er einmal in einem Land lebte, in dem es ihm richtig erschien, für die Stasi zu arbeiten.
Moment, was soll daran richtig sein, andere Menschen zu verraten?
Gundermann war Kommunist und in seiner Jugend radikaler als im höheren Lebensalter. Also, wen und was man für eine gerechte Sache opfern darf, fragte er sich erst später. Aber in jungen Jahren hatte er feste Prinzipien und war ziemlich bedingungslos. So auch in der Liebe. Es musste eben die eine Frau sein – auch wenn die mit seinem Freund eine Familie gegründet hatte. Es ging mir darum, den echten Gundermann zu zeigen – nicht irgendeine scheinbar moralisch integre Kinofigur.
Wie hast du diesen Gundermann zu fassen bekommen?
Ich glaube, ich habe ihn bis heute nicht zu fassen bekommen. Ich kannte ihn ja nicht persönlich. Aber im Laufe der Zeit habe ich immer mehr Material über Gundermann angesammelt. Und damit auch immer mehr Facetten dieser extrem widersprüchlichen Figur. Bei mir zu Hause stehen noch die vielen Ordner über ihn herum: zu den Filmen über ihn, zu seiner Musik, zur wichtigen Zeit in Hoyerswerda, die vielen Zeitungsartikel. Allein die Stasi-Geschichten haben zwei Ordner eingenommen, inklusive Kopien seiner Stasi-Akten. Und natürlich die Drehbuchfassungen.
Du hattest den Stoff beisammen und es irgendwie geschafft, die Figur Gundermann zu rechtfertigen. Dann konnte es endlich losgehen?
Nicht rechtfertigen – erklären. Verständlich machen. Eben nicht richten oder werten. Aber selbst dann blieb noch eine Hürde: Ein DDR-Liedermacher mit einem Leben prallvoll mit Ereignissen, Wendungen, aber ohne den eigentlichen großen Höhepunkt? Wie erzähle ich das? Wie mache ich daraus einen dramatischen Film, einen Spielfilm? Das Leben ist ja eher entdramatisiert, es nimmt lauter Schleifen, ist episodisch. So etwas ist fast unmöglich aufzuschreiben. Die Produzenten, die so ein Projekt letztlich interessiert, kannst du in Deutschland an einer Hand abzählen. Und dann hat es auch noch eine Weile gedauert, bis ich mich davon löste, Gundermanns Geschichte in eine herkömmliche Dramaturgie pressen zu wollen.
Der Entstehung des Films stand seine eigene Hauptfigur im Weg?
Kann man so sagen. Vor fünf Jahren war es, da runzelte wohl ein Produzent zu viel seine Stirn. Da fragte ich mich: Bin ich überhaupt in der Lage, diesen Film zu schreiben? Die fanden Gundermann ja als Typ toll. Die fingen sogar an, seine Musik zu hören! Aber ein Film?
Heute wissen wir: Es wurde doch etwas. Dank zwei Produzenten mit thüringischen Wurzeln – genau wie du (geboren in Neustadt an der Orla), Regisseur Andreas Dresen (geboren in Gera) und natürlich Gerhard Gundermann selbst (geboren in Weimar).
Gebürtiger Thüringer ist nur der Verleiher und Co-Produzent Björn Hoffmann, der lebt jetzt in Bayern. Produzentin Claudia Steffen kommt ursprünglich aus Rostock und wohnt und arbeitet heute in Nordrhein-Westfalen. Aber dass die beiden gebürtige Ostdeutsche sind, war sicher wichtig fürs Projekt.
Warum?
Weil wir so nur wenige Worte brauchten und sie trotzdem auf Anhieb verstanden, was wir meinten. Hoffmann und Steffen kannten Gundermann. Sie sagten: Was für ein lustiges Drehbuch. Was für ein klasse Typ. Und: Lasst uns doch eine Kinotour mit Band und Konzerten machen. Die hatten plötzlich eine Vision, ermöglicht durch Emotionen, die andere eben so nicht teilten. Und es sieht so aus, als würde sich diese Emotion jetzt auf die Zuschauer übertragen.
Was weckt Gundermanns Geschichte für Emotionen bei dir?
Er hat im Laufe seines Lebens einige unumstößliche Wahrheiten für sich aufgestellt, und an denen hat er sich dann gerieben. Manche haben sich auch widersprochen. Genau daraus resultiert die Spannung.
Das musst du erklären.
Ein einfaches Beispiel, das zeigt, wie absurd das sein konnte: Nach der Wende wurde er Vegetarier, als neues Lebensprinzip. Aber weil er nix wegschmeißen konnte, aß er dann doch manchmal Fleisch.
Ich vermute, die Widersprüche reichen noch tiefer, als es Essgewohnheiten tun.
Er hat – wahrscheinlich unbewusst – immer wieder verhindert, ein Star zu werden. In der 90ern ist er mit Bob Dylan und Joan Baez auf Tour gegangen. Was hätte man daraus für einen Hype machen können! Aber er wollte wohl kein Star werden. Er hat auch nie aufgehört, im Tagebau zu arbeiten, um nicht finanziell von seiner Musik abhängig zu sein – und sich so seine Prinzipien und seine Freiheit leisten zu können.
Ein Anti-Held …
… obwohl er immer Held sein wollte, da ist wieder dieser Widerspruch. Er mochte alles, was nach Held und Mythos roch, Ilja Muromez, die Samurai, er guckte Raumschiff Enterprise. Den Offerten der Stasi konnte er auch nicht widerstehen, die sprachen das kleine Kind in ihm an, das es allen beweisen wollte.
Wieder ein großer Widerspruch: Der Star auf der Bühne wollte er nicht sein, aber ein wichtiger Mitarbeiter der Stasi. Lösen sich die Widersprüche irgendwann auf?
Nein, er bleibt auf eine gewisse Weise uneinsichtig, und das gefällt mir beinahe am besten an ihm. Ein Beispiel: Er, der Kommunist aus Überzeugung, stellt einen Mitgliedsantrag bei der SED – und wird nicht genommen. Er hatte den Mund zu weit aufgemacht. Was macht er? Er stellt noch mal einen Antrag, sagt wieder dasselbe, wird man gerade so genommen und fliegt später hochkantig raus. Und als sie ihn rausschmeißen, sagt er doch: „Mein Mitgliedsbuch behalte ich, das geb ich genauso wenig ab wie meine Überzeugungen.“ Ich finde das tragisch; ich finde das aber auch unglaublich komisch.
Weniger komisch wird es, als er immer weitermacht mit der nächtlichen Musik und dem Baggerfahren am frühen Morgen. Er bekommt so wenig Schlaf, dass er immer schwächer wird, und schließlich – wahrscheinlich auch an Überarbeitung – mit 43 Jahren stirbt. Im Film ist sein früher Tod nur eine Notiz ganz am Schluss. Ich dachte da: Sieh an, der Gundermann ist an seinen Prinzipien zerbrochen.
Da möchte ich widersprechen.
Ja?
Er mag gestorben sein, aber ist ganz sicher nicht zerbrochen. Er hatte ja seine Musik, seine Auftritte, die Traumfrau, von der er nicht ablassen konnte, obwohl sein Freund mit ihr zusammenlebte. Er hatte Kinder. Es ist auch vieles aufgegangen von dem, was er sich vorgenommen hatte.
Dann ist es doch Ostalgie? Eine Verherrlichung?
Auf keinen Fall, und ich sehe Gundermann noch nicht einmal als Ostfilm. Idealisten hat es hüben wie drüben gegeben. Warum soll das jetzt typisch Osten sein? Die Kohlebagger gab es auch im Ruhrpott, in Essen war sogar die Premiere unseres Films. Ich wollte nie, dass die Zuschauer nur sagen: Ey, jetzt weiß ich endlich, wie der Osten war.
Dafür, wie der Osten wahrgenommen wird, sorgen zurzeit ganz andere Kräfte. 2015 ging die Wut im Osten mit Pegida los. Hatte das Einfluss auf den letzten Schliff am Gundermann-Stoff?
Nein, Gundermann hat ja mit Pegida nix zu tun. Umgekehrt sehr wohl, ich würde sogar sagen: Seine Stimme fehlt heute. Er machte ja noch nach der Wende eine Wahlkampftour mit der PDS, der heutigen Linken, er sagte damals aber auch: Wir müssen auch mit den Glatzen reden, ich schließe die nicht aus. Anhand von Gundermann hätte man verstehen können, warum die 2015 auf die Straße gingen.
Inwiefern?
Gundermann stand zu seiner Biografie. Er duckte sich nicht weg, ging offen mit seinem Werdegang um. Damit, dass er und die Welt um ihn herum sich verändert hatte.
Was hat das mit Pegida zu tun?
Ich sehe den Zusammenhang in diesem Selbstbewusstsein, zur eigenen Biografie zu stehen. Das war schon für Gundermann nicht leicht, er musste sich dazu durchringen. Aber er hat gezeigt, dass es gehen kann. Und vielen, die jetzt im Osten auf die Straße gehen, hätte das vielleicht auch geholfen.
Wobei?
Nach der Wende hieß es oft: Wie habt ihr das denn da ausgehalten? Wie konnte das 40 Jahre lang passieren? Es kamen Sätze wie: Warum habt ihr das mit euch machen lassen? Oder: Ihr hättet euch nur wehren sollen, mir wäre das nicht passiert! Man lernte, dass die eigene Biografie nicht von Interesse ist oder als fehlerhaft angesehen wird.
Auch Gundermann war kein Widerständler.
Es wird immer so getan, als wäre Rebellion per se etwas Edles, Fortschrittliches. Aber einige, die damals die Rebellion in der DDR anführten, stehen heute in der rechten Ecke. Und das ist vielleicht gar nichts Neues, die standen schon immer da.
Wer kein Widerständler war, hätte es eben wie Gundermann machen müssen: bedingungslos zur eigenen Biografie stehen.
Naja bedingungslos – ich weiß nicht, das klingt schon wieder so nach Prinzipienreiterei. Ich will ihn jetzt auch nicht als das Vorbild hinstellen. Auch hat ja nicht jeder die Reflexionskraft eines Gundermann. Aber es hätte mehr Stimmen wie seine gebraucht, die sagen: „Lasst das mal unsere Sache sein.” Das hätte den Ostdeutschen vielleicht geholfen, ihre Geschichte und Geschichten aufzuarbeiten. Ihre Biografien als gelebtes Leben zu nehmen und nicht als etwas Peinliches, über das man besser nicht spricht.
Es ist das Gegenteil passiert.
Dafür will ich niemand verurteilen. Die einen wussten es nicht besser. Und für die anderen gab es diesen Anpassungsdruck. Die haben aus verschiedenen existenziellen Gründen in Kauf genommen, dass sie zu Deutschen zweiter Klasse wurden und schämten sich. Genau diese Scham schlägt jetzt in Wut um, in Anklage. Die zeigen jetzt mit dem Finger auf andere.
Ein Dankeschön an unseren Leser Hans, der uns eine E-Mail schrieb im Vorfeld dieses Artikels – und damit der Initialzünder zu diesem Interview war.
Falls ihr den Film nicht kennt, hier ist der Trailer:
Redaktion: Esther Göbel. Schlussredaktion: Vera Fröhlich. Bildredaktion: Martin Gommel. Aufmacherfoto: Peter Hartwig / Pandora Film.